.._./\_/\/\__/\... Classic Transalp 2022 .../\__/\/\_/\._..

Tag 2
Landeck - St. Anton - Verwalltal - Galtür - Ischgl - Bodenalpe

79,5 km 2.299 hm
„Kenne mer nit, bruche mer nit, fott domet.“



Strecke und Profil, höchster Punkt: Die Heilbronner Hütte auf 2.300 Metern.


Guten morgen Landeck. Jeder hat mal nen schlechten Tag, was?

Am nächsten morgen sah das Wetter nicht mehr so gut aus. Verhangen begrüßte uns Landeck und zeigt an, es könnte etwas nass werden heute. Aber nun gut erstmal mussten wir uns wieder um das schöne Trek 930 kümmern. Beim Frühstück ging die Fragerei rum: Wissen Sie wem das Rad im Radkeller gehört? Dieses alte? Keiner wusste was. Und so nutzen wir die Regenphase für eine Harakiri Aktion.

Die Zutaten: ein fehlendes kleines Kettenblatt, eine Kompakt-STX-Kurbel an einem fremden Rad und ein 20-EUR Schein. Der Plan: In meinen Kurbeln steckte eine Kurbelschraube mit integriertem Kurbelabzieher. Diese dazu nutzen, die alten Kurbeln vom TREK runterzuwuchten, Lucas Kurbel ebenfalls runter und dann auf Lucas Rad montieren. Umschlag mit 20 EUR ans TREK kleben mit einer kleinen Erklärung, dass die Kurbel in 2 Wochen wieder da ist. Ganz schön abenteuerlich und natürlich ging es nicht gut. Die linke Kurbel bekamen wir gerade so runter, aber die rechte bewegte sich keinen mm. Und der Kurbelabzieher war aus Titan, also nicht gerade von der Sorte „Dich-krieg-ich-schon-runter“. Irgendwann hatten wir es aufgegeben. Das Schild im Frühstücksraum war wohl kein gutes Omen: „Iss dich fit aber nimm nichts mit“…


Der Asphalt ist noch nass… erstmal KM schrubben.


Erster Snack. Vom Rennsteig wissen wir ja: rechtzeitig essen!

Der Regen verkroch sich und mit dem Regen auch der Unmut über dieses missglückte Projekt. Wir radelten los raus aus Landeck und es ging erstmal 30km über eine Asphaltstraße und dann weiter auf Radwegen im Tal stetig hinauf nach St. Anton am Arlberg. Bis auf etwas Kletterei über Baumstämme auf gesperrten Wegen gab es nichts besonders - bis auf die regelmäßiger werdenden Flüche von Lucas ob des fehlenden Kettenblattes. Ja es war auch mal steil. ;-)


Einfahrt nach St. Anton

In St. Anton angekommen starteten wir einen weiteren Versuch in einem Radgeschäft. Aber die Familien, die mit E-Leihbikes für alle aus dem Laden kamen, machten uns wenig Hoffnung. Die Reaktion des Technikers war dann auch entsprechend: „Seids ihr WAHNSINNIG? Mit diesen Rädern über die Alpen? Wenn euch da oben eine Speiche reißt, seids verloren!“. Ah ja danke. Interessant, dass man mit einem modernen Rad bei einem Speichenbruch weniger verloren ist. Ich glaube das wechseln einer Speiche in einem System-LRS ist durchaus anspruchsvoller als bei einem klassisch eingespeichten Standard-LR.


Warten auf gute Nachrichten aus dem Bike-Shop…

Immerhin hatte der ungläubige Schrauber einen old-school Kurbelabzieher mit dem Lucas zumindest die Kurbel einmal richtig abziehen und das lockere Kettenblatt rausnehmen konnte. Aber so langsam dämmerte es uns und Lucas, dass er wohl oder übel erstmal so weiterfahren muss.


Es muss weitergehen. Lucas Altitude links mit 18 Gängen. 32/32.

Nach Stärkung in form des zweiten Frühstücks fuhren wir aus St. Anton hinaus Richtung Heilbronner Hütte. Und was soll ich sagen? Okay zuerst natürlich: Es war am Anfang ziemlich steil: Bis zu 16%. Gut ich mit meiner 20/32 Übersetzung konnte da langsam aber gemütlich hochkurbeln.


Schöner See oberhalb von St. Anton.

Und dann war es auf einmal da. Das Bilderbuch-Panorama, das wir alle mit einer Transalp verbinden.


Hey, die E-Bikerin mit Kinderanhänger hängen wir ab, oder?

Das Panorama, die Wege, die Natur. Bilder aus denen die Träume aller derer sind, die gern abseits der Straßen unterwegs sind.


Alpenidylle

Zur Heilbronner Hütte hinauf (übrigens unser höchster Punkt des Tages mit knapp 2.300 Meter ü.N.N. grinste die Sonne mit uns um die Wette und die positive Wetterentwicklung brachte uns dazu öfter anzuhalten, den Moment zu genießen und auch mal ein Halbbad im Gebirgsbach neben dem Weg zu nehmen. Perfekte Transalp-Momente.


Wer ein Altitude fährt muss hoch hinaus, Ehrensache!


Kühles Nass! So haben wir uns das vorgestellt.


Die Räder gönnen sich eine Pause - wir uns auch!


Die Classic-Biker waren den Fully-Feder-Scheiben-Fahrern mal wieder zu schnell… har har: Lucas schaut zufrieden auf die Nachzügler


Durchblutungsfördernd!

Kurz vor der Heilbronner Hütte zog es sich dann leider etwas zu. Nach den letzten anstrengenden Metern hinauf gönnten wir uns eine Suppe und eine Spaghetti Bolognese. Eigentlich stand uns der Sinn eher nach Schnitzel, aber wir wählten das Carbo-Loading. Eine gute Entscheidung.

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Die Heilbronner Hütte im Blick. Man erahnt schon den Wetterumschwung. OK, eigentlich sieht man es sogar ziemlich gut kommen ;)

Mit besorgtem Blick hin und her wandernd zwischen den dunkler werdenden Wolken und der Uhr (die Bolo dauerte wirklich ewig) quatschten wir etwas mit einem deutlich älteren Einheimischen, der mehrmals die Woche mit dem Rad zur Heilbronner Hütte fuhr und hier oben noch etwas wandern ging. Der neue heiße Scheiß. Erst mit dem Rad hoch und dann noch zu Fuß auf den Gipfel. Ob er denn ganz allein sei wollten wir wissen. Nein nein, er war mit seiner Frau unterwegs aber hatte sie auf dem Weg rauf abgehängt und würde nun nach einer Stunde Schnitzel-Bier-Schnaps-Pause auf der Hütte mal nach ihr sehen gehen. Draußen regnete es wie gesagt mittlerweile schon ordentlich. Ich glaube das Motto „Happy Wife, happy life“ ist noch nicht bis zu ihm vorgedrungen :D


Auf dem Weg zur Heilbronner Hütte. Leider das letzte On-The-Road-Foto - das Wetter ließ die Kamera dann in den Rucksack wandern. Dafür aber ein sehr schönes >> Ich bekomme schon wieder Fernweh!

Nachdem wir endlich wieder gestärkt waren, machten wir uns auf. Wir mussten alles anziehen, was es gab: Beinlinge, Armlinge, Mütze, Halskrause, lange Handschuhe, Regenjacke. Denn mittlerweile regnete es amtlich. Die Strecke bergab nach Ischgl muss grandios sein. Breit ausgebaut kann man es richtig rollen lassen. Muss. Denn wir bekamen davon nicht viel mit. Regen, 5 Grad und dunkle Wolken ließen uns schnell aber frierend Richtung Tal rasen. Dummerweise fing es auch noch an zu donnern und zu blitzen. Mist!

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Doch noch ein paar Fotos auf dem Handy gefunden und von Lucas beigesteuert: Abfahrt von der Heilbronner Hütte. Sieht eigentlich ganz schön aus, wars aber nicht ;)

Daher entschieden wir uns, nicht den eigentlichen Trail Richtung Galtür zu nehmen, sondern auf dem breiten Weg schneller voranzukommen. Okay, es war schneller, dafür rauschten wir aber einige Höhenmeter zu tief runter zu einem Stausee. Dort stellten wir uns erstmal unter, um dann aber zu entscheiden auch im Regen weiterzufahren und nicht zu kalt zu werden (Murphys Law: Nach 20 Minuten frieren an einem Stausee-Gebäude fuhren wir 20 meter weiter, um zu sehen, dass es dort ein Cafe gab. Manchmal kommt zu fehlendem Glück auch noch Pech dazu…).

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Vergebliches Warten auf Besserung - an einem Stausee nahe Galtür frieren wir uns den Ar*** ab.

Zu weit abfahren bedeutet natürlich Gegenanstieg. Da tröstete es auch nicht, dass wir diesen auf Asphalt fahren konnten. Das Wasser lief die Straße hinunter, das Gewitter wütete zwar in sicherer Entfernung aber trotzdem bedrohlich und wir kämpften uns gegen die Naturgewalten nach Galtür. Am ersten Bauernhof von Galtür musste ich „HAAALT“ rufen. Lucas meinte schon, dass seine Bremse überhaupt nicht mehr gut bremste und auch meine Brems-/Felgenkombi hörte sich nicht gut an. Ein Blick auf die Beläge erklärte das: KOMPLETT runter. Neue Beläge waren schnell montiert, aber ich machte mir sorgen: Was, wenn das so weitergeht? Dann brauche ich auf der Tour 10 Beläge! Ingo und Willi waren mir ihren Scheibenbremsrädern natürlich erstmal fein raus und Lucas fuhr anscheinend so uralte Beläge, die waren schön hart und verschleissten weniger schnell.

Es war spät und wir versuchten zügig nach Ischgl zu kommen. Das ging auch recht schnell aber von dort ging es nochmal 500HM nach oben Richtung Bodenalpe. Es regnete zum Glück nicht mehr, aber der Anstieg zog und zog sich. Lucas schien voll mit Adrenalin zu sein, denn man merkte 0,0, dass ihm ein kleines Kettenblatt fehlte. Fupp, fupp, fupp: bei 60 U/Min fährt man halt einfach schneller den Berg rauf. Ein echtes Tier.

Kurz vor sieben erreichten wir endlich die Bodenalpe. Wir waren zumindest an den Füßen und Beinen vollkommen durchnässt. Wie soll das nur gut gehen??

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Auf dem Weg zur Bodenalpe - die Skilifte von Ischgl liegen hinter uns und es regnet nicht mehr - Gottseidank!

Aber die Bodenalpe ist ein absoluter Glücksfall für frierende, nasse Biker: Eine Garage für die Bikes, Wasserschlauch zum groben reinigen (damit der Sand der Abfahrten uns in den nächsten Tagen nicht zu viele Defekte bringt), ein TROCKENRAUM in dem wir alles (!) Sogar unsere nassen Schuhe bis zum nächsten morgen perfekt trocken bekamen, heiße Duschen und ein extra für uns nach hinten verschobenes Abendessen. Was? Wiener Schnitzel (und andere Leckereien) natürlich. Alles richtig gemacht.


So sieht ein glücklicher Ingo aus! Wiener Schnitzel in der Bodenalpe.


Aftermath eines Regentages: Alles muss zum Trocknen in den 30 Grad warmen Heizungsraum. DANKE Bodenalpe! Ach ja, die Rum Cola musste sein.


Wir richten noch schnell das verbogene Syncros Kettenblatt - wer weiss, vielleicht fallen ja irgendwo ein paar Schrauben vom Himmel.

Völlig fertig fielen wir früh ins Bett.
 
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Danke Johannes für deine Mühen, uns mit deinen ausführlichen Zeilen und schönen Bildern so toll zu unterhalten!
Wie schaffst du das, nach so langer Zeit den Tourablauf noch einigermaßen vollständig abzurufen? Waren deine Zeilen schon irgendwo vorbereitet?
 
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Noch besser, Armin! Damit ich ausreichend Gedächtnisstützen habe, haben wir am finalen Abend in Torbole bei einigen Flaschen Wein 1 1/2 Stunden lang noch einmal chronologisch über die Tour gequatscht. Vieles muss ich natürlich zensieren:D aber es ist eine großartige Hilfe. Und beim anhören hab ich immer ein Grinsen im Gesicht.
 
...was sind denn das für Vögel? Diese Sitzecke kommt mir irgendwie bekannt vor. September 2023?

Schlechtes Werbeplakat für Altenauer Urstoff?
 
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Tag 3
Bodenalpe - Fimberpass - Scuol - Passo de Costainas - Tschierv

63 km / 2.060 HM
„Et bliev nix wie et wor.“



Strecke und Profil. Heute gehts auf den höchsten Punkt der Transalp!


Nach dem gestrigen Tag waren wir ganz schön gespannt. In mehrfacher Hinsicht. Wie wird es mit dem Wetter weitergehen? Werden die Strapazen des zweiten Tages ihren Tribut fordern? Was ist mit Lucas Bike? Was werden unsere alten Drahtesel zur ersten Härteprüfung sagen?

Aber bevor wir uns den Kopf zerbrechen, ist erstmal wieder Energie nachladen angesagt. Mittlerweile schon fast Ritual: Brötchen mit Nutella/Marmelade/*, Müsli, Obst und einen starken Kaffee brauchen wir, um uns für den Tag zu rüsten.


Ruhig und einsam liegt es da - das Fimbertal am Morgen. Im Schatten fahren wir bei 6 Grad los. Doch der Blick zum Himmel lässt uns nicht frieren - es wird grandios!



Postkartenmotiv 1

Die wichtigste Nachricht des Tages lautet: Das Wetter ist gut! Keine Wolke am Himmel - das lässt uns fast Purzelbäume schlagen! Das Fimbatal liegt gespenstisch ruhig und kühl vor uns als wir uns wieder auf die Räder schwingen. Direkt zu Beginn liegt der Anstieg zum Fimberpass vor uns. Zunächst geht es das Fimbatal hinauf, Transalp-Romantik pur. Ein Postkartenmotiv reiht sich an das nächste. Wir können uns nicht satt sehen an den Wiesen, Felsen, dem Mond, der mahnend am Himmel steht und den unzähligen Blümchen, die die Wege säumen.



Stein der Weisen - noch knappe 5 km bis zur Heidelberger Hütte.


Postkartenmotiv 2 - Transalp at its best!


Die Sonne kommt raus und Ingo strahlt!

Eins um andere mal muss ich anhalten, um Fotos zu schießen. Dabei hat der beeindruckendste Teil des Tages noch gar nicht begonnen.


Lucas kurbelt. Mittleres Blatt, weisste Bescheid.


Postkartenmotiv 3 - Wer findet die Alpencrosser?

An der Heidelberger Hütte angekommen, die völlig verlassen wirkt, verdrücken wir unser zweites Frühstück. Ab jetzt müssen wir für 1-2km schieben. Steil schlängelt sich der Wanderweg nach oben und lässt weder Platz noch Grip fürs pedalieren. Lucas und ich können mit unseren 9-10kg Bikes gut lachen, ich will mir gar nicht vorstellen, da ein 15kg Fully oder gar ein E-Bike hochzuwuchten.


Die Heidelberger Hütte - und ein paar Wegenutzern, denen wir lieber Platz machen.


Der Mond beglückwünscht uns zu diesem Tag!
Irgendwann können wir wieder in die Pedale treten und schaffen die restlichen Höhenmeter auf 2.608m hinauf. Unser höchster Punkt der Transalp: Der Fimberpass!


Rocky Mountain. Doppelt.



Alle oben! Und Mark ist auch dabei.

Hier oben holen wir auch einen anderen Biker ein, der vor uns von der Bodenalpe gestartet war. Da er uns aber dankbarerweise noch das ein oder andere Brötchen vom seinem Brötchenkorb überlassen hatte, sind wir nicht so gemein ihn damit aufzuziehen. Im Gegenteil, unseren Respekt hat er sicher: Sein Kumpel hatte kurzfristig abgesagt aber er geht das Projekt Transalp trotzdem an. Allein. Zum ersten mal.


Da geht es runter Richtung Scuol. Der anspruchsvollste und auch mit der schönste Teil. Ein Highlight in jeder Hinsicht!

Nun ist die Stunde der Wahrheit gekommen. Material? Check. Die Bikes sehen aus als wollten sie endlich von der Leine gelassen werden. Und aus dem Augenwinkel sehe ich Lucas Alu-Starrgabel fies zwinkern, als wüsste sie, dass sie heute die Aufgabe des Handgelenkschmeichlers übernehmen dürfte.


Ingo und Lucas (weiter oben) fahren, unser Freund von der Bodenalpe schiebt.

Das hier oben ist hochalpines Gelände, wie man sich das vorstellt. Nichts vergleichbares haben wir bisher unter unsere Räder genommen. Der Harz - unser natürliches Revier - oder der Rennsteig haben technisch nicht unanspruchsvolle Passagen, ohne Frage. Aber das hier haut dem Fass den Boden aus. Loses Geröll wohin man sieht, hunderte Meter Abhang neben dem Trail und das über viele Kilometer. Auf den ersten zwei Kilometern vernichten wir fast 400 Höhenmeter. Und es ist kein Ende in Sicht.


Lucas vorbei an Willi. Schieben erlaubt. Zumindest für die Fahrer mit Federung :)

Ich fahre mich in einen Rausch. Es läuft - ein Tanz auf der Rasierklinge. Anhalten ist manchmal nicht, dafür ist es stellenweise einfach zu steil, man muss seine Linie weitsichtig suchen und das ganze Technik-Repertoire auspacken. Gut für uns Klassikerfahrer. Ich bin nie andere MTBs als bis 1994 gefahren. Fast nie mit Federgabel. Was heute als Gravel ein Revival erlebt, funktioniert so auch auf über 2.500m. Die Zutaten: Gut eingestellte Bremsen, vernünftige Reifen, Fokus, Geschwindigkeit und ein bisschen wohldosierten Wahnsinn.

Achtung, dieses Video kann Spuren von Wahnsinn enthalten...



Atemberaubendes Panorama. Immer wieder halten wir an, um die Landschaft in uns aufzusaugen.

Dass geringere Geschwindigkeit manchmal zum Problem werden kann, muss Lucas auf einem Teilstück leider schmerzhaft erfahren. Ein gekonnter Abgang über den Lenker bringt glücklicherweise nur eine Schürfwunde am Bein. Die Idee am Gipfel die Langfingerhandschuhe anzuziehen, auch wenn das wettertechnisch nicht nötig gewesen wäre, war nicht so blöde.


Lucas banger Blick Richtung rechter Unterschenkel.


Aua.

Lucas ist hart im Nehmen und so geht es für uns nach einem kurzen Schrecken und einer Bandage weiter hinunter Richtung Scuol. Nach dem gerölligen Teil geht es deutlich flowiger gen Tal und das Lächeln wird uns in die Gesichter gemeißelt.



Fast geschafft!


Das Trailende (fast). Ingo fegt den Rest hinunter.


Kurz vor Scuol hat sich mein Vertex eine Pause verdient. Spätestens hier haben sich die 800gr Reifen (ja pro Stück) bezahlt gemacht.

Scuol empfängt uns zur Mittagszeit. Ein letztes mal versuchen wir uns an einem Radgeschäft. Lange Kurbelschrauben für Lucas? Keine Chance. Dafür laden wir Schläuche für 12 SFr das Stück (Willi hatte schlauerweise die Schläuche vom Stadtrad eingepackt. 26x1,2 har har) und Ersatz für die auf der Abfahrt nach Galtür verbratenen Bremsbeläge zu 19,80 Sfr nach. Ja, wir sind in der Schweiz. Aber mit langen Kettenblattschrauben für Lucas Kurbel können Sie hier auch nicht helfen. Kleinere Besorgungen runden unseren Stopp ab: 4 Landjäger, eine Cola und Ein Brötchen (20 Sfr) und Desinfektionsmittel für Lucas Bein. Dann, mit einigen Kratern im Unterschenkel steht Lucas Entschluss fest: „Ich fahr das Ding so zu Ende“. Irre. Respekt, mein Freund!



Kirche in Scuol - Nice!

Nach Scuol geht es erst einmal an der malerischen Kirche vorbei durch einen Tunnel ins nächste Tal: Ordentlich arbeiten ist auf Asphalt erst einmal angesagt, bevor der Weg wieder in eine Schotterstrasse übergeht.


Der Einstieg ins Val S-charl.


Lucas ist gut gelaunt!

Wir fahren das Val S-charl hinauf. Trotz enger Schotterstrecke kommt uns ein zweimal der schweizerische Postbus entgegen oder überholt uns. Auch wenn Sie einem hier die letzten Cent aus dem nicht-schweizer Geldbeutel ziehen, Infrastruktur können sie, die Eidgenossen. Der Postbus fährt bis in den letzten Winkel der Schweiz, so auch hinauf bis zur allerletzten Hütte vor dem nächsten Pass: Der Pass de Costainas ist nicht so schwierig wie der Fimberpass, aber gerade im oberen Stück muss man auch schon fahren können.


Auf dem Weg zum Pass de Costainas.


Selbst in der letzten Hütte hält der Postbus.


Es könnte nicht schöner sein!

Aber zunächst holt uns kurz vor dem Gipfel unsere Schattengruppe ein: fünf bis sechs E-Biker brettern auf ähnlicher Route wie wir über die Alpen. Und 50m vor dem Gipfel fährt einer im Turbo-Modus noch schön an uns vorbei, um uns oben erstaunt zu fragen, ob wir hier raus GEFAHREN seien und das nicht anstrengend sei. Ein Blick auf die stattlichen Bäuche der Fahrer lässt uns nur achselzuckend den Entschluss fassen möglichst bald die Talfahrt aufzunehmen. Wir tauschen kurz unsere Routen aus, wobei die E-Bike Fraktion bei unseren persönlichen Highlights abwinkt: Fimberpass? Da können wir nicht fahren. Echt jetzt? Und wozu das dann? Über Forstwege kann ich auch im Düsseldorfer Stadtwald brettern. Naja.



Pass de Costainas. Check.



Beste Sicht und atemberaubendes Panorama lassen alle Anstrengungen vergessen. Instantan.



Mischung aus platt und glücklich.

Während wir uns weiter über diese Art der Alpenquerung wundern, brechen die E-Biker auf. Wir genießen die Ruhe noch ein wenig und fahren dann auch ab, lassen jedoch extra etwas Abstand, um auf gar keinen Fall auf die Truppe aufzufahren, aber nach wenigen Metern weiss ich, warum die Kollegen sowas wie den Fimberpass nicht fahren können: Ich brettere ein steileres Stück neben einem schiebenden E-Biker hinunter. Tut gut. Weniger für ihn, der sichtlich Mühe hat sein 25+kg Ross im Zaum zu halten.

Nach der Hälfte der Abfahrt haben wir die Truppe komplett geschluckt. Die restlichen km können wir locker nach Tschierv rollen, unser heutiges Etappenziel.


Kurz vor Tschierv wird es wieder waldiger.

Wir sind immer noch ganz geflasht von diesem Tag. Definitiv zu viel für unsere Eindrückegedächtnis. Zurück auf den Boden holen uns dann wieder der lockere Wirt mit seinem 100K Audi-E-Tron und die Preise zum Abendessen im Hotel. Von der Kostenseite her sind wir tatsächlich froh, dass wir morgen schon relativ früh wieder in Italien sind.

Gute Nacht… ich glaub ich hör den Wirt noch fröhlich Franken zählen…
 
Die Fotos sind wirklich sehr, sehr geil und lassen ein wenig Neid aufkommen.
Und schön geschrieben ist es eh! Dank für deine Mühen, das Erlebte so interessant, fesselnd und anschaulich darzustellen.
 
Vollsten Respekt, Jungens.

Ich bin den Fimber-Pass bereits ein gutes halbes Dutzend mal mit meinem übelst gepimpten ´05er Stevens Fullie runtergebrettert, aber mit nem ungefederten Bike ohne Scheibenbremsen, dafür mit nem Vorbau der mindestens so lang ist wie das Spähgerät von Long Dong Silver, das ist schon was für ganze Kerle :daumen:

Supercooler Reisebericht, hab ihn gerade erst verschlungen :love:
 
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Supie 👌
Danke für die Fortsetzung.... liest sich gut und spannend
Macht Lust auf habenwill 😍
Guten Start im 2023

Vollsten Respekt, Jungens.

Ich bin den Fimber-Pass bereits ein gutes halbes Dutzend mal mit meinem übelst gepimpten ´05er Stevens Fullie runtergebrettert, aber mit nem ungefederten Bike ohne Scheibenbremsen, dafür mit nem Vorbau der mindestens so lang ist wie das Spähgerät von Long Dong Silver, das ist schon was für ganze Kerle :daumen:

Supercooler Reisebericht, hab ihn gerade erst verschlungen :love:

Danke euch beiden! Man muss einschränkenderweise natürlich sagen, dass wir mit unseren Kisten deutlich langsamer bergab unterwegs waren als echte Cracks auf Downhill-Rädern. Davon haben wir übrigens keine gesehen - wahrscheinlich der größte Vorteil, wenn man am Sonntag und nicht am Samstag startet: Verdammt wenig Leute unterwegs!
 
Wirklich gut geschrieben und mit schönen Fotos bestückt. Das Downhill-Video finde ich auch gut gelungen. Das hat alles großen Respekt verdient. Zumindest das Interesse an einem Transalp ist nun auch bei mir geweckt. Dass ich dann im Nachgang die oft erwähnten Kurbelschrauben für Lucas beigesteuert habe, ging mir erst später auf.

Ach so... Um Missverständnisse zu vermeiden: Ich habe nach der Tour dann RF-Schrauben abgeliefert. ;-)
 
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Wir hatten sogar noch während der Tour überlegt uns Kurbelschrauben von @Jazzman1991 schicken zu lassen. Aber bei 120 EUR Transportkosten für Overnight und dann noch mehr Heck-Meck rund um die Zustellung, haben wir - oder eher Lucas - das Thema dann ab Scuol abgehakt. Hat ja auch so geklappt. Aber spätestens an Tag 5 gibt es dazu nochmal ne Episode ;-)
 
Tag 4
Tschierv - Val Mora - Grosio - Rifugio La Baita
91 km (+7), 2.100 HM (+700 HM)
"Et hätt noch emmer joot jejange."



Unsere Strecke des 4. Tages - hier fehlen noch 3-10km am Ende

In der Schweiz kann man echt gut schlafen. Alles tutti, das Abendessen lecker (und teuer), die Bikes sicher in der Bikegarage. Beste Voraussetzungen für Erholung. Der Wirt war bestimmt auch gut ausgeruht vom anstrengenden Abend. Geld zählen ist ja richtig Arbeit. Und da man hier direkt gern klare Verhältnisse schafft, begrüßt uns im Frühstücksraum ein Hinweisschild, dass jede für den nicht vor-Ort-Verzehr geschmierte Stulle 5 SFr kostet. Kurzzeitig hatte ich überlegt, das zu machen und eine 20cm dicke Stulle zu bauen, lächelnd 5 SFr auf den Tisch zu legen und zu gehen. Aber es gibt ja wichtigeres als die Leute zu ärgern, also schnell zu den Rädern, alles verstauen - den Verlust einer Ölflasche beklagen (der Fimberpass forderte halt so seine Tribute) und dann nix wie los. Denn heute wartet eine Hammer-Etappe auf uns. Knapp 100km und fast 3000 HM sind geplant.


Erstmal waren ein paar KM Radwege angesagt. Der Himmel bedeckt.

Die ersten Kilometer fuhren wir auf Radwegen im Val Müstair langsam Richtung Osten, um nach 6km in den knackigen Anstieg zum Hochplateau Val Mora in Richtung Süden einzudrehen.

Unser Wirt hatte zwar anerkennend die Landschaft vom Fimberpass und Pass de Costainas gewürdigt, aber gesagt heute werde es im Val Mora nochmal schöner. Dementsprechend waren wir natürlich gespannt.


Einstieg ins Val Mora.

Zuerst dachten wir nun gut, so ein asphaltierter Radweg in einem Nationalpark ist zwar landschaftlich schön, aber jetzt nicht so des Bikers Endgegner. Fussgänger, E-Biker, Hunde. Immerhin ging es bergauf ;-)

Aber einmal auf dem Hochplateau angekommen wussten wir, was unser netter Wirt meinte. Eine unwirkliche, schroffe, phantastische Landschaft begrüßte uns. Zu unserer Linken und Rechten türmten sich die Berge, das Tal war eine einzige grau-grüne Hölle. Der Weg war zunächst breit und gut fahrbar, es ging die ganze Zeit leicht bergab. So kurbelten wir uns in Kilometer für Kilometer weiter und gaben Gas.


Aufstieg im Val Mora. Endlich Schotter statt Asphalt.


Zur linken Hand wachsen bald die Berge steil empor


So kann man sich dran gewöhnen!


Pause im Val Mora


Kurzer Blick zurück - wir haben schon etliche HM hinter uns.


Mit der Zeit verengte sich das Tal weiter und der Weg wurde schmaler und rückte nah an den obligatorischen Talfluss. Ingo und Ich liessen es richtig krachen, im Renntempo fuhren wir wie im Tunnel. Ein wildes auf und Ab wie auf der Achterbahn - kurze knackige Anstiege, die man im Stehen wegdrücken konnte, komprimierende Senken und technisch knifflige Passagen. Bike-Himmel!


Grün-graue Faszination


Leider habe ich von diesem Teil nicht all viele Bilder, aber ein paar Videoaufnahmen ;-)



Am Schluss des Tals erwartete uns ein großer Stausee, der aber das Schicksal vieler Stauseen überall in Europa teilt: Fast leer. So wurden gar alte Befestigungen einstiger Siedlungen am Fuß des Stausees sichtbar. Nachdenklich fahren wir weiter um den Stausee - hier sind viele Ausflügler unterwegs und das Tal öffnet sich.


Willi und Lucas beim Überqueren einer der vielen Brücken


Stausee, ziemlich leer.


So leer, dass man sogar alte Befestigungen früherer Zeiten zu Gesicht bekommt


Das macht ganz schön nachdenklich

Wir sind übrigens in Italien! Das macht sich spätestens bemerkbar als wir kurz vor dem letzten 500 HM-Anstieg an einem Imbiss-Bus halt machen. „Due Espressi per favore“. „Due Euro“. Ja, definitiv nicht mehr in der Schweiz. Und damit meine ich nicht die Sprache.

Mit dem kurzen Koffein-Schock fahren wir weiter auf Schotter hinauf Richtung Passhöhe. Auf dem Weg zur Passhöhe müssen Lucas und Ich noch auf die beiden Mitstreiter warten und entschließen uns, unsere späte Mittagspause auf die letzte Almhütte vor dem Pass zu legen. Erschöpft lehnen wir unsere Räder an den Zaun und begrüßen einige Zeit später Ingo und Willi.


Wir kreuzen ein Asphaltband, biegen aber bald wieder auf Schotter ab. Beeindruckend: hier fahren selbst 6-jährige mit ihren Eltern auf dem Rad rauf. Chapeau!


Es läuft, Ingo ist gut drauf - wie gut werden wir nachher merken


Der letzte Anstieg zum höchsten Punkt der heutigen Tour wartet auf uns.


Endlos zieht sich der Anstieg…


Lucas und ich haben einen kleinen Vorsprung herausgefahren…


… und rasten erstmal an der letzten Hütte vor dem Gipfel.


Ingo und Willi kommen zur Verpflegung.


In der engen Hütte geht es wild zu. Eine Wandergruppe von 15-20 Italienern bevölkert den Nachbartisch, auf dem Tisch finden sich unzählige Weinfalschen und eine große Grappaflasche. Die wissen, wie man sich schindet. Wir bestellen Pasta und Cola und schlagen uns noch einmal die Bäuche voll, bevor es zum vermeintlich finalen Kraftakt kommt. Vorher aber genehmigen wir uns noch ein paar Schlücke aus der immer noch auf dem mittlerweile verlassenen Nachbartisch stehenden Riesenflasche Grappa. Lecker!



Vorfreude auf Kalorien!

Auf 2.300 Metern überqueren wir den höchsten Punkt für heute. Ab hier geht es erst einmal lange bergab. Brutaler Schotter wartet auf uns. Eine zwar nicht besonders technische aber material- und knochenbrechende Highspeed-Strecke. Und wen treffen wir hier oben wieder? Natürlich unsere E-Biker Freunde. Die berichten uns erstmal von einem 5m Absturz eines Mitfahrers im Val Mora - die haben ihre Kisten echt nicht im Griff. Mir ist immer noch völlig unverständlich, wie man ohne Techniktraining mit solchen Gefährten in den Alpen rumballern kann.



Letzte Begleiter auf dem Gipfel. Die konnte ich nicht abschütteln ;-)


Auf der Abfahrt muss Lucas mit seiner Alu-Starrgabel wieder arg leiden. Das Abfahrtsvideo lässt erahnen, wie seine Handgelenke protestieren - zum Glück ist er noch jung, und so entsteht das legendäre Foto vom E-Biker versägen.


Lucas zeigt den E-Bikern wie es geht. Mehr von der Abfahrt im Video…

Ab und zu gesellt sich ein kleiner Asphalt-Abschnitt zum groben Schotter, aber die Abfahrt bleibt bis ca. 10km vor Grosio schnell und hart. Dann gibt es zum Ausruhen nochmal 10km Asphalt bergab. Mit 40-60kmh flitzen wir ins Tal. Nur Ingo hat keinen Sinn zum Ausruhen und stocht kamikazehaft hinunter. In Grosio haben wir uns alle wohlbehalten wieder und holen im kleinen Supermarkt nochmal schnell ein paar Cola und ein Bier für Lucas. Wir sind alle ganz schön geschlaucht, von hier geht es aber doch nur noch ein paar Meter Richtung Le Prese.

Das Problem allerdings ist, dass es in Le Prese noch einmal 10km mit 1000 HM nach oben geht ins Rifugio La Baita, unserem heutigen Tagesziel auf 1.800 Metern Höhe. Ich wollte unbedingt noch einmal auf einer Hütte übernachten und nicht nur in Hotels im Tal. Doch nach 90km macht das nicht besonders viel Lust. So ist der Entschluss schnell gefasst: Wir lassen uns in La Prese abholen. Das Problem nur: Der Transfer kann nur bis ins letzte Dorf am Berg erfolgen, von da sind es noch einmal ca. 3km und 300 HM bis zum Rifugio. Okay, aber so sparen wir uns immerhin 700HM.

Auf dem Weg nach La Prese gondeln wir mit leichter Steigung auf Radwegen dahin. Wir wollen alle nur noch ankommen, es ist bereits kurz vor 18 Uhr. Zwei Dinge passieren auf diesem eigentlich langweiligen Transferstück.

Lucas hatte doch sichtlich Mühe die letzten Rampen auf den Radwegen hochzukommen. Fordert das fehlende kleine Kettenblatt doch langsam Tribut?

Ingo hingegen scheint durch die Mörderabfahrt in einem Film zu sein. Er phantasiert: Ich glaube ich fahre da hoch. Äh. Wie bitte? Wir haben den Transfer - der Transporter steht bereit. Aber Ingos Entschluss ist gefasst.

In La Prese steigen wir drei müde in den Bus, der uns in 20 Minuten 700 HM weiter hinauf befördert, während Ingo sich Musik auf die Ohren haut und losfährt. 200m weiter überholen wir Ingo ein letztes mal, Anfeuerungsrufe inklusive.


Erschöpft in den Transfer für 7km bergauf - nur einer Fehlt: Ingo - der fährt selbst!


Dann beginnt die Auffahrt. Ich kenne das so in etwa von mehreren Sommerurlauben, wo wir mit der Familie in einem Bergdorf oberhalb des Lago Maggiore waren. Dort bin ich mit den Rennrad ähnliche Wege hochgefahren. Allerdings ist die Strecke hier doppelt so lang mit Doppelt so vielen Höhenmetern und Ingo hat kein Rennrad, sondern ein Fully mit Gepäck dabei. Es ist fast 19 Uhr, als wir am letzten Parkplatz vor dem Naturschutzgebiet ankommen. Uns wird mulmig. Ingo braucht mindestens noch eine Stunde bis hier hin, so unsere Überschlagsrechnungen. Wenn es gut läuft. Hat Ingo Licht dabei? Nein.

Wir versuchen ihn zu erreichen und zum umkehren zu überreden, denn es dämmert bereits und wir denken er wird frühestens gegen 21:30 an der Hütte ankommen. Aber es gibt hier oben kein Netz mehr. Keine Chance ihn zu erreichen. So treten wir mit flauem Magen den Weg zur Alpe an. Lucas, Willi und ich schieben große Teile der Strecke. >10% schaffen wir heute nicht mehr fahrenderweise. Es wird dunkler und später, erste Regentropfen platzen auf unseren Regenjacken - kein Wetter bei dem man noch stundenlange Gequäle vor sich haben möchte.


Kurz vor dem Rifugio - es nieselt. Und Ingo braucht noch 1,5 Stunden. Uff.


Rifugio la Baita auf 1.860 Metern

Irgendwann kurz vor 20 Uhr kommen wir endlich an. Alessandro empfängt uns. Sein Rifugio liegt in einer kleinen Ansammlung von Häusern und einer kleinen Kirche mitten im Tal auf dem Weg zum Passo dell’Alpe. Es wirkt wie ein Setting aus einer längst vergessenen Zeit. Kein Handyempfang, Versorgung über ein eigenes kleines Wasserwerk. Perfekt um abzuschalten. Aber ziemlich doof, wenn man noch auf einen Mitstreiter warten muss. Das WLAN funktioniert und ich versuche Ingo zu erreichen. Nichts, kein Durchkommen.


Wir sind vollkommen allein im Refugio, das eigentlich Platz für bis zu 16 Übernachtungsgäste bietet.

Auf dem Weg in die Dusche - die anderen sitzen noch beim Begrüßungsbier mit Alessandro zusammen - klingelt mein Handy. WhatsApp-Anruf von Ingo. „HEY! DU LEBST!“. Ingo sagt es läuft, es sei nicht mehr weit, er sehe eine Kirche. Ich bin begeistert! Sofort ziehe ich mir meine Klamotten wieder an und sprinte zu den anderen. Ingo ist da! Alessandro holt mich auf den Boden zurück - nein nein. Er ist in Fumero, dort gibt es auch eine Kirche. Der Unterschied: In Fumero gibt es noch Netz, hier nicht. Puh. Ingo hat also den schwersten Teil überstanden, aber noch eine Stunde vor sich. Erleichtert aber mit dem Wissen dass wir ohne Ingo essen werden und der Abend nur halb so lustig wird, gehe ich in die Dusche.

Ihr könnt euch vorstellen, dass ich nicht schlecht staunte, als ich halb nackt aus der Dusche kam und Ingo mir in voller Montur gegenüberstand. INGO! WAS MACHST DU DENN HIER? Er war tatsächlich durchgefahren. Und die Kirche? Es war die in der Nähe des Rifugios. Wahrscheinlich war sein 2kg-China-Super-Android-Outdoor-Handy ausserhalb jeder erlaubten Sendeleistung unterwegs und hatte doch noch ein Signal aus dem Tal erwischt als wir telefonierten. Unglaublich! Was für eine Leistung. Ingo war nicht nur die komplette Strecke, die wir mit dem Auto gefahren waren, hochgekurbelt - sondern auch noch die grobe Schotterstrecke, die wir größtenteils nur schiebend zugebracht hatten, komplett gefahren. Und dann nur 45 Minuten nach uns angekommen.

Das Essen schmeckte so gut wie noch nie auf dieser Tour und die telefonische Bitte aus Grosio an Alessandro die Sauna anzuwerfen war die Krönung dieses anstrengenden Tages. Wir fühlten uns wie Könige und freuten uns besonders mit unserem Oberkönig, der schier unglaubliches geleistet hatte.


Vereint!

So gut haben wir selten geschlafen. Danke nochmal an Alessandro für die tolle Gastwirtschaft!
 
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