Achtung, langer Exkurs zum Thema "Wie weit rechts fahren" für Leute, die es genauer wissen wollen.
Ne starre Regel, wie viel Abstand man als Radfahrer zum rechten Seitenrand einhalten muss (am besten zentimetergenau) gibt es nicht. Es gilt grundsätzlich § 2 Abs. 2 StVO.
Das kollidiert im Einzelfall mit der Verpflichtung, Abstand zu Hindernissen einzuhalten, etwa zu parkenden Autos, bei denen man mehr Abstand lassen muss, um ggf. nicht sofort durch eine sich geringfügig öffnende Türe getroffen zu werden (bei solch einem Treffen gilt allerdings grundsätzlich erst einmal der Anscheinsbeweis, dass der Türöffner den Unfall verursacht hat und nicht der Radfahrer - OLG Celle, Urt. v. 6.11.2018 – 14 U 61/18).
Im o. g. Urteil hatte sich das Gericht mit genau der Situation zu beschäftigen. Geklagt haben die Erben des durch die Kollision letztlich verstorbenen Radfahrers. Die Autofahrerin/Parkerin und ihre Haftpflicht haben sich mit dem Einwand verteidigt, der Verstorbene sei mit zu geringem Seitenabstand an dem geparkten PKW vorbeigefahren.
In der Entscheidung beschäftigt sich das OLG Celle dann mit der Frage des angemessenen Abstands.
In den generellen Ausführungen schreiben sie dort:
(1) Einerseits müssen Fahrzeugführer bei der Straßenbenutzung möglichst weit rechts fahren (§ 2 II StVO). Jedoch ist ein Sicherheitsabstand nach rechts je nach den örtlichen Verhältnissen und der eingehaltenen Geschwindigkeit erforderlich. Auch zu geparkten Fahrzeugen ist ein situationsabhängiger Seitenabstand einzuhalten, der in der Regel etwa einen m beträgt (OLG Düsseldorf, Urt. v. 11.5.2005 – I-1 U 158/03, BeckRS 2005, 5603 Rn. 70). Bei beengten Verhältnissen kann der Abstand auch geringer ausfallen (Greger/Zwickel, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 5. Aufl., § 14 StVO Rn. 45).
Im Allgemeinen darf der fließende Verkehr zwar darauf vertrauen, dass Wagentüren nicht plötzlich weit geöffnet werden (König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl., § 14 StVO Rn. 8 mwN). Der Erblasser musste aber im Übrigen mit einem spaltweisen Türöffnen rechnen und einen entsprechenden Seitenabstand einhalten, sofern das Fahrzeug nicht erkennbar leer ist (BGH, DAR 81, 148 = BeckRS 1981, 30386253).
Wie groß der Abstand im konkreten Fall zu sein hat, ist eine Frage des Einzelfalls. Dabei kommt es auf die Verkehrslage, Geschwindigkeit und die bauliche Situation, insbesondere die Breite der Straße, sowie die Art der beteiligten Fahrzeuge an. Auf einer breiteren Straße ist ein größerer Abstand zu erwarten, wobei bei großen Fahrzeugen, wie Lastkraftwagen, die unter Umständen einen Luftsog verursachen, auch ein größerer Abstand erforderlich sein kann. Der Seitenabstand soll in der Regel so bemessen sein, dass ein geringfügiges Öffnen einer Fahrzeugtür noch möglich ist (BGH, NJW-RR 1987, 87 Rn. 21, 24). 34 Zentimeter reichen hierfür nicht aus (BGH, Urt. v. 3.7.1956 – VI ZR 59/55, BeckRS 1956, 31205468). 50 Zentimeter haben schon genügen können (KG, NZV 2010, 343, mwN).
Vorliegend war die vom Erblasser mit dem Fahrrad befahrene Straße jedenfalls nicht schmal und auch nicht aufgrund der konkreten Verkehrssituation beengt. Vielmehr standen dem Erblasser von der Fahrbahnmitte bis zum Kantstein grundsätzlich 2,55 m bei einer 5,1 m breiten Straße zur Verfügung, jedoch reduziert um den Raum, den das parkende Beklagtenfahrzeug, welches insgesamt 1,709 m breit ist und nach den nach dem Unfall von der Polizei aufgenommenen Lichtbildern allenfalls geschätzt ca. 80 Zentimeter (vgl. Lichtbild Nr. 14, S. 19 des Gutachtens M. v. 8.5.2017) der Straße nutzte, so dass zur (nichtmarkierten) Straßenmitte noch ca. 1,75 m für den Erblasser verblieben. Dazu kommt, dass das Beklagtenfahrzeug gut erkennbar war, insbesondere auch nicht in einer Reihe von geparkten Fahrzeugen stand, sondern sich vor und hinter diesem kein weiteres Fahrzeug befand.
Demnach wäre jedenfalls ein Seitenabstand von lediglich 20 Zentimetern (10 Grad Öffnungswinkel) grundsätzlich zu gering (so auch Senat, NJW-RR 2017, 990 Rn. 24). Gleiches würde bei einem seitlichen Abstand von lediglich 44 Zentimetern (20 Grad Öffnungswinkel) gelten. Bei einem Seitenabstand von mehr als 60 Zentimetern (entsprechend einem Öffnungswinkel von größer 30 Grad) wäre ein Mitverschulden des Erblassers jedenfalls zu verneinen.
(NJOZ 2019, 1603 Rz. 20 ff.)
Im Münchener Kommentar zum Straßenverkehrsrecht heißt es zum Thema Rechtsfahrgebot, dass grundsätzlich 1 m eingehalten werden dürfe, bei unübersichtlichen Kurven seien 80 cm okay, wenn zur Mittellinie noch 50 cm Abstand verblieben. Ein Abstand von 50 cm zur Mittellinie dürfe aber grundsätzlich, auch wenn mit dem Auftreten von Hindernissen zu rechnen sei, nicht unterschritten werden. Unter Berufung auf ne BGH-Entscheidung (VI ZR 124/89) wird allerdings auch erklärt, dass es einzelfallabhängig ist und von vielen Faktoren abhängen kann, etwa der Örtlichkeit, Fahrbahnart, Fahrbahnbeschaffenheit und -breite, Ladung, Sicht, Fahrgeschwindigkeit, parkenden Fahrzeugen, Gegenverkehr, Radfahrern und Fußgängern, Gegenständen usw.
Die Kommentarstelle bezieht sich nicht explizit auf einen Fahrradfahrer, sondern ist wohl eher aus PKW-Fahrer-Sicht geschrieben.
Dennoch nehme ich daraus mit, dass man im Einzelfall in gewisser Weise der jeweiligen Auslegung des erkennenden Gerichts ausgeliefert ist.
Klar ist, dass man nicht im Straßengraben fahren muss und auch bei nachfolgendem Verkehr, der gerne überholen würde, einen gewissen Sicherheitsabstand nach rechts einhalten darf, insbesondere wenn dort Gefahrenquellen sind.
Ob die Argumentation, ein Behindern des nachfolgenden Verkehrs liege dann jeweils nicht vor, wenn der Nachfolger ohnehin nicht legal, ohne Einhaltung des vorgeschriebenen Mindestabstands zu mir Radfahrer überholen kann, ohne die Gegenfahrbahn zu benutzen, deswegen könne ich auch so weit links fahren, dass er es auch praktisch, wenn er den nötigen Mindestabstand nicht einhält, nicht kann, im Einzelfall jedes Mal zieht, halte ich für fragwürdig.
Persönlich tendiere ich zwar zu der Ansicht (ausgenommen das überholende Fahrzeug ist etwa ein Rettungswagen o. ä.), aber ich könnte mir vorstellen, dass das stark unterschiedlich gesehen wird. Gegen diese Ansicht kann man ja zumindest § 1 Abs. 2 StVO anführen (gegenseitiges Rücksichtnahmegebot), aus dem auch abgeleitet wird, dass man etwa sein Vorfahrtsrecht nicht erzwingen dürfe. Entsprechend könnte man darauf kommen, dass man die Verpflichtung des Überholenden zum Einhalten des vorgeschriebenen Mindestabstands nicht erzwingen dürfe.
Ich gebe zu, alles etwas unbefriedigend. Hilft wohl nur
- dickes Fell zulegen
- eindeutig fahren
- selbst im Grunde so viele Vorschriften einhalten wie möglich, um im Falle eines Falles nicht auch noch auf den Schäden sitzen zu bleiben.
Dann ist man natürlich trotzdem nicht davor gefeit, unverschuldet in einen Unfall zu geraten. Wenn einem das Risiko zu groß ist, muss man wohl bestimmte Gegenden bzw. bestimmte Straßen meiden, auch wenn's ärgerlich ist, dass mal wieder der Anständige nachgeben soll. Aber hier wäre mir die eigene Gesundheit dann doch mehr wert als der Stolz.
Dass jemandem sich mal die Hand zusammenkrampft, wenn ihn wieder ein Irrer mit 60 km/h Geschwindigkeitsüberschuss und 30 cm Seitenabstand bei Gegenverkehr überholt, kann ich menschlich gut nachvollziehen. Man sollte allerdings in der Tat vorsichtig mit solchen Gesten sein.