Bad Goisern, Sonnabend, d. 18.07.2009, 4:00 Uhr
Wie angekündigt beginnt es zu regnen und die Temperaturen sinken bisher noch relativ unbemerkt aber deswegen nicht weniger bedrohlich ins Bodenlose. Genau wie die meisten anderen Starter der 115km Runde ahne auch ich noch nicht was der gerade beginnende Tag für mich noch bereit halten sollte
5:00 Uhr
Ich träume noch von grünen Almwiesen, Sonnenschein und einem tollen Tag auf dem Bike als die Starter der 206km Runde bei einsetzendem Regen ihr Rennen beginnen
. Ich drehe mich nochmal um und schlafe weiter.
7:00 Uhr
Der Wecker klingelt mit den Schranken unserer Bahnlinie um die Wette. Runterrauf steht wie am Vorabend angekündigt bereits am Fenster und verkündet, dass er heute nicht starten wird. Ich ignoriere den Regen und Runterrauf´s Ankündigung und bleibe noch 10min liegen bevor es zum Frühstück geht. Als ich nach dem Frühstück meinen Power Bar Riegel aufreiße weiß ich, dass ich heute auf jeden Fall starten werde. Runterrauf hingegen scheint es wirklich Ernst zu meinen
Aufgrund der Unwetterwarnung mit Gefahr von Starkregen, Schlammlawinen, lokalen Überschwemmungen und Schneefall bis auf 1800HM habe ich mir eine spezielle Bekleidungstaktik zurechtgelegt. Da unsere Unterkunft keine 300m von der Strecke entfernt ist und außer mir keiner weiter fährt ziehe ich nur den Teil meiner warmen Sachen an den ich auf der ersten Hälfte für notwendig erachte. Bei Bedarf kann ich so bei der Hälfte der Strecke noch einmal in wärmere und trockene Sachen wechseln.
Ich entscheide mich für ein langes Winterfunktionsoberhemd, ein Falke Untertrikot für kalte Tage, meine kurze Hose und Beinlinge. Eine Regenjacke habe ich auch dabei und als mir Will noch seine Regenhose zur Verfügung stellt fühle ich mich eigentlich ganz gut vorbereitet auf das was da kommen sollte. Runterrauf spendiert noch seine langen Rennhandschuhe die zwar für warme Tage ausgelegt sind aber für die Abfahrten sind die bestimmt besser als gar nix auf den Knochen. Normalerweise sollte das ausreichen ...
8:15 Uhr
Ich werde netterweise von Runterrauf zum Start gefahren

und währenddessen ich auf der Fahrt beginne das Wetter um uns herum zu verfluchen überlege ich immer wieder ob ich wirklich starten sollte oder ob ich Runterrauf einfach Bescheid sage, dass wir umdrehen und ich mich direkt wieder ins Bett verziehe. Zeigte das Autothermometer in Großtraun noch frische 12°C an sind es 4km weiter bereits nur noch 11,5°C. Außerdem regnet weiterhin konstant stark. Dass die Temperaturen oben in den Bergen noch um einiges tiefer sind und weiterhin rasant fallen ahnen wir zum Glück nicht
8:55 Uhr
Nachdem wir bis zur letzten Sekunde im warmen und trockenen Auto gesessen haben (siehe auch Foto ein paar Postings weiter) muss ich nun auch raus in den Regen. Runterrauf begleitet mich noch in den Startbereich und wir können ohne Schwierigkeiten direkt bis in den 1. Startblock durchlaufen. Irgendwie hatte ich das aus dem letzten Jahr anders in Erinnerung. Wir nehmen uns sogar noch die Zeit schnell nach den anderen zu schauen, können aber trotz der gespenstigen Leere in Startblock 1 keine bekannten Gesichter entdecken.
8:59 Uhr
Der Moderator kündigt die letzte Minute vor dem Start an. Ich stehe an einer Häuserwand und versuche vergeblich die letzten Sekunden vor dem Start nicht mehr als nötig nass zu werden. Um mich herum beginnen nicht wenige Ihre Regensachen auszuziehen um nicht nur in kurzen Hosen sondern auch in kurzen Trikots zu starten

Ich werde anscheinend mal wieder bestätigt in meiner Einschätzung, dass ich ein Weichei bin
9:00 Uhr
Es geht los - es ist einfach nur nass und das Rennfeeling will sich bei mir nicht so richtig einstellen. Ich rolle eher locker dahin anstatt wie sonst zügig loszufahren. Ich weiß nicht warum aber an diesem Tag war bereits am Start irgendwie alles anders als sonst. Ich rolle eine Weile hinter einem normalen Radfahrer mit Vollkörperregenschutz, Schutzblech und angeschaltetem Rücklicht hinterher bevor ich ihn am ersten kleinen Hügel langsam überhole. Während sich das Fahrerfeld langsam sortiert und so ziemlich jeder im Feld beginnt die Nässe zu verfluchen sinkt die Schneefallgrenze weiterhin unbemerkt immer weiter
Aus Bad Goisern geht es direkt in den ersten Anstieg hinein und so langsam spüre auch ich wie die Nässe in meine Schuhe vordringt. Ich glaub ich bin noch nie so langsam gestartet. Laut der Anzeige der Pulsmessung fahre ich meist mit 80% meiner Leistungsfähigkeit. Das ändert sich bis auf wenige Stellen bis hinauf zum ersten Gipfel nicht.
Nach knapp 10min entdecke ich vor mir die grüne Regenjacke von Sunday und auch die Farbe des Bikes passt auffällig. Ich schließe auf und schiebe ihn kurz ein wenig an. Ein kurzer Smalltalk: Wo sind die anderen? Sind alle gestartet? Fährt Schnegge in kurzen Sachen? Ich fahre weiter mein Tempo und das Gespräch reißt bei ca. 50m Abstand ab während wir gemeinsam mit den anderen in hinauf in Richtung Hölle fahren
Da mein Bikecomputer bei diesem Wetter anscheinend keinen Sinn darin sieht irgendwas anzuzeigen muss ich mich mit dem aktuellen Puls und der Temperatur zufriedengeben.
Langsam gewöhne ich mich an den Regen, die Nässe an meinen Füssen stört auch nicht mehr und ich spüre auch keine Kälte mehr. Es ist anscheinend wie letztes Jahr - wenn man erstmal nass aber warmgefahren ist geht ist es gut auszuhalten.
Die Jungs vom Salzkammergut-TV kommen auf ihrem Quad vorbei und ich hänge mich dahinter. Für die nächsten 500m ist das Tempo ganz angenehm allerdings wird es mir dann doch etwas zu anstrengend und ich lasse wieder abreißen.
Als wir in den Wald fahren bekomme ich eine erste Ahnung davon was uns noch bevorstehen sollte. Der Weg geht mehr und mehr in ein Bachbett über und nach der Querung der kleinen Brücke steht der Weg auf voller Breite ca. 10cm und höher unter Wasser. Das deutlich kältere Bachwasser plätschert fröhlich durch meine Schuhe und ich beginne mir langsam Sorgen zu machen.
Auf dem anschließenden Forstweg wird es wieder deutlich besser. Wenigstens sind wir aus dem Bach raus. Ich habe wieder Zeit auf das Thermometer zu schauen und muss hilflos mit anschauen, wie die Temperatur von 7°C stetig aber unaufhaltsam auf unter 4°C absinkt. Während ich immer wieder nach oben nach dem Gipfel schaue der doch jetzt endlich mal so langsam kommen müsste bemerke ich, wie die Regentropfen immer dicker werden und sich deren Fallgeschwindigkeit verlangsamt.
Nach weiteren 2min bestehen keine Zweifel mehr. Der Regen beginnt in Schnee überzugehen. Ich verfluche die Kälte und den Schnee, wir waren gerademal irgendwo knapp unter 1400HM und es schneite bereits. Angesagt war der Schnee erst ab 1800HM ... ich frage mich inzwischen ernsthaft ab wann mir die ersten

freundlich an der Strecke zuwinken werden
Als es dann auch noch anfängt zu Blitzen und zu Donnern wird auch mir klar wie sehr sich meine Worte vom Vortag hinsichtlich des härtesten bisher da gewesenen Rennens bewahrheiten würden. Wir sind fast oben - es sind noch knapp 2°C - und meine Hände werden kalt. Mit Schrecken muss bereits an die kommende Abfahrt denken und stelle dabei fest, dass ich mir wünsche nicht bergab fahren zu müssen. Das es mal soweit kommen würde
Während um mich herum alle fluchen und zittern fällt die Temperatur weiter ab.
Am Gipfel angekommen stoppe ich kurz und ziehe Runterrauf´s Handschuhe an. Anschließend geht es in die Abfahrt. Ich weiß, dass ich hier so schnell wie möglich verschwinden sollte. Es dauert ungefähr 97Sekunden bis die Handschuhe komplett durchnässt sind und ich merke, dass meine Finger immer kälter werden. Meine Finger beginnen aufs heftigste zu schmerzen und das Gefühl in den Händen schwindet exponentiell mit jedem verlorenen Höhenmeter
Ich verlangsame meine Fahrt aus Sicherheitsgründen, lasse die Fahrer vor mir fahren und werde immer wieder von anderen überholt. Irgendwie quäle ich mich immer weiter bis zum ersten Verpflegungspunkt. Es gibt nur wenig warmen Tee dafür hat es aufgehört zu schneien und es regnet noch stärker als zuvor. Ich schaue mich nach Sunday um aber der ist nirgendwo zu sehen
Als ich weiterfahre frage ich einen anderen Fahrer wie weit wir im folgenden Anstieg raufmüssen. Er sagte was von knapp mehr als 1200HM. Während ich mich noch mit dem Gedanken "Na wenigsten gibt´s nicht schon wieder Schnee" motiviere beginnt es um mich herum stark an zu schneien. Um mich herum fliegen nun dicke fette Schneeflocken ... und das bei nicht einmal 1200HM. Das heißt, die Schneefallgrenze sinkt weiter ab. Inzwischen wird auch mir immer klarer was uns auf der Rossalm erwartet

Diese Aussichten und der Blick auf meine kalten Finger ohne Handschuhe lassen in mir gedanklich das Blut gefrieren. Auf der folgenden Abfahrt geht es Schlag auf Schlag. Erst schießt Sunday mit Lichtgeschwindigkeit an mir vorbei, dass ich denke ich fahre den Berg rückwärts wieder hoch, dann phänomenale Ösis die mich wegen meinem auf der Startnummer vermerkten Nickname frenetisch anfeuern, die Blitzlichtattacke der Fotoapparate in der ewigen Wand, die Leute am Feuer mitten einer Spitzkehre und eine alte Frau ausgestattet mit großen Schildern unter einem Unterstand welche mit 2 leeren Plastikflaschen die Fahrer anfeuernd mitten im überfluteten eisigen Wald steht
Je weiter wir runter ins Tal kommen desto flüssiger fahre ich wieder. Es schien fast so als beginne ich wieder etwas aufzutauen. Die Treppen am Fluss sind beide schön leer und können dieses Mal ohne Warterei gefahren werden. Der Spaßfaktor steigt auch wenn das Thermometer selbst im Tal nun auch nur noch 6°C anzeigt. Ich beginne die Temperaturen gedanklich in Sektoren über und unter 0°C einzuteilen
hoffentlich verschont man mich heute mit der VerFahrenheit
das wäre sonst wohl mein Ende.
gg. 12:00 Uhr kurz vor Bad Goisern
Kurze Zeit später treffe ich an der Verpflegung auf Sunday, der auch unglaubliche Geschichten zu erzählen hat. Ich trinke einen Tee und genehmige mir ein Gel und mahne zum weiterfahren. Eigentlich wollten wir zusammen fahren doch Sunday bummelt ein wenig. Durch bis zu 30cm tiefe Pfützen geht es an einem bis zur Oberkante gefüllten Bergbach entlang in Richtung Bad Goisern. Es gibt zu allem Überfluss auch noch massenhaft Schlamm.
Ich fühle mich eigentlich ganz gut, wenn es nur ein wenig wärmer wäre. An einer der folgenden Brücken sehe ich 400m hinter mir Sunday winken. Ich entschließe mich zu warten. Kurze Zeit später fahren wir zu zweit weiter. Ich versuche das Tempo hoch zu halten und wir sammeln immer mehr Fahrer ein.
Kurze Zeit später lässt Sunday endgültig abreißen und sagt ich soll alleine weiter fahren. Ich sehe, dass es so wirklich keinen Zweck hat. Da ich mich bisher nicht wirklich verausgabt habe kann ich kurze Zeit später eine gute Lokomotive einfangen. Im Windschatten geht es mit 30+x km/h in Richtung Großtraun
Für mich war das sowas wie die Fahrt ins Glück. Die Aussicht auf eine warme Dusche und trockene Sachen war einfach zu verlockend. Da der Schnee auf den Bergen inzwischen nicht mehr zu übersehen war und die Schneefallgrenze anscheinend noch weiter abgesunken war stellte ich die Renntaktik um.
Mein Ziel war es das Rennen zu beenden und dazu brauchte ich unbedingt die warmen und trockenen Sachen die ich bereitgelegt hatte und möglichst noch was für die Hände. Das hieß also direkt in die Unterkunft, aufwärmen, Sachen wechseln und irgendwoher Handschuhe organisieren. Ich überlegte mir erst gg. 13:30 wieder in Großtraun zu starten um erst kurz vor Ablauf des Zeitlimits in die Rossalm zu fahren.
Da ich immer noch relativ ausgeruht war rechnete ich mir sogar ganz gute Chancen aus über die Rossalm zu kommen und der Rest würde dann schon irgendwie klappen. Mir war inzwischen klar, dass es mindestens ab 1000HM Schnee geben würde und dass die 500HM bis zum Gipfel mit den nassen und kalten Klamotten niemals zu schaffen sein würden.
Zuversichtlich und optimistisch fuhr ich in Richtung Großtraun. Ich ließ sogar den gut mit Fahrern gefüllten Stand mit den Heißgetränken außer Acht und stellte zufrieden fest, dass ich inzwischen Spaß an dem Rennen gefunden hatte. Unterwegs rettete ich noch einen Fahrer in kurzen Hosen vor dem Verfahren. In einem kurzen Gespräch fragte ich ihn, ob er so wirklich auf die Rossalm will und ob er weiß was er da vor hat. Er antwortete nur, dass er keine Ahnung hat was da kommt und das er das erste Mal bei der Trophy mitfährt.
Meine Kommentare und Empfehlungen dazu waren sicher nicht sehr motivierend für ihn, da ich ihm davon abgeraten hatte mit der Bekleidung in den Anstieg zu gehen. Ich dagegen hatte inzwischen nur noch ein Ziel im Sinn und das war das Ziel in Bad Goisern.
gg. 12:45 Uhr an der Brücke über den See
Kurz vor Obertraun dann die Überraschung. Auf einmal kamen mir viele Fahrer entgegen und alle sagten, dass das Rennen abgebrochen wurde. Ich ignorierte diese Information und fuhr erstmal weiter bis Großtraun. Ein kurzes Gespräch mit einem Streckenposten brachte die endgültige Gewissheit. Das Rennen war wirklich vorbei.
Um ehrlich zu sein, ich war im ersten Moment enttäuscht und froh darüber nicht weiterfahren zu können. Ich hatte einerseits einen guten Plan und mir das Rennen bis dahin so eingeteilt dass ich das Ziel auch erreichen kann andererseits waren auf einmal 4 Stunden in Kälte, Regen und Schnee jetzt auf einmal komplett umsonst?
Mit etwas Abstand betrachtet war es wohl die beste und einzig richtige Entscheidung, dass Rennen abzubrechen bevor irgendjemanden etwas wirklich ernstes passiert. Besonders die Fahrer ohne Regensachen, die in kurzen Sachen gestartet waren, waren meistens jenseits ihrer Belastungsgrenzen angekommen
Ich bin mir ziemlich sicher, wenn die Rossalm nicht geschlossen worden wäre hätten als erstes diese Fahrer und auch noch viele andere auf dem Anstieg bzw. spätestens in der Abfahrt ernsthafte wenn nicht gar lebensgefährliche Schwierigkeiten bekommen.
Selbst ich, der nochmals mit trockenen Klamotten ausgestattet gewesen wäre hätte mit meinen nassen und kalten Füßen die Rossalm nicht einfach so hinter mich gebracht. Ich bin nach dem anschauen der Bilder von der Schneebedeckten Rossalm fast davon überzeugt, dass auch dort gescheitert wäre - 500HM und mehr mit nassen Füßen durch den Schnee und anschließend im Schnee wieder runterfahren ist ausmeiner Sicht eine ziemliche Herausforderung.
Für mich war es ein unvergesslicher Tag unter wirklich bis dahin noch nie erlebten extremen Bedingungen. Ich bereue es absolut nicht gestartet zu sein auch wenn ich mein eigentliches Ziel nicht erreicht habe.
Ich hoffe in Seiffen kehren wir wieder zu meinem bevorzugten Rennwetter zurück. Ich will bis dahin auch immer artig mein Tellerchen leer essen.
Danke an alle die dabei gewesen sind und die 5 Tage zu einer wirklich schönen Zeit für mich gemacht haben
