16.11. 16:00 Am "Rio Diamante", 1400m
Meine weiße Piste fährt sich insgesamt gar nicht so übel. Viel Sand, viele Hügel, einige Schieberei, aber insgesamt in Ordnung. Freilich ist keine Rede mehr von einem Zweihundertertag, meine Durchschnittsgeschwindigkeit sinkt unter zehn. Die Wüste wird mich wenigstens eine Nacht beherbergen müssen. Macht aber nix, das ist versorgungstechnisch durchaus eingeplant.

Nach einer Weile präsentiert sich mir allerdings ein erstes unerwartetes Hindernis: Den gar nicht mal so kleinen Canyon hatte ich auf der Karte zwar schon gesehen, mir allerdings nicht besonders viel dabei gedacht. Schließlich führt meine Straße virtuell problemlos hindurch. Die Realität sieht vom Canyonrand betrachtet allerdings ein wenig anders aus: Runter gehts zwar, aber drüben rauf kann ich absolut keinen Weg entdecken, geschweige denn eine Piste. Nun denn, auf der jenseitigenHochebene sehe ich die Straße wieder, sollte also kein allzugroßes Problem werden. Ich radel runter.

Das Rinnsal von einem Flüsschen am Talboden ist eine absolut willkommene Erfrischung und der perfekte Platz für die wohlverdiente Mittagspause. Bin schon deutlich über hundert Kilometer unterwegs heute und es sollen durchaus noch einige dazu kommen. Durst werd ich auch nicht leiden müssen, das Wasser ist absolut klar und frisch. Kommt wohl direkt von den Fünfdreivierteltausendervulkanen am Horizont im Westen. Lecker!

Weniger lecker ist der Aufstieg hinauf zur anderen Seite des coolen Canyons. Ich finde ein paar Trampelpfade von Tieren und ein trockenes Bachbett, ansonsten balanciere ich auf teils. recht steilen kleinen Graten entlang.

Die Temperaturen sind mittlerweile jenseits der Vorstellungskraft, mir läuft die Soße in Strömen aus dem Gesicht. Ist ein netter Mix aus Schweiß, Sonnencreme, Sand und Dreck, letztere von diversen Sturmböen genüsslich in allen Ritzen meines Körpers deponiert. Was für ein Vergnügen... ich hab grad richtig Spaß hier mit vollem Marschgepäck und zusätzlich sieben Litern Getränk auf dem Buckel. Man hätte ja auch auf ner "offiziellen" Piste bleiben können... aber hey... wenigstens eine saublöde Aktion muss der Trip schon bekommen.

Nach einer saumäßig anstrengenden Dreiviertelstunde erreiche ich endlich den oberen Canyonrand und finde dort nach ein wenig Gestrüppscouting meine Piste wieder, genau dort wo sie laut Karte hingehört. Scheint die Inspektionstrasse einer Gaspipeline zu sein, einige Schilder und eine Pumpstation weisen darauf hin. Warum der OSM-Kartograph die Straße durch den Canyon hindurch dazufantasiert hat, wird sein Geheimnis bleiben. Egal... Schwamm drüber.

Etwa zehn Kilometer mühe ich mich weiter durch den Sand, komme aber immer noch ganz gut und größtenteils fahrbar voran. Auf der Karte kommt noch ein zweiter Canyon, aber hey, diesmal wirds schon besser passen. Irgendwie muss man zu dieser Piste hier ja auch mit dem Auto hin kommen, denk ich mir. Wie wollen die sonst ihre Pipeline warten?
Nunja... dieser schöne Gedanke wird logischerweise zum Pustekuchen. Der zweite Canyon präsentiert sich genau spiegelverkehrt: Runter geht gar nix, aber drüben rauf sehe ich dafür meine Piste. Das ist eigentlich die angenehmere Variante, also schieb und kraxel ich recht steil durchs wüstige Kaktusbröselfelsgemüse bergab...

... und stehe alsbald wie der Ochs vorm Berg: Verdammt. Was zur Hölle ist denn das jetzt?! Wo kommt denn auf enmal das ganze Wasser her?! Bin ich hier in der Wüste oder wie?! Im vorigen Canyon floss nur ein kleines, badewannentaugliches Rinnsal und jetzt hab ich hier die schlammbraunen, tosenden Fluten eines stattlichen Flusses vor mir. Herzlichen Glühstrumpf du Held, gut gemacht!

Ich scoute ein wenig flussauf- und abwärts, aber es sieht nirgends besonders vielversprechend aus.

Schlussendlich wage ich einen zaghaften Versuch an einer halbwegs "zahm" anmutenden Stelle. Die ersten Meter sind Pillepalle, aber schon zwei Schritte weiter geht mir die braune Soße bis an die Oberschenkel und ich kann mich in der reißenden Strömung kaum mehr auf den Beinen halten. Bevor hier fernab von jeder Hilfe noch irgendwas richtig Dummes passiert, breche ich den fruchtlosen Überquerungsversuch lieber ab. Was soll der Quatsch, mit dem Bike auf dem Buckel hätte ich sowieso nicht den klitzekleinen Hauch einer minimalistischen Chance.

Mein Weiterweg, ohne jeden Canyon und kurze sechzig schnurgerade Kilometerchen zum nächsten Ort. So nah und doch so fern. Schluchz.

Jetzt ist guter Rat teuer... aber erst mal hinsetzen und in Ruhe nachdenken. Das ist jetzt kein Spiel mehr. Wenn ich irgendeinen gröberen Mist baue, seh ich wahrscheinlich halbwegs alt aus. Der nächste Mensch ist wohl wenigstens fünfzig Wüstenkilometer entfernt, in jeder Richtung. Handynetz sowieso Fehlanzeige: Ich bereue es bitter, mir nicht vorher die Satellitenbilder runtergeladen oder wenigstens angeschaut zu haben. Aber hey... das hier war als langweilige Straßenetappe geplant. In das "Abenteuer" bin ich mehr oder weniger "unfreiwillig" reingerutscht.