Einzelzeitfahren

J-CooP

Eisenschweinkader
Registriert
19. Juni 2002
Reaktionspunkte
43
Rikman hat aufgehört zu rauchen und fährt angeblich ständig Fahrrad, im Fernsehen gibt es auch nichts anderes und Jockel ist auch auf einer seiner legendären K(r)ampftouren.
Da ist es ja kein Wunder, dass man ein schlechtes Gewissen bekommt, wenn man nichts tuend zu Hause sitzt. Gestern Abend wurde dieses schlechte Gewissen immer quälendener und ich haderte mit mir die Jockel Tour mitzufahren. Doch nachdem ich mir bei meiner letzen Ausfahrt von drei greisen Amateuren (Jockel, Husten und Menis) ;) zeigen lassen musste, wo der Hammer hängt, beschloss ich meine Form heute lieber in Ruhe selbst zu testen.

Da ich nicht gerade mit dem Rauchen aufgehört habe, erwachte ich erst um 9:00 aus meinem nächtlichen Schlaf und kochte mir zum Frühstück einen Topf Milchreis. Wie ich da so saß und aß, entschied ich mich heute mal standesgemäß auf schmalen Reifen dahin zu gleiten – praktisch ein Einzelzeitfahren.
Also ab in den Keller und die Zeitfahrmaschine begutachtet – alles nur vom feinsten. Dank eines Rahmens aus modernstem Chrom-Molybdän-Geröhr und der Anwendung des neuen Shimano Direktschaltgetriebes mit einer Übersetzung von 46-16 war es den Technikern möglich gewesen das Gewicht meiner Maschine auf 8,7kg zu drücken. Nachdem die Reifen auf den erforderlichen Druck gebracht waren betrug das Gewicht 8,75kg. Dazu kamen noch meine 79kg, ein halbes Kilo Milchreis in meinem Gedärm, völlig übertriebene 3kg Wasser, zwei Bananen, ein Apfel, Werkzeug…. Sagen wir insgesamt etwa 2 Zentner.

Um 10:33 rollte ich von der Startrampe und machte von Beginn an mächtig Tempo. Mit über 30 ging es in den ersten Berg, hinauf nach Wildenbruch und bald überholte ich eine alte Frau, die bestimmt 5 Minuten vor mir gestartet war!
Im Bereich der Autobahn zwischen Langerwisch und Wildenbruch kam zum ersten Mal an diesem Tag das grauen der Pflastersteine – auch Pavé genannt auf mich zu und jeder Stein ging dank 8bar in den Pneus direkt in die Knochen.
Zwischen Wildenbruch und Fresdorf hatte man es nicht geschafft die Straße rechtzeitig zur Tour fertig zu stellen und so wurde meine Fahrt von einer Ampel kurz verlangsamt.
Über eine Bergwertung der zweiten Kategorie ging es hinauf nach Fresdorf und in Serpentinen wieder hinab durchs Dorf.
Noch ein paar Kurven und zwei kleinere aber nicht minder harte Anstiege und ich Befand mich auf der Abfahrt nach Stücken. Die Straße war von Alleebäumen gesäumt und ich konnte etwas durchatmen. Das war auch nötig, denn zwischen Stücken und Zauchwitz lag noch eine Riese: der „Col de Trost“ mit seinen fast 54 Metern war schon Generationen von Rennfahrern zum Verhängnis geworden. Ich jedoch fühlte mich gut und flog ihn mit flinken Beinen hinauf. Nicht anders verfuhr ich mit dem sich direkt anschließenden „Col Breite“, auf dessen Gipfel ich meine ersten Konkurrenten auch schon mit gesenktem Blick in die Teamfahrzeuge steigen sah.
Am Ende der Abfahrt folgte der Kreisel von Zauchwitz, den ich ein paar Mal umrundete um mich dann mit Schwung auf die langen relativ flachen Stücke über Rieben, Dobrikow, Hennickendorf und Berkenbrück in Richtung Rad-und Skatesportmekka Luckenwalde aufzumachen. Doch kurz vorm Erreichen von Luckenwalde machte die Strecke einen Linksknick Richtung Ruhlsdorf. Hier im Süden, wo es Kilometerweit immer nur geradeaus geht, hat einst die Radsportlegende B.Stengel besser bekannt als „der Teufel“ auf Mifa seine Waden gestählt. Ich wollte diese Trostlose Gegend möglichst schnell verlassen und steuerte über Ahrensdorf Trebbin an. Trebbin wird von Radsportfreunden auch gerne Roubaix des Ostens genannt, denn es ist teilweise noch mit echtem Römischen Pavé gepflastert. Dies machte es den Organisatoren natürlich unmöglich hier eine kleine Extrarunde zu installieren, was die einheimische Bevölkerung mit Begeisterung aufnahm.
Über Löwendorf ging es ins geschichtsträchtige Örtchen Glau, das mit seinen pittoresken Festungen und Kirchen verschiedenster Stile am Südhang des „Massiv Glauoise“ gelegen ist. Auch die Straßen passten hervorragend zu diesem Dorf. Diesmal hieß das Stichwort allerdings nicht „Pavé“, sondern „Rûssenstraçé“.

Inzwischen hatte ich meine Fahrtrichtung etwas geändert und musste nun neben den Straßenverhältnissen auch noch gegen den Wind kämpfen, was mich dazu bewog, ob meines enormen Vorsprungs, am Fuße des „Monte Glau“ eine kurze Rast einzulegen, eine Banane zu knabbern und ein Foto zu knipsen.
4960glau.jpg

Nach der Récreation ging es über Schiaß und Jütchendorf ins uralte Gröben mit seinen Bauernhöfen und Restaurants. Wer schon einmal in Gröben war, der weiß, dass es eine Art Sackgassendorf ist – es sei denn man ist bereit für weitere etwa 3km „Pave“. Also Druck auf die Pedale und schnell drüber.
4960pave.jpg


Die Strecke führte diesmal nicht über Saarmund zurück in den Start- und Zielort Langerwisch, sondern über „Déponie“. Das verhieß nichts gutes, denn „Déponie“ liegt an einem mörderischen Anstieg in den Ausläufern des sagenumwobenen „L’Alpe de Saamund“, welcher bis hinauf auf 61 Meter führte. In solchen Höhen sinkt die Leistungsfähigkeit auf etwa 1/3 ab und so waren selbst meine Waden kurz davor sich zur Faust zu ballen. Kurz vorm Umfallen erreichte ich den Gipfel und konnte meine Beine in der folgenden Abfahrt zur Autobahn wieder lockern.

Es folgten noch ein paar kleine Kuppen und schließlich die Einfahrt in mein Heimatdorf, wo die Massen mich als Lokalhelden natürlich stürmisch empfingen.
Ich denke dieses Trikot mit den bunten Streifen werde ich wohl nicht mehr abgeben müssen.

4960tour.gif
 
JA, QUÄL DICH, DU SAU! Stampf sie in Grund und Boden. Sei unser Held, sei unser Mann auf dem obersten Treppchen! Solche Männer braucht das Land - die mit dem Killerinstinkt! :daumen:

Ritzelflitzer
 
eine geniale story, j-coop! du weißt deine solotouren immer am besten zu 'verpacken', hat spaß gemacht zu lesen und vor dem inneren auge nachzufahren.
es ist toll, aber natrülich nicht wirklich erstaunlich zu sehen, wie dominierend du bei dem einzelzeitfahren aufgetreten bist. trotz der länge, trotz der schweirigkeiten mit bergen und pavés konntest du die konkurrenz mit einem zwinkern hinter dich lassen - :daumen:

Am Ende der Abfahrt folgte der Kreisel von Zauchwitz, den ich ein paar Mal umrundete um mich dann mit Schwung auf die langen relativ flachen Stücke
ich kann mir gut vorstellen wie du, im kreisel routierend immer schneller und schneller wirst und nach einigen runden schlußendlich, der schallgeschwindigkeit nahe, davonsaust.

rb
 
lieber jcoop,

top bericht! danke! natürlich bin ich an der einen und anderen formulierung etwas hängengeblieben...

J-CooP schrieb:
Doch nachdem ich mir bei meiner letzen Ausfahrt von drei greisen Amateuren (Jockel, Husten und Menis)

...doch darüber wollen wir heute hinweg sehen. hauptsache die jugend bekommt trotz der drogen, des vielen fernsehens und der ungezügelten computerspielsucht ein wenig frische luft und etwas bewegung. beste grüsse... menis
 
Zurück