Ich finde den Artikel sehr interessant. Er entspricht vielleicht nicht
100% meiner Meinung, aber in den Aussagen von Munter steckt augenscheinlich sehr viel Lebens-"Erfahrung", und man sollte mal drüber nachdenken.
Zum Thema "Panzerung" sag ich jetzt besser nicht zu viel, das ist schon zu oft kontrovers durchgekaut worden.
Nur so viel: ich persönlich bin gerne mal (auch in den Alpen) mit Vollvisierhelm unterwegs. Deswegen gehe ich aber kein höheres Risiko ein als ohne den Gesichtspanzer. Es fällt mir nur auf, dass ich auf ein- und denselben Wegen mit dem zusätzlichen Schutz besser fahre, weil ich eher bereit bin über dem Lenker zu hängen, was die objektive Sicherheit erhöht, anstatt in Notabstiegs-Habacht-Stellung (ja nicht nach vorne fallen und sich die Zähne ausschlagen) hinter dem Hinterrad zu sitzen, was die subjektive Sicherheit vielleicht steigern mag aber die objektive Sicherheit letztendlich ganz stark vermindert. Letztendlich muss es jeder selber wissen.
«Freiheit heisst für mich, du kannst selbstständig entscheiden. Du bist selber verantwortlich für das, was du entschieden hast.»
Leider hat die eigene Entscheidung IMMER Konsequenzen für andere Menschen, die in die Entscheidung nicht eingebunden waren (Partner, Freunde, Bergrettung, Solidargemeinschaft der Krankenversicherten...). Diese Vorstellung von vollkommener Freiheit ist somit arg verkürzt und romantisch verklärt. Findet die Risikoabwägung ausschließlich mit diesem Freiheitsverständnis ab, ist das sehr egoistisch.
Ich glaube nicht, dass diese Aussage dazu auffordern soll, unverantwortliche Entscheidungen zu treffen, weil man sich dann "frei" fühlt. Ich habe das eher so verstanden, dass man sehrwohl frei entscheiden soll, welches Risiko man eingehen will, aber eben sich auch bei der Entscheidung bewusst sein muss, dass man ganz alleine verantwortlich ist für diese Entscheidung und das Risiko ganz alleine und selbstverantwortlich zu tragen hat.
Also eben nicht der Gedanke "ich hab ja ein Handy/Lawinenpiepser dabei, wenn's schief geht wird mich schon jemand retten kommen", sondern erst gründlich abwägen, und dann so handeln, dass man bestenfalls eigenverantwortlich auch selbst mit der Situation zu Recht kommt. Also eben nicht die Konsequenz des eigenen riskanten Handelns auf andere Menschen oder auf die Technik abwälzen, die einen dann schon retten wird.
Ich hatte diesbezüglich letztes Jahr eine recht interessante Situation, nicht "alpin" aber sehr passend zum Thema "Risiko":
Mein Mann und ich waren zu zweit unterwegs und hatten das Auto oben am Trailhead abgestellt. Nach der Abfahrt entschloss ich mich, das Auto zu Fuß abzuholen, mein Mann sollte unten bei den Fahrrädern warten. Da es sich anbot, beschloss ich spontan und ohne größer darüber nachzudenken, beim Hochlaufen einen unbekannten Pfad auf der Karte zu besichtigen. Dabei hatte ich nur meinen Bikerucksack (wegen Trinken) und das GPS-Gerät, kein Handy oder sonstige Ausrüstung. Ich rechnete mit einem ganz normalen leichten Wanderweg. Wie sich nach einigen hundert Metern herausstellte, war dieser Pfad erstens extrem wenig begangen und zweitens sehr steil und stellenweise recht exponiert. Er verlief an der Flanke eines menschenleeren Canyons. Ich verlor immer wieder die Spur, konnte mich aber anhand des Geländes und der Topokarte auf dem GPS-Gerät trotzdem gut orientieren. Immer wieder gab es Kletterpassagen über mehrere Meter hohe Felskanten, die zwar ausreichend
Griffe und Tritte boten, und die mir physisch keine Probleme machten, aber doch erhöhte Vorsicht geboten und mental anstrengend waren, da ich alleine und komplett ungesichert war. Ich legte also vor jeder dieser Felskanten ein paar Minuten Pause ein, schaute mir gründlich den Stein an, und legte mir zurecht wo ich am sichersten aufsteigen konnte. Schlussendlich war ich auf einem felsigen Grat angelangt den es längs zu überqueren galt, und in dessen Anschluss eine 70-80° geneigte Wand aus Sandstein über eine Länge von vielleicht 10m längs zu queren war. Es waren klar Tritte und
Griffe zu erkennen, die in den Sandstein gehauen waren. Und Haken. Es war technisch überhaupt kein Problem, die Tritt- und Griffmulden waren schön ausgeformt und der Sandstein schien fest, und nach der Felsquerung war relativ deutlich wieder eine erdige Wegspur zu erkennen. Allerdings verlief die Querung (zu) viele Meter oberhalb eines bewachsenen flacheren Hangteils, somit wäre ein Sturz zwar nicht zwingend tödlich gewesen, aber definitiv sehr ungut. Ich war hier definitiv auf mich allein gestellt, es war keine Menschenseele im weiteren Umkreis. Also machte ich erst mal Pause ging den Grat ab, schaute auf die Karte, und überlegte, was zu tun wäre. Weiter war mir zu riskant, nicht alleine und ungesichert. Umdrehen war eine Option, aber keine wirklich nett erscheinende, da ich dann die Felsklettereien vom Aufstieg wieder runter gemusst hätte. Die "schönste" Option erschien mir, einen weglosen Abstieg in den Canyon zu wagen und auf der anderen Seite genauso weglos zum bekannten Abfahrtstrail aufzusteigen. "Schön" deshalb, weil der Abstieg komplett einsehbar etwas flacher und nach einer ganz kurzen unkritischen Kraxelei vom Felsgrat runter dicht mit Büschen und Krüppelbäumchen bewachsen war. Es gab also genügend Halt, Abstürzen konnte man quasi nicht. Dank GPS, Karte und Geländeorientierung klappte die Aktion auch relativ sauber, bis auf deutlich zu viele Kratzer in der Haut durch das dichte Gebüsch, und ich erreichte sicher unseren Abfahrtstrail, den ich dann locker zum Auto hoch joggen konnte.
Wäre ich mit der "Sicherheit" eines Handys mehr Risiko eingegangen? Um ehrlich zu sein: vielleicht ja. Es wäre definitiv ziemlich dämlich gewesen. Aber vielleicht wäre ich weiter gegangen. Letztendlich war "du hast noch nicht mal ein Handy dabei" auch ein Teil meiner Überlegungen, die mich schließlich zum Abbrechen bewogen. Objektiv hätte ein Handy rein gar nichts gebracht, wenn ich abgestürzt wäre, hätte ich im Zweifelsfall entweder nicht mehr telefonieren können, oder hätte keinen Empfang gehabt (oder beides). Dennoch wäre es vielleicht eine trügerische Sicherheit gewesen, die zu mehr Risiko ermutigt hätte, als objektiv vernünftig erschien.
Genau das sagt meiner Meinung nach auch der Artikel aus.