Die drölfzigste Lobeshymne auf mein Alteisen 1.0..
Es konterkariert viele Annahmen, die, so wie es dasteht, das Stevens aus heutiger Sicht ja eigentlich unfahrbahr machen sollten.
26 Zoll?
Heutzutage gelten selbst 27,5 Zöller als zu nervös und zu langsam
(positive Umschreibung: "verspielt" ), nicht nur aufgrund der besseren Überrolleigenschaft gelten 29"-Zöller als das Nonplusultra. Klar ist das eine subjektive Empfindung von mir, aber ich merke davon auf den Trails überhaupt nix. Dort, wo die Jungs mit ihren Wagon Wheels durchkommen, komme ich in der Regel auch noch gut durch. Es gab noch nicht eine Situation in der ich meine Räder als zu klein empfunden habe.
kurze Geometrie?
Aktuelle Räder in L weisen einen Reach von um die 470-500mm bei nem Radstand zwischen 1200-1300mm auf, was insbesondere für eine hohe Laufruhe beim Ballern sorgen soll. Mein Alteisen hat nen Reach von 395mm bei nen Radstand von gerade mal 1090mm, ist also schon auffallend kurz im Vergleich zu aktuellem Gedöns geraten. Dennoch, auch bei Vollgas verhält es sich erstaunlich ruhig, von Nervosität keine Spur.
langer Vorbau und steiler Lenkwinkel?
Die modernen langen Geometrien ermöglichen kurze Vorbauten zwischen 30 und 50mm, die iVm den flachen Lenkwinkeln (ca. 64-66,5°) und den längeren Gabeln
(größere Räder + mehr Federweg) dafür sorgen, daß das Vorderrad schön weit weg von einem ist, so daß alleine schon aufgrund der Hebelverhältnisse man schon gehörig viel falsch machen muß, um nen OTB zu provozieren. Das Vorderrad moderner Enduros steht um die 29cm vor dem Lenker, was die Hebelverhältnisse deutlich entschärft. Dagegen ist mein Alteisen mit dem 90mm Vorbau und dem 68° Lenkwinkel in der Tat nicht ganz so gefeit, da steht die Vorderradnabe nur ca. 19cm vor dem Lenker. Nichtsdestotrotz sind die Hebelverhältnisse an meinem Alteisen bei weitem nicht so schlimm, als daß ich ständig in Gefahr stehe über den Lenker abzugehen. Erst wenn es richtig holprig und steil bergab geht merke ich da Unterschiede auf den Trails zu in etwa gleichguten Mitfahrern. Im Originaltrimm des Stevens mit 71° Lenkwinkel und nem 110mm Vorbau stand das Vorderrad gerade mal knapp über 13cm vor dem Lenker, damit war man bergab schon bedeutend häufiger in Überschlaggefahr als einem lieb war, vor allem wenn das Cockpit recht tief liegt und man so eh schon immer mit viel Gewicht auf dem Lenker daherkommt. Ich bin mit einer solchen Geometrie zwar damals auch den Tremalzo runtergekommen, fühlte mich aber häufig mehr als Beifahrer denn als Pilot. Man muß kein Mathegenie sein, um zu erkennen daß die Hebelverhältnisse gerade bergab einen wichtigen Sicherheitsfaktor darstellen.
wenig Federweg?
Das Argument passt hier eigentlich nicht so ganz rein, da heutzutage auch teils mit bewußt reduzierten Federwegen abfahrtstaugliche Mountainbikes angeboten werden, Stichwort "Downcountry". Das wird dann aber gerne auf die viel besser gewordenen Federelemente zurückgeführt, die sowas ermöglichen. Meine ´08er Rock Shox Reba Dual Air Gabel und der ´13er Rock Shox Monarch RT3 Dämpfer ermöglichen gerade mal 123 Federweg vorne und 106mm hinten, dennoch ich habe wahrhaft nie das Gefühl zu wenig Federweg zu haben, selbst wenn ich mit Enduro-Fahrern unterwegs bin. Auch habe ich die Federelemente noch nie zum Durchschlagen gebracht, wenngleich ich zumindest hinten den kompletten Federweg bei "artgerechter Nutzung" auch mal komplett aufbrauche. Im extrem verblockten steinigen Gelände allerdings fühle ich mich nicht mehr ganz so wohl, da wird mehr Federweg vermutlich auch mehr helfen, aber sowas brauche ich zumindest in Hamburg nirgends.
zu wenig steif?
Die heutigen Rahmen sind durchweg deutlich steifer geworden, haben auch größere Lager, vor allem auffällig im Bereich des Lenkkopfes, und die Standrohrdurchmesser sind ebenfalls deutlich angestiegen, auch die
Felgen sind deutlich voluminöser geworden. Der Rahmen meines ´05er Stevens galt schon in zeitgenössischen Tests als im direkten Vergleich nicht besonders verwindungssteif, wovon die Tester auf den Trails allerdings nichts nachteiliges bemerkt haben. Dem kann ich mich anschließen, ich habe noch keine Fahrsituation erlebt in welcher mir meine Fuhre unangenehm wackelig rüberkam, Im Gegenteil, mir scheint der Flex des Rahmen stets genau passend zu sein. Er filtert einiges weg, ohne dabei die Fuhre unpräzise zu machen.
3x9?
Heutzutage gibt es eigentlich nur noch Einfachlösungen. 1x12 ist "state of the art", simpel in der Anwendung, und verhindert wirksam Kettenabwürfe. Bis auf Ausnahmesituationen
(nach Abfahrt sofort wieder in den Gegenanstieg), in denen man den
Sattel schnell wieder hochfährt und zugleich den richtigen Gang finden muß, komme ich mit der 3x9 sehr gut zurecht, und gegen die leidigen Kettenabwürfe kann man ja auch recht einfach was machen, wie ich mittlerweile festgestellt habe.
Resümee
Das Design des Stevens F9 Race stammt vermutlich noch aus dem Jahr 2000, seitdem ist viel Wasser nicht nur die Elbe stromabwärts geflossen. 26-Zöller wurden bis 2013 noch neu angeboten, danach war dann mehr oder weniger Schluß. Aber in diesem Zeitraum von 13 Jahren haben sich die Geometrievorstellungen schon klar in die Richtung der heutigen Geometrien gewandelt. Die Rahmen wurden mit den Jahren immer länger, flacher und steifer, die Lenkwinkel flacher, die Vorbauten kürzer und die Lenker breiter. Es hat keine Revulotion zu den modernen MTBs stattgefunden, wie es einem so manche Bike-Bravo wahrmachen möchte, es fand vielmehr eine Evolution über viele viele Jahre statt. Es gibt einige 26-Zöller selbst aus den letzten Produktionsjahren des Stevens F9, welches nach 2007 endgültig aus dem Programm genommen wurde, die ein wesentlich moderneres Layout aufweisen, und vermutlich eine bessere Basis für eine Verschlimmbesserung darstellen, da von Haus aus schon mit einem längeren Rahmen und flacheren Lenkwinkel bzw. steileren Sitzwinkel ausgestattet.
Der kritischte Punkt in meinen Augen sind die tendentiell in Bezug auf den gefürchteten OTB eher ungünstig kurzen Hebelverhältnisse älterer Geometrien, die bergab auf rumpeligen Trails gerade ungeübte Fahrer massiv herausfordern. Unfahrbar macht dies alles die Räder natürlich nicht, aber es bedarf schon einen versierten Fahrer, der mit sowas umgehen kann.
Man muß nicht gleich versuchen eine Wissenschaft draus zu machen
(so wie ich.. ), aber darauf zu achten daß die Federelemente und die
Bremsen ordentlich funktionieren, man gute
Reifen aufgezogen hat, die Cockpithöhe passt, der Vorbau nicht übermäßig lang und der Lenker nicht allzu zu schmal ist, sollte niemanden hier überfordern.
Also wenn ihr auf den Trails von Fahrern auf zeitgenössischen Bikes verblasen werdet, schiebt ja nicht Eurem Alteisen die Schuld in die Schuhe, es ist der Reiter nicht das Ross..