16.05. 15:00 Grand Canyon North Rim, 2600m
Langsam geht die Sonne auf.
Specki lastet schwer auf den müden Schultern.
Aber warum man auf diesem Kinderwagenweg sein Rad nun unbedingt tragen muss?! Die ersten fünfzehn Kilometer führen zudem fast flach am Bright Angel Fluss entlang, das macht die Sache nicht eben leichter.
Endlich gehts mal ein bisserl nach oben, das Panorama entschädigt für die Mühen. Und die sind durchaus beträchtlich, Schultern, Rücken und Füße haben schon bessere Zeiten gesehen.
Hübsch ist's hier durchaus, aber so richtig genießen kann ich die Gegend grade nicht. Bin schon einigie Stunden unterwegs und ein Ende ist noch lange nicht in Sicht.
Irgendwann interpretiere ich die strengen Nationalparkregeln auf meine Weise. Kann ja nicht sein, dass ich mich hier zum Krüppl schleppe. Getragen wird nur noch streckenweise auf den erdigen Abschnitten, wo deutliche Reifenspuren zu sehen wären.
Ist das etwa eine Spionagevogel, der den Rangern von meinem Frevel berichten wird?
Einige Stücke sind mit dem Rad auf der Schulter sowieso nicht zu bewältigen.
Der North-Kaibab-Trail führt streckenweise mitten durch eine Felswand.
Einfach faszinierend, aber auch scheusslich anstrengend. Mittlerweile könnte echt mal Schluss sein, aber das rettende Northrim ist noch immer weit über mir.
Selbst bei einer kurzen Pause werde ich misstrauisch beobachtet. Hilft nix, der letzte Müsliriegel muss gegessen, der letzte Tropfen Wasser getrunken werden.
Weit ist's nimmer... oder doch? Die Dimensionen hier täuschen.
Ab und zu heb ich den Bock auch nochmal auf die Schulter, aber mindestens ein Drittel des Anstiegs wird geschoben. Wheels may not touch the ground? Sorry, ich konnte einfach nicht mehr.
Gegen Ende werde ich immer langsamer. Kondition ist zwar noch vorhanden, aber meine Füße bringen mich um. Das bergab latschen gestern war schon ungewohnt genug, die vielen Stunden heute geben ihnen den Rest. Zudem noch mit neuen Schuhen, kein Spaß.
Kurz vor Ende des Trails begegnet mir, schiebenderweise, der erste Nationalparkranger. Ganz unvermittelt steht er vor mir, Specki bleibt keine Zeit mehr, auf die Schulter zu hüpfen. Der Kerl ist aber völlig cool drauf und supernett, schieben oder tragen ist überhaupt kein Thema. Im Gegenteil, er beglückwünscht mich zur bescheuerten Aktion und feuert mich über die letzten Meter noch kräftig an.
Überhaupt waren alle Leute unterwegs, und das waren an einem Sonntag nicht wenige, mit Abstand die freundlichsten Wanderer denen ich jemals begegnet bin. So viele nette Gespräche am Wegesrand hatte ich noch nie, was wohl auch dem seltsamen Erscheinungsbild eines abgekämpften Radlers der nicht radelt geschuldet ist. Hat jedenfalls großen Spaß gemacht, immer wieder die selbe Geschichte zu erzählen und die ungläubigen Kommentare anzuhören.
Geschafft!
Nach 2000 Höhenmetern Anstieg und ungezählten flachen Wanderkilometern bin ich dann endlich oben. Der Canyon ist bezwungen, ha!
Das war wohl unbestritten die anstrengendste Aktion, die ich jemals mit meinem Radl unternommen habe. Und so sinnlos... aber doch auch wunderschön. Der riesige Straßenumweg stand nie wirklich zur Debatte, das war schon vorher klar. Dass mich die Geschichte allerdinds so schlauchen würde, hätte ich nicht gedacht. Glaub ich brauch jetzt erst mal einein Ruhetag, um meine Wunden zu lecken
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Am Trailhead erwartet mich neben einigen applaudierenden Hikern auch bereits die Nationalparkpolizei in Form eines weiblichen Sherrifs. Ein Radler im Canyon bleibt nicht unbeobachtet, bereits seit gestern früh bin ich "on file". Die Unterhaltung verläuft auch hier überaus freundlich und die paar Schiebe- statt Tragepassagen scheinen kein Problem zu bedeuten. Trotzdem werden meine Personalien aufgenommen. Falls in den nächsten Stunden jemand einen Bericht über einen radelnden Radler im Canyon abgeben sollte, wissen sie dann wenigstens, wen sie einbuchten dürfen. Land of the free...