Ich bin etwas hin- und her gerissen. Einerseits ein guter Grundgedanke im Artikel, gut geschrieben. Andererseits für meinen Geschmack zu einseitig und "radikal" betrachtet.
Wir sollten offen sein und uns an Neues herantrauen und mit Neuem vertraut machen ohne Vorurteile. Aber nicht alles, an das man sich gewöhnen kann, ist gut oder besser als vorangegangenes. Wir müssen auch bewerten, und das ist was ganz individuelles. Nicht jeder, der auf "Neuerungen" in der Bike-Industrie schimpft tut das, weil er es nicht probieren möchte, oder weil er sich nicht darauf einlassen möchte. Manchmal passt es auch einfach nicht, ganz individuell. Oder es ist objektiv Murks, was dann meistens darin endet, dass es nach einer gewissen "Erprobungsphase" keiner haben will - Schwarmintelligenz.
Ich probiere generell recht gerne Sachen aus, nicht immer weil es mir sinnig erscheint, sondern auch einfach manchmal, weil es kurios ist.
So bin ich z.B. auch zu einem Starrgabel-Fatbike gekommen. Sinn ergibt es keinen, aber es sieht witzig aus und man kann es ja mal "probieren". Die erste Fahrt war der blanke Horror und genau weil es so komisch war auf masochistische Art auch sehr spaßig. Wahrscheinlich genau derselbe Effekt, der den Typen aus dem Video getrieben hat, sich mit dem inversen Rad zu beschäftigen. Ganz so extrem war es natürlich nicht, ich bin nicht nach einem halben Meter auf die Schnauze geflogen, aber gut bin ich nicht gefahren, und es hat sich auch nicht gut oder richtig angefühlt. Die Räder haben willkürlich in alle möglichen Richtungen gezogen, die Fuhre war träge und schwer zu lenken, präzises Manövrieren ging überhaupt nicht, es ist gehoppelt und gesprungen, dass ich meine liebe Not hatte auf den Pedalen zu bleiben, die Reifen waren auf hartem Untergrund unglaublich mies, ... und so weiter, die Liste ließe sich noch verlängern. Trotzdem, oder genau deswegen, war ab dann das Interesse geweckt, dieses unmögliche Ding zu beherrschen, habe die Anbauteile optimiert, und ich bin ein halbes Jahr lang kein anderes Rad mehr gefahren. Recht schnell war es dann "mein Rad", machte immer mehr Spaß, und die negativen Aspekte vom Anfang gab es nicht mehr. Am Ende habe ich ohne irgendwas daran seltsam zu finden damit Enduro-Fullies gejagt (und musste mich nur sehr selten abhängen lassen) und bin damit Stolperbike-Sessions im örtlichen Felsenmeer gefahren. Bis ich mich dann irgendwann wieder auf mein "normales" FR-Hardtail mit oldschool-Geometrie gesetzt habe, und wieder diese "erste Horrorfahrt" erleben musste. Obwohl ich dieses Rad liebe, kam ich nicht mehr damit klar, es fühlte sich an, als ob ich in jeder Situation genau das Gegenteil des Erforderlichen tun würde. Ich hatte mich komplett umgestellt um all die kleinen "Absonderlichkeiten" eines Fatbikes zu kompensieren, besser noch sie in einen Vorteil umzuwandeln. Das Schlimmste war die Rückgewöhnung auf eine Federgabel, von den ungedämpft federnden großvolumigen Fatreifen kommend, fühlte es sich an wie eine Resonanzkatastrophe aus Gabel und Fahrer. Ich habe dann noch ein paar mal im Wochenrhytmus hin- und her gewechselt, zwischen Schmalspur und Fat, und versucht bewusst darauf zu achten, was ich auf welchem Rad wann mache, und was sich wann "richtig" anfühlt oder eben nicht. Ich hatte mein Fahren offenbar wirklich komplett umgestellt, um mit der Reifenfederung und der Starrgabel am Fatbike schnell sein zu können, und verhielt mich teilweise ganz anders als auf einem gefederten Schmalspurrad. So gesehen hatte ich das seltsame Ding wohl gemeistert, oder es mich?
Nachdem ich dann wieder eine Zeit lang auf dem normalen Rad gefahren bin und mich wieder vollständig darauf eingewöhnt hatte, fiel mir allerdings auf, dass damit vieles einfach "ökonomischer" und einfacher geht. Ich kann mit beiden Rädern alles fahren, ich kann auch mit beiden Rädern schnell fahren, aber auf dem einen fühlt es sich einfach natürlicher und besser an. Mag es sein, dass ich das Schmalspurrad einfach doch eine längere Zeit gewohnt bin? Oder mag es sein, dass sich Nachteile zwar kompensieren und letztendlich sogar nutzen lassen, aber eben immer noch Nachteile bleiben, auch wenn man sie nicht mehr als solche wahrnimmt? Schwer zu beantworten.
Meine persönliche Antwort war, dass ins Fatbike eine Federgabel kam und es mittlerweile nur noch sporadisch gefahren wird, jedenfalls nicht mehr für längere Zeit am Stück ausschließlich. Mit dem Effekt, dass es zwar immer noch Spaß macht und immer noch alles damit geht, aber dass ich subjektiv und objektiv einfach nicht mehr so gut damit unterwegs bin wie zu der Zeit, als ich es ausschließlich gefahren bin, und es sich immer ein wenig seltsam anfühlt. Es ist trotz Federgabel immer noch zu speziell, und mit dem ständigen Wechsel zwischen den verschiedenen Rädern bekomme ich zwar das Fahren auf dem Schmalspur-Hardtail ohne Kompromisse hin, aber eben nicht mehr das "andere" Fahren auf dem Fatbike. Meine Reflexe scheinen ihre Präferenz gefunden zu haben, die andere Richtung bräuchte wieder mehr Gewöhnung und die gibt es nun nicht mehr. Die lange Liste an Absonderlichkeiten von meiner aller ersten Fahrt auf dem Rad, die zwischendurch aus der Wahrnehmung verschwunden war, nehme ich jetzt wieder wahr, zwar nicht mehr störend, aber eben merkbar.
Was ist jetzt mein Fazit aus der Story?
Ja, ich kann mich an vieles gewöhnen, ich kann meine Gewohnheiten bewusst und unterbewusst umstellen, und es macht auch Spaß das ab und an mal zu tun und zu testen, was man alles "bezwingen" kann und wie anpassungsfähig der menschliche Körper, vor allem die unterbewussten motorischen Reflexe sind.
Aber auch wenn ich es geschafft habe, mich vollkommen umzustellen, und etwas "Neues" zu adaptieren, muss das nicht mein Optimum bleiben, ich möchte es nach wie vor hinterfragen und mit Altbekanntem vergleichen. Das Neue muss nicht immer das Bessere sein, auch wenn ich mich daran gewöhnen kann und Vorteile daraus schöpfen kann. Vielleicht weil der Mensch ein Gewohnheitstier ist und die alten Gewohnheiten zu schnell durchschlagen? Vielleicht, weil das Alte tatsächlich besser ist? Letztendlich ist es mir egal warum, ich bewerte das als positiv, was sich letztendlich besser anfühlt. Ganz subjektiv. Und das kann eben auch manchmal das Alte sein. In anderen Fällen ist es das Neue, das sich auch dauerhaft und im Vergleich besser anfühlt, und das ist dann wohl das, was man unter "Fortschritt" verbucht. Anderenfalls ist es eine interessante Erfahrung.
Wer immer wieder mal Neues probiert wird daher nie komplett falsch liegen. Vielleicht leicht daneben aber sicher nicht komplett. Dazu gibt es zu wenig "Revolutionen" in der Bikeindustrie, nicht mal Laufradgrößen sind das. Und eine Vorliebe kann schon mal per se nicht falsch liegen, weder komplett noch unvollständig, weil eine Vorliebe einfach eine subjektive Bewertung darstellt. Was subjektiv gut ist, ist einfach gut, nicht falsch, weil es dazu beiträgt, dass ich mich wohlfühle auf/mit einem Rad, und ich nur dann gut fahren kann wenn ich mich wohlfühle.