Also, fangen wir mal an. Seit dem klar war, das ich heuer in die Staaten muss - ja, ich mach keinen Urlaub, ich arbeite - dachte ich mir: ein Radtour das muss sein. Nur Infos sind extrem rar was die Eastcoast und im speziellen den Bereich in NY abdeckt, den man mit Zug und Rad noch erreichen kann. Klar, mit Führerschein und Mietwagen wären auch die Rockys drin gewesen - aber ohne Führerschein...
Das Ziel war klar: Catskills. Ein Mittelgebirge, das zu den Appalachen gehört und etwa 2 Zugstunden von NYC beginnt. Etliche Gipfel mit über 1000m - aber nichts Alpines. Dafür kleine Dörfer, wenig Menschen und ca. 30000 Schwarzbären. Ein optimales Plätzchen für ein ausgedehntes Wochenende, dachte ich, und los ging die Planung. Von einem hiesigen Foristen habe ich eine erst gpx Datei erhalten, die grob meine Runde vorgab, mir aber viel zu viel Straße enthielt, daher musste neben google auch noch das Papier weiterhelfen und ich konnte mir so eine Runde mit Straßen, Singletrails und Forstwegen zusammenstellen, die etwa 320km lang war und mich dort wieder raus brachte, wo ich gestartet bin:
Poughkeepsie ist eine Kleinstadt am Hudson (auf östlicher Seite) und verbunden mit einer sehr langen Brücke, dem
Hudson Walkway.
Den seht ihr hier.
Auch war das Wetter nicht so richtig Sahne, aber was solls. Der weit größere Nachteil: man darf mit dem Rad nur die "Off-Peak" Züge nutzen und der fährt erst um viertel vor Zehn in Grand Central ab und so war ich auch erst kurz vor zwölf in Poughkeepsie. Mit 125km Ziel für den ersten Tag, etwa 7 Stunden verbleibenden Tageslicht und unbekanntes Terrain ... ihr könnt Euch denken wie das war.
Nach etwa 50km und noch halbwegs in der Zeit hatte ich den ersten Berg erklommen
Und der danach ansetzende Forstweg fuhr sich hervorragend
Dann das erste Problem: der zweite Berg führte mich eine knappe Stunde bergauf. Von Beginn an war klar, dass es hier schwierig sein würde den richtigen Pfad einzuschlagen, aber nicht verzagen. Oben angekommen, in einem inzwischen als ReHa-Anstalt genutzte riesige Villenanlage die aus einem Stephen King Roman stammen konnte (Lundy Estate) musste ich feststellen, das weder der geplante Weg, noch das angestrebte Dorf noch existierten (auf allen! Karten aber verzeichnet sind) - Bergab ging es freilich schneller, nur die Zeit war nunmehr weg...
Dafür entschädigte nach weiteren vielen Kilometern, nunmehr auf dem Highway am
Roundout Reservoir entlang, der Ausgang desselben mit einem fantastischen Blick in die Wildnis
Das zweite Problem folgte gleich darauf. Der nächste Anstieg hatte es in sich. Steigungen von weit mehr als 20° waren zu viel für mich und mehrfach verfluchte ich diesen "Hügel" (
Glade Hill Rd.) - es wurde langsam dämmrig und zu allem überfluß hing der Nebel schwer in den Bäumen, wie auf dem Foto weiter oben im Thread zu erahnen ist. Dann schlug final die Dunkelheit zu und ich stand an einem kleinen, zum Campen nicht geeigneten See in den Bergen vor einer Weggabelung: nach rechts, den Berg weiter nach oben, Schotter und in etwa 10km Entfernung der nächste von mir zur Sicherheit auserkorenen Campingplatz. Links die asphaltierte Landstraße, finster zwar, aber flach. Ein Blick in das papiernde Material löste die Frage auf: links, in etwa 8KM lag ein anderer Campingplatz, unmittelbar an der Straße. Also ab dafür.
Etwas irritiert über mein "spätes" erscheinen (es war noch vor 20 Uhr) kam ich dort an. Aber mir wurde freundlich und schnell geholfen einen geeigneten Platz für meine Hängematte zu finden und ich konnte in Ruhe und langsam frierend (einer der wenigen Momente wo ich meine kuschelig warme Merinojacke sehr vermisste, die ich aber aus Platzgründen in NYC ließ) meine Schlafstätte aufhängen und essen kochen konnte. Puhhh.
Der nächste morgen begann freundlich, mit Sonne und guten Wünschen auf dem Weg meiner zweiten Etappe. Ziel war der Campingplatz am North South Lake hoch oben und etwa 100KM entfernt. Zunächst "wollte" ich aber wieder zurück auf meinen eigentlichen Track. Eine Entscheidung die sich als grober Fehler herausstellte. Denn schon der Weg zum Trail, auf der
Hunter Road, hatte es in sich - Fußgänger die ich mit ihrem Hund davor traf, rieten mir ab den Weg zu nehmen: Unfahrbar. Die Straße gibt es schon lang nicht mehr.
Unfahrbar war vielleicht etwas übertrieben, aber Gravel war das auch nicht mehr. Hab ich schon erwähnt, dass ich mein
Multitool verloren hatte?! Ein Platten hier, wäre der Overkill. Statt Platten gab es aber auch sehr schöne Stellen:
Und irgendwann ging auch der Trail zu Ende. Schade, denn was mich als nächstes erwartete war die grüne Hölle. Der
Willowemoc Nationalpark ist ein fast undurchdringlicher dichter Wald und den Trail, den ich mehr als 10KM folgen musste sah so aus:
Knie hoch, mit Ästen, Löcher, Steinen und Bäumen - da war an fahren nicht viel zu denken. Und wie lange man für 10KM braucht - nunja. Doch auch dieses Elend nahm ein gutes Ende und irgendwann, nach der illegalen Querung mehrere Privatgrundstücke die ich auf mich nehmen musste, um nicht alles wieder zurück zu schieben, landete ich auf der inzwischen heiß ersehnten Landstraße am Beaver Kill und flog sie förmlich in Richtung
Adler Lake, meiner eigentlichen Destination für Tag 1 - mehrfach dachte ich, was das für eine gute Entscheidung war nach links zu fahren...
In einem kleinen General Store kurz vor Turnwood füllte ich meine Wasserbestände und Zuckervorräte auf und wurde davor gewarnt den Weg weiter zu nehmen, den ich geplant hatte. Diesmal hörte ich auf dein Einheimischen und laß in ihre Warnung nicht nur die mangelnde Vorstellung rein, mit einem Fahrrad überhaupt mehr als 5 KM fahren zu können. Eine lange Umfahrung stand an und erstmal ging es sacht aber stetig für etliche Zeit bergauf - dafür danach aber auch stetig bergab und dank des gänzlich fehlenden Verkehrs konnte ich mit gefühlten 70 Sachen die frisch gemachte Bergstraße runterballern und hab am Ende wahrscheinlich nur eine halbe Stunde Zeit verloren.
Mir stand nun eine lange Fahrt auf dem Highway bevor, was dank der sehr großzügigen Randspur aber völlig problemlos ging. Aufgrund der Erfahrungen des Vortrags und der im Willowmec Forest verlorenen Zeit entschied ich mich auf dem Highway zu bleiben und so weit es ging in Richtung North South Lake zu fahren. Doch irgendwann hinter dem Ort Fleischmanns kam ein grausamer Anstieg, den ich einfach nicht mehr fahren
wollte. Ich hielt mein Daumen raus. Und mich nahm ein Feuerwehrmann aus Kingston (eine Stadt am Hudson) mit seinem Kampfhund Molly in seinem PickUp bis nach Phoenica mit. Kurz hinter der Hügelkuppe ginge es fast ausschließlich bergab, bis nach Phoenica. Aber gegen 15min Autofahrt statt einer Stunde mit dem Rad hatte ich im Moment nichts einzuwenden. Und so erreichte ich wieder mit etwas besserer Zeit (es war bereits 16 Uhr durch) die Kreuzug zum Highway 214 nach Tanersville, dem letzten Ort vor dem Campingplatz. Neuerliche Anstiege, diesmal wieder aus eigener Kraft, mal fahren, mal schiebend, führten mich einen letzten Hügel hoch:
Bevor auch dieser in einer langen Abfahrt mündete. Unten angekommen erwartete mich dann - Oh Schreck - Meister Petz
Keine 30 Meter entfernt, ein ausgewachsender Schwarzbär. Großartig. Nachdem ich bereits am Vormittag auf den Trails regelmäßig Bärenscheiße ausgewichen war und einige unangenehm große Tatzenabdrücke im Schlamm sah, war ich froh, dass ich dem Bär nun endlich begegnete, ohne das ich allein in einem gottverlassenen Wald stand. Weitere Stunden, einen Kaffee und ein paar Süßigkeiten später kam ich noch mit Tageslicht! am Campingplatz an, schnorrte vom Nachbarn ein paar Scheite Feuerholz und begann mein Essen zu kochen
Der nächste Morgen war grau. In der Nacht hatte es gestürmt und ich konnte in meiner Hängematte kaum ein Auge zu tun. Aber egal. Die letzte Etappe stand an, und wiederum hatte ich die Route vor meinem innere Auge schon modifiziert. Einen weiteren fetten Anstieg wollte ich mir nicht geben, wenngleich der Blick vom Overlook Mtn. wahrscheinlich richtig geil gewesen wäre. Nun nahm ich was ich bekommen konnte und der Platz des vormals höchst gelegenen Berghotels der Welt, dem Katerskill Hotel, hatte ich auch eine sehr schöne, leider wolkige, Aussicht auf den Hudson, den Staat Vermont und überhaupt (die richtigen Fotos müssen noch entwickelt werden).
Es folgte, wie soll es auch anders sein, ein fetter Aufstieg. Doch nicht nur das ich ihn nicht fahren konnte, selbst schieben ging nicht mehr. Das Rad also Huckepack auf die Schultern und auf ging es kletternd den super anstrengenden aber super geilen Escarpment Trail hinauf, der sich oben angekommen, als technisch anspruchsvoller Singletrail auch wieder den Berg hinab wand.
Weniger als ein halbe Meile vor dem Ausgang/Parkplatz kam dann das unvermeidliche: meiner Hinterrad kapitulierte und dem
Reifen ging die Luft aus. Noch immer ohne Tool musste ich den Weg nach unten schieben und fluchen und hoffen, dass ich irgendwo dort an der Straße Hilfe oder
Werkzeug bekommen würde. Tatsächlich traf ich schnell auf eine Tankstelle, wo mich der nur mit geringen Englischkenntnissen ausgestattete Verkäufer fragend ansah und mich in den hinteren Bereich seines Ladens verwies: Ein Set Imbusschlüssel. Der Tag war gerettet, dachte ich. Drei Patches später, und der
schlauch ließ immer noch Luft. Nach einem letzten Versuch, ein Ersatzschlauch hatte ich zu Hause gelassen (Dummer Fehler, kommt NIE wieder vor), war ich am verzweifeln. Ein netter älterer Herr brachte mir einen
Schlauch vorbei, doch gerade hielt mein Flickwerk und ich hob ihn mir für später auf.
Später dauerte nur ein paar Kilometer, als sich mein
Schlauch neuerlich verabschiedete und ich mit dem letzen Rollen meines Rades nahezu in das Auto eines Mannes stolperte, der mir anbot mich mit zu seiner Autowerkstatt zu nehmen. Richtige Richtung, also was solls. Dort baute ich in Ruhe den neuen, alten
Schlauch aus
Palenville ein und machte mich auf den Weg nach Kingston.
Dort beginnt (oder endet) der Wallkill Rail-Trail, der mich flach und zügig in etwa 25km Entfernung bis nach
New Paltz brachte, von wo aus Poughkeepsie quasi ein Katzensprung ist. Unterwegs gab es aber noch was zu sehen...
Und ich erreichte den Bahnhof gerade ein paar Minuten vor Abfahrt des Expresszuges nach Manhattan. Manchmal muss man auch Glück haben.
Ein paar Stunden später war ich wieder in Queens. Pizza, Bier und Netflix taten ihr übriges. Insgesamt gute 300km Fahrt mit etwas über 5000HM und einer Fahrtzeit von insgesamt 20 Stunden. Keine längeren Pausen während der Etappen. Resultat: die Catskills sind der Hammer. Man denkt an New York und sieht die Skyline von Manhattan. Tatsache ist, die Catskills sind der Ort an dem die Vorstellung der amerikanischen Wildnis literarisch und ikonographisch im 19. Jahrhundert geprägt wurde und noch heute ist diese Landschaft wild, trotz der Straßen und Häuser, die offensichtlich als temporäre Veränderungen in die Catskills eingehen. Mit mehr Zeit und mehr Vorräten komme ich gern wieder.
