Der Oberst inspiziert das Obereichsfeld

sketcher

over the hills
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7. Juni 2001
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12
Ort
Eichsfeld
Ich weiß nicht, ob ihr's wustet:
Unser Oberst Jockel befindet sich samt Familie im Eichsfeld
um das Neujahrsfest hier in Ruhe und Abgeschiedenheit zu verbringen. Und mir kam die Ehre des Quartiermeisters zu. Welches keine so leichte Aufgabe ist, wenn man den preußisch-spartanischen Geschmack des Oberst kennt. Doch ich fand in Martinfeld, am Fuße des Westerwaldes, eine kleine, bescheidene Unterkunft, die seinen Anspüchen an ein karges Quartier hoffentlich Genüge tut.
Da der Oberst entschlossen war Land und Leute, Eichsfelder Brauchttum, Geschichte, christliche Traditionen (die ihm immer noch sehr fremd und exotisch erscheinen) kennenzulernen und nicht zuletzt sich vom millitärischen Verteidigungszustand meines Aussenpostenbereichs zu überzeugen, brachte er sein legendäres Kocmo mit.

Gestern am Sonntag schlug für mich die Stunde: 0800 fuhr ich in GB (Großbartloff) los, überschritt mit meiner Tin Lizzy den Westerwald und meldete mich in Jockels Quartier bereit zur Inspektionsfahrt.
Freundlich wurde ich hineingebeten, die bezaubernde Gattin des Oberst reichte mir heißen Kaffee und ich hatte Gelegenheit mit mit den Kindern zu scherzen.
Doch dann wurde es Schluss mit Lustig. Der Oberst schnürte sich die Schuhe, nahm den Helm (die Uniform/ Bikeklamotten trägt er offenbar immer) und bestieg sein braves Roß. Und ich folgte ihm.

Ich will seinem sicher folgendem Bericht nicht vorgreifen (*), deshalb nur kurz zu den Stationen unserer Reise:
Martinfeld > Berterode, dann hinauf zu den Dieteröder Klippen. Herrliche Aussicht auf den Obereichsfelder Kessel. Kurzes Kartenstudium und auf alten, schienenlosen Bahndämmen einen Abstecher zum alten Fürstenhagener Bahnhof unternommen. Die dortige, wohl seltene "Spitzkehre" begeisterte den Eisenbahnliebhaber Jockel. Doch dann wieder ganz der Oberst: "Wir sind nicht zum Spaß hier!" Das hatte ich auch schon bemerkt, denn obwohl er sichtlich zurückhaltend fuhr, hatte ich sowohl bergauf, als auch bergab den ganzen Tag Mühe, ihm zu folgen. Glücklicherweise fanden sich auf unserem Weg immer wieder Zeugen der Vergangenheit oder der Gottesfürchtigkeit meines Volkes, der den überaus interessierten und fremden Kulturen aufgeschlossenen Jockel zum Verweilen und Fotografieren einluden und mir Gelegenheit gaben, mich etwas zu erholen.

Das nächste Ziel war die Gobert, einem für hiesige Maßstäbe imposanten Bergrücken mit anständigen Up- und Downhills, alten Grenz- und Kolonnenwegen, Trails, Stasitunnel und natürlich wunderbaren Aussichtspunkten.
Immer im gebührlichen Abstand hinter ihm, wies ich ihm mit "links!", "rechts!", "grad uss" den Weg. Rachelsberg, Schöne Aussicht, Hohestein, Wolftisch, Pferdeloch, Silberklippe, dann mein Lieblingstrail um das Kellaer Tal (hab mich auf den glischigen Wurzeln zweimal lang gemacht, aber er hat's nicht gesehen).
Nachdem wir dort oben so ziemlich alles Wichtige (na ja, es gibt da schon noch die Goburg, den Altenstein, die Nase und so leckere Sachen) mitgenommen hatten, fuhren wir talwärts nach Pfaffschwende. Der sehr steile und schmierige Betonplattenweg unserer ehemaligen Grenztruppen beeindruckte fahrtechnisch selbst den erfahrenen Oberst.

Dann wollte er unbedingt noch über den Westerwald fahren, oder das Viadukt von Lengenfeld sehen, oder die Tunnel der alten Kanonenbahn erkunden, oder ... Doch nach fast 60km und über 1000 Hm war (ehrlich) bei mir etwas die Luft raus und ich konnte ihn rumkriegen, in GB erst mal nen Kaffee zu tanken.
Mittlerweile war es 1500 und Jockel wollte gern im Hellen noch seine Familie in Martinfeld wiederfinden. Ich beschrieb ihm den Weg und er nahm Abschied um allein noch mal über den Westerwald zu fahren. Ich war sicher, er würde auch allein den rchten Weg finden. Ohne seinem Rapport vorzugreifen, gab er mir zu verstehen, daß sein Urteil über den Zustand der Provinz Eichsfeld durchaus wohlwollend ausfallen würde.

Das Wetter spielte leider nicht so mit: Kein Tropfen Regen, sogar die Sonne ließ sich ab und zu blicken. Beschämend, aber nicht zu ändern. Nun ja, man kann nicht alles haben.

Für mich war es ein wirklich schöner Tag. Eine Fahrt mit Jockel ist eins der besten Erlebnisse, die man als Biker haben kann, als Eisenschwein sowieso.
Manchmal wünscht ich, ick wär een Bärliner (aber nur, wenn es das Eichsfeld nicht gäbe ;)).

Grüße
euer sketcher

(*) Jockel bemerkte am Rande, daß er Freund Rikman angewiesen habe, jegliche Schmähreden sketchers sofort zu löschen, da er selbst momentan keinen Einfluß auf das Forum habe (nix WWW).
Deshalb dieser etwas schleimige Bericht. Ihr versteht ... ;)
 
Danke Sketcher für den schönen (geschleimten) Bericht. Bin ja mal gespannt was der Oberst noch hinzufügen (oder gar kürzen) wird. ;)

Ein frohes Neues an dieser Stelle dann auch ins Eichsfeld,

Harry
 
Hat der große Mann dich also (auch) das Fürchten gelehrt!?!

Der Bericht ist super, aber von dir hätte ich auch nicht weniger erwartet!
 
Nun, das Fürchten zwar nicht (schließlich ist es ja mein Revier und so war ich nicht an ihn gekettet ), aber Respekt hat er mir schon beigebracht. Und Mitgefühl für die Truppe, die dem Großen Schinder folgen muß. :D

Doch wir haben uns wirklich bestens verstanden, auch weil wir beide so richtige Naturburschen sind. :love:

Grüße
sketcher

(aber beim :bier: ist er mir unterlegen) ;)
 
Original geschrieben von sketcher
Doch wir haben uns wirklich bestens verstanden, auch weil wir beide so richtige Naturburschen sind. :love:
Richtig!
Das war eine überaus feine Sache. Auch von mir wird spätestens morgen ein ausführlicher (...und selbstverständlich bebilderter!) Rapport zu lesen und zu sehen sein, in dem einige nicht unwesentliche Details näher beleuchtet werden.
 
So will ich denn einige kleine Anmerkungen, über dieses denkwürdige „Eichsfelder-Treffen“ bringen:

Es begab sich, dass mir der Sinn danach stand, im Kreise meiner Familie, den Jahreswechsel abseits der großen Stadt zu verbringen. In diesem Zusammenhang fiel mir ein, dass es, ganz am Rande der zivilisierten Welt, eine Gegend gäbe, welche allgemein „Das Eichsfeld“ genannt wird und von welcher ich bis dato genug gehört hatte, um meinen Endeckerdrang zu entzünden. Der Name „Eichsfeld“ rührt zum einen von einer dort heimischen, weit verbreiteten Gehölzart her, zum anderen aber dient er wohl der Umschreibung der knorrigen Lebensart der dortigen Ureinwohner und ihrer, zumindest für Außenstehende, archaisch anmutenden Lebensweise. Ich wollte nun also meine freien Tage dazu nutzen, um die Sitten und Gebräuche dieser Spezies weiter verstehen zu lernen, ist es doch die Völkerkunde, welche mich neben dem Radfahreinerlei stets zu begeistern vermag.

Wozu gibt es Außenposten, dachte ich bei mir und meldete mein Kommen beim zuständigen ESK-Außenposten an. Dieser Posten ist nun, der nah und fern, aufgrund seiner Scharfsinnigkeit geschätzte Sketcher. Dieser nun, eine Chance erkennend, bestimmte Vorurteile*, örtliche Sitten und Gebräuche betreffend, auszuräumen, ruhte nicht eher, als er die Unterbringung meiner Familie in adäquater Umgebung, sowie spezifische Transportprobleme, welche in Ergänzung meiner Anreise notwendig waren, sichergestellt hatte.
Ursprünglich sollte mein Rädchen gar nicht mit ins Reisegepäck (so dass ich auch nicht weiter auf meine Reise hinwies), aber einige Umstände ließen es dann doch angeraten erscheinen, darauf nicht zu verzichten. Sketcher konnte bei einer ersten Begegnung offensichtlich auch bei meiner Familie einen positiven Eindruck hinterlassen, so dass meine liebe Frau nichts gegen eine Inspektionsfahrt meinerseits an seiner Seite einzuwenden hatte.

Am 29.12.02 ging es nun also gegen 09:30 los. Wie durch sketcher bereits ausführlich beschrieben, zogen wir unter seiner außerordentlich sachkundigen Führung, einen recht ausgreifenden Kreis, welcher einen recht guten Überblick über das Einsatzgebiet „Obereichsfeld“ ermöglichte und aufzeigte, dass hier noch wesentlich mehr zu holen sein wird.
Immer wieder boten sich dem interessierten Besucher reizvolle Ausblicke auf die nahezu unentdeckte Landschaft des Obereichsfeldes. Wie der mit einer guten Allgemeinbildung versehene Leser sicher weiß, lag dieses Gebiet vor gar nicht allzu langer Zeit im unmittelbaren Bereich der innerdeutschen Grenze, was dazu führte, dass weite Teile in einen Dörnröschenschlaf verfielen, was, zumindest aus heutiger Sicht, nicht nur negative Folgen hatte, wie der vergleichende Blick auf die angrenzenden hessischen Gemeinden offen legt, welche ihre Identität unter der Fuchtel von Asphaltmaschine und Neckermann-Häuslebauern nahezu eingebüßt haben.

Ich weiß nun nicht genau woran es lag, ob an den vielen Heiligtümern oder an dem Hufeisen, welches mir meine Tochter vor Abfahrt, zum Schutz vor Unbill in den Rucksack steckte, jedenfalls überlebte ich einen ziemlich herben Sturz im letzten Drittel der Inspektionsfahrt und kann mich glücklich schätzen, nur über ein verstauchtes Handgelenk und ein geprelltes Knie wehklagen zu müssen. Trotz dieses herben Niederschlages, welcher mal wieder durch meine, den Gegebenheiten trotzenden Fahrweise, gepaart mit ungenügender Fahrtechnik, verursacht wurde, schleppte ich mich weiter und wurde dafür noch mit lecker Käffchen und Kekschen in sketchers trautem Heim belohnt.

Alles in Allem lässt sich mit Fug und Recht behaupten, dass sich das ESK glücklich schätzen darf, einen derartigen Außenposten zu besitzen, welcher in jedem Falle nachweisen konnte, das er den ihm anvertrauten Bereich voll im Griff hat. Ich jedenfalls werde die nächste, sich bietende, Gelegenheit ergreifen und dem Obereichsfeld einen weiteren Besuch abstatten. Vielleicht liest ja dann Onkel auch rechtzeitig seine PM’s, und schließt sich der Fahrgemeinschaft an.

Im Folgenden noch einige Bildchen, welche die Inspektionsfahrt dokumentieren. Den Anfang macht der Ausblick von den Dieteröder Klippen:






* Vorurteile welche meist von einer spezifischen Wissenslücke herrühren, wie sie Angehörigen der ostelbischen Nachkriegsgeneration immanent sind.
 

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Hier nun der Blick vom Altenstein nach Bad Soden:
 

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Gegen 12:00 meldet sketcher, daß nach dem unmittelbar bevorstehenden Fall der Burg Rothestein (Bildmitte) der Weg nach Hessen frei sei:
 

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Wie man meinem blöden Grinsen entnehmen kann, fällt es mir mit zunehmendem Alter schwerer, den Glaubensbekenntnissen diverser Teile der Bevölkerung den notwendigen Respekt engegen zu bringen (...was aber ausschließlich auf meinen ungenügenden Bildungsstand dies betreffend zurückzuführen ist):
 

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Moin moin!

Mal wieder tolle Berichte und Fotos. Die Frage, die sich mir aber beinahe stellte, war die nach der Jahreszeit. Doch dann erblickte ich auf dem ersten Bild ein wenig Schnee-/Eisersatz. Damit war auch dies geklärt.

Gruß aus Neubrandenburg
ZZZZZorro
 
Jockel,

der Neid ist auf meiner Seite - schöne Tour, schöner Bericht, schöne Fotos. Mensch, Ihr seid ja bis zur Deutsch-Sowjetischen Grenze gepilgert - Hut ab!

Ackebua
 
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