Tag 4
Nach dem kilometermässig kürzesten aber für mich heftigsten Tag schlief ich erwartungsgemäss gut, meine innere Uhr schickte mich in aller Herrgottsfrühe aus dem Zelt, denn ich campierte in meinem Innenzelt in einem Wohngebiet, links und rechts gingen Spazierwege vorbei, ein Wohnblock hatte seine Fenster genau auf mich gerichtet. Ich bin zwar was das wildcampen angeht relativ schmerzfrei, trotzdem will ich niemand belästigen oder den Eindruck erwecken, ohne Sinn und Verstand als Fremder öffentlichen Raum zu okkupieren, daher packte ich schnell meine sieben Sachen zusammen. Ohne Kocherei am Abend und ohne Kaffee und Porridge am morgen war die Packerei schnell erledigt, der Tesco Mega Markt öffnete schon um 6 Uhr morgens, der freundliche Wachmann erlaubte mir mein Rad mit in den Supermarkt zu nehmen und sicher abzustellen während ich meine Morgenroutine beging ohne Angst, jemand könnte mit meinen sieben Sachen einfach wegfahren...
In herrlicher kühler Morgenluft (25 Grad fühlen sich wunderbar an nach den letzten Tagen) ging es nun Richtung serbischer Grenze, aber bei der ersten kleinen Pausen entschied ich mich doch spontan um und überlegte mir, nochmal einen Schlenker durch Kroatien zu fahren, wenn das schon so nah ist. Also ging es auf ruhigen leeren kleinen Strassen und ordentlichen Radwegen Richtung Mohac, was noch in Ungarn liegt, allerdings auf der anderen Seite der Donau.
Kann ja nicht sein dass ich an der Donau bin und kein einziges mal Fähre fahre, also rüber über den großen Strom. Mohac ist eine nette kleine friedliche Stadt, im Internet las ich dass die Fähre bald Geschichte sein soll, ein ungarischer Milliardär will dort wo sich bisher Fuchs und Hase Gute Nacht sagen eine Autobrücke bauen. Mal sehen, ob die Brücke beim nächsten mal wenn ich da bin schon steht?
In Mohac verschleuderte ich meine letzen Forint in einem Supermarkt, dann weiter Richrung kroatische Grenze. Die Hitze knallte mittlerweile wieder ganz ordentlich, und im letzten ungarischen Dorf vor der Grenze war die
Pumpe des Brunnen kaputt, so ein Mist. Ich war überrascht über die martialischen Sperranlagen zwischen zwei EU Ländern, dass Kroatien mittlerweile sogar im Schengen Raum ist wusste ich damals noch gar nicht, eigentlich hatte ich gar nicht vor Kroatien zu besuchen. Ich packte vorsorglich meinen Reisepass aus, der ganz weit unten in meiner Gabeltasche lag, aber die opulente Grenzstation war verwaist, keiner da der meinen Pass sehen wollte, also Kommando zurück, Pass wieder gut verstauen, brauch ich ja nicht mehr. Dachte ich jedenfalls...
Das Problem des Trinkwassers war ja noch nicht gelöst, einen Ort gab es hier nicht, nur noch meine "eiserne Reserve" enthielt Wasser, sonst war alles leer. Dies tolle Strategie hatte ich mir überlegt, eine Flasche wollte ich NIE anrühren ausser im absolutem Notfall und ausser um frisches Wasser einzufüllen alle zwei Tage.
So hoffte ich, dem sicheren Tod durch Verdursten zu entgehen, sollte ich mal in der Einsamkeit eine Panne, Verletzung oder was auch immer haben...

Ironiemodus aus!
Kurz nach der Grenze gab es eine Polizeistation, sah ein bisschen so aus wie "Bates Motel", aber naiv wie ich war marschierte ich da hinein, Links neben dem Eingang stand ein Fenster weit offen, ein Schreibtisch stand dahinter, Akten lagen unmotivert herum, keine Menschenseele in diesem Raum. Rechts nach dem Eingang war so eine Art Rezeption, hätte auch in Deutschland sein können, im hinteren Eck sass oder lag ein Polizist, der offensichtlich schlief...
So und nun begang ich einen folgenschweren Fehler:
"Ahem, sorry Mister, would it be possible to get some water from you?"
Die Gestalt schreckte auf, brauchte eine kiúrzen Moment um sich zu sammeln. In überraschend gutem Englisch entgegnete er mir nach seiner abrupt beendeten Schlummer - Einheit:
"Where are you what do you want why are you here???
Damit hatte ich nun nicht gerechnet, ich bekam es mit der Angst zu tun.
"Sorry Sir, I am just an simple Traveller on a bike, its very hot today, the water pump nearby did not work, I am just asking for some drinking water, this is the only building here"
Seine Laune besserte sich nicht: "We are a police station, we are not a Hotel! What do you want, are you crazy???"
"No Mister Police Officer, I see clearly that you are not a Hotel, a Hotel would not allow their employees to sleep all day...."
Nein das sagte ich nicht sondern etwas weniger frech: "I did not ask for a room, I ask for some water, but if this task is too big for the croatian border police I will go"
Das bewirkte irgenwas bei ihm: "First: Go Out" Leave this room! Then wait". Er verschwand kurz, dann kam der Mitfünfziger Polizeibeamte mit einem winzigen Pappbecher aus einem dieser typischen Wasserspender an und befahl: "Drink!"
"Ahem you missunderstood me, I am on a bike trip, please fill my bottles. Mit finsterer Mine nahm er meine beiden ein Liter Flaschen - ich dachte zuerst er entsorgt die jetzt in der Mülltonne - und brachte die mir dann tatsächlich wieder, gefüllt mit kaltem Wasser.
Ich dachte nun entspannt sich die Situation, aber weit gefehlt: "Who are you, show me your passport!"
Ich kramte den wieder heraus, er besah ihm, aber das reichte ihm noch nicht. "Show me your bags, what is in your bags?" Mit äußerster Anstrengung begann ich ihn zu überzeugen, dass diese Taschen sehr eng und kompliziert sind und - wir standen mittlerweile vor der Station in der sengenden Sonne - die alle aus und wieder einzupacken würde sehr lange dauern. (die Fortsetzung seines Mittagsschalfes würde sich also auf unbestimmte Zeit verschieben). Das schien ihn zu überzeugen, nun aber zeigte unser Komissar Schläfrig seine hektische Seite: "Go go, go quick, leave this place"
Das konnte ich aber nicht, meine linke Gabeltasche war noch ausgepackt und das Zeug lag auf dem Boden, weil ich ja meinen Reisepass heraus holen musste. Während ich packte schien der Mann erneut eine Wandlung zu vollziehen, diesmal zum fürsorgliche Vater oder etwas ähnlichem: "Its too hot for biking". Er erklärte mir den Weg zu einem Hotel in dem Ort der wohl irgendwann kam, da sollte ich jetzt unbedingt ganz schnell hin fahren um mir ein Zimmer suchen, alles andere wäre unverantwortlich. Ich nickte eifrig und versprach ihm, das GENAU SO wie er sagt zu machen, was denn auch sonst???

Mein Gott war ich froh als ich wieder "auf dem Rad" ähh "auf dem Bock" sass und mich von diesem skurilen Ort entfernte. Es war eine total groteske Situation, bis heute rätsel ich was der Typ eigentlich von mir wollte?
Klar, Störung de Miíttagsruhe, fand er nicht toll, aber meine Güte was war das für eine Reaktion?
Er hätte mich einfach wegschicken können, okay, aber was der da veranstaltete war komplett irrational.
Ich hatte nun frisches Wasser und fuhr eine kleine Schleife durch Kroatien, die Aktion an der Grenze führte aber zu einem Drang zum Stuhlgang. Ich bog in ein kleines Dorf hinein, eine kleine Gruppe Männer und Frauen baute eine Bühne für ein Fest auf.
Ich fragte den Chefaufbauer nach einer Toiette, die war noch nicht in Betrieb aber er gab mir die Schlüssel. "No problem, just go...." Ich unterhielt mich mit ihm noch eine Weile, er war interessiert an meiner Reise, sprach sehr gutes English und als ich wieder auf dem Fahrrad sass erinnerte ich mich wieder an seine Worte, die mich nachdenklich machten:
"why rush, stay here, joyn our party. You can build up your tent here, use our shower, we have plenty to drink and to eat for you, our girls are pretty..."
Hatte der Mann nicht eigentlich Recht? Was ist los mit mir? Why rush? Es war seltsam, ich war den vierten bzw fünften Tag unterwegs, an so vielen Orten wäre ich eigentlich gerne geblieben und fuhr dann doch weiter, es trieb mich immer etwas an, aber warum? Vielleicht war es die Angst, irgendwas Unvorhergesehenes passiert, und dann würde ich sagen: "Tja warum hast Du denn auch da so gebummelt, jetzt hast Du riesigen Stress..." Oder die Angst, aus 200 oder 150 Kilometer am Tag werden dann nur noch 50 oder 30, denn wenn man sich Zeit lässt ist ja so ein tag ganz ganz schnell vorbei, und im nächsten Ort gibt es vielleicht schon den nächsten Grund zum verweilen?
Egal jetzt roll ich so dahin, die Sonne brennt auch wenn es wohl keine 40 Grad mehr hat sondern erträglichere 37, ja das ist wirklich ein Unterschied, bildete ich mir jedenfalls ein... Ich fahre niún in Kroatien auf Strassen, abe es gibt fast keinen Verkehr, vielleicht is es auch den Autofahrern zu heiss gerade.
So jetzt nicht zu viel schwafeln sondern weiter im Bericht. Es kommen ein paar Hügel, ich muss sogar mal mitten in einem Pause machen, so steil geht es rauf und die Hitze macht mir zu schaffen, danach geht es nur noch hinab in den kroatischen Grenzort Batina. Ich erwarte eine Stadt aber es ist nur ein winziges Dorf. Zum Glück gibt es eine kleinen Kwik E Markt, das typische Ritual beginnt: Ich kauf mir eine 2 Liter Flasche kalte Pepsi, trinke die fast in einem Zug leer, kauf mir noch eine zweite etwas kleinere Fasche und trink die gemütlich während der Siesta und nehm den Rest dann mit aufs Rad, wo das ehemals kalte Getränk dann irgendwann schmeckt wie. Naja...
Die Grenze über eine Donau-Brücke nach Serbien passiere ich problemlos, der serbische Grenzer interessiert sich nicht für mich und meinen Pass aber wünscht mir eine gute Reise, sehr nett von ihm. Ich bin jetzt also aus der EU heraus, hier tobte vor ein paar Jahren noch ein Krieg, seltsame Vorstellung. Ich passiere einen idylischen kleinen Hafen. Der perfekte Platz zum campen, und jetzt ins kühle Wasser, was wäre das schön... Nein ich fahre weiter, an einem Schnellboot der serbischen Donau - Marine vorbei: Lacht nicht, das gibt es wirklich, leider konnte ich es nicht fotografieren... Dann in Bezdan frage ich einen Mann, der mit seiner Tochter in einem Cafe sitzt, wegen einer serbischen SIM Karte, ich hab ja jetzt kein Internet mehr. Ich spreche ihn auf Englisch an aber er antwortet mir auf Deutsch: "Komm setz Dich zu uns, was willst Du trinken, ich lad Dich ein...." Ein junger Deutsch - Serbe der seine Familie hier besucht, er erklärt mir alles und sagt mir welche Karte ich nehmen soll, ich fahre weiter nach Sombor. Das ist nicht mehr sehr weit. Dort quatsch ich einen jungen Lieferando - Fahrer an, er spricht ganz gut Englisch, ist super hilfsbereit, geht mit mir mit in einen serbischen Telekom Laden, wäre aber gar nicht nötig, die Mitarbeiterin kann gut Englisch und richtet mir alles ein.
Sombor ist eine wundcherschöne Stadt, ich beschliesse dort etwas zu bleiben, tausche Geld um und will den jungen Serben einladen zum Eis, er muss aber wieder arbeiten...
Dann will ich weiter, ich will wieder an die Donau, Sombor liegt ein kleines Stück entfernt im "Landesinneren". In Apatin kauf ich ein, es ist jetzt doch schon wieder Recht spät, ich will noch bei Helligkeit meinen Schlafplatz erreichen. In einem Cafe frage ich ein paar junge Leute von denen ich denke, die können Englisch. Wieder das gleiche Spiel, sie antworten mir auf Deutsch, beschreiben mir die Badestelle, da will ich hin und Campen. An der Badestelle, an einem Seitenarm der Donau, ist einiges los, hätte ich nicht gedacht. Am Ufer ein großer staubiger Parkplatz, mit dem Rad bin ich hier de einzige... Das Radl etwas abseits abgelegt, Radlerhose ausgezogen, Badehose angezogen, das Wasser ist ein paar Meter unter mir an einer Art Steilküste. Unten schreit ein durchgeknallter Serbe umgeben von einer Kinderschar auf mich ein, ich versteh nur irgendwas von "Pedofila" und "Polizia" und merk gleich was er meint: Während des Unziehvorgangs muss wohl ganz kurz mein Allerwertester NACKT (Ogott!) für 2 - 3 Sekunden zu sehen gewesen sein, den hat Mister Adlerauge natürlich gleich erspät und fürchtet nun um seine Kinder. Neben mir parkt ein Auto mit Esslinger Kennzeichen, der Fahrer, auch ein Vater mit seinen Kids der aber zivil aussieht, lacht nur und sagt zu mir: "Ach lass doch den alten Sack, mach Dir keine Sorgen, da passiert nix" Lachend ruft er dem komischen Kauz der unten im Wasser steht etwas zu, was den aber nicht beruhigt, im Gegenteil, er schimpft weiter wie ein Rohrspatz...
"Ach lass ihn und ignorier ihn einfach, geh einfach baden kein Problem" Okay ich geh runter zum Baden, der Alte verduftet und zieht ab mitsamt Kinderschar, Gott sei Dank...
Ich hab noch Zeit zum Kochen, bau an der Donau mein Zelt auf und trink ein schönes kaltes Bier, was ich mir aus dem Supermarkt mitgebracht hatte. Gefahren bin ich heute nicht so viel, waren etwa 130 Kilometer, dafür gab es ein paar Höhenmeter in Kroatien und ein paar lustige Erlebnisse, die ich so nicht einplante. DIe Nacht verläuft ruhig, bis es kurz vor Mitternacht leicht tröpfelt von oben, es beginnt zu regnen, wodurch ich aufwache. Damit hab ich gar nicht gerechnet, ich schlaf ja im Moskitozelt, aber trotz Schlaf-Trunkenheit hab ich in 5 Minuten das Überzelt aufgezogen. Dann fängt es heftig an zu schütten, aber das Zelt hält dicht und ich döse wieder ein in den Schlaf der Gerechten...