Da hat der Waldrauscher ja einiges Rauschen im Walde hervorgebracht. Ich nehme an, dass er nicht mehr zuhört.. ist aber auch egal.
Die gute alte Bike-Position mal wieder. Das Video von Roxybike ist von den Grundgedanken sehr richtig, allerdings sind manche Erklärungen leider weniger richtig. Das Cathro Video ist wie eigentlich alles von ihm sehr gut, bleibt aber dafür manchmal ein wenig vage.
Nachfolgend wie üblich ein tl;dr Beitrag, aber vielleicht interessiert es doch den ein oder anderen. Zufälligerweise hatte ich mir kürzlich zu diesem Themenkomplex ein paar Gedanken gemacht und das jetzt in ein paar anschaulichere Grafiken überführt. Ansatzpunkt ist die tatsächlich relevante Bike-Geometrie, also die Punkte, wo einerseits das Bike Kontakt mit dem Boden hat und andererseits der Fahrer mit dem Bike. Die Punkte sind durch kleine Kreise hervorgehoben:
Anhang anzeigen 2189940Mit Belastungsverteilung ist gemeint, wie sich ein Gewicht auf Vorderrad bzw. Hinterrad verteilt, wenn es auf
Sattel, Tretlager oder den Griffen lastet.
Als Grundlage dient hier eine realistische Bike-Geo in L, die Darstellung ist ziemlich maßstabsgetreu und wäre im Sag. Bike hätte dabei 29", etwa 480 Reach, 650 Stack, 440 Kettenstreben, 65° Lenkwinkel und 78° Sitzwinkel. Als Vereinfachung ist die Darstellung zweidimensional: die
Griffe sind die Mitte ihrer gedachten Verbindungslinie und das Tretlager dient als Vereinfachung für Kurbeln und Pedale. Letzteres ist eine deutliche Vereinfachung, weil die Belastung der Pedale keineswegs gleich sein muss, aber es geht eh um eher grobe, grundlegende Überlegungen, sodass die Vereinfachung schon gut passen sollte.
Betrachtet man die Längenverhältnisse im Hinblick auf die Wirkungsrichtung der Gravitation – also Biken im quasi-statischen Zustand aka Grundposition –, dann kommt man näherungsweise zum Ergebnis, dass Gewicht, das auf dem
Sattel lastet, zu 80% aufs Hinterrad wirkt und zu 20% aufs Vorderrad. Beim Tretlager ist das Verhältnis etwa 65 zu 35 (wird auch oft in Geotabellen angegeben als Front-Center zu Rear-Center) und bei den Griffen 25 zu 75, hier lastet also mehr am Vorderrad als am Hinterrad.
Betrachtet man das Ganze nun bergauf und bergab, ergeben sich folgende Szenarien:
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Vorab kurz ein Wort zur Steilheit. 10° sind 18% Gefälle, das ist bergauf durchaus steil, allerdings bergab für einen Trail eher noch flach. 20° sind dann 36%, das ist dann auch für einen Trail schon durchaus steil, wenn auch bei einer Skipiste noch rot (schwarze Pisten beginnen ab 40%). Bei mehr Gefälle hört dann der scheinbar lineare Zusammenhang auf und 30° bergab wären schon 58%, das wäre etwa eine normale Treppe und steiler als etwa der Slalomhang (Ski Weltcup) in Schladming an der steilsten Stelle. 20° scheint mir für eine allgemeine Betrachtung in Bezug auf die Grundposition daher steil genug.
Bergab hab ich logischerweise den
Sattel aus der Betrachtung rausgelassen, hier interessieren nur noch das Tretlager und die
Griffe. Da die
Griffe deutlich höher sind als das Tretlager, verschieben sie sich relativ zu den Aufstandspunkten (AP) der Räder in Bezug auf die Schwerkraftrichtung deutlich mehr. Bei 10° Gefälle lastet fast schon das gesamte Gewicht, das auf die
Griffe wirkt, auf dem Vorderrad, und bei 20° sind die
Griffe bereits vor dem AP des Vorderrads, sprich würde das gesamte Gewicht nur auf die
Griffe wirken, würde das Bike bereits kippen. Beim Tretlager findet eine solche Verschiebung auch statt, sie ist aber mit 60/40 bzw. 55/45 gegenüber 65/35 im Flachen deutlich geringer.
Interessant wird das nun, wenn man die Gewichtsverteilung des Fahrers – resultierend aus der Position des Fahrers auf dem Rad! – mit berücksichtigt, wie aus den folgenden Grafiken hervorgeht:
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Wie komme ich zu den Gewichtsverteilungen? Tatsächlich habe ich einfach mal eine Waage genommen, dazu einen Tisch (entspricht von der Höhe recht genau dem "Real Stack" im Flachen) und einen Stuhl (Höhe passt einigermaßen zum "Real Stack" bei 20° Gefälle) und habe gemessen, welches Gewicht auf der Waage lastet, wenn ich darauf sitze und dabei Beine und Arme am Tische ablege (Sitzposition im Flachen), wenn ich mit passendem Reach-Abstand vor dem Tisch stehe und mich auf die Waage stütze bzw. wenn ich mit dem dann passenden Reach-Abstand vor dem Stuhl stehe und mich darauf stütze – Beine und Arme dabei jeweils leicht angewinkelt, wie man das wohl beim Fahren auch halten würde. Im letzteren Fall habe ich darauf geachtet, die Beine möglichst vertikal zu halten und möglichst viel Gewicht auf die Beine zu bringen, was aber ohne ein starkes Strecken der Arme oder starkes Beugen der Beine nicht mehr weiter möglich gewesen wäre. Im Ergebnis zeigten sich etwa die dargestellten Gewichtsverteilungen, die durchaus auch plausibel sind. Die Körperverhältnisse sind in den Grafiken auch realistisch und maßstabsgetreu zum Bike, wobei die tatsächlichen Verhältnisse von Fahrer zu Fahrer natürlich um einiges schwanken können.
Jedenfalls scheint eine Gewichtsverteilung, die beim Fahren im Stehen in der Ebene mit 85% auf den Füßen und 15% auf den Händen lastet, sowie bei 20° Gefälle mit 75% auf den Füßen und 25% auf den Händen, als durchaus realistisch, was sich mit den entsprechenden Lastverteilungen auf Vorderrad und Hinterrad dann so darstellt, dass im Flachen das Vorderrad mit 40% und das Hinterrad mit 60% belastet würden, während es bei 20° Gefälle genau umgekehrt mit 60% auf dem Vorderrad und 40% auf dem Hinterrad wäre. Bei 10° Gefälle mit einer genau mittleren Gewichtsverteilung von 80% Füße, 20% Hände wäre die Lastverteilung genau gleich zwischen Vorderrad und Hinterrad, was hinsichtlich eines möglichst guten Grips ideal ist. (Die Werte sind natürlich nur Näherungen, aber entscheidend ist die Tendenz bei den Verschiebungen und diese ist klar gegeben. Nebenbei bemerkt zeigt die Verteilung beim Sitzen in der Ebene, warum das Hinterrad für den Rollwiderstand wichtiger ist, was sich natürlich bergauf nochmals klar deutlicher zeigt.)
Daraus gibt es nun einiges zu lernen:
1) Der Grundsatz "Light Hands, Heavy Feet” gilt vor allem steil bergab, wobei er dort nicht so leicht zu befolgen ist, ohne in eine Position zu kommen, wo wegen der Streckung der Arme die Bewegungsbereitschaft leidet. Im Flachen ist dagegen eine aktive Belastung des Lenkers zum Kurvenfahren zu empfehlen, wenn man maximalen Grip haben will. Im gezeigten Beispiel wäre eine Gleichbelastung in der Ebene erst bei 40% Gewicht auf den Händen gegeben, was eine enorme Belastung ist (ein Zuviel wird also kaum vorkommen). Sehr steil bergab (mehr als 20°) dagegen müsste man die Belastung auf den Händen komplett eliminieren, um eine Gleichbelastung von Vorderrad- und Hinterrad hinzubekommen, was aber erstens zumindest quasi-statisch kaum möglich und zweitens auch aus anderen Gründen nicht wünschenswert ist. Die Lösung ist hier in einer dynamischen Fahrweise zu suchen, wo weitere Effekte ins Spiel kommen und genutzt werden können.
2) Wer im steilen Gewicht vom Vorderrad im Sinne einer gleichmäßigen Radbelastung nehmen möchte, kann einerseits "in die Knie gehen" und andererseits Spacer unter den Lenker packen. Beides richtet den Oberkörper auf und verschiebt den Schwerpunkt dadurch Richtung Beine, wie man recht gut an den Grafiken sehen kann. Die Verwendung von Spacern ist dabei tatsächlich zielführender als etwa ein Lenker mit mehr Rise, wie man gut aus der Grafik im Falle von 20° Gefälle sehen kann. Das was in der Ebene neben höherem Stack den Reach verkürzt, wirkt im Bergab-Fall genau nach oben. Es wird dadurch genau dem entgegengewirkt, was das Gefälle für die tatsächliche Geo (Hand- und Fußposition) bewirkt, nämlich dass der tatsächliche Reach wächst und der tatsächliche Stack schrumpft.
3) Eher weniger mit der Fahrtechnik, sondern mehr hinsichtlich der Bike-Auswahl zu tun hat die Erkenntnis, dass die Oberkörperlänge wichtiger hinsichtlich der Radgröße ist – speziell wenn man die an Reach- und Stack-Werten der Geotabellen bemisst – als die Körpergröße. Genauso hat das Fahrverhalten – zu viel oder zu wenig Druck auf dem Vorderrad – vor allem mit der Neigung des Oberkörpers in der Grundposition zu tun und weniger mit Feinheiten etwa einer Kettenstrebenlänge. Die Lastverteilung (im Sinne der Grafiken vom Anfang) von Tretlager und Griffen ist durch selbst 10 cm Änderung im Reach vergleichsweise gering, die Körperposition und vor allem die Oberkörperposition wird allerdings deutlich anders sein mit entsprechend auch deutlichen Verschiebungen in der Gewichtsverteilung zwischen Händen und Füßen, was sich natürlich dann in einer unterschiedlichen Verteilung der tatsächlichen Belastung von Vorderrad und Hinterrad widerspiegelt. Das heißt dann in der Folge, dass dieselbe Geometrie auch gleich großen Menschen ganz unterschiedlich passen kann, wenn die Verhältnisse zwischen Armen, Beinen und Oberkörper unterschiedlich sind. Gleichzeitig sollte sich die Korrektur von Problemen bei vorhandenem Rad auf die Position des Oberkörpers konzentrieren, was für die Gewichtsverteilung zwischen Händen und Füßen wesentlich ist. Das gelingt am effektivsten, indem man entweder gleichzeitig tatsächlichen Reach verkürzt und tatsächlichen Stack vergrößert oder umgekehrt.
4) In Anknüpfung an den Punkt im Video von Roxybike, dass Gewicht auf den Füßen das Überrollverhalten verbessert:
Die Demonstration mit Schieben an den Griffen bzw. mit Schieben an den Pedalen ist natürlich Humbug, weil das impliziert, dass einmal der Schwerpunkt auf Höhe der
Griffe und einmal auf Höhe der Pedale wäre. Dies ist aber natürlich nicht der Fall, sondern auch beim vollständigen Stehen auf den Pedalen ist der Körperschwerpunkt irgendwo auf Höhe der
Griffe. Bei der Demonstration ist der Kraftvektor bei den beiden unterschiedlichen Angriffspunkten unterschiedlich, was das unterschiedliche Überrollverhalten bewirkt. Steht man komplett auf den Füßen, ist der Kraftvektor zwar initial gleichgerichtet zur Demonstration (Schieben mit der Hand), jedoch kommt die Kraft durch die Massenträgheit und da der Schwerpunkt deutlich höher platziert ist, erfolgt sofort ein Drehmoment auf den Fahrer. Dieses kann er nur abfangen, indem er sich am Lenker abstützt, was dann den Effekt hat, den ein Schieben am Lenker auch hat. Will man als Fahrer seine Situation verbessern, dann hilft ein Absenken des Schwerpunkts, weil dann das resultierende Drehmoment kleiner ist und die resultierende Kraft am Lenker ebenso. Idealerweise gleicht man aber die kommende Stufe durch vollständige Entlastung des Lenkers aus, was recht gut die Einleitung einer Drehung des Rads bewirkt, und wirkt dann dieser Drehung entgegen, sobald das Vorderrad über das Hindernis ist, indem man den Lenker belastet und das Tretlager entlastet. Der Schwerpunkt kann sich dann relativ gerade fortbewegen, was eine möglichst geringe Störung bedeutet.
5) Wie wir hier gesehen haben, ist oft ein relativ starkes Anwinkeln der Beine aka Tiefgehen eine Hilfe beim Fahren, wenn es steil bergab geht. Wie allerdings Ben Cathro richtigerweise anmerkt, sollte das keinesfalls die Grundposition sein, weil das erstens die weitere Bewegungsmöglichkeit zum Abfangen von Schlägen mindert und zweitens recht kräfteraubend ist. Es ist also tatsächlich so, dass eine Geometrie-Anpassung für fahrtechnische Probleme eine gute Hilfe sein kann, speziell wenn die Probleme im Steilen auftreten. Wenn man speziell steile Trails fahren will, kann ein Spacer unter dem Lenker, oder auch zwei, durchaus einen Unterschied ausmachen, und diese Änderung ist ja schnell gemacht. Machen die Profis ja oft genauso. Man muss sich halt der Kompromisse bewusst sein, die sich dann im Flachen ergeben. Um hier noch die Kurve zum Thread-Anfang zu bekommen: Es ist beim Fahren oft eine Frage des Gefühls, und wenn man sich mit einer Änderung besser fühlt, dann gibt es oft schon die Sicherheit, die es braucht. Die Feinheiten der Technik kann man theoretisch nicht erfassen, aber man kann sie im Wortsinne erfahren. Aber dazu hilft nur fahren, fahren, fahren.