DerBergschreck
...fährt ohne Betäubung
In Anlehnung an den Thread „A singlespeeder’s story (Why not Singlespeed?)“ im US Forum möchte ich hier mal etwas ähnliches versuchen - es geht um eine Sammlung von Geschichten, wie ihr die Anfänge mit dem Fahren ohne Schaltung erlebt habt.
Und da ich den Thread hier ins Leben gerufen habe, muss ich natürlich den Anfang machen.
Hier also meine Geschichte:
====================
Es ist Ostern und Marcus Mountainbike wurde passend zum Saisonanfang vom Hof geklaut. Extrem schlechtes Timing. Schnell muss ein neues her. Es muss erstens preiswert, zweitens "stylish" und drittens preiswert sein. Was soll daran wohl toll werden?
Ein paar Wochen später ist bestes Tourenwetter und Marcus kommt nach ein paar Testtouren allein (was gibt es denn da schon zu testen?) das erste Mal zu einer gemeinsamen Tour mit der Gruppe. Ich sehe Retro-Style in grün mit silbernen Anbauteilen - sehr chic. Dass es keine Federung hat, hatte ich schon erwartet. Dass es keine Schaltung hat, nicht. Singlespeed! Im Gelände. Im Mittelgebirge. Das kann nicht funktionieren.
Die Gruppe rollt los und die Schaltungen klackern - nur bei einem nicht. Nach einer Stunde im Gelände komme ich mir mit meiner Schaltung albern vor. Marcus fährt alles mit seinem einem Gang und ich rattere mit meiner Kette im Zahnrad-Dschungel herum. Er fährt fast nur vor mir und ich habe dauernd dieses eine blöde, auf dem Freilauf einsam seine Runde drehende Ritzel vor Augen. Links und rechts davon eine Hand voll Distanzringe um die gähnende Leere zu füllen. Das sieht doof aus. Das sieht ungewohnt aus. Das sieht gut aus!
An einem Steilstück muss er dann endlich doch vom Rad - und überholt mich schiebend, während ich im kleinsten Gang fast auf der Stelle trete. Wozu war nochmal eine Schaltung gut?
Nach dieser Tour ist nichts mehr so, wie es war. Es kontrolliert meine Gedanken am Tag, es verfolgt mich nachts in meinen Träumen: Singlespeed! Das zwingende an der Sache ist, dass mein Rahmen ein horizontales Ausfallende hat, also voll singlespeedtauglich ist. Es gibt keine Ausrede mehr, um das Unausweichliche zu vermeiden.
Aber noch kann ich es etwas hinausschieben. Es gibt viel zu lesen. Im Internet-Singlespeed-Forum werde ich erleuchtet. Es gibt zwei Ansätze für den Umbau: "Ein Gang ist billiger" und "Ein Gang ist trotzdem teuer". Die teure Variante hat zum Beispiel Hinterradnaben für 500 Euro oder ein einzelnes Ritzel für 100 Euro. Die billige Variante liegt bei 100 Euro "all inclusive", was genau meine Variante ist. Ich lerne, dass man am besten reine Singelspeedritzel und -kettenblätter nimmt, weil nur diese höhere Zähne haben, die dafür sorgen, dass die Kette keinerlei "Schaltambitionen" mehr hat. Denn ein Über- oder Abspringen wäre bei den rohen Kräften im Wiegetritt ziemlich unangenehm.
Der heilige Gral aber ist die Abstimmung der Übersetzung. Im Probierverfahren legt man beim Kettenschaltungsrad irgendeinen mittleren Gang ein und probiert auf diversen Testtouren, welcher passt. Man wird schnell zu dem ernüchternden Ergebnis kommen, dass es einfach keinen passenden Gang gibt. Wie also kann das funktionieren? Hier kommt die psychologische Komponente ins Spiel: wer den Schritt zum eingängigen Fahren bereits vollzogen hat, weiss, dass es ein Unterschied ist, ob man nicht schalten will oder nicht schalten kann. Um dem geneigten Interessenten exzessives Probieren und wildes Herumrechnen über Wochen zu ersparen, sollte man sich eher an die immer wieder empfohlenen Standardübersetzungen halten, weil diese den "Placebo"-Effekt des Einganggetriebes berücksichtigen.
Für 26" Laufräder im Gelände ist eine Übersetzung von 2:1 die Einstiegsdroge. Das bedeutet, dass das Kettenblatt doppelt so viele Zähne wie das Ritzel hat. Tritt man die Kurbel einmal komplett herum, hat sich das Hinterrad zweimal gedreht. Mit diesem Gang kann man gemütliche Flachlandtouren und sportliche Mittelgebirgstouren fahren. Wer im Flachland wohnt, kann bis auf 2,3:1 hoch gehen, wer im Hochgebirge fährt, wählt einen kleineren Gang.
Der Satz "Wo ich mit 2:1 nicht mehr fahren kann, bin ich auch beim Schieben nicht langsamer" trifft es genau auf den Punkt. Am geschalteten Rad fährt man im ersten Gang um die fünf Stundenkilometer, was die übliche Geschwindigkeit eines Fussgängers ist. Und man möge nicht vergessen, dass es auch Anstiege gibt, die man trotz Schaltung schiebt.
Samstag Morgen, 9.15 Uhr. Beim Rasieren sehe ich durch das matte Glas des Badezimmerfensters etwas grosses Gelbes - das kann nur der Paketdienst sein. "Dingdong" macht die Türglocke und ich hechte in den Flur und nehme das Paket entgegen. Der Paketbote schaut mich irritiert an - aber woher soll er wissen, was in dem Paket ist? Als ich am Spiegel im Flur vorbei gehe, sehe ich, dass meine linke Gesichtshälfte noch ganz mit Rasierschaum bedeckt ist. Das zu Ende bringen der Rasur ist angesichts der gerade eingetroffenen Singlespeed-Teile natürlich extrem uninteressant und wird deshalb im Schnellverfahren erledigt.
Kurze Zeit später haben die wenigen neuen Teile ihren Platz am Rad gefunden und übrig bleibt ein beeindruckender und verblüffend schwerer Haufen an Schaltungsteilen, die nun erst einmal lieblos ins Kellerregal geschoben werden. Schnell die Fahrradklamotten an und das Rad aus dem Keller geschoben. Zum Glück fängt es genau in diesem Moment an zu regnen.
Von Zuhause aus geht es Richtung Gelände erst einmal auf Asphalt bergab. Ich lasse entspannt rollen, trete dann einmal ins Leere - um dann doch besser entspannt rollen zu lassen. Unten wird es flacher und mein einsamer Gang beginnt zu greifen. Die kleine Brücke mit 12% Steigung kommt böse auf mich zu - und ist unerwartet leicht abgehakt.
Im Wald angekommen wähle ich doch lieber erst mal die Seniorenstrecke mit moderat welligem Profil. Ein paar Mal drücken Daumen und Zeigefinger bei der Suche nach den Schalthebeln noch ins Leere, doch nach ein paar Kilometern geben die für diese Funktion zuständigen Gehirnzellen entspannt auf und bringen ein leicht verblödetes Lächeln aufs Gesicht. Alles so schön einfach hier.
Ich will mich endlich schieben sehen und biege auf ein knackigere Strecke ab. Nach 50 Metern bergauf zwingt mich eine dicke Baumwurzel vom Rad, doch ich bin weiter gekommen als ich dachte. Ich würge ein paar kurze Rampen hoch, die in den folgenden Wochen als Indikator für eine hoffentlich steigende Beinkraft dienen sollen - und das machen sie sehr überzeugend, denn ein paar Wochen später stellt sich an den meisten dieser Stellen die Frage: "Was war hier nochmal das Problem?"
Der Anpassungsprozess findet aber nicht nur auf der muskulären Ebene statt, sondern auch in der Kunst des "Spuren lesens". Vor schweren Stellen wird Schwung genommen und die Sitation durch das Einsetzen der Körpermasse oft auf dem letzten Meter gerettet. Das Spiel mir geringen Geschwindigkeiten wird ein häufiger Begleiter. Warum soll man seine Energie unnötig vergeuden indem man oben angekommen noch überflüssige Geschwindigkeit hat? Ein bis zwei Stundenkilometer mit perfekter Balance reichen doch vollkommen aus - allein schon aus dem Grund weil man häufig die anderen Fahrer mit Schaltung bergauf ein gutes Stück hinter sich gelassen hat.
Wo wir gerade beim Fahren in der Gruppe angekommen sind: da muss man "mit ohne Gänge" jetzt mal umdenken. Ist man es allein gewohnt die Steigungen mit Druck und Schwung hochzudonnern, verursachen am Fuss eines Anstiegs vorausfahrende Schaltungsfahrer schnell Singlespeeders Auffahrunfall. Anstatt zu treten scheinen vorne alle beim Schalten auch noch zu bremsen. Warum machen die das? Man muss das wirklich erlebt haben.
Ein paar Monate später klappts dann auch mit dem Langsamfahren besser. Es ist verblüffend, welch extrem niedrige Trittfrequenz man an moderaten Anstiegen noch treten kann ohne dass die Beinmuskulatur die weisse Flagge hisst.
So, nun aber Schluss mit Lustig! Acht Wochen mit dem einen Gang herumgealbert und sich ganz toll gefunden. Man könnte doch mal, man sollte doch mal - zum Beispiel den Rothaarsteig mit 160 km und irgendwas um die 4.000 Höhenmetern fahren. In der Hoffnung, dass das gute Wetter noch ein paar Wochen auf sich warten lässt, verabrede ich mit Marcus die Premiere für eine Singlespeed Dreitagestour mit Gepäck. Das nächste Wochenende ist Ostern, das Wetter wird beängstigend gut vorhergesagt und unglücklicherweise bekommen wir auch noch freie Hotelzimmer gebucht. Jetzt kann mich nur noch eine Erkältung retten - tut sie aber nicht.
Mit der Bahn ab nach Dillenburg und los geht die Fahrt. Der Rucksack zieht gleich am ersten Anstieg die sowieso schon niedrige Drehzahl weiter nach unten. Aber hey, was haben die Muskeln denn in den letzten Wochen fleissig gelernt? Immer schön drücken! Bei den flacheren Stellen fühlt sich die Fahrt nach Rückenwind oder E-Bike an - ist aber beides nicht der Fall. Wir rollen über Berg und Tal und ich warte auf den Moment, in dem meine Beine kollabieren. Fehlanzeige.
Abends im Hotel Lahnhof erst mal kalorienreiche Kost. Draussen noch 'ne Runde gehen. Überall weicher Rasen - nee, stimmt gar nicht, ist ja Asphalt. Komisch. Mal lieber schon früh in die Heia. Irgendwie habe ich so ein Summen in den Beinen. 22 Uhr: summ, summ, summ. 23 Uhr: summ, summ. 0 Uhr: summ. Ein Uhr: endlich Ruhe - schlafen. Im Traum noch wild zusammengeschnittene Szenen vom durch den Wald braten mit nur einem Gang, meterhohe Sprünge, die man aus Sicherheitsgründen tagsüber und auch mit Rücksicht auf die deprimierende Wirkung auf andere Mountainbikefahrer mal weg lässt - voll krass, Alter! Und ich hatte nicht mal 'nen Helm auf.
Sieben Uhr: eine verrückt gewordene MP3 Datei schreit mich aus dem Telefon an. Gar nicht nett sowas. Frühstück dagegen umso mehr. Und dann noch ganz dekadent: Wäscheservice! Frischer Blumenkräuterodersoähnlicher Duft umwabert die beiden Eingang-Radfahrer, als sie sich schaltfaul in Bewegung setzen. Seltsames Gefühl in den Beinen, kenne ich so gar nicht. Ist das jetzt gut oder schlecht? Als wir schon kurz nach Mittag fast unser Etappenziel erreicht haben, ist klar: das ist gut! Wir sitzen am Rhein-Weser-Turm eine Stunde bei einem Kaltgetränk blöd grinsend herum und entschliessen uns dann, unsere Übernachtung 30 km nach hinten zu verlegen. Der nette Mensch vom Tourismusverband Winterberg hat die Buchung am Telefon in zwei Minuten erledigt. Das nenne ich professionell!
Gute zwei Stunden später schlagen wir oberhalb von der Unterkunft in der Berghütte Hoheleye auf. Lustig hier - wir hängen erst mal ab. Der Pensionsbesitzer ist eh erst in zwei Stunden da, wir sind ja nicht auf der Flucht, wir haben Zeit. Nach der Pause unanstrengende 200 Tiefenmeter heruntergeballert und ab aufs Zimmer. Nebenan irgend eine Art von Privatzoo mit entsprechender Geräuschkulisse. Mir egal, ich habe immer Ohrenproppen dabei.
Um die Ecke ist ein verlassender Gasthof. Falsch geraten, er hat geöffnet. Doppelte Portion Bratkartoffeln mit Doppelspiegelei (sehr lecker!), Malzbier und ich glaub noch 'n Kaffee. Beim Kassieren geht die Wirtin bei der Preisverkündung erst mal in sich - Marcus meinte hinterher, dass sie sich die Preise "on the fly" ausgedacht hat. Bei mir waren es verblüffende Euro 4,70 - ich glaubs nicht!
Morgens gackern uns die Hühner in Nachbars Zoo wach. Da wir nur neun Kilometer vor dem Kahlen Asten sind, haben wir ohne Frühstück gebucht, um dies auf dem heiligen Berg einzunehmen. Gute Entscheidung, denn gleich der erste Anstieg fällt wie ein Amboss auf uns herunter und hätte ein vorher eingenommenes Frühstück sogleich wieder sichtbar gemacht.
Am Kahlen Asten hoch ins Hotel zum Frühstücksbuffet. Mit der Regel "Ein Häppchen auf den Teller, zwei in den Rucksack" haben wir für den Rest des Tages Geld gespart (bei der nächsten Tour kommt noch ne Thermoskanne zum Kaffee abfüllen mit). So relativiert sich der teurere Buffetpreis gegenüber einem Einzelfrühstück.
Einer Pause konnten wir dann doch nicht widerstehen, und zwar der an der Hochheidehütte Niedersfeld, von wo man aus 800 m Höhe über die Berggipfel des Sauerlands schauen konnte - richtig toll! Danach die schockierende Erkenntnis, dass das mit dem Kahlen Asten als höchster Berg glatt gelogen ist, denn der Langenberg ist nämlich mit seinen 843 m satte zwei Meter höher. Aber auch den haben wir geschafft.
Nun ging alles ganz schnell. Die Gefälle wurden immer länger, die Steigungen immer kürzer und irgendwo gab es noch einen ewig lang bergabrollenden Forstweg - auch mal schön! Dann im Tal: Eisdiele, Bahnhof, ab nach Hause. Haben wir's wirklich getan? Tagelang noch Bilder im Kopf - der Sommer kommt erst noch, aber dieses Ding haben wir schon mal im Kasten.
Nochmal etwas Trainingsphilosophie: ich meine mich erinnern zu können, dass Intervalltraining beim Radsport eine gute Wirkung zeigt. Anders kann ich mir einfach nicht vorstellen, dass meine Beinkraft nach einigen Monaten Singlespeed fahren so deutlich zugenommen hat. Ich fahre jetzt manchmal Strecken hoch, wo die Gruppe früher mit Schaltung auch immer herumgemault hat ("Och nöö, jetzt nicht da hoch!"). Klar strengt es an und der Puls klopft herum wie ein wild gewordener Bergmann. Aber das war mit Schaltung auch nicht anders. Geht also auch.
Natürlich kann man auch beim eingängigen Fahren die Intensität einer Tour justieren - nämlich indem man den Punkt, ab dem man schiebt, verändert. Auf einer "Ich mach mich fertig" Sommerabendrunde wird niemals nie nicht geschoben. Auf der gemütlichen Kaffeefahrt mutiert man dann eben öfter zum Radwanderer im wahrsten Sinne des Wortes.
Und in Wirklichkeit verfügt der Singlespeeder ja über drei Gänge: Sitzen, Stehen und Schieben. Na denn...
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OK, das war meine Geschichte.
Habt ihr auch eine? Dann lasst mal hören!
Und da ich den Thread hier ins Leben gerufen habe, muss ich natürlich den Anfang machen.
Hier also meine Geschichte:
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Es ist Ostern und Marcus Mountainbike wurde passend zum Saisonanfang vom Hof geklaut. Extrem schlechtes Timing. Schnell muss ein neues her. Es muss erstens preiswert, zweitens "stylish" und drittens preiswert sein. Was soll daran wohl toll werden?
Ein paar Wochen später ist bestes Tourenwetter und Marcus kommt nach ein paar Testtouren allein (was gibt es denn da schon zu testen?) das erste Mal zu einer gemeinsamen Tour mit der Gruppe. Ich sehe Retro-Style in grün mit silbernen Anbauteilen - sehr chic. Dass es keine Federung hat, hatte ich schon erwartet. Dass es keine Schaltung hat, nicht. Singlespeed! Im Gelände. Im Mittelgebirge. Das kann nicht funktionieren.
Die Gruppe rollt los und die Schaltungen klackern - nur bei einem nicht. Nach einer Stunde im Gelände komme ich mir mit meiner Schaltung albern vor. Marcus fährt alles mit seinem einem Gang und ich rattere mit meiner Kette im Zahnrad-Dschungel herum. Er fährt fast nur vor mir und ich habe dauernd dieses eine blöde, auf dem Freilauf einsam seine Runde drehende Ritzel vor Augen. Links und rechts davon eine Hand voll Distanzringe um die gähnende Leere zu füllen. Das sieht doof aus. Das sieht ungewohnt aus. Das sieht gut aus!
An einem Steilstück muss er dann endlich doch vom Rad - und überholt mich schiebend, während ich im kleinsten Gang fast auf der Stelle trete. Wozu war nochmal eine Schaltung gut?
Nach dieser Tour ist nichts mehr so, wie es war. Es kontrolliert meine Gedanken am Tag, es verfolgt mich nachts in meinen Träumen: Singlespeed! Das zwingende an der Sache ist, dass mein Rahmen ein horizontales Ausfallende hat, also voll singlespeedtauglich ist. Es gibt keine Ausrede mehr, um das Unausweichliche zu vermeiden.
Aber noch kann ich es etwas hinausschieben. Es gibt viel zu lesen. Im Internet-Singlespeed-Forum werde ich erleuchtet. Es gibt zwei Ansätze für den Umbau: "Ein Gang ist billiger" und "Ein Gang ist trotzdem teuer". Die teure Variante hat zum Beispiel Hinterradnaben für 500 Euro oder ein einzelnes Ritzel für 100 Euro. Die billige Variante liegt bei 100 Euro "all inclusive", was genau meine Variante ist. Ich lerne, dass man am besten reine Singelspeedritzel und -kettenblätter nimmt, weil nur diese höhere Zähne haben, die dafür sorgen, dass die Kette keinerlei "Schaltambitionen" mehr hat. Denn ein Über- oder Abspringen wäre bei den rohen Kräften im Wiegetritt ziemlich unangenehm.
Der heilige Gral aber ist die Abstimmung der Übersetzung. Im Probierverfahren legt man beim Kettenschaltungsrad irgendeinen mittleren Gang ein und probiert auf diversen Testtouren, welcher passt. Man wird schnell zu dem ernüchternden Ergebnis kommen, dass es einfach keinen passenden Gang gibt. Wie also kann das funktionieren? Hier kommt die psychologische Komponente ins Spiel: wer den Schritt zum eingängigen Fahren bereits vollzogen hat, weiss, dass es ein Unterschied ist, ob man nicht schalten will oder nicht schalten kann. Um dem geneigten Interessenten exzessives Probieren und wildes Herumrechnen über Wochen zu ersparen, sollte man sich eher an die immer wieder empfohlenen Standardübersetzungen halten, weil diese den "Placebo"-Effekt des Einganggetriebes berücksichtigen.
Für 26" Laufräder im Gelände ist eine Übersetzung von 2:1 die Einstiegsdroge. Das bedeutet, dass das Kettenblatt doppelt so viele Zähne wie das Ritzel hat. Tritt man die Kurbel einmal komplett herum, hat sich das Hinterrad zweimal gedreht. Mit diesem Gang kann man gemütliche Flachlandtouren und sportliche Mittelgebirgstouren fahren. Wer im Flachland wohnt, kann bis auf 2,3:1 hoch gehen, wer im Hochgebirge fährt, wählt einen kleineren Gang.
Der Satz "Wo ich mit 2:1 nicht mehr fahren kann, bin ich auch beim Schieben nicht langsamer" trifft es genau auf den Punkt. Am geschalteten Rad fährt man im ersten Gang um die fünf Stundenkilometer, was die übliche Geschwindigkeit eines Fussgängers ist. Und man möge nicht vergessen, dass es auch Anstiege gibt, die man trotz Schaltung schiebt.
Samstag Morgen, 9.15 Uhr. Beim Rasieren sehe ich durch das matte Glas des Badezimmerfensters etwas grosses Gelbes - das kann nur der Paketdienst sein. "Dingdong" macht die Türglocke und ich hechte in den Flur und nehme das Paket entgegen. Der Paketbote schaut mich irritiert an - aber woher soll er wissen, was in dem Paket ist? Als ich am Spiegel im Flur vorbei gehe, sehe ich, dass meine linke Gesichtshälfte noch ganz mit Rasierschaum bedeckt ist. Das zu Ende bringen der Rasur ist angesichts der gerade eingetroffenen Singlespeed-Teile natürlich extrem uninteressant und wird deshalb im Schnellverfahren erledigt.
Kurze Zeit später haben die wenigen neuen Teile ihren Platz am Rad gefunden und übrig bleibt ein beeindruckender und verblüffend schwerer Haufen an Schaltungsteilen, die nun erst einmal lieblos ins Kellerregal geschoben werden. Schnell die Fahrradklamotten an und das Rad aus dem Keller geschoben. Zum Glück fängt es genau in diesem Moment an zu regnen.
Von Zuhause aus geht es Richtung Gelände erst einmal auf Asphalt bergab. Ich lasse entspannt rollen, trete dann einmal ins Leere - um dann doch besser entspannt rollen zu lassen. Unten wird es flacher und mein einsamer Gang beginnt zu greifen. Die kleine Brücke mit 12% Steigung kommt böse auf mich zu - und ist unerwartet leicht abgehakt.
Im Wald angekommen wähle ich doch lieber erst mal die Seniorenstrecke mit moderat welligem Profil. Ein paar Mal drücken Daumen und Zeigefinger bei der Suche nach den Schalthebeln noch ins Leere, doch nach ein paar Kilometern geben die für diese Funktion zuständigen Gehirnzellen entspannt auf und bringen ein leicht verblödetes Lächeln aufs Gesicht. Alles so schön einfach hier.
Ich will mich endlich schieben sehen und biege auf ein knackigere Strecke ab. Nach 50 Metern bergauf zwingt mich eine dicke Baumwurzel vom Rad, doch ich bin weiter gekommen als ich dachte. Ich würge ein paar kurze Rampen hoch, die in den folgenden Wochen als Indikator für eine hoffentlich steigende Beinkraft dienen sollen - und das machen sie sehr überzeugend, denn ein paar Wochen später stellt sich an den meisten dieser Stellen die Frage: "Was war hier nochmal das Problem?"
Der Anpassungsprozess findet aber nicht nur auf der muskulären Ebene statt, sondern auch in der Kunst des "Spuren lesens". Vor schweren Stellen wird Schwung genommen und die Sitation durch das Einsetzen der Körpermasse oft auf dem letzten Meter gerettet. Das Spiel mir geringen Geschwindigkeiten wird ein häufiger Begleiter. Warum soll man seine Energie unnötig vergeuden indem man oben angekommen noch überflüssige Geschwindigkeit hat? Ein bis zwei Stundenkilometer mit perfekter Balance reichen doch vollkommen aus - allein schon aus dem Grund weil man häufig die anderen Fahrer mit Schaltung bergauf ein gutes Stück hinter sich gelassen hat.
Wo wir gerade beim Fahren in der Gruppe angekommen sind: da muss man "mit ohne Gänge" jetzt mal umdenken. Ist man es allein gewohnt die Steigungen mit Druck und Schwung hochzudonnern, verursachen am Fuss eines Anstiegs vorausfahrende Schaltungsfahrer schnell Singlespeeders Auffahrunfall. Anstatt zu treten scheinen vorne alle beim Schalten auch noch zu bremsen. Warum machen die das? Man muss das wirklich erlebt haben.
Ein paar Monate später klappts dann auch mit dem Langsamfahren besser. Es ist verblüffend, welch extrem niedrige Trittfrequenz man an moderaten Anstiegen noch treten kann ohne dass die Beinmuskulatur die weisse Flagge hisst.
So, nun aber Schluss mit Lustig! Acht Wochen mit dem einen Gang herumgealbert und sich ganz toll gefunden. Man könnte doch mal, man sollte doch mal - zum Beispiel den Rothaarsteig mit 160 km und irgendwas um die 4.000 Höhenmetern fahren. In der Hoffnung, dass das gute Wetter noch ein paar Wochen auf sich warten lässt, verabrede ich mit Marcus die Premiere für eine Singlespeed Dreitagestour mit Gepäck. Das nächste Wochenende ist Ostern, das Wetter wird beängstigend gut vorhergesagt und unglücklicherweise bekommen wir auch noch freie Hotelzimmer gebucht. Jetzt kann mich nur noch eine Erkältung retten - tut sie aber nicht.
Mit der Bahn ab nach Dillenburg und los geht die Fahrt. Der Rucksack zieht gleich am ersten Anstieg die sowieso schon niedrige Drehzahl weiter nach unten. Aber hey, was haben die Muskeln denn in den letzten Wochen fleissig gelernt? Immer schön drücken! Bei den flacheren Stellen fühlt sich die Fahrt nach Rückenwind oder E-Bike an - ist aber beides nicht der Fall. Wir rollen über Berg und Tal und ich warte auf den Moment, in dem meine Beine kollabieren. Fehlanzeige.
Abends im Hotel Lahnhof erst mal kalorienreiche Kost. Draussen noch 'ne Runde gehen. Überall weicher Rasen - nee, stimmt gar nicht, ist ja Asphalt. Komisch. Mal lieber schon früh in die Heia. Irgendwie habe ich so ein Summen in den Beinen. 22 Uhr: summ, summ, summ. 23 Uhr: summ, summ. 0 Uhr: summ. Ein Uhr: endlich Ruhe - schlafen. Im Traum noch wild zusammengeschnittene Szenen vom durch den Wald braten mit nur einem Gang, meterhohe Sprünge, die man aus Sicherheitsgründen tagsüber und auch mit Rücksicht auf die deprimierende Wirkung auf andere Mountainbikefahrer mal weg lässt - voll krass, Alter! Und ich hatte nicht mal 'nen Helm auf.
Sieben Uhr: eine verrückt gewordene MP3 Datei schreit mich aus dem Telefon an. Gar nicht nett sowas. Frühstück dagegen umso mehr. Und dann noch ganz dekadent: Wäscheservice! Frischer Blumenkräuterodersoähnlicher Duft umwabert die beiden Eingang-Radfahrer, als sie sich schaltfaul in Bewegung setzen. Seltsames Gefühl in den Beinen, kenne ich so gar nicht. Ist das jetzt gut oder schlecht? Als wir schon kurz nach Mittag fast unser Etappenziel erreicht haben, ist klar: das ist gut! Wir sitzen am Rhein-Weser-Turm eine Stunde bei einem Kaltgetränk blöd grinsend herum und entschliessen uns dann, unsere Übernachtung 30 km nach hinten zu verlegen. Der nette Mensch vom Tourismusverband Winterberg hat die Buchung am Telefon in zwei Minuten erledigt. Das nenne ich professionell!
Gute zwei Stunden später schlagen wir oberhalb von der Unterkunft in der Berghütte Hoheleye auf. Lustig hier - wir hängen erst mal ab. Der Pensionsbesitzer ist eh erst in zwei Stunden da, wir sind ja nicht auf der Flucht, wir haben Zeit. Nach der Pause unanstrengende 200 Tiefenmeter heruntergeballert und ab aufs Zimmer. Nebenan irgend eine Art von Privatzoo mit entsprechender Geräuschkulisse. Mir egal, ich habe immer Ohrenproppen dabei.
Um die Ecke ist ein verlassender Gasthof. Falsch geraten, er hat geöffnet. Doppelte Portion Bratkartoffeln mit Doppelspiegelei (sehr lecker!), Malzbier und ich glaub noch 'n Kaffee. Beim Kassieren geht die Wirtin bei der Preisverkündung erst mal in sich - Marcus meinte hinterher, dass sie sich die Preise "on the fly" ausgedacht hat. Bei mir waren es verblüffende Euro 4,70 - ich glaubs nicht!
Morgens gackern uns die Hühner in Nachbars Zoo wach. Da wir nur neun Kilometer vor dem Kahlen Asten sind, haben wir ohne Frühstück gebucht, um dies auf dem heiligen Berg einzunehmen. Gute Entscheidung, denn gleich der erste Anstieg fällt wie ein Amboss auf uns herunter und hätte ein vorher eingenommenes Frühstück sogleich wieder sichtbar gemacht.
Am Kahlen Asten hoch ins Hotel zum Frühstücksbuffet. Mit der Regel "Ein Häppchen auf den Teller, zwei in den Rucksack" haben wir für den Rest des Tages Geld gespart (bei der nächsten Tour kommt noch ne Thermoskanne zum Kaffee abfüllen mit). So relativiert sich der teurere Buffetpreis gegenüber einem Einzelfrühstück.
Einer Pause konnten wir dann doch nicht widerstehen, und zwar der an der Hochheidehütte Niedersfeld, von wo man aus 800 m Höhe über die Berggipfel des Sauerlands schauen konnte - richtig toll! Danach die schockierende Erkenntnis, dass das mit dem Kahlen Asten als höchster Berg glatt gelogen ist, denn der Langenberg ist nämlich mit seinen 843 m satte zwei Meter höher. Aber auch den haben wir geschafft.
Nun ging alles ganz schnell. Die Gefälle wurden immer länger, die Steigungen immer kürzer und irgendwo gab es noch einen ewig lang bergabrollenden Forstweg - auch mal schön! Dann im Tal: Eisdiele, Bahnhof, ab nach Hause. Haben wir's wirklich getan? Tagelang noch Bilder im Kopf - der Sommer kommt erst noch, aber dieses Ding haben wir schon mal im Kasten.
Nochmal etwas Trainingsphilosophie: ich meine mich erinnern zu können, dass Intervalltraining beim Radsport eine gute Wirkung zeigt. Anders kann ich mir einfach nicht vorstellen, dass meine Beinkraft nach einigen Monaten Singlespeed fahren so deutlich zugenommen hat. Ich fahre jetzt manchmal Strecken hoch, wo die Gruppe früher mit Schaltung auch immer herumgemault hat ("Och nöö, jetzt nicht da hoch!"). Klar strengt es an und der Puls klopft herum wie ein wild gewordener Bergmann. Aber das war mit Schaltung auch nicht anders. Geht also auch.
Natürlich kann man auch beim eingängigen Fahren die Intensität einer Tour justieren - nämlich indem man den Punkt, ab dem man schiebt, verändert. Auf einer "Ich mach mich fertig" Sommerabendrunde wird niemals nie nicht geschoben. Auf der gemütlichen Kaffeefahrt mutiert man dann eben öfter zum Radwanderer im wahrsten Sinne des Wortes.
Und in Wirklichkeit verfügt der Singlespeeder ja über drei Gänge: Sitzen, Stehen und Schieben. Na denn...
=========================
OK, das war meine Geschichte.
Habt ihr auch eine? Dann lasst mal hören!