Ein perfekter Tag, Teil I

Pan

Big-Six-Member
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5. März 2002
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Ort
Deisterrand
Die "Schönjöchl"-Tour
(oder der Versuch eines sehr persönlichen Reiseberichts)

Es ist Dienstag morgen kurz vor 06:00 als ich erwache. Die zweite Tour unseres Alpen-Urlaubs steht heute an. Was sich als gute Gewohnheit einspielen sollte, erfolgt auch an diesem Morgen – als erstes stürme ich den Zimmerbalkon und sehe nach dem Wetter: Jajajajajajageilgeilgeil!!!! Strahlend blauer Himmel auch nicht durch den kleinsten Fetzen einer Wolke getrübt, so muß es sein, ich bin sofort in Hochstimmung.

Um 09:00 wollen wir starten. Bis dahin Körperpflege, frühstücken, Rucksack packen, Bike vorbereiten.
Pünktlich klingeln wir RieWu aus dem Bett. Angesichts der Wetterlage will er bereits an diesem Tag die Königsetappe mit uns fahren – rund 60km/2500Hm. Oha, denke ich, aber es findet sich niemand der Widerspruch einlegt.

Zunächst geht’s also 700hm runter nach Prutz. Irgendwann stoßen wir auf einen heftigen Trail. RieWu hält an, zeigt uns den Weg, Rabbit fährt vorweg, sehen kann ich nichts. Ich höre RieWu nur plötzlich rufen: „Ohhh,....ooohhh...olala... ohh....neinnnn!!“ Rabbit ist den Abhang runter, muß sich wohl so 2-3 mal gekugelt haben. Seine Wunden an beiden Unterarmen werden mit Jod und Pflaster notdürftig versorgt, eine sieht aus, als hätte er mit einem Hai gekämpft, dann geht’s weiter.

Schließlich sind wir im Inntal, rollen relaxermäßig dahin bis Rainer einen Plattfuß hat. Die Panne ist schnell behoben und fast eben geht es weiter. Das Wetter ist traumhaft, meine Beine fühlen sich gut an und ich beschleunige kurzzeitig auf mehr als 30km/h – ich habe das Gefühl, heute könnte ich fliegen!!!
Dann siegt die Vernunft: Du hast noch nicht einen der voraussichtlich 2500hm hinter Dich gebracht und Du hast auch niemals zuvor auch nur annähernd diese Marke erreicht – also halt Dich gefälligst zurück!! , schreit mir irgendwer ins Gewissen. Jajaja, schon gut, hast ja recht! Ich nehme die Beine hoch und gemeinsam rollen wir durch Prutz, überqueren den Inn über eine alte, urige Holzbrücke und fahren an den Waldrand.

Und dann begann er – der bis dahin längste, steilste, heißeste und unerbittlichste Anstieg den ich je gefahren bin. Mit weit über 15% Steigung geht es (Gott sei Dank noch auf Teer, der Reifen hatte guten Grip) stetig bergan. Nicht, dass ich bis dahin solche Steigungen nicht kannte – doch doch, schon!! Nur das waren Rampen, nach wenigen hundert Metern zu Ende und dieses Ding wollte und wollte einfach kein Ende nehmen. Aber irgendwann kam ich in einen tollen Rhythmus – ich fuhr einfach Serpentine um Serpentine und fuhr und fuhr und fuhr...einfach geil!!!

...irgendwann bog ein Schotterweg ab, dem wir von nun an folgen sollten. RieWu wartete bereits und gemeinsam harrten wir der Ankunft der anderen – Pause. Dann ging es auf Schotter bei etwas gemäßigterer Steigung weiter an der Südseite des Hanges bergan, immer wieder belohnt von faszinierenden Ausblicken. Langsam aber stetig näherten wir uns der Baumgrenze, die Sonne brannte unbarmherzig und der Körper schrie alle naselang nach Flüssigkeit und Ruhe.

Dann endlich die Mittelstation der Bergbahn auf etwa 1900Hm – wir hatten es geschafft!!! Dachte ich.
War ein Satz mit X – vor uns türmte sich eine Barriere aus Fels und Geröll auf, durchzogen nur von einen Schotterweg, der sich in endlos erscheinenden Serpentinen den Hang hoch schraubte. An seinem Ende, ca 400 Meter höher für mein Auge nur noch als Legohaus wahrnehmbar die Bergstation, unser Zwischenziel. Jungs, das ist nicht euer Ernst, oder?? DA noch rauf? Was solls, wenn wir schon mal da sind, meinte Rainer, und schon gings weiter.

Und was jetzt kam war für mich das bis dato härteste, das ich erlebt habe: Südhang, hochalpines Gelände, über 12% Steigung, Mittagszeit, Sonne, Hitze, Staub, Trockenheit, die Zunge klebt am Gaumen, der Schweiß rinnt in Strömen, auch in die Augen, es brennt wie Feuer, das Blut pocht in den Schläfen, der Kopf droht zu explodieren, der Hintern ist wund, die Muskeln der Beine drohen jeden Moment zu bersten, der Atem geht flach und schnell, sind das die Auswirkungen der Höhenluft?, warum machst Du das, wieso tust Du Dir das an??, halt an!!, schreit Dein Körper, halt endlich an, fahr runter und nimm diese verdammte Seilbahn!!!, die unabläßlich in schöner Regelmäßigkeit Deinen weg über dir kreuzt...

....Neinneinnein!!!! Verdammtnochmal N E I N ! ! !

Du nicht, Du verdammter Berg, Du nicht!!! Du kriegst mich nicht klein, und wenn es das letzte ist was ich erlebe, aber vor Dir kapituliere ich nicht!!! Also weiter, immer weiter, obwohl die Beine bleischwer sind, ich gehe aus dem Sattel, nehme die Steigung bis zur nächsten Kurve im Wiegetritt, die folgende wieder im Sattel und so fort...und dann, nach einer halben Ewigkeit, mache ich in einer Kurve Pause, ich habe die Schnauze gestrichen voll, ich bin fertig, ich weiß nicht wie weit es noch ist. Plötzlich kommt ein Biker den Weg hoch...Mann, ist das ein elendiger Scheiß-Berg!!! rufe ich im zu.......

soon to be continued....
 
Noch zwei Kurven, dann ist es geschafft!! gibt er zurück und fährt vorbei.

Noch zwei Kurven! Aber wie lang sind die Steigungen dazwischen? Egal, ein Aufgeben kommt jetzt nicht mehr in Frage. Hastig verstaue ich meine Trinkflasche und trete los, schließe zu meinem „Freund“ auf und fahre die restliche Strecke gemeinsam mit ihm nach oben.

Nach Süden hatte ich ja schon immer den Blick auf die Ausläufer der Ötztaler Alpen, der Blick zu der anderen Seite, auf die Verwall-Gruppe, offenbart sich mir erst im letzten Moment, als uns der Trail endlich auf einen 50m breiten Bergsattel ausspuckt...von 0 auf hundert innerhalb kürzester Zeit werde ich in einen tranceähnlichen Zustand katapultiert...ich höre auf zu treten, gehe aus dem Sattel, rolle sanft abwärts und schaue ungläubig um mich herum: links von mir ein liebliches Tal mit sattgrünen Almen, gekrönt von blauen Gipfeln, bedeckt mit einem Sahnehäubchen aus Schnee, rechts das krasse Gegenteil, steile, schroffe und abweisend wirkende Felsriesen rammen ihre mit zerfetzten Schneezungen bedeckten Gipfel in einen dermaßen stahlblauen Himmel wie ich ihn nie zuvor gesehen habe – ich bin einfach überwältigt!!!

Wie durch wabernden Nebel höre ich RieWu rufen, der sich etwa 20m links von mir an einer Bank befindet, er winkt mir zu, ich fahre die wenigen Meter zu ihm, wir beglückwünschen uns, ich nehme ihn kaum wahr, zu sehr bin ich mitgenommen von dem allem, der körperlichen Anstrengung, der Selbstzweifel, des Sieges über mich selbst und jetzt der so nie für möglich gehaltenen Belohnung – einfach einmalig!!!

Ich will jetzt allein sein, schwanke entrückt wie sonst vielleicht nur nach einem wirklich guten Joint hinüber auf die andere Seite des Bergsattels, die mit den schroffen Gipfeln. Ich erklimme einen kleinen Felshügel, setze mich, bin ganz für mich allein und schaue mich einfach nur um und genieße...

...und dann, ganz ganz langsam durcheilen Wellen eines bis dahin nie erlebten Glücksgefühls meinen Körper, die Abstände werden kürzer, die Intensität dafür umso heftiger, ich zittere wie Espenlaub, versuche dagegen anzugehen – zwecklos!!

Und dann beginne ich hemmungslos an zu heulen vor Glück...

...ich kann nicht genau sagen, wie lange ich so da saß, aber irgendwann beruhige ich mich, zünde mir eine Zigarette an, inhaliere tief, ganz ganz tief und versuche mit jedem Zug möglichst viel von diesem einzigartigen Moment in mir aufzunehmen und irgendwo in mir für immer unauslöschlich abzuspeichern.

Die Ankunft der anderen, unsere Sorgen um die Verschollenen, die Abfahrt ins Inntal und der Schlußanstieg folgen dann morgen
 
Wow! Was bleibt da noch zu sagen? Tag 2 brauch ich schon nicht mehr behandeln - bin beeindruckt! Geht auch ohne militärische Kommandosprache ... Fortsetzung folgt hoffentlich morgen Nacht!

Schönen Tag, ebenfalls DANKE!
 
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