Während ich in meiner ersten richtig wilden Nacht auf der Tour so in meiner Hängematte liege, frage ich mich plötzlich, ob es in den Westalpen eigentlich auch Bären gibt. Weil, wenn ja, dann hätte ich die Salami und die Gummibärli vielleicht etwas weiter weg aufhängen sollen. Wölfe sind ja im Prinzip Hunde, also easy, aber Bären... Ich komme zum Schluss, dass es die Bären noch nicht durch den Alpenbogen nach Westen geschafft haben, aber so richtig überzeugen kann ich mich nicht.
Da trifft es sich gut, dass sich sowieso früh aufstehen will. Bei der ersten Dämmerung sitze ich bereits auf meinem Rad und rolle Richtung Briançon runter. Unterwegs treffe ich wieder auf verschiedene Schafherden, alle mit ihren Antiwolf-Wachhunden, die mich souverän immer als potentielle Gefahr identifizieren. Die Herden sind immer eingezäunt, doch ich frage mich jeweils, ob der Hund sich bewusst ist, dass er easy über den Zaun springen könnte.
In Briançon nieselt es ein wenig; ich kaufe schnell ein und fahre weiter Richtung Izoard/Péas. In Cervières muss ich mich definitiv entscheiden, ob ich den kürzeren Weg auf der Strasse über den Izoard nehme, oder den spannenderen und lägneren über den Col de Péas. Natürlich entscheide ich mich für den Péas und es lohnt sich! Nach der ersten Rampe kommt man auf ca. 1900m in das Hochtal Vallée des Fonts mit dem Marrais du Bourget.
Das Tal ist recht lang und ein Minidorf folgt auf das nächste. Das hinterste, Les Fonts, liegt auf 2040m. Während ich in das Tal hinein fahre, bessert sich das Wetter etwas und es wird etwas wärmer.
In Les Fonts steht wieder ein Schild mit einer Zeitangabe: 2h30min bis zum Col de Péas! Das ist eine Stunde mehr, als ich optimistisch geschätzt hatte, damit mein Plan aufgeht. Aber jetzt bin ich schon mal hier, also baue ich um und schultere das Rad. Nach der ersten Steilstufe wird es flacher und teilweise fahrbar. Nach etwa 20min treffe ich auf den nächsten Wegweiser. Jetzt sind es nur noch 1h30min. Dafür folgt die nächste Steilstufe, die in meinen Klickschuhen aufgrund des losen Schotters etwas unangenehmer zu gehen ist.
Anschliessend wird es wieder flacher und nach total 1h15min bin ich oben. Also voll in der Zeit.
Hier oben ist es ungemütlich kühl und windig, darum mach ich mich schnell an die Abfahrt. Die ist bis auf ein-zwei kurze Stellen komplett fahrbar und meist sogar mit dem breit bereiften Gravelbike recht flowig.
Der Singletrail ist nur kurz, bald komme ich auf eine Piste. Und weil die nicht jeder mit seinem 4x4 befahren darf, ist die auch in gutem Zustand.
So komm ich schnell und schmerzfrei runter ins Queyras.
Genauer nach Château-Queyras
Etwas vom ersten, was ich im Tal vorfinde, ist ein geöffneter Supermarkt. Bei meiner kurzen Kartenrecherche am Vorabend, hatte ich keinen gefunden; darum habe ich für zwei Tage Essen über den Col de Péas geschleppt, denn am Tag darauf ist Sonntag. Nun gut, ich koche mir ein schnelles Mittagessen und mach mich dann an den sagenumwobenen Col Agnel. Ich weiss gar nicht recht, warum der so mythenbehaftet ist. Ich habe mal irgendwo eine schwarz-weiss bebilderte Heldengeschichte über ihn gelesen und seit ich vor genau
10 Jahren schon mal mit dem Bike hier in der Gegend war, steht er irgendwie auf meiner Todo-Liste. Ich stelle mir also allerhand vor, aber am besten ist's ja, wenn man einfach mal losfährt. Der Kollege motiviert mich gleich zum Anfang tüchtig:
Ansonsten ist v.a. der erste Teil des Passes sehr hübsch. Es hat wieder verschiedene Minidörfer mit durchaus interessanter Architektur auf der Sonnenseite des Tales.
Auf der Schattenseite wächst dichter Lärchenwald, ein Bach plätschert und es ist nichts los.
Auch hier ist das letzte Dorf wieder auf etwa 2000m. Dahinter geht es noch eine Weile weiter mit links Wiesen und rechts Wald, doch dann wird es immer düsterer und karger und kälter und windiger und es beginnt wieder ab und zu zu tröpfeln.
Es läuft mir viel besser als am Iseran. Ich fahr die komplette Steigung ohne Pause durch und bin dementsprechend früher oben als befürchtet. Die Steigung ist überhaupt recht angenehm. Meist so ca. 8-9%, da macht man spürbar Höhe, ohne dass es wehtut. Und ich habe Rückenwind.
Eigentlich hatte ich gehofft, dass auf der Ostseite die Sonne scheint. Dem ist aber nicht so. Weil es hier oben so kalt und windig ist, packe ich mich schnell ein.
Der Col Agnel ist toll, keine Frage, aber im Prinzip ist er einfach ein grasiger Übergang mehr. Ich verstehe den Hype um den Pass nicht so ganz. Ich bin natürlich verwöhnt, aber z.B. an einen Sustenpass kommt er einfach nicht ran, an ein Stilfser Joch schon gar nicht. Da stehen neben der Passhöhe viel fotogenere Berge rum. Sogar mein Hauspass, der Klausenpass, ist mit Claridennordwand, Chammliberg und Schärhorn viel spektakulärer, obwohl er nicht einmal 2000m hoch ist. Aber vielleicht ist mir auch einfach kalt und so mach ich mich an die Abfahrt.
Aus diesem Tal bin ich vor 10 Jahren mit dem Bike rausgekommen.
Mein Ziel ist, möglichst weit runterzukommen. So lande ich schliesslich in Sampeyre. Auch da versuche ich auf dem Camping mein Glück mit der Hängematte. Mein Italienisch ist deutlich schlechter als mein Französisch, aber ich schaffe es, der Signora mein Anliegen zu erklären und bekomme keine Bäume zugewiesen sondern das hier:
Nachtrag:
Karte