Was tun, wenn der Hinterbau mit Gepäck nicht steif genug ist?

Registriert
27. September 2001
Reaktionspunkte
1.462
Ort
Rünenberg, Schweiz
Vielleicht kennt Ihr das Problem, man macht eine Tour mit richtig viel Gepäck am Gepäckträger (und vorne am Lowrider und das Velo beginnt zu flattern, verwindet sich, wird unruhig in einem bestimmten Geschwindigkeitsbereich und Ihr fühlt Euch unsicher.
Möglicherweise ist der Hinterbau des Rahmens und oder das vordere Rahmendreieck nicht steif genug für Fahrten mit richtig schwerem Gepäck oder der Gepäckträger selbst hat eine mangelhafte Seitensteifigkeit.

Eine mögliche Verbesserung oder gar Abhilfe stelle ich hier vor.

Kurz zur Geschichte, wieso ich mir darüber Gedanken gemacht habe. Wen die Vorgeschichte nicht interessiert, sollte den nächsten längeren Abschnitt überspringen.

Letzten Spätfrühling bekamen wir die ersten Prototypen vom selbst entwickelten Titanrahmen für Touren, Trekking und Bikepacking. Ich hatte viel Erfahrung im Konstruieren von Stahlrahmen, das Konstruieren eines Titanrahmens war für mich Neuland. Mir war bewusst, dass das Elastizitätsmodul von Titan halb so hoch ist wie das von Stahl, für gleiche Steifigkeit muss also die doppelte Wandstärke (was unsinnig ist) oder ein grösserer Rohrquerschnitt her. Das habe ich im vorderen Rahmendreieck konsequent umgesetzt und für Titan sehr voluminöse Rohre gewählt. Die Kettenstreben habe ich mit etwas grösserer Wandstärke gewählt und leicht grösserem Querschnitt, die Sitzstreben auch mit etwas mehr Wandstärke. Den Fehler habe ich beim links und rechts verbauten Yoke hinter dem Tretlager für Reifenfreiheit bis 29x3 Zoll gemacht, den habe ich schlicht und einfach zu dünn konstruiert (Haltbarkeit ist nicht problematisch, aber der Steifigkeitsverlust an dieser Stelle sehr hoch). Dort hatte ich irgendwie ausgeblendet, dass das E Modul von Titan halt nicht wie bei Stahl ist. Dazu hatte ich auch einen Titan Gepäckträger kontruiert, der zwar mit 10x1mm Streben robust, aber von der Steifigkeit auch nicht überragend ist, zumal die Befestigungsstreben sehr lange ausfallen. Der langen Rede kurzer Sinn: Bei Fahrten mit richtig viel Gepäck (ca 20kg hinten und 12-15kg vorne) wurde der Rahmen etwas unruhig und verwand sich spürbar. Das Bike war trotzdem sehr gut beherrschbar und im Gelände war die etwas tiefe Seitensteifigkeit kaum spürbar, aber auf schnellen Teerfahrten hätte ich mir mehr Steifigkeit gewünscht. Die zweite Kleinserie Prototypen wird viel steifer sein (ist fast fertig gezeichnet) und der Gepäckträger ist mit aktuell 13x1mm Streben jetzt in der ersten Kleinserie doppelt so steif..


Da der Erstserie Prototyp mit Gepäckträger immer noch im Einsatz ist, habe ich das Ganze mit kleinem Aufwand massiv steifer gemacht:

IMG_20190419_180630.jpg
IMG_20190419_180648.jpg
IMG_20190419_180641.jpg

Die schwarze Diagonalstrebe, die ich aus einem Stahlrohr gebogen und gequetscht und gebohrt habe, macht den Gepäckträger bei seitlichen Bewegungen ein Vielfaches steifer, er ist nun sehr verwindungsarm mit dem sehr steifen Rahmendreieck verbunden.

Übermorgen geht es mit viel Gepäck auf eine kurze 2 Tages Testtour, ich werde hier berichten.
 

Anhänge

  • IMG_20190419_180630.jpg
    IMG_20190419_180630.jpg
    649,5 KB · Aufrufe: 564
  • IMG_20190419_180648.jpg
    IMG_20190419_180648.jpg
    526,7 KB · Aufrufe: 516
  • IMG_20190419_180641.jpg
    IMG_20190419_180641.jpg
    542,3 KB · Aufrufe: 508
Interessante Einblicke, die Du da ins Konstrukteurs Leben gibst - und vor allem eine offene Fehlerkultur. Im Internet der heutigen Zeit ja quasi eine absolute Seltenheit! :daumen:

Wenn ich mich recht erinnere, war Deine Bike Marke doch Thoemus - da sind aber weder Stahl noch Titanräder zu sehen, oder?
 
Zuletzt bearbeitet:
Liegt das nur am Photo? Es sieht so aus, als ob das Tretlager nicht im rechten Winkel zur Längsachse des Hinterbaus steht ...
 
Interessante Einblicke, die Du da ins Konstrukteurs Leben gibst - und vor allem eine offene Fehlerkultur. Im Internet der heutigen Zeit ja quasi eine absolute Seltenheit! :daumen:

Wenn ich mich recht erinnere, war Deine Bike Marke doch Thoemus - da sind aber weder Stahl noch Titanräder zu sehen, oder?

Vorher war ich bei Thoemus, ja. Ich habe seit 10 Jahren zusammen mit meinem Geschäftspartner einen kleinen Fahrradladen (keine Angestellte, nur wir zwei): www.stonebite.com.
Bei Thoemus ist der Longrider (das Tourenvelo) aus Stahl, das stammt ursprünglich noch aus meiner Hand und ist kaum verändert worden, gehört wohl mit zu den steifsten Rahmen auf dem Markt.

Wir nehmen uns Zeit für die Entwicklung unserer Bikes, da unser Hauptgeschäft mit Riesen Abstand Service und Reparaturen sind. Die eigenen Produkte machen wir primär aus Freude, denn alle Konstruktions- und Testaufwände rechnen wir nicht in den Verkaufspreis ein, sonst würde das bei den kleinen Stückzahlen, die wir anstreben, viel zu teuer. Es gibt in der Fahrradbranche schon genug nicht fertig entwickelte, undurchdachte Fahrräder, deshalb benötigen unsere Rahmen halt solange, wie es dauert, bis wir sie verkaufen. Dafür werden sie dann auch nicht jedes Jahr geändert...

Fehler zu machen ist doch menschlich und da darf man auch dazu stehen. Wichtig ist doch, dass man daraus lernt und bekannte Fehler zukünftig vermeidet.
 
Vorher war ich bei Thoemus, ja. Ich habe seit 10 Jahren zusammen mit meinem Geschäftspartner einen kleinen Fahrradladen (keine Angestellte, nur wir zwei): www.stonebite.com.
Bei Thoemus ist der Longrider (das Tourenvelo) aus Stahl, das stammt ursprünglich noch aus meiner Hand und ist kaum verändert worden, gehört wohl mit zu den steifsten Rahmen auf dem Markt.

Ok, alles klar. Dann schaue ich mal auf Eurer Homepage. Den Longrider scheints bei Thoemus auch nicht mehr zu geben, nur was aus Alu.

Wir nehmen uns Zeit für die Entwicklung unserer Bikes, da unser Hauptgeschäft mit Riesen Abstand Service und Reparaturen sind. Die eigenen Produkte machen wir primär aus Freude, denn alle Konstruktions- und Testaufwände rechnen wir nicht in den Verkaufspreis ein, sonst würde das bei den kleinen Stückzahlen, die wir anstreben, viel zu teuer. Es gibt in der Fahrradbranche schon genug nicht fertig entwickelte, undurchdachte Fahrräder, deshalb benötigen unsere Rahmen halt solange, wie es dauert, bis wir sie verkaufen. Dafür werden sie dann auch nicht jedes Jahr geändert...

Fehler zu machen ist doch menschlich und da darf man auch dazu stehen. Wichtig ist doch, dass man daraus lernt und bekannte Fehler zukünftig vermeidet.

Gute Einstellung, gefällt mir! :daumen:
 
IMG_20190421_083236.jpg

IMG_20190422_155138.jpg
IMG_20190421_180429.jpg

Wir waren mit mittelviel Gepäck 2 Tage im hügeligen Baselbieter und Aargauer Jura unterwegs, vorwiegend auf Waldwegen und ab und zu auf Nebenstrassen. Die hinteren Taschen habe ich ausnahmsweise über 3 Mal so schwer beladen wie vorne, um die Steifigkeit mit der Verstrebung zu testen. Normalerweise ist hinten höchstens doppelt so schwer beladen wie vorne, da wir aber nicht so viel mitnahmen für 2 Tage, habe ich hinten fast so schwer geladen wie sonst immer mit viel Gepäck.
Ich spürte kein einziges Mal mehr eine Verwindung des Gepäckträgers oder eine Schwingung von hinten, egal ob Teerstrasse, Wiegetritt, Hochfahren oder runterfahren. Der Test mit Maximalgewicht steht noch aus, aber ich bin sehr zuversichtlich, dass deie Steifigkeit hinten kein Thema mehr sein wird.
Das letzte Bild zeigt unseren wunderschönen Ausblick am Übernachtungsplatz, die Luzerner und Glarner Alpen.
 

Anhänge

  • IMG_20190421_083236.jpg
    IMG_20190421_083236.jpg
    2,6 MB · Aufrufe: 407
  • IMG_20190422_155138.jpg
    IMG_20190422_155138.jpg
    1,1 MB · Aufrufe: 360
  • IMG_20190421_180429.jpg
    IMG_20190421_180429.jpg
    2,1 MB · Aufrufe: 385
off-Topic-Frage: Weshalb hast Du den Kumpel und nicht den neuen Siebesiech gefahren?
Weil meine Lebenspartnerin lieber den Siebesiech fahren wollte und ich auf beiden Bikes sehr gerne fahre, habe ich den Kumpel genommen. Zudem wollte ich den Unterschied in der Steifigkeit des Gepäckträgers nach dem Einbau der Diagonalstrebe testen.
Auf dem Kumpel fahre ich momentan auch eine Gabel mit 76 mm Vorlauf (von der Optik her Standard, keine Truss Fork) und ich liebe die Fahreigenschaften mit dem vergrösserten Vorlauf.
 
Na ich hoffe mal, dass du trotzdem noch etwas Nachlauf hast :hüpf:
Sonst wäre das schöne Bike unfahrbar.
Du meinst sicher ne höhere Vorbiegung, die sich in weniger Nachlauf äußert.
(oder eben andersrum)

Ja, ich meine eine grössere Vorbiegung, auch Vorlauf genannt. Bei Bikes mit sehr grossem Durchmesser (mit Reifen) wird der Nachlauf grösser und dadurch das Lenkverhalten träger, das kann man durch mehr Vorbiegung kompensieren. Der "Kumpel" läuft auf 29x3 Zoll Reifen, das ist der Reifen mit dem grössten Durchmesser aktuell (abgesehen von sehr seltenen 36" Rädern) und hätte deshalb bei einem Standard Vorlauf von ca 50mm und 69 Grad Lenkwinkel einen Nachlauf von über 90mm.
 
und hätte deshalb bei einem Standard Vorlauf von ca 50mm und 69 Grad Lenkwinkel einen Nachlauf von über 90mm.

So unterschiedlich sind die Vorlieben :D
Mein 29er Bike mit 64° Lenkwinkel hat mehr als 120mm Nachlauf,
und ich finde das Ding überhaupt nicht träge oder unhandlich...
 
So unterschiedlich sind die Vorlieben :D
Mein 29er Bike mit 64° Lenkwinkel hat mehr als 120mm Nachlauf,
und ich finde das Ding überhaupt nicht träge oder unhandlich...

Das Bike war vor dem Umbau auf die Gabel mit mehr Vorlauf auch nicht träge, mit der neuen Kombination aus längerem Radstand und kürzerem Nachlauf ist das Bike einerseits stabil und laufruhig bei hohen Geschwindigkeiten, andererseits trotzdem sehr wendig und quirlig bei tieferen Geschwindigkeiten - ich wüsste nicht, welchen Vorteil mir mit meiner Fahrweise ein viel grösserer Nachlauf bringen würde.
 
Ich fahre ein Idworx mit einer Versteifung (The Brace)am Gepäckträger, da wackelt oder schwingt gar nix.
https://www.idworx-bikes.de/de/idworx-parts
Grüße Stefan

The Brace ist eine Lösung, die sicher auch eine spürbare Versteifung bringt und für die meisten Bikes / Gepäckträgerkombinationen (mehr als) ausreichend ist. Bei den langen Streben, die ich benutze und der Kombination aus Prototypenrahmen mit zu weichen Kettenstreben zusammen mit einem Prototypen Gepäckträger mit einem leicht spürbaren seitlichen Flex ist allerdings die Diagonalstrebe steifer als eine Lösung wie "The Brace". Bei The Brace wird das lange Rechteck gebildet aus den 2 Gepäckträgerstreben, der vorderen Querverbindung des Gepäckträgers und des Rahmens in der Mitte versteift und auf zwei kürzere und somit steifere Rechtecke (die sich seitlich verbiegen können) aufgeteilt, bei einer langen Diagonalstrebe werden Dreiecke gebildet, die sich nicht seitlich verbiegen. Die Diagomalstrebe ist halt nicht so schön, aber für meine Zwecke sicher die steifste Lösung, die mir eingefallen ist.
 
Zurück
Oben Unten