Da waren wir wohl fast zeitgleich unterwegs.
Ich würde meine Eindrücke mal so zusammenfassen:
Der
Camino Frances ist mit dem Mountainbike leicht zu bewerkstelligen.
Verglichen mt den Abschnitten durch Deutschland, Schweiz und Frankreich, die wir die Jahre zuvor gefahren sind, ist der spanische Abschnitt der fahrtechnisch einfachste.
Über weite Strecken benötigt man überhaupt kein Mountainbike.
Einzig die Passage Galiziens begründet ansatzweise die Verwendung eines Bikes, der Rest ist auch mit einem Tourenrad zu schaffen.
Da ich glühender Verfechter von "purem" Mountainbiken bin, kam für mich immer nur die Beförderung des Gepäcks im Rucksack auf dem Rücken in Frage.
Das hat sich auf den bisherigen Abschnitten bis zu den Pyrenäen auch immer als die richtige Entscheidung herausgestellt.
Die "Bewegungsfreiheit" und Agilität des Bikes war auf diesen Abschnitten auch immer gefragt, so dass Biken mit Gepäcktaschen am Bike auf der Via Gebennensis und der Via Podiensis bis zu den Pyrenäen zum Scheitern verurteilt ist. Diese Abschnitte sind auf der Originalroute "pures" Mountainbiking (verleichbar mit einer schweren Alpenüberquerung).
Ganz anders in Spanien: Auf dem Camino Frances gibt's kaum fahrtechnisch anspruchsvolle Abschnitte, so dass sich selbst die Verwendung eines MTBs in Frage stellen lässt.
Über weite Strecken ist das Kilometer runterspulen mit dem Reiserad. Da darf man sich dann natürlich doch die Frage stellen, ob Gepäcktransport auf dem Rücken unbedingt hätte sein müssen. Die Antwort lautet nein, aber mir ist es trotzdem lieber so. Das soll nicht heissen, dass es nicht auch steile Passagen gegeben hätte, aber eben alles andere als fahrtechnisch anspruchsvoll. Mit Kraft fährt man praktisch alles, wirklich fahrtechnisch knifflige Passagen findet man erst in Galizien und selbst da sind sie deutlich seltener gestreut als beispielsweise auf einem AlpenX.
Diese Feststellungen wären nicht vollständig, würde man nicht auch ein paar Sätze zu den landschaftlichen Eindrücken schildern.
Der spanische Teil ist leider mit Abstand der monotonste und ja, langweiligste, des gesamten Jakobswegs, den wir von München bis nach Santiago gefahren sind. Kein Vergleich mit den landschaftlichen Abwechslungen in Frankreich beispielsweise.
Über die Pyrenäen ist es noch ganz nett, aber selbst da käme man selbst auf der Originalroute Napoleon noch mit schmalen
Reifen fahrend drüber, da bis hinauf alles geteert.
Bis Pamplona dann wellige Vorpyrenäenlandschaft auf einfachen Feldwegen, oftmals zu Tode geplättelt mit Beton und Steinplatten von den Touristikern.
Hinüber über den Alto de Perdon (Windräder-Kette) ins Rioja-Gebiet. Steil, aber komplett fahrbar hinauf. Dann der oftmals als haarsträubende Abfahrtspiste bezeichnete Abstieg auf gerölligem Weg nach Obanos.
Für einen Wanderer mag das ein Kniekiller sein - ein Biker kommt da leicht runter.
Navarra löst jetzt in den ersten 3 Tagen keine extremen Hochgefühle aus, wenngleich die Landschaft sicher nicht als hässlich bezeichnet werden darf. Wüsste man zu diesem Zeitpunkt schon, was einen in der Meseta 2 Tage später erwartet, dann würde man die Navarra wohl als Paradies bezeichnen. Aber man ist ja verwöhnt als reisender Biker und so speichert man die Tage bis Logrono eher als landschaftlich "ganz nett" ab.
Was dann aber gleich hinter Navarrete passiert, hätte man doch nicht zu alpträumen gewagt. Die Landschaft wird flacher, monotoner, endlose Weizenfelder und der teils schnurgerade Weg (oft eine Kiesautobahn) zieht sich stellenweise parallel zu Fernlaststrassenverkehr dahin. Zumindest letzteres ist komplett unverständlich, denn man muss nur allein den Kopf ein wenig drehen, dann sieht man in einiger Entfernung mindestens genauso spannende Feldwege, die in gebührendem Abstand zu den Schnellstraßen das Ziel genausogut ansteuern würden.
Für die "innere Einkehr" eines Fußpilgers mögen diese Abschnitte sehr gut geeignet sein, verbunden mit der sich über die Tage endlos aufstauenden Leidensfähigkeit angesichts der Lastwagenkolonnen zu seiner Seite, wird sich ihm die Frage nach dem "Sinn" des Ganzen im Hier und Jetzt sicher ganz oft stellen und daraus ableitend sicher auch die Frage nach der Existenz als solcher.
Als Mountainbiker, der solch tiefgründigen Überlegungen dann doch eher nicht auf seinem Sportgerät nachhängt, sind diese Streckenabschnitte leider nur eine vertane Chance.
Vertane Chancen, schönere Wege zu fahren, die es hier auch gibt, die aber leider nicht als Jakobsweg markiert sind.
Wären nicht abends die pulsierenden spanischen Städte, man könnte suizidgefährdet werden. Was mich zum nächsten Kritikpunkt bringt.
Wer will freiwillig abends um 22 Uhr in einem Albergue eingeschlossen und kaserniert werden, wenn in Spanien erst um 23 Uhr gegessen wird und der Bär in den Gassen tanzt?
Mir ist schon völlig klar, dass Pilger nicht auf Ballermann-Halligalli aus sind und jeden Abend auf die Piste wollen. Aber einen Monat lang jeden Abend um 10 ins Bett zu gehen und somit einen wesentlichen Bestandteil der spanischen Kultur und des Gesellschaftslebens komplett auszusparen, das kann es eigentlich auch nicht sein.
Und um 8 Uhr in der Früh muss man dann wieder draussen sein.
Nun, wir haben die Albergues in den Städten gemieden und sind in billige Hostals. Pamplona, Logrono, Burgos und Leon sind jede Abendminute wert - Momente der stillen Einkehr gibt's ansonsten unterwegs noch zuhauf.
Von Santo Domingo de la Calzada über Burgos, Fromista, Sahagun, Leon bis nach Astorga dann die endlos scheinende Meseta, eine platte Hochebene auf 1000 Meter, die landschaftlich so gar keine Abwechslung bringen mag. 40 Grad im Schatten - ohne Schatten. Brunnenwasser, eher nicht zu trinken! Wäre wenigstens der Camino als solcher ein steiniger. Aber nein, wo es einen EU-Euro auszugeben gab, haben ihn die Verantwortlichen in die "Verbesserung der Infrastruktur" gesteckt und in auffällig große Schilder, wo sie dies jedem weithin mitteilen.
In der kleinen Ermita S. Nicolás, wo italienische Hospitaleros aus Perugia ein sehenswertes Albergue betreiben, nach dem Alto de Mostelares durften wir in einem alten Bildband blättern und sahen darin den Camino, wie er noch vor zehn Jahren aussah: ein von Gräsern und Unkraut überwuchertes Weglein, das spärlich mit Steinchen gekennzeichnet und manchmal nur abenteuerlich zu bewältigen war. Heute steht nicht nur auf dem Alto de Mostelares eine "Pilgerraststätte" mit Bänken, Tischen und Dach, Gelegenheiten, das Rad abzustellen, das Pferd anzubinden uns sonst jedem erdenklichen Schnickschnack. Die "Abfahrt" von dort erfolgt auf einer 5 Meter breiten Autobahn, die spielend auch motorisierten Verkehr aufnehmen könnte.
Das alles ändert sich erst hinter Astorga wieder mit dem Anstieg zum Cruz de Hierro. Mit den Montes de León wird es wieder bergig, endlich bekommt das MTB eine Berechtigung. Das scheinen aber zumindest einige Fußwanderer anders zu sehen. Auf den letzten Kilometern bergauf zum Cruz de Hierro verläuft der Camino parallel zur geteerten Straße und ist von dieser sagen wir mal 3 Meter versetzt. Für einen Fußwanderer mag es wenig nachvollziehbar sein, warum ein Radfahrer auf so einem Abschnitt ausgerechnet darauf besteht, den Wanderweg zu fahren, zumal die Straße doch in "besserem" Zustand ist und exakt die gleichen Aussichten bietet. Das einzige "Aufeinanderprallen" mit Wanderern hatten wir auf diesem Abschnitt. Eine ältere Französin wollte partout nicht Platz machen und ein oakleybebrillter Deutscher meinte, uns belehrende Ratschläge auf spanisch erteilen zu müssen. In beiden Fällen boten wir keinen Anlass zu bösartigen Reaktionen. Wir machten von hinten kommend schon weit vorher auf uns aufmerksam, liessen den Überholten Zeit, eine geeignete "Ausweichbucht" aufzusuchen, ein freundiches "Buen Camino" und das wars dann.
Entschädigt wurden wir auf der Abfahrt nach El Acebo und, noch besser, auf dem Abschnitt von Riego de Ambrós nach Molinaseca, wo's richtig technisch und schwer auf dem Camino zur Sache ging. Da ging es mir zum erstenmal durch den Kopf, vielleicht doch den
Sattel abzusenken...
Es folgt das Bierzo und der Aufstieg nach O'Cebreiro.
Da das Valcarce nach Villafranca von der Autobahn beherrscht wird, sollte man sich die Fleissaufgabe des "Camino Duro" antun. Ein höllisch steiler Anstieg auf einen Höhenrücken, von wo aus man das Tal von oben entlangfährt. Zwar muss man wieder runter, aber die zusätzlichen Höhenmeter lohnen sich vor allem für konditionsstarke Biker ohne allzu viel schweres Gepäck. Die Abfahrt ist eher technisch einfach.
Ab Hospital beginnt dann der Anstieg nach O Cebreiro.
Etwa 1 km nach dem Ortsende zweigt der Camino von der geteerten Straße links ab. Markierungen auf dem Teer machen deutlich, dass Radfahrer der Straße folgen sollten. Dem kann ich nur zustimmen: das Stück bis La Faba ist auf dem Camino selbst für hartgesottene Biker eine ganz harte Nuss und nur mit Schiebestücken zu bewältigen.
Auch der zweite Teilabschnitt von La Faba bis nach La Laguna lässt sich als Radler leicht auf der wenig befahrenen Teerstraße leichter gestalten, wenngleich der Camino in diesem Bereich von einem guten Biker komplett durchgefahren werden kann (mit Rucksack wohlgemerkt). Auf dem dritten Abschnitt von La Laguna nach O Cebreiro hat der Camino nur noch eine bemerkenswerte Rampe zu bieten und ist ansonsten eher leicht. Der geteerte Fahrweg verläuft fast parallel dazu in Sichtweite. Ganz oben ist man erst auf dem Alto do Poio.
Die Abfahrt nach Triacastela ist eher leicht.
Von Triacastela nach Sarria lohnt es sich, die Variante über San Xil zu nehmen, da abwechslungsreicher und nicht parallel zur Talstraße auf einer Pilgerautobahn.
Von Sarria dann galizisches Auf und Nieder bis Portomarin - man fühlt sich etwas an den Schwarzwald erinnert.
Auf dem Reststück über Palas de Rei, Melide, Arzúa und Santiago de Compostella dann wieder weniger einprägsame Abschnitte. Man könnte dieses Stück an einem Tag fahren, wir haben es aber in Arzúa aufgeteilt, so dass zwei Halbetappen dabei herausgekommen sind.
Nach einem Ruhetag in Santiago haben wir die finale Etappe nach Finisterre ganz ausgeruht an einem Tag gemacht und da auch eine Erfahrung mit einem Köter gehabt. Es hat uns glücklicherweise nur eine Socke gekostet. Meine Meinung: In Finisterre muss man nicht gewesen sein. Es ist nicht das Ende der Welt, es ist nicht der westlichste Punkt des europäischen Festlands und es ist schon gar nicht das Ende einer Pilgerfahrt, wenngleich sich einige Vertreter dieser Spezies angesichts der Weiten des Ozeans Mühe geben, feierlich durch Hinterlassen ihrer Schuhe oder Verbrennen symbolischer Gegenstände einen Teil ihres Daseins förmlich der Vergangenheit zu übergeben.
Fazit: Den Jakobsweg sollte man nicht wegen der fahrtechnischen oder sportlichen Herausforderung machen. Da gibt es um Welten bessere Wege.
Man sollte ihn auch nicht wegen der landschaftlichen Eindrücke machen. Auch in diesem Punkt hat selbst Spanien viel Besseres zu bieten (beispielsweise die Ruta de la Plata oder die Pyrenäen-Durchquerung).
Aus dem folgt: Der Camino de Santiago ist kein Mountainbike-Weg, weil er die Bedürfnisse und Anforderungen ans Mountainbiken praktisch nicht erfüllt.
Trotzdem kann man ihn, wenn man will, mit dem Rad machen und auch mit dem MTB. Wer aber Biken will, sollte woanders hin.
Der Jakobsweg ist vor allem eine Selbsterfahrung, zu Fuß sehr viel mehr als auf dem Rad.
Irgendetwas lehrt er einen.
Mich beispielsweise, weniger zynisch zu sein.
Ich werd ihn wohl nochmal machen müssen.

Dann aber auf dem Camino del Norte.