Dritter Tag oder Meer davon:
Ungeduld ist ein Hemd aus Brennnesseln oder heute sollte es also endlich richtiges Meer geben. Dramaturgisch gibt es an diesem Spannungsbogen nichts auszusetzen. Wecken war an diesem Morgen wieder einmal nicht notwendig, Nachdem die klebrig-schwere Verschlafenheit, die auf Nächte im Zelt folgt, der zermalmenden Müdigkeit des Erwachens höflich Platz gemacht hatte, begann ich den beschwerlichen Weg zu den sanitären Einrichtungen unseren kleinen Zeltoase. Das fröhlich-blaue schönwetterverkündene Himmelspiel über den Wipfeln, die Lichtspiele auf den Birkenrinden; in dieser charmanten Kulisse erreichte ich das Dusch-WC. Das Spritzenhaus, vielmehr das kleine architektonische Verbrechen, wirkte unpassend traurig und öd, die Birken schüttelten sich bei jedem Windstoà wie im Zorn über soviel unpassende Nachbarschaft. Der frühen Stunde geschuldet traf ich dort auf die Fachkraft für die Grundreinigung. Bei der Klärung einiger organisatorischer Fragen, wie der Verbindung meiner Grundreinigung mit der Ihrigen hätte ich mich doch beinahe noch verplappert. Das darf einem Illegalen, gutes Gewissen hin oder her, einfach nicht passieren. Egal, noch mal gut gegangen.
Magenta macht müde Männer munter. Auch ein schöner Stabreim. Die passende Hose dazu war im Reisegepäck, das Zelt war schnell verstaut, Frühstück passierte zwischendurch, die Isomatte flog endlich in den Müll, die Pfandflaschen wurden ganz unsentimental zurückgelassen und der anvisierte Abfahrtermin halb 8 am Tor wurde auch fast gehalten.
Der genaue Weg zur Ablegestelle der Fähre sorgte noch etwas für Verwirrung. Vernünftigerweise wurden die Richtungshinweise eines besonders vertrauenerweckend dreinschauenden Ueckermünder Originals richtig gedeutet, und genau in der entgegengesetzten Richtung war sie dann auch schon, unsere Fähre. Vorbei am Schloss Ueckermünde, gegenüber Hotel Pommernyacht, wer die Information benötigt. Die Räder wurden vom Fährpersonal für den ordnungsgemäÃen Zustand gelobt, wer fährt bei der schönen asphaltenen Infrastruktur auch durch den Schlamm, aber anstandslos verpackt.
Und nun, schon sehnsüchtig erwartet, kommt es in unserer kleinen Reiseschilderung auch zum ersten Plattfuà der Tour. Die Schlange, lange erwartet, aber bisher nicht hervorgekrochen. Bald stellte sich nämlich heraus, dass sich die Abfahrt der Fähre um 15min verspäteten würde, weil eine angekündigte Gruppe Radtouristen mit Plattfuà festsaÃ. Dieser Fremdplattfuà sollte der einzige Luftverlustvorfall der Tour bleiben.
Bilanz: -1. Sehr schön.
Schon komisch, über 300km Fahrt, ausgedehnte Unterholzpassagen, verblockte Abfahrten, die Anwesenheit schlecht beleumundeter Racing Ralphs ⦠âThe Perfect Stormâ ⦠und dann so ein ereignisloses Wochenende. Zur Abwechslung mal die Schlange aus dem Paradies vertrieben. Ich habe da sogar eine Theorie, werde das Geschehen aber noch einige Zeit beobachten.
Es rumpelte im Schiffsbauch und mit einem letzten Blick auf den Leuchtturm Ueckerkopf wurde das Festland verabschiedet. Die 25km Fahrt durch das Stettiner Haff stellen einen willkommenen Rhythmuswechsel dar. Eine dicke Empfehlung für jeden Usedomreisenden. Auf dem Aussendeck wurde um die Wette gechillt, Kaffee getrunken und Meer geguckt. Das hatten wir uns redlich verdient.
Entspannt, aber hochmotiviert ging es von Karminke nach Ahlbeck. Es warteten noch einmal schwindelerregende Hochgeschwindigkeitsabfahrten und knackige Anstiege (15%!) auf uns. In Ahlbeck angekommen konnte die Touristenfalle Seebrücke nicht ignoriert werden, achja und endlich Meer. Auf der Strandpromenade wurde entspannt bis zum nächsten Brückenkopf, dem Bansiner, gelullert.
Hinter dem Strandhotel Bansin folgte dann endlich der Einstieg in den Steilküstenpfad. Es ging los mit dem Anstieg zum Forsthaus Langenberg, die Räder wurden auf sagenhafte 54m über dem Meeresspiegel geprügelt.
In Folge wurde der Beweis angetreten, das man den vielstrapazierte âFlowâ auch zwischen 20 und 50m über dem Meeresspiegel erleben kann. Mit traumhaftem Ausblick rollte es prächtig über verwinkelte Schmalpfade. Nicht selten führte die Ideallinie dabei schnurgerade Richtung Dänemark. Aber auch die Fahrt in den Abgrund hätte meiner Laune nicht geschadet. Die Ãberlebenschancen schienen mir gar nicht so schlecht. Solange man beim Abgang nicht mit einem diesen skuril verformten Baummethusalems, die sich mit all ihren verkrüppelten Ãsten, wie
eine Uhr von Dali an die Küstenabgang schmiegten, kollidierte. Apfelsine attackierte weiterhin jede Steigung wie am ersten Tag, obwohl sie Zitat ânur noch mit einem Bein in die Pedale treten konnteâ.
Sundaydriver hatte sein Erscheinen in Zinnowitz angekündigt, das erfrischende Bad im Meer lockte und es galt nur noch den grotesk überdimensionierten Zeltplatz in Ueckeritz zu umfahren. Fast geschafft also, es sollte nur noch ein letztes Mal in den tiefen Wald gehen. Waldschneisen auf Usedom haben viel zu erzählen und nicht immer erbauliches. SchlieÃlich wurde in diesen Wäldern die noch horizontal startende V1-Rakete getestet. Schotti wollte wohl die Vorteile seiner Rohloff demonstrieren und jagte uns mitten durch tiefste Farnformationen. Es dauerte nicht lange und die Schaltwerke waren hoffnungslos verfilzt. Aber Ausreden zählen nicht, Ruhe bewahren und weitertreten! Soviel Farn sah ich das letzte Mal vor 65 Millionen Jahren. Und so zogen wir wie einst der Stegosaurus durch den Urwald. Anzumerken wäre noch, dass dieser putzige Knochenplattler wohl das kleinste Tiergehirn aller Zeiten im Vergleich zum Körpergewicht hatte. Forscher vermuten daher, dass er, wenn Ungemach drohte, nicht lange nachdachte, sondern sofort sehr aggressiv reagierte. Schotti witterte die Gefahr im Nacken und lenkte uns nach erfolgreicher Umfahrung des Zeltplatzes, die letzten Kilometer sozialverträglich über den ausgewiesenen Radweg bis nach Zinnowitz.
Einfall in Zinnowitz, endlich! Sundaydriver samt Anhang war auch bald gefunden, Slowracer samt Anhänger hatte immer noch nicht genug und steuerte gleich mal den lokalen Skatepark an. Genug gespielt, das Ankommen nach 3 Tagen, 305 km, erstaunlichen 2900hm verteilt auf 26h Nettofahrzeit musste gefeiert werden. Mir stand der Sinn eher nach etwas Flüssigem und da kam Schottis spendierte Runde gerade recht.
Das Aroma eines frischen Bieres nach vielen Kilometern hitzigen Zweiradvergnügens ist einfach himmlisch, wenn nicht sphärisch, wenn nicht schönen Liedern aus besseren Zeiten gleichend, wenn nicht im Wert den Worten der Bibel die Hände reichend. Der erste Schluck Bierhopfenkaltschale ist wie ein Schaumbad in siebentausend süÃen Sünden, ein betörendes Gift, ein Aphrodisiakum - ich gebe zu, bei diesem Wort gebannt auf den Kringel der aktivierten Rechtschreibkontrolle gewartet zu haben, aber es bleibt ruhig auf dem Bildschirm, scheint also richtig zu sein -, ein kaltes Bier auf einen überhitzten Kreislauf lässt mich wie einen eleganten Panther durch die Welt gleiten. Genau das passierte dann auch, also Fahrrad geschultert und etwas unrund auf zum Strand.
Alle Welt schien davon ausgegangen zu sein, dass der Sommer 2007 auf den 15. Juli fällt und glänzte durch Anwesenheit. Ein letztes Mal den Beweis angetreten das ein Freireiter überall durchkommt, zuerst vorbei an Trampolin-Anlagen für die lieben Heranwachsenden, SpaÃtempel welche direkt für den Rückgang von Sandburgen verantwortlich sind, und schlussendlich bis ans Wasser vorgekämpft. Dort wurden gleich mal die Beine, die unermüdlichen klaglosen Begleiter, belohnt und ins kalte Nass gehalten.
Das anstehende Pflichtbad wurde angemessen zelebriert, die alte Frage gleich rein gestürzt oder langsam bibbernd dem Kälteschock genähert, mal wieder falsch beantwortet. Nur gewisse, offensichtlich nicht ausgelastete, Personen hielten schon die kühle Benetzung des Bauchnabels für unnötig und schossen lieber mit Quallen scharf. Zur Strafe durfte Sundaydriver nicht mit zum Essen. Eigentlich hatte ich regionale Fischspezialitäten auf der Wunschliste, aber auch die letztendlich bestellten Spaghetti eigneten sich hervorragend zur Rekalibrierung der Geschmacksnerven. Erschöpft aber glücklich klang der Tag bei Speis und Trank aus.
Am Ziel (v.l.n.r.): Apfelsine, Schotti, Runterrauf, Slowracer, Will
Apfelsine und Slowracer machten sich auf den Weg nach Hannover per Auto, die verbliebenen Drei wählten die Bahn. Auf der Fahrt nach Züssow füllte ich zähnefletschend meine ADAC-Beitrittserklärung aus. Es ging zu wie im Feierabendverkehr einer japanischen U-Bahn und man konnte die unermüdliche Schaffnerin beim Bunny Hüppen beobachten. Der Regio nach Berlin war dann schon entspannter und nach einer Stunde reichte es sogar für einen richtigen Sitzplatz.
Gute Gelegenheit für Kekse, Würste und Nachbesprechung. Das Fazit fiel überwältigend positiv aus, hier und da kann man sicher immer anders fahren. Aber da zu genaue Planung im Vorfeld auch bedeuten kann, den Zufall durch Irrtum zu ersetzen, geht das schon in Ordnung. Die Helpter Berge müssen rein, die beschwerliche Ehrenrunde auf dem Weg nach Woldegk sollte schon aus Tradition unbedingt wieder dazu gehören.
Unsere verbliebenen Helden auf Heimfahrt schmiedeten natürlich auch Zukunftspläne: mit Runterrauf sollte ein 24h-Rennen machbar sein, fehlt nur noch ein alberner Teamname, Schotti schien das nicht so zu begeistern er will lieber mal in Norwegen freeriden und ich will noch in diesem Jahr auf den Transost-Zug aufspringen. Mal schauen.
Die Rückfahrt ging wieder über Bernau, der Kreis schloss sich und der Bericht sollte diesem Beispiel folgen. Mein Trikot hängt am Haken und es steht mir gut.
Kurzes Fazit: Sollte Schotti irgendwann mal wieder eine ähnlich gelagerte Idee präsentieren, dann werde ich reagieren wie ein vierzehnjähriges Mädchen, dem von einem fünfzehnjährigen Jungen gesagt wurde, daà es schöne Augen habe, nämlich vor Freude magentafarben anlaufen, die Augen niederschlagen und kommenden Erwägungen nicht im Wege stehen.
PS: Kein platter
Reifen der Expeditionsteilnehmer zu vermelden! Dies erwähnte ich bereits, aber Wiederholung ist Erziehung.