Heute, 19.10.2016, in der SWP:
Alte Regeln, neue Floskeln
Runder Tisch Verbände und Politik haben geklärt, wie Mountainbiker und Wald-
Spaziergänger harmonieren können.
Stuttgart. Gut, dass wir darüber geredet haben: Der Streit zwischen Radlern und Wanderern im
Wald ist entschärft. Allein durch die Debatte am Runden Tisch und ganz ohne jedwede neuen
Regelungen. Die braucht es ja, denn: „Wir leben in einem dicht besiedelten Land und nicht in
den Pyrenäen“, sagt Landwirtschaftsminister Peter Hauk (CDU).
Was in nordischen Ländern der natürlichen Urteilskraft überlassen ist, braucht hierzulande fixe
Vorschriften. Eine besagt: Mountainbiker dürfen nur auf Waldwegen radeln, die breiter als zwei
Meter sind. Als die von Grün-Rot vor gut zwei Jahren eingeführt wurden, galt es, mehr als zwei
Millionen Menschen, die täglich im Wald unterwegs sind, friedlich aneinander vorbeizulotsen.
Zuvor wurde gerempelt und geschimpft. Wanderer wurden absichtlich umgefahren, die
spannten hingegen Stahlseile, damit Radler stürzen. „Die waren damals alle auf den Bäumen“,
sagt Hauk.
Davon sei nichts mehr zu spüren dank des „intensiven partizipativen Prozesses“, zu dem Grün-
Schwarz die organisierten Radler und die organisierten Wanderer einlud. Und davon gibt es
viele: Rund 30 Verbände von „A“ wie Allgemeiner Fahrradclub bis „W“ wie Württembergischer
Radportverband haben ein Leitbild erarbeitet, eine Richtschnur für richtiges Verhalten im Wald.
Regierungschef Winfried Kretschmann (Grüne) erklärte: „Wir setzen damit auf Dialog und auf
die Vernunft der Menschen.“
Nun zeigt allerdings die Vergangenheit, dass es mit Vernunft nicht weit her ist. Es braucht
Regeln wie die Zwei-Meter-Vorschrift. Und es sei nicht sinnvoll, an ihnen zu rütteln: Die
Vorgabe habe sich bewährt, die Regierung sieht derzeit keine Notwendigkeit, davon
grundsätzlich abzurücken“, so Hauk. Andere Länder hätten das auch. Lediglich lokale
Ausnahmen seien möglich. Überdies könnten bestimmte Mountainbikerpfade geschaffen
werden.
Hauk gibt denn auch unumwunden zu, dass sich außer der Rhetorik nichts geändert hat. Der
Rest des Leitbildes ist wolkig. Eine Floskel-Kostprobe: „Ein harmonisches Miteinander ist
angesichts der großen Diversität von Interessen und Ansprüchen darauf angewiesen, dass die
gesellschaftlichen Gruppen miteinander im konstruktiven Dialog stehen.“ Solche Sätze erfindet
man nicht im Vorbeigehen, da braucht es mehrjähriges Konferieren.
Minister Hauk hat übrigens gar kein Mountainbike. Und sein Chef Kretschmann ist zu Fuß im
Wald: „Ich treff‘ die oft beim Wandern, die [Mountainbiker; Anm. d. Red.] sind in der Regel sehr
freundlich.“
Gestern war übrigens der „Erste Deutsche Waldtag“, an dem Tourismusminister Guido Wolf
(CDU) jedoch nicht teilnehmen konnte: Es hatte ihn bereits zwei Tage zuvor – ganz ohne eines
Wanderers Mitschuld – vom Mountainbike gehauen. Rippenbruch, Armbruch. Bodenwellen
kriegt jedenfalls auch ein runder Tisch nicht eingeebnet.