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SRAM X1 im Test
die 11-fach Schaltung im Trail-Einsatz

1×11 gibt es ab Juni zu einem wesentlich vernünftigeren Preis. Zwei Fragen gingen mir während des ersten Tests hauptsächlich durch den Kopf. Erstens: Welche Abstriche muss man gegenüber den teureren 1X11 Gruppen machen? Und zweitens: Wie groß ist der Einsatzbereich von einem Kettenblatt denn nun wirklich? Antworten auf diese und weitere Fragen gibt es hier im ersten Fahrbericht.

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# Keine Kettenschaltung besteht aus weniger Komponenten und bietet doch ein so rundes Gesamtkonzept

Das Testbike

Nachdem ich bereits kürzlich die Gelegenheit hatte, Canyons 29” Spektral ausgiebig zu fahren, setzte mich SRAM zum Test der X1 auf ein Spektral 27,5”. Aufgebaut wurde der Rahmen mit dem vollen SRAM-Sortiment, und zwar mit den neuesten Produkten, die man derzeit in petto hat: Rock Shox Pike RCT3 Gabel und Monarch+ mit Debonair Luftkammer, Avid Guide Bremsen, aber vor allem: Der neuen X1 Antriebsgruppe und den ebenso neuen Roam 40 Laufrädern. Optionen gibt es hier wenige, einzig Kettenblatt und Kurbel gilt es zu wählen. Verbaut waren die SRAM X1 1400 Kurbel und ein 32 Zähne Kettenblatt. Bei 1,77 m wurde mir Rahmengröße M mit einem kurzen 50 mm Vorbau aufgebaut.

Die Pike wurde auf 150 mm eingestellt, der Hinterbau des 27,5” Spectral bietet 140 mm Federweg. Canyon verkauft das Rad als All-Mountain oder Trailbike, in jedem Fall als absolut allroundtaugliches Mountainbike, mit dem Touren jeder Art ein Genuss sein sollen. Passt dazu der bis vor kurzem noch radikale Ansatz von nur einem Kettenblatt? Auf folgender Strecke haben wir es getestet.


# Gefällig: Das Spectral X1-Testbike

Die Teststrecke

Terlago – den Namen hatte ich bis vor kurzem noch nie gehört, jetzt aber in kurzer Zeit gleich mehrmals. Der Grund: Am Wochenende vor der Pressevorstellung war hier der erste Lauf der Specialized SRAM Enduro Serie ausgetragen worden. Wir begaben uns tatsächlich stellenweise auf die Trails, die auch als Rennstrecke fungiert hatten, größtenteils führten uns unsere Guides Luigi und Luca aber auf anderen Pfaden durch Wald und Wiesen.

Ich habe leider kein Höhenprofil aufgezeichnet, es müsste sich dabei aber um ein ziemliches Sägezahnprofil mit variierender Zahnhöhe handeln. Ein paar Anstiege von etwa 150 hm, aber hauptsächlich ganz kurzes Auf und Ab. Die Wege teils flowig, teils grob schottrig und teils technisch fordernd. Das ganze dank der ergiebigen Regenfälle an den Tagen zuvor ganz schön glitschig, aber nicht verklebend.

Der Test

In den vergangenen zwei Jahren bin ich ab und zu XX1 und häufig X01 gefahren – mit 11 Gängen habe ich also schon einiges an Erfahrung gesammelt. Entsprechend vertraut fühlte ich mich beim ersten Aufsitzen auf dem Testrad: Die abgerundeten Daumenpaddel des Schalthebels fühlen sich ziemlich ähnlich an wie die meines X01-Hebels. Bei diesem hatte ich die Verstellbarkeit des großen Hebels zunächst genutzt, um beide Paddel näher nebeneinander zu legen, meine Anpassung dann aber wieder rückgängig gemacht, weil ich damit nicht mehr so bequem viele Gänge auf einmal schalten konnte. Dementsprechend fahre ich meinen X01-Hebel in der 0° Position, und exakt diese Position findet sich auch am X1-Hebel. Auf der linken Seite hat dagegen der Reverb-Knopf unter dem Lenker die Position des Umwerfer-Schalthebels eingenommen, dort liegt er gut geschützt und bequemer zu erreichen als überhalb.


# Stefanus mit Frank Ripper von SRAM beim Einstellen des Rades

So starte ich in die Testrunde, die zunächst das schmale Sträßchen hinter dem Ort Vallene hinauf führt. Unheimlich knackig, direkt und schnell schalte ich mit zunehmender Steigung in leichtere Gänge, das Schaltwerk lechzt quasi danach, unter Last zu schalten. Als die Straße einen Sattel erreicht, an dem Stage 4 des Enduro-Rennen zwei Tage zuvor endete, schalte ich das erste Mal in höhere Gänge: Erneut ein extrem spontanes, definiertes Gefühl, als die Feder im Parallelogramm des X1-Schaltwerks die Kette auf das nächstkleinere Ritzel zieht. Sicher, an einem Neurad sollte man nichts anderes erwarten. Aber die unmittelbar spürbare Mechanik ist etwas SRAM-typisches und bei der X1 schön ausgeprägt. Andere Schaltungen mögen leichter zu bedienen sein, ein knackigeres Gefühl im Schalthebel ist mir nicht bekannt. Fühlt sich die SRAM X1 anders an als eine X01? Ich behaupte: In Blindtests wird sie so gut wie niemand unterscheiden können.


# Flowig, aber auch zackig auf und ab ging es auf diesem Teil des Trails. So oft habe ich selten in kurzer Zeit hoch und wieder runter geschaltet.

Als wir von der Wiese in den Wald eintauchen, wird der Pfad immer steiler. Langsam wird es schwieriger, die groben Steine zu rumkurven, die zusätzlichen Schläge nehmen langsam aber sicher Tempo raus. Mit jedem bisschen mehr Steigung und mehr Rollwiderstand wandert mein Daumen zum Schalthebel, Gang für Gang schalte ich runter um steiler rauf zu kommen. Auch bei geringer Trittfrequenz und großer Last rastet jeder Gang ohne Unterbrechung zügig ein, das komplette Gegenteil zu den Schaltvorgängen der allermeisten Umwerfer. Als wir auf einer ziemlich groben Schotterstraße ziemlich steil bergauf treten und uns schon gewaltig über den Lenker legen müssen, um nicht im Wheelie vom Rad zu steigen, passiert es schließlich: Der Schalthebel leistet Widerstand, ich bin im 1. Gang angekommen. Statt die Trittfrequenz halten zu können, braucht es etwas zusätzlichen Druck um nicht langsamer zu werden. Kraftverschwendung? Der Beweis, das 1X11 nicht ausreicht? Tatsächlich bleibt mir ein sein Rad schiebender Kollege dicht auf den Fersen, von kraftsparendem Höhengewinn kann bei der Steigung eh nicht mehr die Rede sein.


# Schon bald ein gewohnter Anblick? Vor zwei Jahren wirkte der Riesenteller am Hinterrad noch befremdlich, heute schon zumindest nicht ungewöhnlich

Nach einer kurzen, holprigen Abfahrt, auf der das Bike unheimlich leise liegt und ich mir ernsthaft überlege, ob die Tage von Kettenstrebenschonern gezählt sein könnten, führt uns der Pfad in einer langen Linkskurve um den Berg. Der grobe Fels erlaubte leider keine sanfte Routenführung, stattdessen folgt die nächste halbe Stunde umrhythmisches Auf und Ab. Ich bin mir ziemlich sicher, dass SRAM die Bike-Guides aufgefordert hat, so etwas in die Strecke einzubauen, denn besser kann man die Einfachheit und Schnelligkeit einer Schaltung nicht demonstrieren. Immer abwechselnd zwischen etwa dem 3. und 7. Gang geht es hin und her. Um nicht irgendwo hängen zu bleiben, muss ich mich extrem auf die Linienwahl konzentrieren, da kommt es sehr gelegen, nicht über das Schalten nachdenken zu müssen.

In diesem Gelände wäre bei 2X10 das große Kettenblatt zu groß und das kleine zu klein, auf keinem könnte man konstant bleiben. In diesem Gelände aber mit dem Umwerfer zu schalten und dadurch eine Viertel-Umdrehung der Kurbel keinen Druck machen zu können sowie extrem an Trittfrequenz zu verlieren oder zu gewinnen, hätte fast zwangsläufig Aufstehen oder Absteigen zur Folge. Mit der X1 kann ich hier zu jeder Zeit sitzen bleiben und kontinuierlich die Trittfrequenz halten – optimal.


# Auf der Trail-Abfahrt: Runter geht´s.

Die letzte Prüfung stellt die Abfahrt dar. Der Flow ist jetzt weg, es hat wieder zu regnen angefangen, über weite Strecken sehe ich wenig bis gar nichts, weil die Brille ständig zugematscht oder beschlagen ist. Meine Linienwahl fällt in Folge dessen stumpf aus. Weil der Hans Dampf bei Regen nicht gerade prädestiniert ist, mache ich oft die Bremsen auf und lasse es im Geröll laufen, werde alles in allem mächtig durchgeschüttelt. Die Kette bleibt auf wundersame Art und Weise immer oben. Als wir durch eine steile, kurvige Matschrinne bergab schlittern, stelle ich abwechselnd links und rechts den Bergfuß raus. Weil das Hinterrad quasi die ganze Zeit steht, kann ich den Fußwechsel nicht durch Vorwärtstreten einleiten – Rückwärtstreten lässt in dieser Fahrsituation bei Bikes ohne Kettenführung eigentlich zuverlässig die Kette runter fallen.

Nicht so mit SRAMs 1X11. Die Kette bleibt wo sie hingehört, und beim Fußwechsel staune ich jedesmal darüber, wie reibungslos der Freilauf arbeitet, wenn keinerlei Kettenführung meine Bewegungen behindert. Diese Situation steht stellvertretend für die vielen Fahrsituationen, in denen konventionelle Kettenschaltungen gerne die Kette verlieren, was mit das größte Ärgernis an Kettenschaltungen darstellt. Kettenführungen können das vermeiden, sind aber bisher immer mit Mehrgewicht und zusätzlicher Reibung versehen.


# Für mich steht fest: 1X11 ist für sehr viele Mountainbiker die bessere Kettenschaltung. Punkt.

Der Trail spuckt uns schließlich auf die Straße, die nun bergab in Richtung Tal führt. Schnell erreichen die Bikes etwa 35 km/h, und tatsächlich kann ich auch da noch bequem mitreden. Als es richtig schnell wird, freilich nicht mehr, aber das könnte mir persönlich nicht weniger wichtig sein. In der Ebene reichen meine Beine jedenfalls nicht aus, um den größten Gang mit einem 32er Blatt bei 650b-Rädern treten zu können. Persönlich würde ich deshalb bei 27,5” das 30er Blatt montieren, um noch mehr Reserven bergauf zu haben – im Zweifel sind mir die nämlich wichtiger als 3 km/h mehr Topspeed bergab.

Noch ein paar Worte zur Bedienung: Während ich mit einem beherzten Druck in den Schalthebel fünf Gänge auf einmal runter schalten kann, geht Raufschalten auch bei der X1 nur Gang für Gang. Weil die Gangsprünge aber etwas größer als bei 2X10 oder gar 3X10 sind, musste ich mit 1X11 nur selten mehr als einen, äußerst selten mehr als zwei Gänge auf einmal rauf schalten. Im Gegenzug schätze ich die Möglichkeit sehr, viele Gänge auf einmal runter schalten zu können, nämlich immer dann wenn ein kurzer Steig doch wieder noch steiler als erwartet ausfällt.

Wo genau waren jetzt die Nachteile gegenüber den teureren 11-fach Gruppen von SRAM? In einem zweitägigen Test konnte ich sie nicht erfahren. 225 g, von denen 150 g in der Kurbel zu finden sind, kann ich für meinen Teil nicht erspüren. Identische Übersetzungsbandbreite, einwandfreie Führung der Kette, keine Verluste, schnelle, knackige Schaltvorgänge… Die X1 kann tatsächlich – zumindest im Neuzustand – sämtliche Vorteile einer XX1 zu einem attraktiven Preis bieten. Entscheidender Faktor um mit 11 Gängen glücklich zu werden ist aber definitiv die Größe des Kettenblatts. Persönlich würde ich hier auf 32 Zähne bei 26”, 30 Zähne bei 27,5” und 29” setzen, und wenn wirklich noch mehr 29” Enduros kommen, mir auch eine 28 Zähne Option für die X1 wünschen.

Die letzte Frage, die mir häufig gestellt wird, ist die, ob die schrägere Kettenlinie nicht spürbar ist und mehr Reibung und Verschleiß verursacht. Meine Antwort: Während die Reibung im 1. und 11. Gang sicherlich minimal erhöht wird, so wird man äußerst selten in diesen Gängen unterwegs sein und dies im Falle des 1. Gangs durch ein schön großes Ritzel zumindest teilweise wieder kompensieren.


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Fazit

Schnellere Schaltvorgänge. Weniger Gewicht. Intuitivere Bedienung. Keine verlorenen Ketten ohne Kettenführung und mit großer Bandbreite. Worüber kann man da noch klagen? Darüber, dass das Nachrüsten von 1X11 nach wie vor nicht günstig ist, weil man die komplette Gruppe und einen neuen Freilauf benötigt? Darüber, dass im Falle eines Falles immer noch 200 € Schaltwerk an einem Stein anschlagen?

Kann man machen. Mann kann sich aber auch über das Angebot einer wahnsinnig gut funktionierenden Gangschaltung freuen, die ziemlich viel Spaß macht und runtergefallenen Ketten ein Ende bereitet. Ehrliche Haken könnten aber das fehlende 28er Blatt und die nach wie vor hohen Nachrüst-Hürden (Man muss gleich das ganze System tauschen, kann nicht langsam umsteigen) sein. Die Begründung von XX1 und X01 ist in Anbetracht der X1 schwieriger geworden.

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