Geschichten aus dem Arbeitsleben eines Fahrradmechanikers

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Re: Geschichten aus dem Arbeitsleben eines Fahrradmechanikers
Vor etwa 4 Jahren bei mehreren Radläden vor Ort wegen einem Kettennietstift für 10fach Shimano nachgefragt. Auf Lager hatte es damals keiner.
Dafür hatten Online Händler so viele Kettennietstifte auf Lager das ich die freie Auswahl hatte.

Diesen Sommer in Südtirol: Meine vordere Bremse war undicht (Leitung am Bremssattel gelockert beim Tragen). Mechaniker war keiner im Fahrradladen aber der Chef gab mir Entlüftungskit, Werkzeug und Mineralöl damit ich selber schrauben konnte.
Als ich zahlen wollte, wollte er kein Geld haben und meinte eine Spende in die Kaffeekasse würde reichen.
Mein AlpenX war gerettet und die Spende gab es natürlich.
Hier in Deutschland kenne ich keine Werkstatt die mich zum Selberschrauben in deren Werkstatt lassen würde. Die einzige die ich kannte musste leider vor etwa 20 Jahren Insolvenz anmelden.
 
Ein Fahrradladen ist ein Geschäft, wo man Räder und ggf. Zubehör kauft. Die Werkstatt ist ein Angebot, welches sich primär bei vielen Läden an den Kunden richtet, der ein Rad dort auch kauft. Im Fahrradbereich handhabt man es zum Glück noch nicht so wie es vielen Kunden von z.B. E-Scootern kennen. Also einfach verkaufen und dann auffliegen lassen.
Es geht auch nicht darum Menschen mit woanders gekauften Rädern zu denunzieren, man nimmt selbstverständlich Räder von außerhalb an, wenn das Kontingent in der Werkstatt vorhanden ist. Was man aber nicht macht ist, dass man seine Kunden vergrault und zum Kauf wo anders animiert, wo der Preis so doll gedrückt wird, das man dann irgendwann selber nicht mehr den Service anbieten kann. Es gibt Werkstätten, die nicht nicht an einen Laden gebunden sind, die haben sich dann aber auch ausschließlich auf Reparaturen spezialisiert. Eine am Laden gebundene Werkstatt ist aber häufig mit auf den Verkauf ausgelegt. Sprich die Räder, die im Verkauf gehen, auf zu bauen, die verkauften Räder zu warten und am Kunden anzupassen und halt die Kundenräder zeitnahe zu reparieren.

Das Problem ist nicht, dass die Werkstatt auf den Verkauf ausgelegt ist, sondern heute viele denken, dass diese Dienstleistung selbstverständlich ist und eine Werkstatt verpflichtet ist jedes Rad an zu nehmen.
Es wird kein Rad abgelehnt, weil es woanders gekauft wurde. Wenn jemand Umzieht will er ja schließlich auch nicht immer in den Ort fahren, wo er es gekauft hat, wenn jemand auf der Durchreise ist, wird selbstverständlich geholfen, aber warum sollte man Dienstleistungen für Onlinehändler übernehmen und damit unterstützen in die Lage zu kommen, dass der Lohn gedrückt wird, der Laden sich irgendwann nicht mehr halten kann und die Werkstatt geschlossen wird?
Deine widersprüchlichen Aussagen bezüglich Fremdbikes zeigen ja deutlich das Dilemma auf.

Natürlich will man Fremdbikes nicht wegschicken, skaliert die Werkstatt aber nach den verkauften Bikes und Fremdbikes haben klar eine niedrigere Priorität. Man plant sie also einfach nicht ein. Im Endeffekt muss man sie dann wegschicken.
Natürlich hat man Mitleid mit dem Kunden der umgezogen ist und jetzt mit nem Fremdbike vor der Tür steht, kommt allerdings ein Kunde mit einem Bike vom Versender ists schnell vorbei mit dem Mitleid...

Im Endeffekt kommen die Probleme wohl daher, dass Werkstattleistungen zu billig verkauft werden (durch die Bikeverkäufe subventioniert) und deswegen exklusiv für die Kunden bleiben müssen, die schon genug Geld im Laden gelassen haben.

Passt auch gut zu dem Gefühl, dass man irgendwie ausgenommen wird, wenn man nur Dienstleistungen verkauft. Wie die Aussage der Onlinehändler gewinnt daran, wenn ein lokaler Shop den Werkstattauftrag durchführen "muss" und nicht er selbst...

Lösung könnte sein, die Nachfrage nicht zu ignorieren und eben die Preise zu verlangen die es kostet. Aber anscheinend wird mit den Bikeverkäufen einfach zuviel verdient.
 
„Ähm ja, Liefertermin verschiebt sich, auf wann genau wissen wir nicht. Ach so und der Hersteller hat ne neue Preisliste rausgegeben - Bike kostet jetzt 649,- statt 599,-.“
Es geht auf Großhandelsseite noch dreister. Ich hatte mal einen Bell Helm, in "Infrared", einem leuchtend kräftigen Rot. Nach knapp einem halben Jahr war das Rot bereits so ausgeblichen, dass ich mehrfach gefragt wurde, wie ich zu dem rosa Helm gekommen bin. Also beim Händler vor Ort (wo ich ihne auch gekauft hatte) reklamiert. Einige Zeit später die Mitteilung, dass die Reklamation angenommen wurde, und nachdem das Rot nicht mehr verfügbar war könnte ich mir eine andere Farbe aussuchen. Der neue Helm ist dann auch kurze Zeit später beim Händler eingetroffen. Bei der Übergabe hat mir der vom Landen noch mitgeteilt, dass der Großhandel zum Helm noch eine Rechnung mitgegeben hatte, dass ja inzwischen eine Preiserhöhung stattgefunden hätte und der Händler diese Differenz bitte dem Kunden berechnen soll. Der Händler hat dann ziemlich böse Schimpfwörter Richtung Großhändler losgelassen, und dass sie das mit dem klären, und dass ich mir da keine Sorgen machen muss, selbstverständlich bekomme ich bei einer berechtigten und anerkannten Reklamation keine Zusatzkosten aufgebrummt.
 
Kunde kommt mit neuem Scott Rennrad (2x8 Claris, mechanische Scheibenbremse...) und hätte es gerne auf eine 1x12 Sram AXS umgebaut und ob wir sowas machen würden, ja können wir machen, müssen nur schauen was wir an Teile bekommen...Kunde auf einmal erleichtert ja ich hab schon alle Teile Zuhause... äh ok auch nicht schlecht... Kunden gebeten die Teile(alles neu) mal vorbei zu bringen, schnell drüber geguckt ob alles passt, neues Laufrad hinten besorgt, zum Rahmen passendes Dub Lager bestellt... "Abholtermin" in etwa zwei Wochen vereinbart, auf die Teile gewartet, Rad umgebaut, Rad abgeholt und Fertig. Nach dem ersten Schock wars dann im Nachhinein ein recht Entspannter Auftrag 🤭
 
Lösung könnte sein, die Nachfrage nicht zu ignorieren und eben die Preise zu verlangen die es kostet.
... und sich darauf zu spezialisieren. Ich war mal zwei Saisonen als Bikeguide für Alpenüberquerungen unterwegs. Besonders wertvoll waren die Geschäfte, wo man mit einer Gruppe auftauchen konnte, und 5 Personen wollten sofort was gerichtet haben. Die haben interessanterweise nicht einmal so viel für diese Sofortreparaturen verlangt.
 
skaliert die Werkstatt aber nach den verkauften Bikes
Ich könnte mir vorstellen, dass diese Skalierung das Problem ist. Wenn jeder Kunde ein mal im Jahr was will, haut das nicht mehr hin.

Beispiel: Ein Laden macht neu auf, verkauft im ersten Jahr 100 Fahrräder. Folglich stehen Pi mal Schnauze im Jahr darauf 100 Kunden in der Werkstatt und wollen eine Inspektion, Reparatur, Änderung etc. . Im Jahr darauf verkauft der Laden wieder 100 Bikes. Dann stehen schon 200 Kunden pro Jahr vor der Werkstatt und wollen was. Wiederum ein Jahr später liegt der Verkauf auch bei 100 Bikes pro Jahr, aber dann tummeln sich schon 300 Kunden vor der Werkstatt. Und irgendwann ist die Werkstatt zu klein.

Das Problem liegt dann ganz einfach darin, dass die Verkäufe (und damit der Hauptumsatz) konstant bleibt, aber die Anforderungen an Werkstattplatz erst mal jedes Jahr steigt, bis die Räder irgendwann aus dem Verkehr gezogen werden. Keine Ahnung, aber ich schätze, dass das nach deutlich über 10 Jahren sein wird. Das heißt, dass die Werkstatt für eine erheblich größere Werkstatt als die jährlichen Verkäufe ausgerüstet sein müsste. Das aber vorher einzuplanen und vorzuhalten ist wahrscheinlich eine große Herausforderung.
 
...
Was mir aber vermehrt auffällt ist, dass viele junge Männer nicht mal mehr einen Schlauch alleine aufpumpen können.
...
Was durch unsere allgegenwärtigen Gleichstellungsbeauftragten leider nur zu einem sehr geringen Teil dahingehend kompensiert wird daß sich die jeweiligen LAG dazu im Stande fühlen. :D
...Ein guter Freund wurde schon mal in einer WG zitiert, wo sich keiner der Bewohner traute eine Glühbirne zu wechseln und ...
Schlimm. Sehr sehr schlimm!
Also nicht daß sich niemand traute, sondern: "Glühlampe".
Wenn's denn wenigstens noch als Heatball benannt worden wäre.
 
Zuletzt bearbeitet:
Das es wirklich in Dänemark aufgenommen wurde.
Weil in Dänemark in einem elektrischen Gerät der spannungsführende Leiter klar definiert angelegt wird?
Vorausgesetzt natürlich daß die Steckdose korrekt nach deren Installationsvorschriften beschaltet wurde. Aber davon wollen wir mal ausgehen ...
 
Alles verständlich.
Ich frag mich allerdings eins: Wieso schaffen es die Apotheken bzw. deren Großhändler/Lieferanten, Medikamente, die (oft) nicht vorrätig sind, noch am selben Tag zur Abholung in die Apotheke zu bekommen. Ist ja vermutlich auch kein Hexenwerk, sondern ein durchkalkuliertes Logistiksystem.
Würd mich echt interessieren, ob sowas schon versucht wurde und berechtigt nicht funktioniert hat (warum nicht?) oder obs da andere Gründe gibt, wieso das scheitert.

Als jemand, der in dem Bereich mal in der IT bearbeitet hat, das ist sehr aufwändig. Die Lagersysteme sind sehr aufwändig und die IT dahinter auch. Das is alles auf die eine Branche zugeschnitten. Dazu ist das hochreguliert inklusive der Preise, Margen und Logistikkosten. Zudem besitzen die Großhändler einen eigenen Lieferdienst. Mit DHL oder Amazon kommt das nicht in die Apo. Das ist alles 100% auf den Markt zugeschnitten und durchreguliert. (Fast) Jedes Produkt ist registriert und standardisiert mit seinen Verpackungsgrößen. Deshalb funktionieren auch die Logistiksysteme vollautomatisch. Und die Kunden sind alle bekannt. Und man weiß das jeder Kunde mind. 2 mal am Tag beliefert wird. Da fällt jedes Päckchen ins exakt passende Kistchen. Und für jedes Produkt gibt es einen vordefinierten Logistiksatz, der von den Großhändlern vorab verhandelt wird. Ohne diese regulierte Mindestspanne könnten die 5 Großhändler in DE gar nicht überleben. Reich wird davon auch keiner, man versucht mit Zusatzprodukten in der Apotheke etwas mehr rauszuholen.
 
Lösung könnte sein, die Nachfrage nicht zu ignorieren und eben die Preise zu verlangen die es kostet.
Und diese höheren Preise würden dann von den Kunden anstandslos bezahlt werden?
Du wohnst aber schon in D, oder?


So als Einschätzung was Kunden die Arbeit in der Werkstatt wert ist:
Kunde hat Rennrad-Laufrad mit Platten dabei und kauft neuen Schlauch. Er stellt die Frage ob man den gleich montieren könnte. Chef meint ausnahmsweise ja, weil gerade keine anderen Kunden da sind.
Chef macht es selber. Alter Reifen und Schlauch runter. Alten Schlauch angepumpt um zu sehen ob er wirklich kaputt ist. Ist er. Felgenbett mit Lappen abwischen und Kontrolle des Felgenbandes. Reifen von innen anschauen und auch mit Lappen durchwischen, falls noch was scharfes nach innen stehen sollte. Dann Reifen drauf, Ventil festziehen und einfädeln, Schlauch anpumpen und einlegen. Da 23mm Reifen, braucht es etwas bis der Schlauch ohne Einklemmen drinnen ist. Aufpumpen und Kontrolle ob der Reifen überall richtig sitzt und keinen Höhenschlag hat.
Gibt das Laufrad dem Kunden und meint er soll bitte was in die Kaffeekasse werfen. Wie der Kunde an der Kaffeekasse vorbei geht, macht es genau einmal „klong“.
In der gerade zuvor geleerten Kaffeekasse waren dann 2€.


P.S. üblicherweise ist die Vorgabe für einen Schlauchwechsel 1,5 Arbeitseinheiten = 9 Minuten, was hier gut hinkommen könnte. Das wäre dann ein Stundenlohn von 13,34€.
 
Zuletzt bearbeitet:
Was mir aber vermehrt auffällt ist, dass viele junge Männer nicht mal mehr einen Schlauch alleine aufpumpen können.
Scheint aber überall auffällig zu sein. Ein guter Freund wurde schon mal in einer WG zitiert, wo sich keiner der Bewohner traute eine Glühbirne zu wechseln und dann zwei Tage kein Licht im Badezimmer hatten, statt einfach eine neue im Laden zu holen und zu tauschen. :ka:

Es ist doch toll, dass die Entwicklung durch Dienstleistungsgesellschaft offenbar weitergeht? Ich hab mir für die Steckdosen in der Küche auch nen Elektriker gerufen weil die gleiche Firma vor vielen Jahren die Kabel sehr spannend (=viel zu kurz) abgelängt hat. Meine Zeit und mein Frustrationslevel sind mir auch lieb und teuer :D
 
um mal wieder auf den ursprünglichen Gedanken dieses Fadens zurückzukommen.

Ich habe mich ja auf Reverbs spezialisiert. Da schreibt mich jemand an seine Reverb würde nicht mehr einfahren ob ich die reparieren könnte und zu welchen Preis. Ich habe da immer Festpreise, da sowieso immer ein Full Service nötig ist.
Die Reverb kommt bei mir an und bewegt sich kein Stück. Also ok auseinander damit und wieder zusammenbauen. Tja denkst de. Das Sattelrohr ließ sich nicht aus der Stütze ziehen. Mir Hilfe einer Korpusklemme welche auch zienen kann und einer speziellen angefertigten Konstruktion gelang es mir dann das Rohr rauszuziehen. Das hatte doch tatsächlich jemand versucht die Stütze selber zu warten und hattte wohl den Gleitring verkantet und dann die Stütze mit dem Hammer eingetrieben......
Erstaunlicherweise war nichts beschädigt so habe ich die tatsächlich wieder hinbekommen.

"Meine Stütze senkt sich nicht mehr ab"

Warum kann man da nicht ehrlich sein und sagen dass man es selbst versucht hat und es nicht hinbekommen hat........ :mad:
 
Solange der Laden nachher nicht für dich etwaige Reklamationen und Dienstleistungen, wie Aufbau und Reparaturen und Ersatzteilversorgung, oder auch Beratung dazu geben soll, kann ich deine Entscheidung vollkommen nach vollziehen.


Aber denke du wirst nicht so sein und auch alleine mit dem Rad klar kommen. Und hab Nachsicht mit den Händler, der wird dich wahrscheinlich nicht umsonnst so lange vertröstet haben und muss jetzt irgendwie das Rad am Mann bringen. Aber nachträgliche Preisänderungen sind ein NoGo, wenn so etwas nicht vorher besprochen wurde.

Nun ja - ein Händler der Cube Räder führt, aber keine Cube Bikes repariert die nicht bei ihm gekauft wurden?

Was mache ich nach z.B. einem Umzug - fahre ich dann jedes Mal zurück in die alte Heimat? Wir reden hier ja nicht über reine Versenderbikes.

Gewährleistung geht logischerweise gegenüber dem Verkäufer und nicht gegenüber dem Händler, bei Garantie über Cube (wenn da ein Händler zwischengeschaltet werden muss) sieht es auch schon wieder anderes aus.

Und ja - ich würde oder habe in dem Fall dann den Händler logischerweise nicht mit Nichtigkeiten wie Aufbau etc. belästigt, sondern das alles in Eigenregie gemacht.

Deren Werkstatt traue ich aus anderen Gründen nicht mehr über den Weg, da sich bei einem dort gekauften Bike die spätere „Reparatur“ für knapp 90,-€ an der Lichtanlage im Endeffekt dann als ziemlicher Pfusch herausgestellt hat die gerade mal 3 Wochen hielt.
 
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Neulich bei mir in Kopenhagen in einem dieser modernen Radläden gewesen, der mehrere Marken führt und auch eine große Auswahl an Bekleidung, Werkzeug und Teilen hat. Das Bild hier sagt wohl alles:

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Aber so etwas gibts dann auch "nur" in Kopenhagen oder evtl. Aalborg. Ich bin ziemlich oft in den Spors da oben unterwegs wie Kelstrup, Blabjerg und Slettestrand und die Infrastruktur von Radläden ist in DK ansonsten eher unter aller Sau. Besser, man hat alles dabei, wenn "hoch" fährt. ;-).
 
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