nautilus
Der Rheinlandheimkehrer
Wie dem ein oder anderen bereits bekannt, verbringe ich momentan meinen Urlaub im schönen Braunlage. Dies an sich ist nicht weiter aufregend und bedarf eigentlich keiner gröÃeren Erwähnung. Wie bin ich jedoch hier hingekommen? Na wie sich das für ein Eisenschwein gehört natürlich mit dem muskelbetriebenen Zweirad. Es möge mir verziehen werden, das dieses Zweirad sich zur Gattung der Schmalhufer zählen darf. Aber ich will die Geschichte von Anfang an erzählen:
Bereits bei der Planung der Anreise wurde mir durch meine Schwägerin eine kleine Steilvorlage geliefert. Sie würde bis dahin bei uns in Berlin verweilen und dann eigentlich ganz gerne von uns in Richtung Westdeutschland mitgenommen werden. AuÃerdem stand meiner Frau der Sinn nach einem Besuch bei einer weiteren ihrer zahlreichen Schwestern im beschaulichen Göttingen. Sofort witterte ich meine Chance. Muà ich wirklich mit nach Göttingen? AuÃerdem würde die Beförderung von mehreren Fahrrädern, dem Kinderanhänger, drei erwachsenen Personen, plus Kleinkind, plus Gepäck unseren Kombi einfach überfordern. Schnell war die Idee geboren, mittels Muskelkraft nach Braunlage zu reisen und so ganz groÃzügig meinen Platz im Vierrad an meine Schwägerin abzugeben. Eigentlich war geplant, eine Tour mit zwei Etappen daraus zu zimmern und eine Ãbernachtung in Magdeburg einzuplanen.
Es kam also der Freitag, mein letzter Arbeitstag. Es war wie fast immer ein langer Tag. Dementsprechend viel die Zeit für die Vorbereitung der Urlaubsreise etwas knapp aus. SchlieÃlich war Grundvoraussetzung für mein Vorhaben, meine Familie mit gepacktem Auto auf den Weg zu schicken bevor ich mich selber in den Sattel schwingen konnte. AuÃerdem war der Wetterbericht für den Samstag extrem mies, für den Sonntag jedoch wesentlich besser. Nicht zu vergessen, die Ãbernachtungsmöglichkeit in Magdeburg war auch noch nicht organisiert. Irgendwie kam ich also auf so eine irrwitzige Idee, welche man am besten ohne groÃes Nachdenken in die Tat umsetzt: Das muà doch auch an einem Tag zu schaffen sein!
Mit dem Auto sind es so 350km über Braunschweig dachte ich mir. Der direkte Weg sollte also nach meiner Schätzung in jedem Fall unter 300km liegen. Das wird zwar hart, aber ist wohl zu schaffen. Bloà nicht zu lange grübeln, einfach machen war meine Devise. Als einziges Hilfsmittel zog ich eine Karte im MaÃstab 1:400.000 zu Rate. Die Route war schnell festgelegt. Zunächst nach Beelitz, dann über Belzig nach Zerbst, über die Elbe, quer durch die Magdeburger Börde, über NebenstraÃen nach Halberstadt, von dort nach Wernigerode und dann noch den Aufstieg nach Braunlage. Hört sich doch eigentlich nicht so schwierig an. Also: Beschlossene Sache!
Ich schickte also Samstag Nachmittag meine Familie los und verbrachte den Rest des verregneten Tages damit mir eine Portion Nudeln nach der anderen reinzuschieben. SchlieÃlich war Kraft tanken angesagt. Und plötzlich wars auch schon Sonntag. Um für mich absolut unakzeptable 6:00 Uhr klingelte der Wecker und ein Blick aus dem Fenster lies mich frohlocken: Blendendes Sonnenwetter. Schnell den Rucksack gepackt, endlos Brötchen geschmiert und gegen 7:00 Uhr konnte es dann auch schon losgehen. Bereits auf dem Weg durch das noch tief schlafende Berlin fühlte ich mich grandios. Ich hab die StraÃen noch nie so für mich alleine gehabt. Lediglich ein paar Taxen und ein paar Ordnungshüter störten das morgendliche Konzert der Vögel, Ampeln konnten mir gestohlen bleiben und ich konnte in aller Ruhe den Vögeln, dem Summen der Laufräder und dem Rasseln der Kette lauschen. Der Windweste welche ich ob der morgendlichen Frühe übergeworfen hatte konnte ich bereits vor dem Verlassen des Stadtgebiets wieder im Rucksack verschwinden lassen und ich fühlte mich einfach gut.
Schnell war GroÃbeeren passiert und auch Trebbin war fix erreicht. Ich war erstaunt über die Einsamkeit welche mich nach wie vor umgab. Alle 10 Minuten passierte mich mal ein motorbetriebenes Fahrzeug und das endlose Asphaltband führte mich durch herrliche, schattenspendende Wälder. Die traumhafte Landschaft um mich herum, die kleinen Hügel welche es immer wieder zu erklimmen galt und das fast hypnotische rasseln der Kette lieÃen mich eins werden mit meinem Tschechenblitz. Als ich endlich in Belzig ankam, wurde mir erst die gröÃe meines Vorhabens und die dafür aüÃerst dillethantische Planung bewusst. SchlieÃlich hatte ich beim Blick auf meine StraÃenkarte die Entfernung nach Belzig auf etwa 70km eingeschätzt. Die Anzeige meines Tachos sagte allerdings das ich bereits fast 100km in den Beinen hatte, als ich Belzig passierte. Die erste Pause wollte ich mir jedoch eigentlich erst nach dem Verlassen des Bundeslandes Brandenburg gönnen.
Also weiter treten und erst als ich dann kurz hinter dem netten Dörfchen Reetz die Landesgrenze passierte, lieà ich mich zu einer ersten Rast nieder. Der Tacho zeigte knapp 120km, der Magen wollte dringend Nachschub und der Durchschnitt war nach verhaltenem Start (schlieÃlich sollte es ein langer Tag werden) grade eben über die 29km/h geklettert. Ich fand ich hatte mir die erste Rast nach ziemlich genau vier Stunden redlich verdient. Ich fand ein nettes Plätzchen im grünen, lies mich nieder und verdrückte das ein oder andere Brötchen.
Bei dieser Gelegenheit viel mir ein weiteres Versäumnis auf: keine Sonnencreme. Meine Arme zeigten bereits eine leicht rötliche Tönung und die Magdeburger Börde lag noch vor mir. Dort ist bekanntlich die Zuckerrübe der höchste Baum und ich wusste, dass Schatten absolut Mangelware sein würde. Der Himmel war makellos Blau und auch von dort war keine Hilfe zu erwarten. Aber es gab eben kein zurück.
Ich schwang mich also wieder in den Sattel und begab mich auf den Weg nach Zerbst. Von nun an dachte ich immer öfter an dass schreckliche Ende, welches noch auf mich wartet, den Aufstieg nach Braunlage. Also versuchte ich zwar möglichst zügig voran zu kommen aber eben auch noch die paar Körner zurückzuhalten, mit welchen ich dann den Hochharz erklimmen konnte. Der Durchschnitt pendelte sich bei 29,5km/h ein und ich war so richtig schön im âflowâ. Zerbst wurde passiert und bei Tochheim hatte ich das Glück des Tüchtigen. Die Fähre über die Elbe war grade im Begriff abzulegen und ich konnte noch eben so aufspringen.
Auf der westlichen Elbseite angelangt, war ich einerseits stolz auf das bereits vollbrachte, schlieÃlich war ich voll im Zeitplan und hatte mehr als die Hälfte der Strecke bereits hinter mir. Allerdings brannte die Sonne und vor mir lagen über 100km ohne Schatten. Vermessen wie ich nun mal bin zog ich parallelen zu den verwegenen Zweiradpiloten, welche grade eben Frankreich bereisen. Ich kam mir vor wie auf der langen Etappe, welche zu guter letzt noch den Mont Ventoux als kleines Bonbon bereit hält. Der Harz war also mein persönlicher Mont Ventoux. Man kam ich mir groÃartig vor, schlieÃlich habe ich keine Wasserträger, welche mir die 250km Anfahrt im Windschatten angenehm gestalten.
Ich passierte Calbe und Stassfurt und so langsam kamen auch leicht Zweifel in mir auf. Würde ich es wirklich schaffen. AuÃerdem machte ich mir wirklich Sorgen bezüglich der fortschreitenden Färbung meiner Arme. Der Himmel schickte mir allerdings ein paar klitzekleine Wölkchen und mehrfach fuhr ich ein Rennen gegen den Zug der Wolken. Einerseits war ich froh, das der Wind leicht gedreht hatte und nun von hinten kam. Andererseits bedeutete dies, das der rettende Schatten dieser fiesen Wolke immer genau hundert Meter vor mir zu liegen schien. Kilometerlang schaffte ich es einfach nicht in den verdammten Schatten reinzufahren. AuÃerdem wollte ich endlich meinen verdammten Mont Ventoux in der ferne sehen. Er müsste doch nun endlich mal auftauchen.
Das Terrain wurde bereits zusehend welliger und ich fing wirklich an zu zweifeln, ob ich es noch rauf nach Braunlage schaffe. Ich gebe zu, dass sogar der Gedanke in mir aufkam von Wernigerode aus meine Frau um Hilfe anzubetteln. Dieser Gedanke währte allerdings immer nur einige Sekunden und dann war er wieder da, der Kämpfer in mir. Ein nautilus hat schlieÃlich noch nie aufgegeben und heute wird nicht das erste Mal sein!
Als ich abermals ein Rennen gegen eine Wolke verlor, der Mont Ventoux noch immer nicht in Sicht war und der Tacho bereits 190km zeigte, beschloà ich eine weitere Pause einzulegen. Ich suchte mir einen Busch, kauerte mich in seinen Schatten und fraà was das Zeug hält. Meine Gedanken sprangen wild hin und her. Ich war stolz über das erreichte, hatte aber auch gehörigen Respekt vor dem was noch vor mir lag.
Als ich die nötige Kraft und Zuversicht getankt hatte, machte ich mich wieder auf den Weg. Die ersten Kurbelumdrehungen schmerzten wie tausend Nadelstiche und der verdammte Hügel vor mir schien eine nicht zu erklimmende Hürde zu sein. Doch oben angelangt war er endlich da, mein Mont Ventoux. Ich konnte ihn endlich sehen. Ich konnte nicht anders als meine Freude darüber laut zum Ausdruck zu bringen und mich selber anzufeuern. Irgendwie hat mich der Anblick so angespornt, dass ich mir plötzlich sicher war. ICH WERDE ES SCHAFFEN!!!
Von nun an war der tranceartige Zustand erreicht. Wann immer ein leiser Zweifel aufkam, brauchte ich nur den Kopf in Richtung meines Mont Ventoux zu erheben und schon war sie wieder da, die Gewissheit ICH WERDE ES SCHAFFEN. Spätestens ab Halberstadt wich auch die Angst vor dem Berg der unglaublichen Vorfreude auf den kühlen Wald, welcher mich ab Wernigerode erwarten würde. Ich hatte das Gefühl, in der Sonne dahinzuschmelzen und der Schatten eines jeden Telegrafenmastes welchen ich passierte war bereits ein Wohltat. Ich erreichte also Wernigerode und war sehr zufrieden mit mir. Es lagen bereits über 250km hinter mir, der Durchschnitt lag bei beachtlichen 29,5km/h und Schatten war in greifbarer Nähe.
Als ich dann allerdings die Rampe in Angriff nahm, merkte ich wie wenig Saft noch in meinen Muskeln war. Unendlich langsam drehten sich die Kurbeln und ich verfluchte mich innerlich dafür nicht doch ein drittes Kettenblatt zu haben. Wie gerne hätte ich jetzt die Ãbersetzung meines MTBs. Aber so kurz vor der Vollendung konnte man doch nicht schwächeln. Kurz vor Drei Annen Hohne kam mir ein Kollege entgegen. Ich hatte das Gefühl, seine mitleidigen Blicke ob meiner Langsamkeit geradezu zu spüren. Guck du nur mitleidig, dachte ich mir. Wenn du wüsstest, dass ich erst heute früh in Berlin gestartet bin würdest du wohl eher vor Erfurcht auf die Knie fallen.
Kurz vor Schierke bog ich dann ab in Richtung Elend. Die eigentlich rasante Abfahrt ging ich allerdings verhalten an. Meine Oberschenkel schmerzten und zitterten, der Blick war geschwächt, jede Bewegung tat weh und ich wollte nun wirklich nicht ein paar Kilometer vor dem Ziel an einer Leitplanke scheitern. Aber jetzt war ich so nah dran, ich währe auch auf allen Vieren bis nach Braunlage gekrochen. Ich passierte Elend, nahm die letzten Hügel in Angriff, fuhr über die nächste Landesgrenze nach Niedersachsen und plötzlich lag es vor mir, das Ortsschild mit der Aufschrift BRAUNLAGE. Hätte ich noch genug Kraft gehabt, ich hätte ein kleines Freudentänzchen aufgeführt. So hielt ich nur kurz an und betrachtete die Schönheit dieses Schildes in andächtiger Stille und mit der tiefen Zufriedenheit: ICH HABS GESCHAFFT.
Wenige Augenblicke später trudelte ich stolz, überglücklich, voll mit Adrenalin bis zum Anschlag, extrem euphorisch und mit der inneren Gewissheit groÃes Vollbracht zu haben bei meiner Familie ein. Das telefonisch bei meiner Frau vorbestellte Bier schmeckte so gut wie nie und sie hatte sogar schon einen Berg Nudeln vorbereitet welchen ich gierig verschlang. Welch perfekter Empfang nach solch einem perfekten Tag.
Hier noch die Daten der Tour: 272km, Durchschnitt 26,5km/h, 1250 Höhenmeter, Reine Fahrzeit 10Std 13Min, Reisezeit etwa 12Std
P.S. @El und alle anderen die wissen worum es geht: Bitte verzeiht mir, dass ich meinen Sportwagen für diese Gelegenheit eben doch bei John Deere zur Inspektion gegeben habe.
Bereits bei der Planung der Anreise wurde mir durch meine Schwägerin eine kleine Steilvorlage geliefert. Sie würde bis dahin bei uns in Berlin verweilen und dann eigentlich ganz gerne von uns in Richtung Westdeutschland mitgenommen werden. AuÃerdem stand meiner Frau der Sinn nach einem Besuch bei einer weiteren ihrer zahlreichen Schwestern im beschaulichen Göttingen. Sofort witterte ich meine Chance. Muà ich wirklich mit nach Göttingen? AuÃerdem würde die Beförderung von mehreren Fahrrädern, dem Kinderanhänger, drei erwachsenen Personen, plus Kleinkind, plus Gepäck unseren Kombi einfach überfordern. Schnell war die Idee geboren, mittels Muskelkraft nach Braunlage zu reisen und so ganz groÃzügig meinen Platz im Vierrad an meine Schwägerin abzugeben. Eigentlich war geplant, eine Tour mit zwei Etappen daraus zu zimmern und eine Ãbernachtung in Magdeburg einzuplanen.
Es kam also der Freitag, mein letzter Arbeitstag. Es war wie fast immer ein langer Tag. Dementsprechend viel die Zeit für die Vorbereitung der Urlaubsreise etwas knapp aus. SchlieÃlich war Grundvoraussetzung für mein Vorhaben, meine Familie mit gepacktem Auto auf den Weg zu schicken bevor ich mich selber in den Sattel schwingen konnte. AuÃerdem war der Wetterbericht für den Samstag extrem mies, für den Sonntag jedoch wesentlich besser. Nicht zu vergessen, die Ãbernachtungsmöglichkeit in Magdeburg war auch noch nicht organisiert. Irgendwie kam ich also auf so eine irrwitzige Idee, welche man am besten ohne groÃes Nachdenken in die Tat umsetzt: Das muà doch auch an einem Tag zu schaffen sein!
Mit dem Auto sind es so 350km über Braunschweig dachte ich mir. Der direkte Weg sollte also nach meiner Schätzung in jedem Fall unter 300km liegen. Das wird zwar hart, aber ist wohl zu schaffen. Bloà nicht zu lange grübeln, einfach machen war meine Devise. Als einziges Hilfsmittel zog ich eine Karte im MaÃstab 1:400.000 zu Rate. Die Route war schnell festgelegt. Zunächst nach Beelitz, dann über Belzig nach Zerbst, über die Elbe, quer durch die Magdeburger Börde, über NebenstraÃen nach Halberstadt, von dort nach Wernigerode und dann noch den Aufstieg nach Braunlage. Hört sich doch eigentlich nicht so schwierig an. Also: Beschlossene Sache!
Ich schickte also Samstag Nachmittag meine Familie los und verbrachte den Rest des verregneten Tages damit mir eine Portion Nudeln nach der anderen reinzuschieben. SchlieÃlich war Kraft tanken angesagt. Und plötzlich wars auch schon Sonntag. Um für mich absolut unakzeptable 6:00 Uhr klingelte der Wecker und ein Blick aus dem Fenster lies mich frohlocken: Blendendes Sonnenwetter. Schnell den Rucksack gepackt, endlos Brötchen geschmiert und gegen 7:00 Uhr konnte es dann auch schon losgehen. Bereits auf dem Weg durch das noch tief schlafende Berlin fühlte ich mich grandios. Ich hab die StraÃen noch nie so für mich alleine gehabt. Lediglich ein paar Taxen und ein paar Ordnungshüter störten das morgendliche Konzert der Vögel, Ampeln konnten mir gestohlen bleiben und ich konnte in aller Ruhe den Vögeln, dem Summen der Laufräder und dem Rasseln der Kette lauschen. Der Windweste welche ich ob der morgendlichen Frühe übergeworfen hatte konnte ich bereits vor dem Verlassen des Stadtgebiets wieder im Rucksack verschwinden lassen und ich fühlte mich einfach gut.
Schnell war GroÃbeeren passiert und auch Trebbin war fix erreicht. Ich war erstaunt über die Einsamkeit welche mich nach wie vor umgab. Alle 10 Minuten passierte mich mal ein motorbetriebenes Fahrzeug und das endlose Asphaltband führte mich durch herrliche, schattenspendende Wälder. Die traumhafte Landschaft um mich herum, die kleinen Hügel welche es immer wieder zu erklimmen galt und das fast hypnotische rasseln der Kette lieÃen mich eins werden mit meinem Tschechenblitz. Als ich endlich in Belzig ankam, wurde mir erst die gröÃe meines Vorhabens und die dafür aüÃerst dillethantische Planung bewusst. SchlieÃlich hatte ich beim Blick auf meine StraÃenkarte die Entfernung nach Belzig auf etwa 70km eingeschätzt. Die Anzeige meines Tachos sagte allerdings das ich bereits fast 100km in den Beinen hatte, als ich Belzig passierte. Die erste Pause wollte ich mir jedoch eigentlich erst nach dem Verlassen des Bundeslandes Brandenburg gönnen.
Also weiter treten und erst als ich dann kurz hinter dem netten Dörfchen Reetz die Landesgrenze passierte, lieà ich mich zu einer ersten Rast nieder. Der Tacho zeigte knapp 120km, der Magen wollte dringend Nachschub und der Durchschnitt war nach verhaltenem Start (schlieÃlich sollte es ein langer Tag werden) grade eben über die 29km/h geklettert. Ich fand ich hatte mir die erste Rast nach ziemlich genau vier Stunden redlich verdient. Ich fand ein nettes Plätzchen im grünen, lies mich nieder und verdrückte das ein oder andere Brötchen.
Bei dieser Gelegenheit viel mir ein weiteres Versäumnis auf: keine Sonnencreme. Meine Arme zeigten bereits eine leicht rötliche Tönung und die Magdeburger Börde lag noch vor mir. Dort ist bekanntlich die Zuckerrübe der höchste Baum und ich wusste, dass Schatten absolut Mangelware sein würde. Der Himmel war makellos Blau und auch von dort war keine Hilfe zu erwarten. Aber es gab eben kein zurück.
Ich schwang mich also wieder in den Sattel und begab mich auf den Weg nach Zerbst. Von nun an dachte ich immer öfter an dass schreckliche Ende, welches noch auf mich wartet, den Aufstieg nach Braunlage. Also versuchte ich zwar möglichst zügig voran zu kommen aber eben auch noch die paar Körner zurückzuhalten, mit welchen ich dann den Hochharz erklimmen konnte. Der Durchschnitt pendelte sich bei 29,5km/h ein und ich war so richtig schön im âflowâ. Zerbst wurde passiert und bei Tochheim hatte ich das Glück des Tüchtigen. Die Fähre über die Elbe war grade im Begriff abzulegen und ich konnte noch eben so aufspringen.
Auf der westlichen Elbseite angelangt, war ich einerseits stolz auf das bereits vollbrachte, schlieÃlich war ich voll im Zeitplan und hatte mehr als die Hälfte der Strecke bereits hinter mir. Allerdings brannte die Sonne und vor mir lagen über 100km ohne Schatten. Vermessen wie ich nun mal bin zog ich parallelen zu den verwegenen Zweiradpiloten, welche grade eben Frankreich bereisen. Ich kam mir vor wie auf der langen Etappe, welche zu guter letzt noch den Mont Ventoux als kleines Bonbon bereit hält. Der Harz war also mein persönlicher Mont Ventoux. Man kam ich mir groÃartig vor, schlieÃlich habe ich keine Wasserträger, welche mir die 250km Anfahrt im Windschatten angenehm gestalten.
Ich passierte Calbe und Stassfurt und so langsam kamen auch leicht Zweifel in mir auf. Würde ich es wirklich schaffen. AuÃerdem machte ich mir wirklich Sorgen bezüglich der fortschreitenden Färbung meiner Arme. Der Himmel schickte mir allerdings ein paar klitzekleine Wölkchen und mehrfach fuhr ich ein Rennen gegen den Zug der Wolken. Einerseits war ich froh, das der Wind leicht gedreht hatte und nun von hinten kam. Andererseits bedeutete dies, das der rettende Schatten dieser fiesen Wolke immer genau hundert Meter vor mir zu liegen schien. Kilometerlang schaffte ich es einfach nicht in den verdammten Schatten reinzufahren. AuÃerdem wollte ich endlich meinen verdammten Mont Ventoux in der ferne sehen. Er müsste doch nun endlich mal auftauchen.
Das Terrain wurde bereits zusehend welliger und ich fing wirklich an zu zweifeln, ob ich es noch rauf nach Braunlage schaffe. Ich gebe zu, dass sogar der Gedanke in mir aufkam von Wernigerode aus meine Frau um Hilfe anzubetteln. Dieser Gedanke währte allerdings immer nur einige Sekunden und dann war er wieder da, der Kämpfer in mir. Ein nautilus hat schlieÃlich noch nie aufgegeben und heute wird nicht das erste Mal sein!
Als ich abermals ein Rennen gegen eine Wolke verlor, der Mont Ventoux noch immer nicht in Sicht war und der Tacho bereits 190km zeigte, beschloà ich eine weitere Pause einzulegen. Ich suchte mir einen Busch, kauerte mich in seinen Schatten und fraà was das Zeug hält. Meine Gedanken sprangen wild hin und her. Ich war stolz über das erreichte, hatte aber auch gehörigen Respekt vor dem was noch vor mir lag.
Als ich die nötige Kraft und Zuversicht getankt hatte, machte ich mich wieder auf den Weg. Die ersten Kurbelumdrehungen schmerzten wie tausend Nadelstiche und der verdammte Hügel vor mir schien eine nicht zu erklimmende Hürde zu sein. Doch oben angelangt war er endlich da, mein Mont Ventoux. Ich konnte ihn endlich sehen. Ich konnte nicht anders als meine Freude darüber laut zum Ausdruck zu bringen und mich selber anzufeuern. Irgendwie hat mich der Anblick so angespornt, dass ich mir plötzlich sicher war. ICH WERDE ES SCHAFFEN!!!
Von nun an war der tranceartige Zustand erreicht. Wann immer ein leiser Zweifel aufkam, brauchte ich nur den Kopf in Richtung meines Mont Ventoux zu erheben und schon war sie wieder da, die Gewissheit ICH WERDE ES SCHAFFEN. Spätestens ab Halberstadt wich auch die Angst vor dem Berg der unglaublichen Vorfreude auf den kühlen Wald, welcher mich ab Wernigerode erwarten würde. Ich hatte das Gefühl, in der Sonne dahinzuschmelzen und der Schatten eines jeden Telegrafenmastes welchen ich passierte war bereits ein Wohltat. Ich erreichte also Wernigerode und war sehr zufrieden mit mir. Es lagen bereits über 250km hinter mir, der Durchschnitt lag bei beachtlichen 29,5km/h und Schatten war in greifbarer Nähe.
Als ich dann allerdings die Rampe in Angriff nahm, merkte ich wie wenig Saft noch in meinen Muskeln war. Unendlich langsam drehten sich die Kurbeln und ich verfluchte mich innerlich dafür nicht doch ein drittes Kettenblatt zu haben. Wie gerne hätte ich jetzt die Ãbersetzung meines MTBs. Aber so kurz vor der Vollendung konnte man doch nicht schwächeln. Kurz vor Drei Annen Hohne kam mir ein Kollege entgegen. Ich hatte das Gefühl, seine mitleidigen Blicke ob meiner Langsamkeit geradezu zu spüren. Guck du nur mitleidig, dachte ich mir. Wenn du wüsstest, dass ich erst heute früh in Berlin gestartet bin würdest du wohl eher vor Erfurcht auf die Knie fallen.
Kurz vor Schierke bog ich dann ab in Richtung Elend. Die eigentlich rasante Abfahrt ging ich allerdings verhalten an. Meine Oberschenkel schmerzten und zitterten, der Blick war geschwächt, jede Bewegung tat weh und ich wollte nun wirklich nicht ein paar Kilometer vor dem Ziel an einer Leitplanke scheitern. Aber jetzt war ich so nah dran, ich währe auch auf allen Vieren bis nach Braunlage gekrochen. Ich passierte Elend, nahm die letzten Hügel in Angriff, fuhr über die nächste Landesgrenze nach Niedersachsen und plötzlich lag es vor mir, das Ortsschild mit der Aufschrift BRAUNLAGE. Hätte ich noch genug Kraft gehabt, ich hätte ein kleines Freudentänzchen aufgeführt. So hielt ich nur kurz an und betrachtete die Schönheit dieses Schildes in andächtiger Stille und mit der tiefen Zufriedenheit: ICH HABS GESCHAFFT.
Wenige Augenblicke später trudelte ich stolz, überglücklich, voll mit Adrenalin bis zum Anschlag, extrem euphorisch und mit der inneren Gewissheit groÃes Vollbracht zu haben bei meiner Familie ein. Das telefonisch bei meiner Frau vorbestellte Bier schmeckte so gut wie nie und sie hatte sogar schon einen Berg Nudeln vorbereitet welchen ich gierig verschlang. Welch perfekter Empfang nach solch einem perfekten Tag.
Hier noch die Daten der Tour: 272km, Durchschnitt 26,5km/h, 1250 Höhenmeter, Reine Fahrzeit 10Std 13Min, Reisezeit etwa 12Std
P.S. @El und alle anderen die wissen worum es geht: Bitte verzeiht mir, dass ich meinen Sportwagen für diese Gelegenheit eben doch bei John Deere zur Inspektion gegeben habe.