Villiger war mal wirklich eine ziemlich spannende Fahrradmarke und hat vor allem in der Schweiz während den Neunziger Jahren viel bewegt.
Anfangs der Achzigerjahre stieg die Familie Villiger ziemlich überraschend ins Fahrradgeschäft ein. Bis dato hatte sich der Konzern unter der Leitung der beiden Brüder Heinrich und Kaspar nur als Zigarrenhersteller einen Namen geschaffen. Die Villigers kauften die eher lahme Fahrradfabrik Kalt in ihrer Nachbarschaft, welche bis dato hauptsächlich Räder für Warenhäuser hergestellt hatte. Zwei Jahre zog man das Geschäft wie bisher weiter, dann gab die Firma richtig Gas. 1982 kamen die ersten Velos mit dem Namen Villiger in den Fachhandel, und kurz darauf zog man den Import von Koga Miyata für die Schweiz an Land. Das Geschäft florierte, und zusehends wurde Villiger ein innovativer Hersteller mit einigen fahrradtechnischen Highlights im Programm.
So verwendete man Mitte der 80er schon modifizierte 7-Fach-Freiläufe mit Bergübersetzung, während
Shimano, Suntour & Co immer noch (und noch eine Weile darüberhinaus) auf 6 Gänge am Hinterrad vertrauten. Anfangs Neunziger folgte ein Vollcarbon-Rennrad mit integriertem Steuerlager, ein erstes Mountainbike mit hydraulischer Scheibenbremse am Hinterrad (vom Motorradausrüster Bremo), und Mitte der Neunziger branchte man das vollgefederte Cityrad Cadro mit integrierten Anbauteilen auf den Markt. Zusammen mit der eidgenössisch technischen Hochschule ETH entwickelte man das Spyce, ein Mountainbike-Softtail mit Carbonrahmen. Das Modell Spicy gilt heute noch als eines der durchdachtesten Kinderräder. Villiger spielte puntko Innovationskraft damals in der obersten Liga der europäischen Fahrradhersteller, und das in allen Produktesegmenten. Besonders mit Tourenrädern schuf man sich einen ausgezeichneten Namen. Orientierten sich die Produktemanager Anfangs vor allem an der Importmarke Koga im eigenen Lager, entwickelte sich doch bald ein eigenständiges Design. Bei den Tourenrädern trieb Villiger den hauseigenen Rahmenbau auch auf die Spitze. Das Modell Cabonga mit ovalisierten Stahlrohren in eigens gefertigten Muffen war ein spätes (wennauch technisch nüchtern betrachtet wenig sinnvolles) Highlight in dieser Rahmenbauweise.
Ab 1984 lieferte Villiger nach Deutschland, und ab 1992, als man die Firma Diamant kaufte, hatten die Schweizer ein sehr starkes Bein im nördlichen Nachbarland. Weil der Name Villiger für Mountainbikes nicht so cool tönte, hob man 1992 die MTB-Marke "Mountain Arrow" aus der Taufe. Bereits ein Jahr später verkürzte man den Namen auf "Arrow" und dabei blieb es, bis der neue Villiger-Besitzer Trek die Marke Ende 2006 einstellte. Um die Jahrtausendwende besass Villiger die Kuwahara-Namensrechte für Deutschland und baute darunter einige ganz solide Bikes, allerdings ohne den Sexappeal der früheren Jahre. In den Spitzenjahren dürfte Villiger-Diamant über 70'000 Räder in der Schweiz und in Deutschland gefertigt und verkauft haben.
In den späteren Neunzigern geriet der Villiger-Motor ins Stottern. Die Innovationen brachten nicht die gewünschten Absätze, und nachdem Villiger-Schwiegersohn Damian Wirth die Firma im Streit verlassen hatte, liessen auch die Visionen nach. Zwar arbeiteten danach noch weitere findige Köpfe für Villiger, unter anderem der heutige Idworx-Macher Gerrit Gaastra, die visionären Ingenieure von Futec (heute eng verbunden mit BMC) oder Hans Furrer, der heute mit dem Elektroradhersteller Flyer von Erfolg zu Erfolg eilt, doch auf der obersten Führungsetage war die Begeisterung weg. Kaspar Villiger war unterdessen Bundesrat geworden (für die mit der Schweizer Demokratie nicht Vertrauten: Bundesrat ist eine Mischung aus Minister und Staatspräsident) und hatte nach seinem Rücktritt keine Lust mehr auf die Kleinheit des Bike-Business. Und Bruder Heinrich fühlte sich erfüllt genug im weitaus rentableren Tabakgeschäft.
So kam es, dass die Familie Villiger den ganzen Fahrradbereich Ende 2002 an Trek verkaufte. Der neue Besitzer hat seither das Sortiment gestrafft: Kuwahara wurde unmittelbar nach dem Kauf eingestellt, Tigra (noch kurz vor dem Ende von Villiger gekaufter Markenname) nach drei Jahren, Arrow nach vier Jahren. Villiger ist seit dem letzten Jahr nur noch auf dem Schweizer Heimmarkt erhältlich und die einstige Paradediszipin Tourenräder wurde ersatzlos gestrichen. Heute baut ein Grossteil des Villiger-Sortiments auf denselben Rahmen wie die Trekkingräder von Trek und die Citybikes von Diamant. Bereits zwei Jahre vor dem Verkauf an Trek war die Luft aber schon draussen. Die einst hochgehaltene Schweizer Rahmenproduktion und Montage wurde aus Kostengründen vollständig ins Diamant-Werk in Deutschlands Osten verlegt. Seit der Übernahme durch Trek ist auch in Hartmannsdorf vorbei mit Rahmenbau im allgemeinen und Stahlrahmen im Speziellen.
Falls es wen interessiert: bei mir lagern noch einige vollständige Scans von Villiger-Prospekten ab 1992 und einige Firmenportraits aus einschlägigen Magazinen seit 1993.