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10 Jahre Singletrail-Skala
Ein Fazit von Mitbegründer Carsten Schymik

Harald Philipp, Carsten Schymik und David Werner: Diese drei technisch hochversierten Biker, die seit vielen Jahren auch unter ihren Usernamen Harald Philipp, Carsten und dave im IBC-Forum unterwegs sind, entwickelten vor zehn Jahren auf Basis der Hofer-Skala und Schymiks eigenem Entwurf die Singletrail-Skala. Mitbegründer Carsten Schymik zieht nach 10 Jahren Bilanz – hier ist sein Bericht.

# Carsten

10 Jahre ist sie jetzt alt, die Singletrail-Skala. Damals saßen wir nach einem einzigartigen Roadtrip durch Norditalien am Idrosee an der Burgruine des Castello San Giovanni und fachsimpelten über die Erlebnisse der letzten Tage. Wir hatten Harald Philipp getroffen und seinen schon damals sehr sauberen und schönen Fahrstil kennengelernt. Wir sind den zu der Zeit angeblich härtesten Trail der Alpen gefahren, haben gelernt was Spitzkehren, Stufen und Treppen zur Schwierigkeit eines Trails beitragen und was man alles fahren kann – oder eben auch nicht. Oder könnte, würde man die notwendige Fahrtechnik beherrschen.

# Harald Philipp auf einer Spitzkehre ziemlich weit oben

Irgendwann kamen wir bei der Diskussion auf die Kletterskala. Klasse Sache, international vergleichbar! So was gab es für Biker bis dato noch nicht. Die Vorauswahl von äquivalenten Touren- und Reisepartnern war zumindest in Sachen „Fahrtechnik“ nicht so einfach. Doch Touren nach Schwierigkeit und fahrtechnischen Anspruch auszuwählen war besonders schwer! So manch eine Alpencrossgruppe war daran zerbrochen, dass die Einen erst richtigen Spaß hatten, wenn die Anderen Ihre Bikes schon längst nur bergab schieben konnten. Schlimmer noch, jede Zeitschrift, jeder Buchautor oder Internetblogger hatte sich sein eigenes Bewertungssystem zusammengebastelt. Dieses orientierte sich dann jeweils am persönlichen Fahrvermögen und Interessen des jeweiligen Autors und war auf jeden Fall inkompatibel mit dem System eines anderen.

Ich hatte mir dann wenige Tage später selber ein System zusammengebastelt. 10 Stufen wie beim Klettern. Harald machte mich dann auf die MTB-Skala des Vertriders und Buchautors Willi Hofer aufmerksam. Diese analysierten wir dann gemeinsam mit David Werner. Fazit: gleicher Gedankenansatz, etwas anderer Fokus, aber von der Idee her optimal. Klare Einteilung nach objektiven und wiederkehrenden Mustern wie Steigung, Höhen, Radien und nach dem Vorhandensein oder der Kombination von Elementen wie Stufen, Kurven, Treppen, Steine, Wurzeln.

# Völlig unnötig ... - ... diese Trittklammern. Aber wenn sie schon mal da sind ...

Gemeinsam formulierten wir drei dann auf Basis der Hofer-Skala und meines Entwurfes die Singletrail-Skala. Für einfache Trails nahmen wir die Stufe S-0 dazu . Die Stufen orientieren sich im Wesentlichen an klar festgelegten Kriterien. Nach der Vorstellung der STS bei MTB-News (Link zum Artikel) und der Veröffentlichung der eigenen Webseite www.singletrail-skala.de wurden alle bekannten Bikezeitschriften kontaktiert. Unsere Hoffnung, sie würden das System übernehmen und unterstützen, ging leider nicht in Erfüllung. Zwar gab es hier und da ein paar Pressemeldungen, die Singletrail-Skala etablierte sich jedoch (noch) nicht als allgemeingültiger Standard . Ein Plan B musste her!

Das System war schlüssig, dennoch waren viele Biker anfangs nicht begeistert. Viele fühlten sich diskriminiert, nur einen kleinen Teil der Skala zu beherrschen. Dabei beschreiben die Grade nur die Wegbeschaffenheit! Jemand, der den S4-Grad beherrscht, kann trotzdem arge Probleme haben, einem sehr schnellen Fahrer (der vielleicht „nur“ bis S3 fährt) auf einem S2-Trail zu folgen. Bei MTB-News entbrannte bald darauf eine heftige Diskussion. Unter den Titel „Singletrail Skala: im Ernst?“ hinterfragte der Reiseberichte-Autor Marco Toniolo den Sinn und den Ansatz der Singletrail-Skala.

# Harald Philipp - Auf den Spuren der Pioniere

Was ursprünglich als Kritik an der Singletrail-Skala gedacht war, entwickelte sich bald zum Selbstläufer und die ganze Diskussion trug stark dazu bei, den Bekanntheitsgrad der Singletrail-Skala erhöhen. Plan B konnte also in der Schublade bleiben.

Der große Durchbruch kam schließlich ein paar Monate später. Stefan Stuntz alias IBC-User Stuntzi, der „Alpenzorro“, ging auf Tour. Er war der Erste, der wochenlange Alpentouren zwar alleine, aber gemeinsam mit der Community des Internets durchführte, plante und ständig online darüber berichtete. Dinge, die heutzutage dank Facebook und Smartphones für jeden selbstverständlich sind, wurden von ihm damals mit rudimentärer und einfacher Technik bereits eindrucksvoll praktiziert. Stuntzi nutzte bei seinen Live-Berichten von Anfang an die Singletrail-Skala und beschrieb jeden einzelnen befahrenen Singletrail. Auf Basis seiner Tourberichte und GPS-Tracks sind heute viele Biker in den Alpen und auf der ganzen Welt unterwegs. An dieser Stelle ein ganz großes Dankeschön an Stefan!

# Stuntzi in Moab

Was folgte, war eine Offensive bei privaten Webseitenbetreibern und der DIMB. Wir wollten, dass man auf möglichst vielen Internetplattformen auf die Singletrail-Skala stößt. Als einer der ersten Buchautoren hatte Andreas Albrecht die Singletrail-Skala verwendet (www.transalp.info). Heute wird die Singletrail-Skala von vielen Autoren benutzt und beim Bruckmann Verlag ist sie inzwischen Standard für alle Neuveröffentlichungen. Auf der beliebten und sehr ansprechend gestalteten Internetseite Trails! sind alle vorgestellten Touren nach Singletrail-Skala sortiert.

Johannes Herden schrieb im Jahre 2010 unter der Betreuung von Stefan Siebert, zu der Zeit Diplom-Sportwissenschaftler am Institut für Natursport und Ökologie in Köln, seine Bachelorarbeit über die Singletrail-Skala. Ab jetzt wurde das System also nicht nur angewendet, sondern wurde auch wissenschaftlich untersucht.

Im Rückblick betrachtet haben wir eigentlich nicht so viel falsch gemacht. Wir hatten eine Skala beschrieben, die nach oben hin so weit reicht, dass sie nicht alles halbe Jahr ergänzt werden musste. Die Technik des Mountainbikes hat in den letzten 10 Jahren gewaltige Fortschritte gemacht. Federwege von bis zu 160 mm und Scheibenbremsen sind heute Standard an tourentauglichen Bikes. Das Feilen an der eigenen Fahrtechnik und das Bezwingen von fahrtechnischen Herausforderungen hat inzwischen bei vielen Bikern einen höheren Stellenwert als dass bloße Abspulen von Kilometern und Höhenmetern.

# Singletrail-Skala: Ein S3-Beispiel von der Website

Die Bedeutung von Singletrails beim Biken hat erheblich zugenommen. Bikeparks und alpine Trails eröffnen bereits Neueinsteigern und Jugendlichen einen Zugang zum Bikesport, und dies auf hohem Niveau. Videos, Internetseiten und Reportagen zeigen, was und wie es geht. Das Besuchen von Fahrtechnikseminaren ist inzwischen fester Bestandteil im Trainingsplan vieler Biker. Im Ergebnis fühlen sich immer mehr Sportler auch auf anspruchsvollen Trails wohl. Gerade dort, wo man früher das Bike geschoben hätte, sucht man heute die Herausforderung. In den letzten Jahren gab es zudem Überlegungen, weitere Skalen wie eine Gefahren- oder Uphill- Skala zu entwerfen. Diese Ergänzungen zur Singletrail-Skala wurden aber aus verschiedenen Gründen nie ganz zu Ende gedacht oder bereits im Ansatz wieder verworfen.

Was bringt die Zukunft? Inspiriert von Trial-Fahrern wie Danny McAskill und Chris Akrigg, aber auch Dirtjump- und Slopestyle-Contests, feilen viele Jugendliche an ihrem persönlichen Fahrstil. Dadurch kommen wieder neue Einflüsse auf den Trail. Die beliebten Enduro-Rennen erfordern eine schnelle, aber saubere Art der Bikebeherrschung. Die verschiedenen Strömungen dieses vielseitigen Sports vermischen sich. Dadurch entstehen neue Möglichkeiten, neue Trends und neue Herausforderungen. Dazu kommt der Wunsch nach sogenannten Flowtrails, die sowohl versierten Fahrern als auch Anfängern die Möglichkeit bieten ganz nach ihren persönlichen Vorlieben zu fahren.

# Flowtrail Stromberg - Schumann und Dickerhoff

Zudem gibt es in Regionen, in denen das Mountainbiken heute noch stark durch unverständliche und von falschen Interessen getriebenen Gesetzen reglementiert und extrem eingeschränkt wird, starke Bestrebungen, diese unglückliche Situation endlich zu beseitigen. Dabei muss jedoch immer ein freies Befahrungsrecht auf allen Wegen vor dem Bau neuer Strecken oder gar die komplette Kanalisierung in abgesperrten Reservaten wie Bikeparks im Vordergrund stehen.

Die Möglichkeit, Trails legal zu befahren, wird auch dort dem Bikesport noch mehr Auftrieb verleihen.

Text: Carsten Schymik
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