Geometrics-Update: RAD – oder was wir von Lee McCormack lernen können

Okay, machen wir das mal anders…

Es geht bei den geometrischen Betrachtungen um verschiedene Aspekte, ein sehr zentraler Aspekt ist aber die Lage der beiden – eigentlich ja vier – wesentlichen Verbindungspunkte des Fahrers mit dem Bike: Hände und Füße. Aus Gründen der Vereinfachung nimmt man dabei das Tretlage für die Füße und die Mitte der gedachten Verbindungslinie zwischen den Griffen für die Hände. Damit hat man zwei Punkte und das Ganze nebenbei aufs Zweidimensionale reduziert. Für Vieles ist diese Vereinfachung auch durchaus ohne weitere Einschränkungen.

Da man beim Rahmen die tatsächliche Griffposition (im Gegensatz zum Tretlager) nicht kennt, nimmt man zur Vergleichbarkeit stattdessen den nächsten Rahmenpunkt, was das obere Ende des Steuerrohrs ist (wobei das wie oben angesprochen nicht exakt, aber exakt genug ist im Hinblick auf Vergleichbarkeit).

Aber egal ob jetzt im tatsächlichen Fall mit Griffposition oder im reduzierten Fall nur auf den Rahmen bezogen, haben wir hier eine äquivalente Darstellung desselben Sachverhalts. Als Nullpunkt eines Koordinatensystems zur Beschreibung wird jeweils das Tretlager genommen, bei Angabe von Reach und Stack haben wir kartesische Koordinaten, bei Angabe von RAD und RAAD haben wir Polarkoordinaten. Ist absolut gleichbedeutend und ohne Abstriche ineinander überfahrbar. Was man lieber verwendet, kommt drauf an, was man betrachtet.

Jetzt noch zu der Thematik mit dem Neigen des Untergrunds:
Wenn du das Rad auf eine schiefe Ebene anstelle einer Horizontalen stellst, also quasi den Fall der Abfahrt betrachtest, dann ist das gleichbedeutend mit einer Drehung des Koordinatensystems. Der Vorteil bei Polarkoordinaten ist bei einer Drehung, dass eine Koordinate—der Abstand vom Ursprung—konstant bleibt, während sich die andere Koordinate—der Winkel—genau um den Wert ändert, um den auch das Koordinatensystem an sich gedreht wird. Bei Verwendung von RA(A)D ist es also etwas einfacher zu sehen, was sich ändert, wenn man sich das Rad in der Abfahrt vorstellt. Bei kartesischen Koordinaten ändern sich dagegen beide Werte, der Reach und der Stack. Das ist etwas weniger instruktiv zu betrachten.

Warum ist das überhaupt von Bedeutung?
Ganz einfach deshalb, weil man als Fahrer seinen Körper immer zwischen diesen beiden (bzw. natürlich eigentlich vier) Kontaktpunkten positionieren muss, bei jeder Fahrsituation, also auch bei verschiedenen Gefällen in der Abfahrt. Logischerweise muss man sich da dauernd adaptieren, andererseits hat die Position einen erheblichen Einfluss darauf, wie sich etwa das Gewicht auf Händen und Füßen verteilt. Das wiederum ist entscheidend fürs Fahrverhalten. Fährt man eher gemäßigtes Terrain, sollte man die gegenseitige Lage von Griffen und Pedalen bei eher geringen Steigungen und entsprechend einem relativ wenig gedrehten Koordinatensystem im obigen Sinne betrachten. Ist man vor allem auf steilerem Terrain unterwegs, muss man das System etwas stärker drehen. Zurückgeführt auf die Ausgangswerte in der Ebene sind bei gleichem Fahrer, aber unterschiedlichem Terrain, entsprechend etwas andere Werte für Reach und Stack (im Sinne einer Geometrietabelle) ideal.

Um das alles genau einzuschätzen, braucht es Erfahrung. Eine Faustregel ist schwierig, weil einerseits die Fahrer sich hinsichtlich Körperproportionen (Arm-/Beinlänge, Oberkörperlänge) auch bei gleicher Körpergröße sehr unterscheiden können und auch Aspekte wie Fitness/Kraft und Koordination (aka Fahrtechnik) eine große Rolle spielen. Es kommt also auf eigene Erfahrungswerte an. Ob man die dann mit Werten wie Reach/Stack oder RA(A)D, die ja hinsichtlich der tatsächlichen Information äquivalent sind, verbindet, ist eigentlich egal. Aber aus obigen Gründen ist die Betrachtung von RAD und RAAD im Hinblick auf andere Fahrsituationen eventuell etwas hilfreicher, weil sich eben hier vor allem der tatsächliche RAAD (also nicht der aus der Geo-Tabelle, sondern der im Gelände auf dem Rad) ändert und der RAD konstant bleibt, während sich bei Verwendung von Stack/Reach beide tatsächlichen Werte gegenüber der Geotabelle ändern.

Unabhängig davon muss man sich mit der Thematik natürlich beschäftigen, sonst bringt das so oder so nichts. Und wenn man sich damit beschäftigt, funktioniert beides wahrscheinlich gleich gut. Es bleibt also letztlich ein Frage des persönlichen Geschmacks.
 
RAD & RAAD im hier verwendeten Sinn sind absolut equivalent mit Stack & Reach.
Sind Stack und Reach nicht typischerweise Angaben, die sich nur auf den Rahmen beziehen, während RAD und RAAD das gesamte Cockpit mit einbeziehen?
Ein Teil der RAD-Philosophie betrifft auch die Lenkerbreite, sie geht allerdings nicht direkt in den RAD-Wert ein, sondern wird bei der von Lee beschriebenen Messung des individuell passenden RAD berücksichtigt.
 
gibt aber dann die Charakteristik des Bikes einigermaßen wieder. Kleiner RAD im Bereich (!) dessen, was grundsätzlich zur Größe des Fahrers passt, ergibt ein eher verspieltes Rad mit reaktivem Handling, großer RAD (natürlich wieder relativ) spricht für Laufruhe.
Naja, aber auch nur, wenn RAAD gleich bleibt. Mit einem höheren Lenker habe ich z.B. beides verändert und das Bike fühlt sich verspielter an, obwohl RAD deutlich grösser geworden ist.
 
Sind Stack und Reach nicht typischerweise Angaben, die sich nur auf den Rahmen beziehen, während RAD und RAAD das gesamte Cockpit mit einbeziehen?
Ein Teil der RAD-Philosophie betrifft auch die Lenkerbreite, sie geht allerdings nicht direkt in den RAD-Wert ein, sondern wird bei der von Lee beschriebenen Messung des individuell passenden RAD berücksichtigt.
Deswegen schreib ich von "tatsächlichem Reach" (oder "Real Reach", was im englischsprachigen Bike-Kosmos durchaus verwendet wird) und in der Datenbank geht es dann um den Rahmen-RAD etc.

Tatsächlich relevant sind immer die Werte, die die Griffposition betreffen, denn die hat man als Fahrer in der Hand. Wie die Verbindung von Griff zu Rahmen geometrisch gelöst ist, hat keinerlei Einfluss auf die Körperposition (anders ist das hinsichtlich so Sachen wie Stetigkeit, Vibrationen etc.)

Wenn man aber Rahmen vergleichen will, geht das halt nur mit Daten zum Rahmen. Bau einen Rahmen anders auf hinsichtlich Spacer, Vorbau, Lenker: er wird sich anders fahren. Ist ja auch gut so, denn so kann man einen Rahmen, den man ja nicht nur wegen der Geometrie kauft, auf sich persönlich anpassen. Wichtig ist halt, dass die Werte vom Rahmen in einem Bereich liegen, dass man mit einem vertretbaren Aufbau zu tatsächlichen Werten kommt, die einem passen. Das ist letztlich auch der wesentliche Wert von Geometrietabellen. Ziel ist aber immer eine optimale Position auf dem Bike; wie sich die aus Rahmen und Cockpit und sonstiger Komponenten zusammensetzt, ist hinsichtlich Schwerpunkt zweitrangig.

Die Lenkerbreite ist nochmals ein ganz eigener Punkt, der hinsichtlich Ergonomie sicherlich nicht zu verachten ist, aber rein hinsichtlich Körperposition nur indirekt eine Rolle spielt. Wenn dein Lenker 2 cm schmaler ist, also pro Seite einen Zentimeter, wird sich dein Körperschwerpunkt bei vergleichbarer (!) Körperhaltung (Winkel in den Armgelenken) kaum merklich verschieben. Wenn aufgrund eines besser passenden Lenkers du aber zum Beispiel mit anderen, besser passenden Armwinkeln unterwegs bist, kann sich dein Körperschwerpunkt sehr wohl verschieben, das hat dann aber nichts mit der Rahmen-/Bikegeometrie zu tun. Deshalb würde ich die Lenkerbreite da unabhängig betrachten, wie übrigens auch die Kurbellänge. Wobei natürlich die Position auf dem Bike, die man einnehmen will, für die richtige Dimensionierung essentiell ist. Daher erst mal die Kurbellänge und Lenkerbreite finden, die ergonomisch für einen passend ist, daran dann die "normale" Bikehaltung festmachen und die zur Grundlage der passenden Geometrie machen.

Richtig, da ist aber wieder egal, ob man in Stack/Reach oder RAD/RAAD misst, der Sattel ist per Definition in beidem irrelevant. Die Sache mit der Sitzposition ist komplizierter, weil man nicht die gegenseitige Lage von zwei Punkten im (in Geometrietabellen zweidimensionalen) Raum betrachtet, sondern drei. Das verdoppelt leider die Anzahl der Freiheitsgrade von zwei auf vier.

Naja, aber auch nur, wenn RAAD gleich bleibt. Mit einem höheren Lenker habe ich z.B. beides verändert und das Bike fühlt sich verspielter an, obwohl RAD deutlich grösser geworden ist.
Hatte ich - zumindest implizit - auch so geschrieben. In diesem Sinne, die Präzisierung ist richtig und danke dafür!

Und wenn wir schon bei "präzise" sind, würde ich davon ausgehen, dass du zum Beispiel einen Lenker mit mehr Rise verwendet hast. Das würde bei korrekter Installation den Stack erhöhen und den Reach gleich lassen. Das verändert dann RAD und RAAD. Mehr Spacer dagegen erhöht Stack und verkürzt Reach, das verändert den RAAD, lässt aber den RAD wahrscheinlich recht gleich (ist so, wenn die Lenkachse senkrecht auf die Verbindungslinie Tretlager/Griffmittelpunkt steht und man nicht viel ändert wegen tangentialer Verschiebung; ist selten genau so, aber auch nicht weit weg davon). Ein längerer 90°-Vorbau dagegen erhöht Stack und Reach, vergrößert dadurch RAD, lässt aber eher RAAD gleich (gleiche Argumentation wie eben). Bewirkt deshalb auch nicht dasselbe, diese verschiedenen Anpassungen.

Was noch zu bedenken ist:
Eine Veränderung der tatsächlichen Geometrie, also Griffposition relativ zum Tretlager, bewirkt eventuell eine Veränderung der Schwerpunktlage, was sich natürlich aufs Bike-Handling auswirkt, was sich wiederum unterschiedlich anfühlen kann, als in meiner folgenden Überlegung.

Mein Punkt mit RAD bezüglich "verspielt vs. laufruhig" beruht vor allem darauf, dass der Körperschwerpunkt sich ja immer zwischen Händen und Füßen—bezogen auf die Vertikale—befinden sollte. Bei konstantem RAAD bedeutet ein größerer RAD auch immer eine größere horizontale Basis; sprich eine gleich große Verschiebung des Körperschwerpunkts in horizontaler Basis durch Bewegungen des Fahrers bewirkt eine kleinere Veränderung der Gewichtsverteilung zwischen HR und VR, was letztlich mehr Stabilität bedeutet. Allerdings ist das zugegebenermaßen eher Feintuning. Eine andere Haltung auf dem Bike, was mindestens so sehr am RAAD liegen dürfte, verschiebt den Körperschwerpunkt dagegen insgesamt, was wohl deutlich mehr Auswirkungen hat.

Zu letztem Punkt folgende zentrale Überlegung:
Man stelle sich mal mit leicht gebeugten Armen und Beinen und einem etwas nach vorne gekipptem Oberkörper hin; das ist in etwa eine typische Stellung auf dem Bike. Nun bewege man die Arme in derselben Haltung, was Ellenbogen etc betrifft, aus den Schultern heraus nach unten zur Hüfte hin bzw. nach oben von der Hüfte weg. Man wird feststellen, dass dies relativ viel am RAD, also Abstand Hände-Füße ändert, aber relativ wenig am RAAD. Der Körperschwerpunkt verändert sich dabei auch recht wenig, weil die Arme eben relativ wenig Anteil an der Körpermasse haben.
Nun lässt man die Arme in einer Stellung, beugt aber den Oberkörper mehr oder weniger stark nach vorne. In dem Fall ändert sich der Abstand Hände-Füße, also RAD, weniger stark, die Richtung der Hände zu den Füßen, also RAAD, dagegen mehr. Also genau anders herum als vorhin. Gleichzeitig verändert sich der Körperschwerpunkt spürbar, weil der Oberkörper (plus Kopf) den Großteil der Körpermasse trägt und sich der Winkel des Oberkörpers gegenüber den Beinen verschiebt.
Steht man nun ohne Rad, muss der Hintern nach hinten, sonst fällt man einfach um. Mit Rad dagegen kann sich Gewicht auf dem Lenker abstützen und man muss mit dem Hintern nicht nach hinten. Das bringt aber mehr Gewicht auf den Lenker und verändert dadurch erheblich die Gewichtsverteilung zwischen VR und HR.

Die Gewichtsverteilung zwischen VR und HR ist fürs erfolgreiche Geländeradfahren essentiell, sie sollte möglichst ausgeglichen sein. Da sich das bei verschiedenen Neigungen und auch sonst bei Fahrmanövern, Unebenheiten etc. ändert, muss man adaptieren können. Eine neutrale Ausgangslage erlaubt da einen weiten Bereich, was erstrebenswert ist. Was die neutrale Ausgangslage ist, hängt auch davon ab, was man üblicherweise fährt (durchschnittliches Gefälle), aber natürlich auch erheblich von den Körperproportionen. Langer Oberkörper und kurze Beine brauchen eventuell einen anderen Hüftwinkel als kurzer Oberkörper und lange Beine für denselben Körperschwerpunkt und dieselbe Lastverteilung zwischen Armen und Beinen – und damit einen anderen RAAD, wenn man obiger Betrachtung folgt!

Entsprechend gibt es dann einen individuell guten Korridor für RAAD, aber sicher keine feste RAAD-Formel, die man anstreben sollte. Und für Werte, die sich auf einen Rahmen beziehen, natürlich umso weniger.
 
Wann hören wir auf die statische Geometrie von Rädern zu betrachten wenn nichts relevantes im voll ausgefederten Zustand geschieht?
Wenn schon Rad und Raad angeben warum dann nicht im Sag?
 
Zuletzt bearbeitet:
Zurück