Bilder aus dem Spessart

  • Ersteller Ersteller Gelöschtes Mitglied 319424
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Re: Bilder aus dem Spessart
Ich habe die Tour etwas verlängert und bin von Lohr gestartet. Waren dann 81km/1600hm in 5 Stunden.
Für einen 15m/h Schnitt sollte schon eine gewisse Fitness da sein.
Oh, ordentlich flott für eine solche Strecke. Ich würde mich auch als gut fit bezeichnen, aber dies schaffe ich auf dem MTB eigentlich nicht. Aber ich bin ja auch kein Jungspund mehr und bin vermutlich fitter als vor 20 Jahren.
 
Diese Tour schärft mich auch mal. Habe die GPX-Datei in Komoot importiert. Ca. 64km und 1150hm. Ich müsste halt ca. 25km mit dem Auto anfahren und dann in die Tour einsteigen.
Wie ist die Tour denn von der Fahrtechnik her zu beurteilen? Anspruchsvoll oder eher einfach?
 
Ist die Frage was du als einfach bezeichnest bzw. sonst so fährst 😉
Es gibt keine schwierigen Abfahrten. Verzwickt sind eher die Trail-Uphills wo immer wieder viele Wurzelteppiche mit Armdicken Wurzeln zu überfahren sind. Im nassen ist das mit Sicherheit auch eine andere Nummer als gestern.

Ich bin auch eine halbe Stunde mit dem Auto angefahren, hat sich gelohnt.
 
Ist die Frage was du als einfach bezeichnest bzw. sonst so fährst
I. d. R. fahre ich Touren zwischen 35 und 50km, maximal 1000hm. Uphil auf Forststrassen, eingebaut werden so viel wie mögliche legale und/oder inoffizielle Trails. Meist S1, gelegentlich S2. Gerne auch Kammtrails oder Bad Orb.

Alles nicht so wild, bin ja schon ü 50…
 
Ist die Pfadtour beschildert oder nur über .GPX zu finden?
Die Trailtouren des Bikwalds sind nicht beschildert. Also nur GPX wie von @ZXR_Power verlinkt.
Beschildert sind nur die "Graveltouren" des offiziellen Bikewald Streckennetzes.

Wegfindung ist aber nicht wirklich soo schwer. Geht schon. das Meiste verläuft ja auf Wanderwegen oder gut sichtbaren Wegen/Pfaden.
 
Hallo Spessartfreunde

Als erklärter Spessart-Fan romantisiere ich dieses schönste aller Mittelgebirge seit meiner Kindheit. Vom Schlafzimmerfenster aus verschaffe ich mir jeden Morgen Gewissheit, dass meine Heimat noch vorhanden ist und am Horizont darauf wartet, dass ich sie mit dem Fahrrad besuchen komme. Da ist schon eine gewisse Kraft am Start, die mich mitunter schon zeitig aus dem Bett treibt, nur um den Sonnenaufgang bereits auf der richtigen Seite des Maines zu erleben. Meiner Lieblingsstrecke, den Eselsweg erwanderte ich in diesem Winter mit meiner Tochter und fuhr in in den vergangenen Jahren mehrfach mit dem MTB. Aber jeder der den Eselsweg kennt, der holpert auch irgendwo in der Mitte über die berühmte Birkenhainer-Straße, die, so erzählt man sich, eine ähnliche Vergangenheit hat. Es ist wohl so eine Art größerer, ehemals zweispuriger Eselsweg in Ost-West, sowas kann ich mir einfach nicht entgehen lassen.
Die Tage wurden merklich schon kürzer und mir war schon seit einigen Wochen klar, wenn das dieses Jahr noch was werden soll, dann wird das „dunkel bis dunkel“.
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Als weit nach Allerheiligen endlich Wetter, Lebenstermine, Ereignisse und Sonderlocken im rechten Verhältnis zueinander standen, da war es schon tiefer Herbst geworden.
Es würde zudem nasskalt und nebelig werden, aber das hat genau in diesen Tagen seinen ganz besonderen, eigenen Reiz im Spessart.
Wie deutlich dieses Feeling rüberkommen würde, hätte ich mir vor der Tour nicht träumen lassen.
Die ganze Angelegenheit will auch geplant sein und so legte ich die etwa 2 Stündige Anfahrt vor den Sonnenaufgang um pünktlich mit dem ersten Tageslicht am ersten „B“ zu stehen.
Der Wecker meldete sich um 0400 und um 0500 schob ich das vorbereitete, mit allen Akkus geladene, gezäumte und gezügelte Fahrrad auf die Straße.
Bis der ganze Bluetooth-Quatsch angesprungen und verbunden war und auch das letzte Gadget „Piep.Piep“ gemeldet hatte, verstrichen weitere 5 Minuten. Schließlich tauchte ich in die Dunkelheit ein, die mich für die nächsten 44 Kilometer begleiten sollte. Vollkommen verkehrsfrei summte an jenem Sonntagmorgen der kühle Asphalt stockdunkel nach Achtern. Herrlich diese vollkommen leeren Straßen. Ich gab mir Mühe den Blinkeffekt, den die Reflexionen der gestrichelten Mittellinie bewirkten, als nicht einschläfernd wahrzunehmen. Tatsächlich kam ich gut voran und überquerte auch bald den Main. Ein heimliches Heimatkribbeln ließ mich euphorisch weiter voran sausen.
Den Duft von einigen Bäckereinen aufschnappend, die hell beleuchtet die ersten Kunden des Tages versorgten, ging es durch die letzten Spuren der Zivilisation hindurch.
Bald würde ich das alles hinter mir lassen, denn die Birkenhainer Straße verläuft durch weitaus einsameres Gebiet als der Eselsweg. Auf Dörfer, Straßen oder gar Einkehrmöglichkeiten trifft man auf den 70 Kilometern eher kaum. Kritisch schielte ich zum Himmel, der Tag würde demnächst erwachen. Als im Scheinwerferlicht das erste „B“ auftauchte, war es gerade hell genug, dass ich erwog die Lampe demnächst auszuschalten.
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Nach einer kurzen Pause ging ich den recht trailigen ersten Teil an. Im Prinzip blieb das durchweg theoretisch auch mit dem Gravelbike gut befahrbar. Hier und da und in den Sandpassagen war ich über mein MTB aber ganz froh. Die Federgabel erhöht etwas den Langzeitkomfort, wenn man stundenlang über Wurzeln holpert. Ganz so schlimm war es aber nicht und bald folgten auch Passagen, die schneller liefen. Das knöcheltiefe Laub und die damit verborgenden Äste und Steine stellten an die Aufmerksamkeit die höchsten Ansprüche, da musste ich teilweise sehr langsam machen.
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Tatsächlich blieb ich auch einmal in einem „unsichtbaren“ Loch hängen und stieg über den Lenker ab. Ich landete weich, aber der Computer hatte den „Unfall“ erkannt.
Zum Glück schaffte ich es gerade noch nach dem Ausziehen der Handschuhe die richtigen Knöpfe zur Deaktivierung der automatischen Notfallmeldung zu drücken. War so ne „James-Bond Nummer, wenn wieder in letzter Sekunde die tickende Zeitbombe mit Display-Counter gestoppt werden konnte.
So ganz bescheuert ist diese Einrichtung auch nicht, denn als ich auf der Karte nachschaute wo ich mich gerade befand, da gab es im Umkreis von 10 Kilometern in jede beliebige Richtung nicht so wirklich irgend etwas. Einen Radkollegen hat es letztes Jahr ganz genau so hingelegt, aber der musste mit dem Heli ausgeflogen werden. Bei diesem Wetter wäre das hier oben absolut unmöglich. Der dichte Nebel, der die Sichtweite entlang der gesamten Strecke auf etwa 100m drückte, schluckte effektiv jeden Schall. Es war totenstill, kein Vogel war zu hören und das Wild, welches doch recht zahlreich angetroffen wurde, stapfte stets lethargisch und ohne wirkliche Eile von dannen. Das wirkte beinahe so, als hätte man jemanden beim Schlafen gestört. Schon nach wenigen Metern blieben die Tiere stehen und prüften, ob sich eine weitere Flucht überhaupt lohnen würde. Vorwurfsvolle Blicke in meine Richtung ließen dankbar die Distanz zu mir, dem Störenfried, wieder größer werden. Was für eine Zauberei, welch ein Märchenwald.

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Leise raschelnd bahnten sich die Räder den Weg durch den braunen Laubteppich. Steigungen wurden mit Schweiß und Laktat quittiert und auf den Freilauf-Strecken krümmte ich mich wegen der nassen Kälte stehts zusammen und ließ mir mit gekniffenen Augen den Fahrtwind die Kältetränen über die Wangen treiben. Viel zu sehen gab es ohnehin nicht, es ging mehr um die Stimmung, um das Erleben des Gebotenen, um die totale Vernebelung. Daher empfand ich die „Erklär-Schilder“ die an historisch relevanten Ecken aufgestellt waren, immer als Erlösung. Es erinnerte einen daran, dass es auf der Birkenhainer Straße wenigstens früher mal Menschen gegeben hat.

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Hin und wieder prüfte ich das Vorankommen, immerhin wollte ich mich um 1300 Uhr mit Dieter in Marktheidenfeld treffen. Der gedachte mit dem Rennrad das Hafenlohrtal herunter zu kommen. Mein Radcomputer zeigte gegen 1030 seine Nachricht an, nun war auch er unterwegs, wir befanden uns buchstäblich auf Kollisionskurs. Die Aussicht bald wieder zusammen mit einem Menschen im Warmen zu sitzen, bereitete mir einen gewissen zusätzlichen Antrieb und auf jeder Höhe, die ich erklomm, hoffte ich zusätzlich auf das Durchbrechen der Sonne.

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Aber selbst auf der Bayrischen Schanz, reichte es nicht ganz. Der Parkplatz lag vollkommen leer und der Wirt, der auch hin und wieder hoffnungsvoll zum Himmel blickte, schien niemanden zu erwarten. „Bekomme ich bei Ihnen einen Kaffee“ fragte ich vom Rad steigend. „Nee, ich mache erst in einer Stunde auf“, antwortete er. Ich versuchte mein von der Kälte gelähmtes Gesicht möglichst enttäuscht aussehen zu lassen. „Wo kommen sie denn jetzt her?“, wollte er wissen. „Aus Darmstadt“, antwortete ich und ich hoffte auf eine gewisse Gnade die ihn unter Umständen Kaffeemäßig umstimmen möge. „Bei dem Wetter kommt normal niemand und gestern hatte ich über den ganzen Tag 8 Gäste“, antwortete er.
Das fand ich erstaunlich, ich erinnere mich an reges Treiben an der Schanz in meiner Kindheit. Ganz besonders im Winter. "Wenn Schnee kommt, dann kommen auch die Leute wieder", meinte der Wirt.
Ich würgte einige Riegel herunter, nahm einen Schluck Cola aus der Flasche und wollte mich wieder auf das Rad schwingen, zumindest so lange der Buckel noch dampfte.
„Reicht denn der Akku von Darmstadt bis hier?“, wurde ich gefragt. „Nee aber wenn ich mit Akku gefahren wäre, dann hätte ich wenigstens einen Kaffee bekommen, dann wäre ich nämlich noch eine weitere Stunde unterwegs gewesen“, antwortete ich. Er winkte nur und wenig später verschwand ich wieder im Nebel und in der Stille. Hatten die letzten 5 Minuten wirklich stattgefunden, oder hatte ich geträumt?
Meist stehend fuhr ich zwischen den uralten Schneisen die unverkennbar im Mittelalter in den Waldboden gefahren wurden weiter Richtung Osten. Ich stellte mir den regen Verkehr der Ochsenkarren vor, die seinerzeit hier unterwegs waren. Heute fehlten hier oben selbst die Hasen und die Füchse. Die würden sich auch nicht "Gute Nacht" sagen, sie würden den ganzen Tag verschlafen.

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Das immer größer werdende Gefälle kündigte schließlich das sich nähernde Maintal an, in welches nun wieder gut ausgebaute Forstwege hinabführten. Wenig später befand ich mich keine 2 Meter vom Main entfernt auf einem schmalen und asphaltierten Radweg Richtung Süden. Die Sicht war hier unten wieder gut und in Erwartung eines warmen Mittagessens fiel es mir leicht etwas zügiger voran zu kurbeln. Ich lag gut in der Zeit, daher erlaubte ich den lethargischen Hundegassi-Gängern auch nicht mir die Laune zu verderben.
Die brauchten jeweils ganze Minuten um ihre Hunde, ihre Leinen und ihren eigenen Hintern zu koordinieren, auch wenn ich aus 300 Meter Entfernung schon anfing zu klingeln.
Wie konnte es auch einer wagen, hier mit dem Fahrrad auf dem Radweg entlang zu rollern. Im Prinzip war es wie mit dem Wild.
Lohr flog vorbei und ich befand mich auf meinem alten Schulweg, den ich vor 40 Jahren schon mit dem Fahrrad fuhr. Abgefahren, diese Ecke der Welt hatte von den Entwicklungen der letzten Jahrzehnte nichts mitbekommen und sah immer noch so aus wie früher. 650 Stadtrecht haben wir in Lohr noch ohne Smartphones und Internet gefeiert. Ich überlegte sogar meinen Fahrradcomputer abzubauen und einzustecken, um diesen Eindruck noch zu verstärken. Damals war der Krieg noch keine 40 Jahre her und ich werde demnächst 50.
Das war mir dann aber zu albern und wenig später rollte ich 20 Minuten vor dem vereinbarten Termin in Marktheidenfeld auf den großen Platz unterhalb der Mainbrücke. Ich hatte es gepackt.
Niemand war unterwegs und dankbar registrierte ich die Beleuchtung im Cafe‘ de Mar. Es schien darin reger Betrieb zu herrschen, daher reservierte ich kurzerhand einen Tisch und beschloss im Freien auf das baldige Eintreffen von Dieter zu warten. Ich zog mir die Handschuhe aus, stellte das Rad ab und checkte die Zahlen. 130 km und 1500 hm hatte schon hinter mich gebracht und es würden noch ein paar mehr werden. Prompt sah ich meinen Kollegen heranrasen und winkte freudig mit dem ausgestreckten Arm. Ich liebe es wenn ein Plan funktioniert.
Am Tisch sitzend schossen wir Selfies mit unseren Weizenbiergläsern um unsere Radkollegen aus der Waht’s App Gruppe neidisch zu machen. Ich stellte dabei nur fest, wie fertig, alt und grau ich aussah.
Die Birkenhainer Straße hatte ihre Spuren hinterlassen und ein Stück weit abgefärbt.
Auf mich war ich jedenfalls nicht neidisch und ich hatte echte Zweifel wieder in Gang zu kommen.
Als der Ober zunächst die falsche Pasta brachte, aß ich diese eben als Vorspeise und beharrte ebenfalls auf meiner eigentlichen Bestellung.
„Geben sie nur her, heute brauche ich mehr Energie als man am Tag essen kann“. Die Nudeln waren nebenbei ganz hervorragend und es gab in diesem Moment wirklich nichts auf der Welt, was besser gewesen wäre.
Leider wollte der alte Kadaver nach dem Essen nicht so recht wieder anspringen. Dieter zog wie verrückt mit 32-34 km/h voran und ich verkrümelte mich dankbar und demütig in seinen Windschatten. Ich würde sicher bald übernehmen können, aber selbst 40 km weiter, in Dorfprozelten, war ich dazu noch nicht in der Lage. Grundsätzlich bin ich fit und kann auch ganz gut treten, aber wie Dieter nach 8 Stunden für 2 Stunden konstant, stumpf 300 Watt auf die Kette zieht, das kapier ich nicht ganz. Der läuft dann wie so ein Uhrwerk und man gewinnt den Eindruck er würde die Sonne hinter den Horizont kurbeln, selbst wenn die an jenem Tag unsichtbar blieb.
„Ich habe Durst“ war mehr eine Ausrede. Tatsächlich brauchte ich eine Pause und mein Hintern tat weh. Da kam die „Russenmaß“ mit Martinsbräu gerade recht.
Fortan hielt ich gut mit und fuhr in Miltenberg sogar vorne. Die Power war wieder da, ich hatte mich irgendwie wieder aufgerappelt. Das erhöhte meine Zuversicht ob der Kilometer, die noch kommen würden. Ich disziplinierte mich aber, denn ich muss ja nochmal über den Buckel, während Dieter in Obernburg stets geradeaus nach Hause fuhr. An unserer altgewohnten Stelle gaben wir uns "High-Five" und zwei rote Lichter entfernten sich voneinander.
Den knackigen Anstieg in Breuberg bewältigte ich bereits wieder im Stockdunkeln und mit dem Eintauchen in den Wald, tauchte ich auch wieder in den Nebel ein, der an Dichte beinahe nicht zu toppen war. Selbst die Wegweiser ließen sich aus 3 Metern Entfernung nicht lesen, nur schemenhaft erkennen. Mehrmals musste ich digital nachsehen, ob ich mich noch auf dem rechten Weg befand, gleichwohl dies quasi meine Hausstrecke war. Da hing der Nebel im Odenwald tatsächlich mal deutlich dicker als im Spessart. Tatsächlich entstand zusammen mit der Dunkelheit ein eher beklemmendes Gefühl, was ich in dieser Situation aber nicht als unangenehm empfand. Man bewegte sich wie hinter einem Vorhang, in einer winzigen Seifenblase der Sichtbarkeit umgeben von der totalen Verschleierung. Ganz sachte folgte ich der kleinen laubfreien Spur, die in der Mitte des Weges geblieben war.
Am Frankfurter Blick wo man normalerweise entsprechend weit gucken kann, sah ich noch nicht einmal über den Weggraben hinaus und verpasste beinahe die Biegung ins Feld hinunter. Aber nun sah man wenigstens wieder einige Meter weit. Trotzdem verriet eher der Landgeruch die Nähe das ersten Hofes, an dem man zwangsläufig vorbei rollt.
Frierend und mit brennendem Hintern pedalierte ich schließlich an der hell erleuchteten Eisdiele unten in Umstadt vorbei um wenig später, nach gut 250 km wieder neben meinem Briefkasten abzusteigen.

Grüße und viel Spaß beim radeln

Thomas
 
Zuletzt bearbeitet:
@Thomas: Toll geschrieben. Was für eine Leistung um diese Jahreszeit. Ich komme aus Lohr und bin auf der Schanz und Birkenhainer auch immer wieder unterwegs.
Danke für Deinen Bericht
 
Hallo Spessartfreunde

Als erklärter Spessart-Fan romantisiere ich dieses schönste aller Mittelgebirge seit meiner Kindheit. Vom Schlafzimmerfenster aus verschaffe ich mir jeden Morgen Gewissheit, dass meine Heimat noch vorhanden ist und am Horizont darauf wartet, dass ich sie mit dem Fahrrad besuchen komme. Da ist schon eine gewisse Kraft am Start, die mich mitunter schon zeitig aus dem Bett treibt, nur um den Sonnenaufgang bereits auf der richtigen Seite des Maines zu erleben. Meiner Lieblingsstrecke, den Eselsweg erwanderte ich in diesem Winter mit meiner Tochter und fuhr in in den vergangenen Jahren mehrfach mit dem MTB. Aber jeder der den Eselsweg kennt, der holpert auch irgendwo in der Mitte über die berühmte Birkenhainer-Straße, die, so erzählt man sich, eine ähnliche Vergangenheit hat. Es ist wohl so eine Art größerer, ehemals zweispuriger Eselsweg in Ost-West, sowas kann ich mir einfach nicht entgehen lassen.
Die Tage wurden merklich schon kürzer und mir war schon seit einigen Wochen klar, wenn das diese Jahr noch was werden soll, dann wird das „dunkel bis dunkel“.
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Als weit nach Allerheiligen endlich Wetter, Lebenstermine, Ereignisse und Sonderlocken im rechten Verhältnis zueinander standen, da war es schon tiefer Herbst geworden.
Es würde zudem nasskalt und nebelig werden, aber das hat genau in diesen Tagen seinen ganz besonderen, eigenen Reiz im Spessart.
Wie deutlich dieses Feeling rüberkommen würde, hätte ich mir vor der Tour nicht träumen lassen.
Die ganze Angelegenheit will auch geplant sein und so legte ich die etwa 2 Stündige Anfahrt vor den Sonnenaufgang um pünktlich mit dem ersten Tageslicht am ersten „B“ zu stehen.
Der Wecker meldete sich um 0400 und um 0500 schob ich das vorbereitete, alle Akkus geladene, gezäumte und gezügelte Fahrrad auf die Straße.
Bis der ganze Bluetooth-Quatsch angesprungen und verbunden war und auch das letzte Gadget „Piep.Piep“ gemeldet hatte, verstrichen weitere 5 Minuten. Schließlich tauchte ich in die Dunkelheit ein, die mich für die nächsten 44 Kilometer begleiten sollte. Vollkommen verkehrsfrei summte an jenem Sonntagmorgen der kühle Asphalt stockdunkel nach Achtern. Ich gab mir Mühe den Blinkeffekt, den die Reflexionen der gestrichelten Mittellinie bewirkten, als nicht einschläfernd wahrzunehmen. Tatsächlich kam ich gut voran und überquerte auch bald den Main. Ein heimliches Heimatkribbeln ließ mich euphorisch weiter auf Asphalt voran sausen.
Den Duft von einigen Bäckereinen aufschnappend, die hell beleuchtet die ersten Kunden des Tages versorgten, ging es durch die letzten Spuren der Zivilisation hindurch.
Bald würde ich das alles hinter mir lassen, denn die Birkenhainer Straße verläuft durch weitaus einsameres Gebiet als der Eselsweg. Auf Dörfer, Straßen oder gar Einkehrmöglichkeiten trifft man auf den 70 Kilometern eher kaum. Kritisch schielte ich zum Himmel, der Tag würde demnächst erwachen. Als im Scheinwerferlicht das erste „B“ auftauchte, war es gerade hell genug, dass ich erwog die Lampe demnächst auszuschalten.
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Nach einer kurzen Pause ging ich den recht trailigen ersten Teil an. Im Prinzip blieb das durchweg auch mit dem Gravelbike gut befahrbar, hier und da und in den Sandpassagen war ich über mein MTB aber dennoch ganz froh. Auch die Federgabel erhöht etwas den Langzeitkomfort, wenn man stundenlang über Wurzeln holpert. Ganz so schlimm war es aber nicht und bald folgten auch Passagen die auch schneller liefen. Das knöcheltiefe Laub und die damit verborgenden Äste und Steine stellten an die Aufmerksamkeit die höchsten Ansprüche, da musste ich teilweise langsam machen.
Anhang anzeigen 2046310

Tatsächlich blieb ich auch einmal in einem „unsichtbaren“ Loch hängen und stieg über den Lenker ab. Ich landete weich, aber der Computer hatte den „Unfall“ erkannt.
Zum Glück schaffte ich es gerade noch nach dem ausziehen der Handschuhe die richtigen Knöpfe zur Deaktivierung der automatischen Notfallmeldung zu drücken. Was so ne „James-Bond Nummer wenn in letzter Sekunde die tickende Zeitbombe mit Display-Counter gestoppt werden konnte.
So ganz bescheuert ist diese Einrichtung auch nicht, denn als ich auf der Karte nachschaute wo ich mich gerade befand, da gab es im Umkreis von 10 Kilometern in jede beliebige Richtung nicht so wirklich irgend etwas. Der dichte Nebel, der die Sichtweite entlang der gesamten Strecke auf etwa 100m drückte und manchmal sogar ein Anpassen der ohnehin schon niedrigen Geschwindigkeit erforderte, schluckte effektiv jeden Schall. Es war totenstill, kein Vogel war zu hören und das Wild, welches doch recht zahlreich angetroffen wurde, stapfte stets lethargisch und ohne wirkliche Eile von dannen. Das wirkte beinahe so, als hätte man jemanden beim Schlafen gestört. Schon nach wenigen Metern blieben die Tiere stehen und prüften, ob sich eine weitere Flucht überhaupt lohnen würde. Vorwurfsvolle Blicke in meine Richtung ließen dankbar die Distanz zu mir, dem Störenfried, wieder größer werden.

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Leise raschelnd bahnten sich die Räder den Weg durch den braunen Laubteppich. Steigungen wurden mit Schweiß und Laktat quittiert und auf den Freilauf-Strecken zog ich mich wegen der nassen Kälte stehts zusammen und ließ mit gekniffenen Augen den Fahrtwind die Kältetränen über meine Wangen treiben. So viel zu sehen gab es ohnehin nicht, es ging mehr um die Stimmung, um das Erleben des Gebotenen. Ich mochte die „Erklär-Schilder“ die an historisch relevanten Ecken aufgestellt waren und von der Geschichte der Birkenhainer Straße berichteten. Es erinnerte einen daran, dass es hier wenigstens früher mal Menschen gegeben hat.

Anhang anzeigen 2046313

Hin und wieder prüfte ich das Vorankommen, immerhin wollte ich mich um 1300 Uhr mit Dieter in Marktheidenfeld treffen. Der gedachte mit dem Rennrad das Hafenlohrtal herunter zu kommen. Mein Radcomputer zeigte gegen 1030 seine Nachricht an, nun war auch er unterwegs, wir befanden uns buchstäblich auf Kollisionskurs. Die Aussicht bald wieder zusammen mit einem Menschen im Warmen zu sitzen bereitete mir einen gewissen zusätzlichen Antrieb und auf jeder Höhe, die ich erklomm, hoffte ich zusätzlich auf das durchbrechen der Sonne.

Anhang anzeigen 2046311

Aber selbst auf der Bayrischen Schanz, reichte es nicht ganz. Der Parkplatz lag vollkommen leer und der Wirt, der auch hin und wieder hoffnungsvoll zum Himmel blickte, schien niemanden zu erwarten. „Bekomme ich bei Ihnen einen Kaffee“ fragte ich vom Rad steigend. „Nee, ich mache erst in einer Stunde auf“, antwortete er. Ich versuchte mein von der Kälte gelähmtes Gesicht möglichst enttäuscht aussehen zu lassen. „Wo kommen sie denn jetzt her?“, wollte er wissen. „Aus Darmstadt“, antwortete ich und ich hoffte auf eine gewisse Gnade die ihn unter Umständen Kaffeemäßig umstimmen möge. „Bei dem Wetter kommt normal niemand und gestern hatte ich über den ganzen Tag 8 Gäste“, antwortete er.
Das fand ich erstaunlich, ich erinnere mich an reges Treiben an der Schanz in meiner Kindheit. Ganz besonders im Winter. "Wenn Schnee kommt, dann kommen auch die Leute wieder", meinte der Wirt.
Ich würgte einige Riegel herunter, nahm einen Schluck Cola aus der Flasche und wollte mich wieder auf das Rad schwingen, zumindest so lange der Buckel noch dampfte.
„Reicht denn der Akku von Darmstadt bis hier?“, wurde ich gefragt. „Nee aber wenn ich mit Akku gefahren wäre, dann hätte ich wenigstens einen Kaffee bekommen, dann wäre ich nämlich noch eine Stunde unterwegs“, antwortete ich. Er winkte nur und wenig später verschwand ich wieder im Nebel und in der Stille.
Meist stehend fuhr ich zwischen den uralten Schneisen die unverkennbar im Mittelalter in den Waldboden gefahren wurden weiter Richtung Osten. Ich stellte mir den regen Verkehr der Ochsenkarren vor, die seinerzeit hier unterwegs waren. Heute fehlten hier oben selbst die Hasen und die Füchse, die sich hier gute Nacht sagen würden.

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Das immer größer werdende Gefälle kündigte schließlich das sich nähernde Maintal an, in welches nun wieder gut ausgebaute Forstwege hinabführten. Wenig später befand ich mich keine 2 Meter vom Main entfernt auf einem schmalen und asphaltierten Radweg Richtung Süden. Die Sicht war hier untern wieder gut und in Erwartung eines warmen Mittagessens fiel es mir leicht etwas zügiger voran zu kurbeln. Ich lag gut in der Zeit, daher erlaubte ich den lethargischen Hundegassi-Gängern auch nicht mir die Laune zu verderben.
Die brauchten jeweils ganze Minuten um ihre Hunde, ihre Leinen und ihren eigenen Hintern zu koordinieren, auch wenn ich aus 300 Meter Entfernung schon anfing zu klingeln.
Wie konnte es auch einer wagen, hier mit dem Fahrrad auf dem Radweg entlang zu rollern und den Sonntagsschlaf stören.
Lohr flog vorbei und ich befand mich auf meinem alten Schulweg, denn ich vor 40 Jahren schon mit dem Fahrrad fuhr. Geil, diese Ecke der Welt hatte von den Entwicklungen der letzten Jahrzehnte nichts mitbekommen und sah immer noch so aus wie früher. 650 Stadtrecht haben wir in Lohr noch ohne Smartphones und Internet gefeiert. Ich überlegte sogar meinen Fahrradcomputer abzubauen und einzustecken, um diesen Eindruck noch zu verstärken. Damals war der Krieg noch keine 40 Jahre her und ich werde demnächst 50.
Das war mir dann aber zu albern und wenig später rollte ich 20 Minuten vor dem vereinbarten Termin in Marktheidenfeld auf den großen Platz unterhalb der Mainbrücke.
Niemand war unterwegs und dankbar registrierte ich die Beleuchtung im Cafe‘ de Mar. Es schien darin reger Betrieb zu herrschen, daher reservierte ich kurzerhand einen Tisch und beschloss im Freien auf das baldige Eintreffen von Dieter zu warten. Ich zog mir die Handschuhe aus, stellte das Rad ab und checkte die Zahlen. 130 km und 1500 hm hatte schon hinter mich gebracht und es würden noch ein paar mehr werden. Prompt sah ich meine Kollegen heranrasen und winkte mit dem ausgestreckten Arm. Ich liebe es wenn ein Plan funktioniert.
Am Tisch sitzend schossen wir Selfies mit unseren Weizenbiergläsern um unsere Radkollegen aus der Waht’s App Gruppe neidisch zu machen. Ich stellte dabei nur fest, wie fertig, alt und grau ich aussah.
Auf mich war ich jedenfalls nicht neidisch und ich hatte echte Zweifel wieder in Gang zu kommen.
Als der Ober zunächst die falsche Pasta brachte, aß ich diese eben als Vorspeise und beharrte ebenfalls auf meiner eigentlichen Bestellung.
„Geben sie nur her, heute brauche ich mehr Energie als man am Tag fressen kann“. Die Pasta war nebenbei ganz hervorragend und es gab in diesem Moment wirklich nichts auf der Welt, was besser gewesen wäre.
Leider wollte der alte Kadaver nach dem Essen nicht so recht wieder anspringen. Dieter zog wie verrückt mit 32-34 km/h voran und ich verkrümelte mich mit dankbar und demütig in seinen Windschatten. Ich würde sicher bald übernehmen können, aber selbst 40 km weiter in Dorfprozelten war ich dazu noch nicht in der Lage.
„Ich habe Durst“ war mehr eine Ausrede. Tatsächlich brauchte ich eine Pause und mein Hintern tat weh. Da kam die Martinsbräu „Russenmaß“ gerade recht.
Fortan hielt ich wieder gut mit und fuhr in Miltenberg sogar wieder vorne. Ich disziplinierte mich aber, denn ich würde ja nochmal über den Buckel müssen, während Dieter in Obernburg stets geradeaus nach Hause fuhr.
Den knackigen Anstieg in Breuberg bewältigte ich bereits wieder im Dunkeln und mit dem Eintauchen in den Wald, tauchte ich auch wieder in den Nebel ein, der an Dichte beinahe nicht zu toppen war. Selbst die Wegweiser waren aus 3 Metern Entfernung nicht zu lesen, nur schemenhaft zu erkennen. Mehrmals musste ich digital nachsehen, ob ich mich noch auf dem rechten Weg befand, gleichwohl dies quasi meine Hausstrecke war. Da war der Nebel im Odenwald tatsächlich mal deutlich dicker als im Spessart.
Am Frankfurter Blick wo man normaler entsprechend gucken kann, sah ich noch nicht einmal über den Weggraben hinaus und verpasste beinahe die Biegung ins Feld hinunter.
Frierend und mit brennendem Hintern pedalierte ich an der hell erleuchteten Eisdiele unten in Umstadt vorbei um wenig später, nach gut 250 km wieder neben meinem Briefkasten abzusteigen.

Grüße und viel Spaß beim radeln

Thomas
Wirklich toller Bericht und starke Leistung!👍🏻 Ich kann deine Spessart-Liebe zu 100% nachvollziehen, ich liebe diesen mythischen Wald ebenfalls und bin unglaublich gern darin unterwegs.
 
Sehr geil Thomas 👍

Da die Tour direkt bei mir vor der Haustür vorbeigeht: Hast du die mal per Komoot o.ä.? Gerne per PN. Thx :)

Wir haben uns übrigens vor 3 Wochen an der Burg Frankenstein getroffen. Ich war der mit dem Milka-Fahrrad - hab dich angequatscht, dass wir uns vor ein paar Jahren beim Odenwaldcross getroffen haben :D.

Gruß
Frank
 
Klasse geschrieben Thomas, bist du von Beruf Geschichtenerzähler oder Autor? :)

Die Birkenhainer steht bei mir auch noch auf der Liste. Ist sie vom Streckencharakter mit dem Eselsweg vergleichbar?
 
Hallo Frank, das freut mich aber. Die Welt ist klein
Hast du die mal per Komoot o.ä.?
Birkenhainer Straße

Die Tour habe ich nicht komplett geplant, aber diesen Abschnitt verwendet.
Die Anfahrt erfolgte bis zum Startpunkt mehr oder weniger auf der Straße, das ist ja auch nicht Jedermanns Sache. An anderen Tagen oder im Sommer würde ich das eventuell anders machen.
Sonst folgten wird dem Maintal-Radweg und bogen in Oberndburg auf den Etzelweg ab.
Über den Odenwald führt dann die alte Frankfurter Straße nach Umstadt.
Auf Strava lässt sich der Track herunterladen.

hallo Reblaus
Ist sie vom Streckencharakter mit dem Eselsweg vergleichbar?
Ja irgendwie schon, es gibt aber keine wirklich technischen Abschnitte. Auf dem Eselweg geht es an manchen Stellen schon mehr über Stock und Stein.
Man kommt auch mit dem Gravelbike durch aber mehr Spaß macht es, wie beim Eselsweg, mit dem MTB.

Gruß

Thomas
 
Ich plane fast jedes Jahr den Eselsweg zu fahren. Hat aber aus den unterschiedlichsten Gründen nie geklappt.
Nun könnte es etwas werden:daumen:.
Leider gibt es wenig aktuelle Informationen, das meiste was man im Netz findet liegt oft schon Jahre zurück.
Ist der Eselsweg noch so singletrail lastig? Irgendwo habe ich gelesen das er nicht mehr so gut ausgeschildert ist, kaum Trails viel Waldautobahn?
Hat jemand Infos?
 
nicht mehr so gut ausgeschildert ist,
Sehr gut ausgeschildert. Durch Holzernte kann natürlich immer mal ein Schild verschwunden sein. Also man sollte immer gut schauen oder einen track dabei haben.
kaum Trails viel Waldautobahn
ist natürlich keine "trailstrecke", sondern eher eine Wald-/ Landschafts-/ lange Trainingsstrecke. Mit Ortskenntnis lassen sich natürlich mehr trails einbauen. Entsprechend höher ist der Zeitbedarf.
 
Bin vor einigen Jahren von Nord nach Süd gefahren und fand die Strecke sehr gut, genug Trails dass es nicht langweilig wurde. Alle Trails eher flach ohne groß Downhill-Action. Fand die Strecke auch recht gut ausgeschildert, hatten aber auch einen GPX-Track.
 
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