Winterbiwak Silvester 2024
Seit langer Zeit wurde tatsächlich ein frostiger Jahreswechsel angekündigt, das klang nach einer Tour ohne Schlammpackung. Also Sachen für zwei Tage gepackt und auf nach Liberec.
Da die genauen Schneeverhältnisse aus der Ferne nicht zu ermitteln waren, lautete die Parole, die Wolkendecke zu durchdringen und die Bergwelt vor Ort in Augenschein zu nehmen. Erstes Ziel war der Jeschken.
Die Marscherleichterung bestand darin, die Straße hoch zu fahren. Ab dem Parkplatz liefen wahre Prozessionen von Leuten dem Lichte entgegen. Nicht zu unrecht, wie man sieht:
Über dem Wolkenmeer:
Leider hatte der Imbiß geschlossen, so dass ich bald in nördlicher Richtung auf dem Kammweg den Downhill anging. Das erwies als äußerst schlüpfrige Angelegenheit, da zahllose Wanderer den Schnee regelrecht glattpoliert hatten. Die
Reifen konnten kaum Grip generieren, und ich erfand spontan den innovativen
5.10 two foot groundtouch tire slide. Ohne Witze, ich bin regelrecht auf den Sohlen hinuntergeschlittert, konnte nur kurze Stücken rollen, wo der Rand noch nicht endgültig festgetrampelt und schuhsohlenpoliert war.
Die sogenanten Winterschuhe der Kalifornier sind nicht nur nicht mangelhaft isoliert, sondern auch ordentlich rutschig auf dem Schnee. Die Wintertauglichkeit ergibt sich dadurch, dass die Schuhe mittlerweile so breitgelatscht sind, dass der Fuß mit dicken Merino-Plüschsocken hineinpasst.
Ab dem Paß wurde es schlagartig ruhiger, ich rolle auf einsamen Forstwegen in den Wolken durch den endlosen Fichtenforst:
Der Chinaböller wird angeworfen. Die Wegverhältnisse waren dank der nur dünnen Schneeauflage und dem gefrorenen Boden sehr brauchbar.
Da ist sie auch schon die Rasthütte mit dem „hidden feature“: ein winziger Spitzboden mit Leiter, der vom Weg aus nicht zu sehen ist.
Dort beziehe ich Quartier, bereite alles für die Nacht vor und dann fahre ich zu einer Quelle Wasser holen.
Da es zurück zur Hütte bergauf geht, bin ich wieder gut aufgewärmt und packe gleich den Kocher aus. Das ist diesmal nichts lavedes aus Bierdosen oder so, sondern ein solider Mehrbrennstoffkocher, der heuer mit Benzin befeuert wird. Da ist die Thermoskanne schnell mit heißem Wasser gefüllt und die Nudeln dampfen auf dem Tisch.
Der Spitzboden ist grenzwertig eng, man kriecht zwangsläufig vorwärts hinein und muss dann den Yogi in sich entdecken, um die Nasen nach vorn an die frische Luft zu bringen. Der Spaß steigert sich, wenn man nachts gelben Schnee erzeugen will. In der Nebelsuppe ist es überdies feuchtkalt, alles ist irgendwann mit Rauhreif überzogen:
So sieht dann der Rest Wasser aus, der nicht in die Thermoskanne gepasst hat:
Da fällt die Entscheidung nicht schwer, unter die Wolkendecke zu gelangen und eine solide Boofe anzusteuern.
Es geht schier endlos durch einsamen Zauberwald:
Ja, die Natur ist ein wahrer Objektkünstler:
In den Hohlwegen muss man penibel auf gefrorenes Wasser achten, das sich da gesammelt, hat, aber insgesamt lässt es sich ganz passabel rollen.
Über endlose Dorfstraßen, durch eine komplett überpuderte Landschaft, erreiche ich Lemberk. Wie oft ich an den Hinweisschildern zu dem Schloß vorbeigefahren bin, kann ich kaum zählen. Heute bin ich da:
Da gibt es sogar einen netten Schloßtrail, aber da hat selbst die Actioncam vor der Kälte kapituliert. Im Ort finde ich nicht nur die Basilika zum Heiligen Irgendwas unversehrt vor,
sondern entdecke eine gemütliche Bäckerfiliale. Sorry folks, der Hunger war zu groß, kein klassisches „Food Pic“:
Da man ja in der Boofe jederzeit mit Gästen rechnen muss, wird der Silvesterabend vorstrukturiert:
Wieviel Rauhreif passt auf Bäume? Antwort: Ja.
Am zeitigen Nachmittag erreiche ich das legendäre Bärencamp. Da sind ausnahmweise mal junge Leute beschäftigt, ein fröhliches Campleben zu gestalten:
Die Freude steigert sich, als mir ein frisches Helles von Faß kredenzt wird:
Da haben die Jungs tatsächlich, mit Hilfe eines starken Astes, zu zweit ein 15-Liter-Edelstahlbierfaß ins Camp geschleppt.
So entwickelt sich der Abend, mit Gesprächen über dies und das, mit allen Sprachfetzen in Tschechisch, Deutsch und Englisch, die uns einfallen. Mitternacht holen die auch eine Flasche Sekt aus dem Rucksack und wir begrüßen das neue Jahr. Nicht lange, und ich verziehe mich in einen hinteren Winkel der weiträumigen Boofe, während am Lagerfeuer noch eine Weile die Klampfe bearbeitet wird. Ja, es geht auch ohne Bassbox, das ist eben Tschechien.
So sieht es dann am Morgen aus:
Nach und nach erwachen die müden Helden, ich bin schon am Packen und steuere bald den nächsten gößeren Bahnhof an.
Es geht nochmal durch eine traumhafte Winterlandschaft. Kurz vor Česká Lípa lasse ich mir es nicht nehmen, meinen Neujahrsvorsatz „Mehr Biken!“ an der kleinen Schwester der Singltreks (
https://ceskalipa.singltrek.cz/de) direkt umzusetzen. Pumptrack mit Rucksack? Das ist Oberschenkeltraining, Leute! Man glaubt gar nicht, wie schnell und doll man im Winter schwitzen kann, Zwinkersmiley!
Da hängen wir auch schon im Zug ab, das Enduro und ich:
Das war diesmal kein bildgewaltiger Epos, bei der Kälte sank die Knisplust drastisch. Dann war ständig der Akku der gebraucht erworbenen Actioncam leer, und das, was ich da zusammenfegen konnte, wollte die Forumssoftware nicht verdauen.
Verglichen mit anderen Jahren, war das jedoch eine optisch beeindruckende Tour durch eine verzauberte Landschaft, und ich kam mit einem faktisch sauberen Rad wieder zu Hause an, dank des durchgehenden Frostes.
ride on!
tanztee