Dieser Teil des Berichtes ist ziemlich bilderlos. Heute ärgere ich mich darüber, aber in dem Moment ging es einfach nicht.
Mittwoch, 2. September 2020, Rifugio Sella (2580 m)
Der weitere Weg nach Valnontey (1670 m) ist auch nach der Neugestaltung die absolute Spaßbremse. Alle paar Meter stehen über die gesamte Breite des an sich einfachen Weges hohe Steinplatten als Wasserabweiser. An sich keine Seltenheit in den Bergen, aber über die gesammte Länge des 900 hm langen Abstiegs eine echte Qual. Spaß macht das keinen. Und man muss voll konzentriert sein. Dirk ist es leider nicht.
Die Rifugio ist noch gar nicht richtig aus dem Blickfeld verschwunden, als hinter mir plötzlich der zweite Radfahrer fehlt. Ich werfe mein Rad hin und renne über die Wiese eine Kehre nach oben. Dirk sitzt still am Wegesrand, das Rad liegt neben dran. Es hat ihm buchstäblich die Sprache verschlagen. Als er sich etwas sortiert hat, machen wir Bestandsaufnahme. Anscheinend ist er an den hübschen Steinplatten vom Rad gefallen. Der Bauch und Brustbereich tut ihm weg. Könnte also sein, dass er vom eigenen Lenker gerammt wurde. Übelkeit kommt dazu. Ich vermute eine gebrochene Rippe.
15 Minuten sitzen wir am Weg, dann einigen wir uns, dass Dirk sein Rad nun schiebt und ich alle paar Meter auf ihn warte. Irgendwie müssen wir ja runter. Es sind ja fast 1000 m. Bereits jetzt steht fest, dass für ihn die Tour zu Ende ist. Bei meiner zweiten Wartepause an der Bachbrücke kommt Dirk gar nicht mehr. Ich blicke nach oben und sehe ein paar Wanderer winken. Flugs das Rad abgeschlossen und wieder hochgehechtet. Dirk ist ansprechbar, war aber zuvor kurz bewusstlos. Er berichtet, dass von einem Italiener bereits der Rettungsdienst alarmiert wurde und er gleich von einem Hubschrauber abgeholt wird. Die richtige Entscheidung. Wie gut, dass wir hier von Wanderen umgeben sind, die sich kümmern und bei so etwas nicht zögern. Die Verständigung ist allerdings schwer.
Der Hubschrauber kommt dann tatsächlich sehr zügig und ich erlebe nach fast 25 Jahren Erfahrung in den Alpen die erste Bergrettung. Seilwinde raus, drei Sanitäter kommen herunter. Ich bin so geschockt von er ganzen Situation, dass mir die Lust auf fotografieren völlig vergangen ist. Gaffen kann ich offenbar nicht. Leider. Auch für Dirk wäre das eine Erinnerung gewesen. Wir stimmen uns soweit ab, dass ich sein Radl nehme und mich irgendwie ins Tal durchschlage. Er wird nach Aosta gebracht.
Noch während die Rettungsaktion läuft, mache ich mich mit Dirks Rad auf den Weg und rolle wieder hinunter zur Brücke. Mit zwei Rädern werde ich nun eine Weile brauchen, wenn es überhaupt möglich ist. Deshalb quatsche ich spontan einen locker wirkenden Italiener an, ob er nicht Lust auf Rad fahren hätte. Er hat die Rettung natürlich mit bekommen. Ohne zu zögern übergibt er seinen Begleitern seinen Kram und schwingt sich auf das zweite Radl. Ich habe zwar Bedenken ob seiner Fahrtechnik und des nicht vorhandenen Helms, aber in dieser Situation muss ich hoffen, dass er es hinbekommt. Man darf nicht vergessen, dass es weiterhin immer wieder die senkrechten Steinplatten gibt. Zudem wird der Weg insgesamt etwas technischer. Immer wieder ist Absteigen angesagt. Endlos zieht er sich ins Tal hinunter. Viele Wanderer müssen nun zum wiederholten Mal überholt werden. Nicht alle sind freundlich.
Es geht fast alles gut. Der Italiener erreicht hinter mir heile den Parkplatz von Valnontey (1670 m). Bei mir sieht es nicht ganz so gut aus. Bei einem der vielen Stopps habe ich mir beim Absteigen ordentlich den Fuß verknackst. Dabei war auch ein Krachen zu spüren. Irgendwie ist wohl auch bei mir wegen der Geschehnisse die Konzentration nicht mehr voll da. Aber noch ist nicht viel zu spüren. Ich bedanke mich erst mal überschwänglich bei meinem neuen italienischen Freund. Eine kleine Aufmerksamkeit schlägt er aus und wünscht mir alles Gute. Dann steuere ich das Hotel an, das ich bereits vom letzten Besuch kenne. Es ist zum Glück ein Zimmerchen für eine Person frei. Im Schuppen ist auch Platz für zwei Fahrräder.
Humpelnd steige ich die Treppe zum Zimmer hinauf. Dort ist Fußkühlung angesagt. Ich habe kaum Schmerzen und besonders dick ist der Knöchel auch nicht. Aber sicher ist sicher. Von Dirk erfahre ich, dass er bereits im Krankenhaus ist, aber noch keine weiteren Informationen vorliegen. Geknickt nehme ich in der benachbarten Pizzeria einsam mein Abendessen ein. Ich weiß noch nicht, wie es morgen weiter geht.
Valnontey mit Hotel Valereusa
Nur noch eine Pizza