Kurbellänge ist ein sehr spannendes Thema!
Pedal-Aufsetzer ist da nur ein Randphänomen, da gibt es noch viel interessantere Effekte. Gerade für Leute in unserer Körpergrößen-Region lohnt es sich sehr, damit mal ein wenig zu spielen.
...
Bei den Kurbellängen habe ich vor über 10 Jahren da angefangen, wo wahrscheinlich fast jeder mal war: 175mm. Standard halt.
Nach langer Zeit hab ich mich dann mal entgegen der meisten Empfehlungen wenigstens am Enduro-Mtb an 170mm "gewagt". War kein Weltwunder, aber war irgendwie schon besser.
An 165mm hab ich mich dann wieder nicht dran getraut, sogar regelrecht dagegen gesträubt. Zu schlimm die Angst vor Hebelarmverlust. Und bei 82cm Schrittlänge war ja nach gängiger Meinung schon die 170mm "zu kurz". Alternativmeinungen gab's bis vor kurzem fast nur in der Ultra-Endurance Szene, und sowas mach ich ja nicht. Letzten Endes konnte ich meine Scheu nur durch ein sehr lästiges Toe-Overlap Problem am Crosser überwinden. Die 165mm war dann sowas wie eine Offenbarung. Kein halbes Jahr nach dem widerwilligen Erstversuch am Crosser hatten alle Räder - sogar das Rennrad - eine 165mm Kurbel. Das war nicht "irgendwie schon besser", sondern deutlich viel besser. Der Tritt wurde runder, der Stand irgendwie angenehmer.
Seitdem hab ich immer gegrübelt, ob noch kürzer nicht noch besser wäre, aber nicht umgesetzt. Mangels günstiger Testmöglichkeit, mangels Elan schon wieder was zu verändern.
Vor ein paar Monaten siegte dann doch die Neugierde. Zum Testen hab ich mir eine XT Kurbel von Kurbeltom auf 152mm kürzen lassen (geht aus technischen Gründen nur auf das "krumme" Maß) und ans Glen geschraubt.
Holla die Waldfee, wenn 165mm eine Offenbarung war, dann ist 152mm der Endgegner. Der Unterschied ist wirklich krass!
- Zuerst fällt auf, dass die Trittfrequenz natürlich hoch geht. Mit "gesunden" Trittfrequenzen hab ich mich früher immer sehr schwer getan und musste mich zwingen, irgendwas über 60rpm zu treten. Hat sich einfach nie wirklich gut angefühlt, auch wenn auf der Hand liegt, dass es für die muskuläre Ermüdung eigentlich besser wäre, mehr über Frequenz als über Kraft zu fahren. Schon mit der 165mm Länge war höhere Frequenz wesentlich angenehmer, aber mit 152mm war es plötzlich komplett normal irgendwas in der 100rpm Region zu kurbeln.
- Ovale Kettenblätter mochte ich nie leiden, war mir im Geländeuphill sehr unsympatisch weil ich keine wohldosierte Kraftübertragung auf den Untergrund hinbekommen habe und Ratcheting/Pedalkicks damit eher extraschwer gingen statt leichter. Mit der kurzen Kurbel fühlt sich das Treten für mich so an, wie ovale Kettenblätter angeblich sein sollten, aber für mich nie waren: runder, ergonomischer, flüssiger. Ohne den Nachteil der schwankenden Kraftübersetzung. Im Vergleich zu der 152mm Kurbel fühlt sich eine 170mm Kurbel an wie Treppensteigen mit zwei Stufen auf einmal. Der bessere Knie- und Hüftwinkel im oberen Totpunkt mit der kurzen Kurbel sorgt dafür, dass ich direkt ab dem Totpunkt ordentlich Kraft aufwenden kann. Bei 170/175mm ist der Kraftübertragungs-Punkt dagegen eher singulär in der vorderen 90° Stellung des Kurbelarms.
- Natürlich ist die Bodenfreiheit bezüglich Pedalaufsetzern auf einmal deutlich besser, und man kann unbesorgter vor sich hin kurbeln. Allerdings kann man das ja in vielen Situationen auch mit ein bisschen Vorausplanung und Ratcheting deutlich verbessern, unabhängig von der Kurbelarmlänge.
- Im Sitzen fehlt mir gefühlt kein Hebel. Meine Biomechanik freut sich scheinbar deutlich mehr über den ergonomischeren kleineren Tretkreis und verbesserten Kniewinkel, als die Physik mich für verlorenen Hebelarm hasst. Dieselben Übersetzungen fühlen sich für mich nicht härter an. Eher im Gegenteil.
- Der Hebelarm kommt erst zum Vorschein, wenn ich im Stehen am Limit meiner Kraft und Gewichtskraft über eine fiese Geländestufe pressen muss. Dann merke ich, dass mir die letzten paar Nm fehlen und ich mehr am Lenker gegenziehen muss um die Kurbel runterzudrücken. Das dürfte aber mit besserer Maximalkraft auch wieder einfacher gehen, weil das letzte Jahr gesundheitlich ziemlich mies lief, hab ich da momentan nett ausgedrückt sowieso "ein paar Defizite". Von daher reg ich mich da mal nicht auf sondern geh lieber trainieren.
- Der Sattel muss natürlich weiter raus. Wenn man bereits die längste Sattelstütze fährt, kann das ein Nachteil sein, weil die Dropperstütze ein bisschen höher aus dem Sitzrohr raussteht. Ansonsten kann man ja einfach den nächstgrößeren Hub wählen.
Soweit die Offensichtlichkeiten. Jetzt das, was mich wirklich überrascht hat...
- Ich nutze beim Pedalieren scheinbar ein paar andere Muskelgruppen. Mehr unterschiedliche, und gleichmäßiger. Gefühlt kommt mit der kurzen Kurbel mehr die Läufer-Muskulatur zum Einsatz, während mit 170/175mm Kurbeln mehr oder weniger alles aus dem Quadrizeps kommt. Treppensteigen halt. Nach der ersten Tagestour mit der 152mm Kurbel hab ich Muskeln in Wade, Hüfte und Bobbes gespürt, die mir sonst beim Radfahren nicht so wirklich auffallen.
- Und trotzdem war ich allgemein spürbar weniger ermüdet am Ende des Tages. Das war auch beim Schritt auf 165mm schon ein wenig so. Aber bei 152mm war die Ermüdung wirklich auffällig weniger.
- Am aller krassesten fand ich allerdings das Bergab. Damit hatte ich nicht gerechnet. Oder eher gehofft, dass die kurze Kurbel dort nicht stört. Beim Wechsel auf 165mm am Mtb fiel mir bei der ersten Abfahrt auf, dass ich einen Tick zu weit hinten war. Anscheinend, weil der Gegenhalt am vorderen Pedal ein wenig weiter nach hinten gewandert war, bin ich unbewusst mit nach hinten gewandert. Das war nicht weiter schlimm, da ich die Körperposition schnell neu justiert hatte, aber es war auffällig und ich hatte ein wenig Bammel, dass das vordere Pedal mit der kurzen Kurbel nun wirklich "zu" weit hinten wäre, und mir der Druck am Vorderrad flöten gehen würde. Ist nicht passiert. Vielleicht auch, weil ich mich quasi langsam durch die Kurbelarmlängen nach unten gearbeitet hatte, und daher die Umstellung nicht so schlimm war. Oder weil ich wusste was passieren könnte, und deswegen automatisch dagegen gearbeitet hatte. Wenn man einen größeren Sprung macht, könnte ich mir vorstellen, dass man es so wie ich beim Wechsel auf 165mm merkt, und sich mal kurz neu justieren muss.
- Der Stand mit den weniger aufgespreizten Beinen kam mir schon auf den ersten Metern bergab viel natürlicher vor. Stabiler.
- Alles was man aus den Beinen dirigiert oder abdrückt, geht mit der kurzen Kurbel nicht nur ein bisschen natürlicher, kraftvoller, besser. Es ist wirklich viel, und es fühlt sich alles intuitiver an. Abdrücken an Kanten, Pushen über Wellen, Vorderrad über Manual-Impuls hochziehen...
- Der Stand ist einen Tick aufrechter. Nicht viel, aber merklich. In Steilstücken fühlt sich das sicherer an. Zusammen mit der erhöhten Kontrolle durch den stabileren Stand. Kleiner Benefit für mich: ein grenzwertig hoher Stack (mein Standard-Problem, weil ich 29er mag, aber einen eher bisschen tieferen Lenker bevorzuge) ist plötzlich vollkommen im grünen Bereich. Im Sitzen wie im Stehen.
Es wäre jetzt natürlich noch interessant, so lange noch weiter/kürzer zu testen, bis es wieder in der anderen Richtung schlechter wird. Aber aktuell weiß ich nicht, ob sich das wirklich lohnt. Die 152mm sind schon verdammt gut, das könnte fast schon mein Optimum sein