Es ist eine ruhelose Nacht auf der Turnauer Alm: irgendwann halte ich es nicht mehr aus im Lager und schleiche runter in den Aufenthaltsraum, wo ich mir mit den Sitzkissen ein gemütliches Bett bastle. Später schleiche ich wieder hoch ins Lager und finde auch dort noch ein bisschen Schlaf, aber nur so viel, dass ich rechtzeitig für das schöne Licht draussen bin.
Verträumt-verpeilt strolche ich über die Alm. Ausnahmsweise ziehe ich den morgendlichen Geräuschen der Natur ein bisschen Musik auf den Kopfhörern vor.
Nach dem Frühstück auf der Hütte höre ich mit halbem Ohr, dass an einem Tisch übers Bergradeln in Österreich diskutiert wird. Ich mische mich nicht ein, denn ich habe mir meine Meinung gemacht: das Planen war wegen der Unsicherheit bezüglich der Fahrverbote eine Qual, und das Unterwegsein ist aus demselben Grund unangenehm. Heute Morgen wurde ich z.B. bei meiner Strolcherei kurz aus den Träumen gerissen, denn auf der für heute angedachten Route hat’s tatsächlich ein Radelverbotsschild. Daher: nie mehr Österreich für mich bis sich die Situation verbessert hat, insbesondere im Osten.
Aber jetzt bin ich ja noch hier auf der Turnauer Alm, daher geht’s vorerst mal auf zwei Rädern weiter.
Kurz nach der Alm wechsle ich auf den Wanderweg, so komme ich nicht am Verbotsschild vorbei und kann im Fall der Fälle den Unwissenden spielen. Das erinnert mich irgendwie an ein Kindergartenspiel: «Komm, wie spielen Veloverböterlis»...
Die Landschaft? Eigentlich recht hübsch.
Aber die Österreicher kriegen es vor allem im Osten trotz enorm viel Platz nicht so recht auf die Reihe, in den Landschaften ein Gefühl von Unberührtheit und Leere entstehen zu lassen: immer steht irgendwo ein Masten oder eine Hütte, und der Wald wird halt schon recht intensiv genutzt, was man ihm dann auch ansieht.
Wir sind hier übrigens wieder auf der Alpennordseite.
Fürs Graveln wäre es eine paradiesische Ecke. Ok, meine Route beginnt recht steil, und ich muss mehrmals grosse Viehgatter überwinden, was aber angesichts des Fahrverbots nicht gross verwundert.
Über einen hübschen Pilgertrail und viel Forststrasse erreiche ich den Pass der Niederalpl und somit auch wieder die Alpensüdseite. Ich tuckerle die steile Passstrasse der Mürz entlang – oh, so ein schöner Fluss!
Seit heute Morgen dünkt mich, dass die
Bremsen nicht mehr so kräftig tun was sie tun sollten. Während der Pause in Neuberg wage ich endlich einen Blick auf die Pads: total runtergefahren, obwohl ich die gefühlt eben erst gewechselt habe (nämlich in Lech am Arlberg). Aber offensichtlich nutzen die sich auf den stotzigen österreichischen Wegen mehr ab als im Wallis. In der Abfahrt vom Plumssattel z.B. habe ich sicher die halben Pads verbraten. Hm, was tun? Ich habe vergessen, Ersatz einzupacken, es ist Sonntag, und ich habe schon noch ein paar Abfahrten angedacht.
Die kruden Wechselwirkungen von geplanter Route, Wetterbericht (ab heute Abend viele Niederschläge bis morgen Mittag), Müdigkeit, Bremspadzustand, potentiellen Fahrverboten und noch ein paar Parametern mehr treiben mich schliesslich in den (auf der geplanten Route anstehenden) Aufstieg auf die Schneealpe, mit dem Ziel, morgen Montag in Mürzzuschlag bei einem Velogeschäft vorbeizuschauen.
Irgendwie ist es nur semigeil, müde und hungrig über 1000 Höhenmeter irgendwo hochzufahren und dabei nicht sicher zu sein, ob man wegen versagender
Bremsen vielleicht wird runterschieben müssen. Entsprechend wäre es eine sehr gute Option gewesen, gemütlich direkt nach Murzzuschlag zu purzeln und dort ein bisschen zu chillen

Aber seien wir doch ehrlich: das mit dem
Homo "sapiens" ist ein Witz, denn eigentlich gleicht unser Geist mehr der Kugel im Flipperkasten als einem Stück Weisheit. Und so steige ich halt...
A propos hochfahren und runterschieben: ein Stück muss ich wegen des üblichen Überoptimismus' von
Gravel schnell hochschieben
In meinem Flash aus Müdigkeit, Hunger und Abfahrtssorgen verwechsle ich beim Lesen dieses Schilds tatsächlich Sonnenauf- und -untergang, und ich zweifle, ob ich wirklich durchdarf. Dabei war beim Planen die Evidenz für die Legalität gleich dreifach:
hier ist’s als Bikeroute angegeben, Komoot warnt nicht vor Fahrverboten, und Strava hat viele Pixel. Und tatsächlich versichert mir ein Velofahrer ein bisschen später, dass ich hier an diesem Nachmittag legal unterwegs bin
Oben angekommen beginne ich mit dem Kampf gegen meine Flashursachen: in der Milchbauerhütte haben sie adäquate Mittel gegen den Hunger.
Danach steige ich auf den Windberg und bekämpfe die Müdigkeit mit einem Mittagschläfchen.
Richtung Westen sieht man reichlich Bergketten.
Richtung Osten hingegen hat’s nur noch zwei Gipfel, nämlich das Klosterwappen und die Heukuppe. Eigentlich hätte ich das Klosterwappen (links im Bild) deutlich dem Windberg vorgezogen, denn es ist der östlichste Zweitausender der Alpen, und man scheint dort oben den faszinierenden Übergang von den Bergen ins Flachland recht schön zu sehen. Aber die Anfahrt zum Klosterwappen ist von Westen her dermassen verhext wegen den Fahrverboten, dass ich irgendwann aufgegeben habe bei der Planung.
Die Almen westlich der Donnerwand sehen nach einem Gravelparadies aus auf der Karte, es hat aber absolut keine Stravapixel dort. Also herrscht demnach ein scharf durchgesetztes Fahrverbot? Ich weiss es nicht – ich weiss nur noch, dass ich weg will aus Verbösterreich
Nur mal schnell zur Beruhigung: ich finde nicht alles schlecht in Österreich
Richtung Südwesten liegt meine angedachte Fluchtroute.
Ein letzter Blick auf den Windberg und die Milchbauerhütte. Mit meinen schwachen
Bremsen fahre ich heute lieber noch trocken ins Tal runter statt in der Hütte zu übernachten und mich morgen bei Nässe runterzuquälen.
Zu Beginn fahre ich wie auf rohen Eiern, aber dann merke ich, dass die Pads schon noch ein bisschen was aushalten. Ein Hochgenuss wird es aber bis runter zur Mürz nicht.
In Mürzzuschlag sucht ein anderer Tourenfahrer lieber eine Bleibe, statt gemütlich mit mir zu schwatzen. Weiser Typ, denn kaum bin ich im Hotel untergekommen, fängt ein gewittriger Hagelsturm an. Und so geht’s am Abend im strömenden Regen zum Essen.
Karte.
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