Von den Widrigkeiten baumloser Niederungen, wegloser Landstriche und des märkischen Bären
Es ist der Zweite Advent, 14:30 Uhr; ich sitze in der warmen, vom Kaminofen beheizten Stube meiner Eltern bei Kaffee und Kuchen. Mutter hat einen leckeren Quarkkuchen gebacken, es gibt weihnachtliche Knabberein, zwei Kerzlein brennen, die kleine Weihnachtspyramide dreht sich und ich schlürfe zu seichter Musik heißen Roiboschtee. So oder so ähnlich hätte der gestrige Sonntag aussehen können, gäbe es da nicht zwei schlagkräftige Argumente: Oberst Wasjutin und mein neues Fahrrad. Der Oberst hatte zu einer Tour am Sonntag aufgerufen und weil die familiären Adventspflichten nicht wirklich verpflichtend sind, dachte ich mir, könnte ich diesen Sonntag doch nutzen, um den neuen Rahmen so richtig gebührend einzuweihen.
Der morgendliche Blick auf das Thermometer verrät nichts Gutes: 1°C steht da. Nun gut, doch die langen Handschuhe anziehen. Nach einem ausgiebigen Frühstück ging es auf zum Ostbahnhof. PDa war wie zu erwarten doch nicht aufgekreuzt, morgens hustet man ja, wenn man es sich nur zur Genüge einredet, gerne etwas mehr ab. Ich also alleine rein in den Zug. Am Alex stieg der Oberst hinzu. Er hatte wortwörtlich alle Hände voll zu tun; in der einen das Rad, in der anderen Kaffee und Muffins. Die eine Stunde Fahrtzeit wußten wir gut zu überbrücken. Die Bahn brachte uns nach Rathnow, das liegt im Havelland nahe der sachsen-anhaltinischen Grenze. Von Rathenow, so hatte es der Oberst ausgeklügelt, sollte es über Umwege nach Breddin gehen.
Bei leichtem Nieselregen kurz über dem Gefrierpunkt verließen wir das kleine Städtchen Rathenow in nordöstlicher Richtung. Der Himmel war grau in grau verhangen. Recht bald gelangten wir an die Gestade des Ferchesarer Sees. Wir verfolgten die Steiluferlinie auf einem tollen schmalen Pfad bis nach Ferchesar und stachen wieder in den dichten Wald. Nach zwei Kilometern erreichten wir den deutlich kleineren Trintsee, welcher halb umrundet links liegen gelassen wurde. Neuerlicher Holzeinschlag erschwerte uns hier die Orientierung, doch wie immer behielt der Oberst die Übersicht. Wir überquerten den Havelländischen Großen Hauptkanal (hört sich groß an, ist aber ganz klein) und schon lag die erste Bergwertung zu unseren Füßen; von gut 25m ging es steil hinauf auf den 75m hohen Rütscheberg. Hinab fanden wir keinen Weg und so schlugen wir uns quer durch die Bresche. Wir surften förmlich Wellenreitern gleich die Bodenwellen des Kiefernforstes den steilen Hang hinab. Hierbei verlor Oberst Wasjutin seine Brille, was allerdings erst 10km später festgestellt wurde.
Vom Rütscheberg kämpften wir uns weiter in nordöstlicher Richtung durch das Ländchen Friesack vorran. Es war eine schwere Schlacht. Der märkische Bär hatte hier in Rudeln sein Unwesen getrieben und weite Teile des Erbodens umgegraben. Über Kilometer hinweg mussten wir kräftezeerend über unwegsamstes Geläuf buckeln; der Oberst immer gerade noch so in Sichtweite vorneweg. Nach einigen Kilometern gelangten wir zum NSG Görner See. Die Wegwahl war hier etwas difizil, wir bogen hier links ab, dort rechts, passierten eine riesige Schlammsuhle des märkischen Bären (ca. 12x6m groß) und stellten nach einer Viertelstunde fest im Kreis gefahren zu sein. Nun, der Oberst drängte zur Eile, wie könnte es anders sein. Wir fanden den richtigen Weg und bogen langsam um auf nordwestliche Richtung. Immer wieder waren Wegabschnitte bis fast zur Unfahrbarkeit umgewühlt, es war eine Qual. Nach der kleinen Siedlung Dickte erreichten wir ungewollt den Kleßener See. Bei dem Versuch einen kleinen Schlenker einzubauen, verzettelten wir uns in einer Sackgasse. Wir schlugen uns abseits des Weges durch ein etwas versumpften mangrovenähnlichen Wald, überquerten Wassergräben und holprige Äcker - der Oberst immer vorneweg. Nun erreichten wir das Rhinower Ländchen am Rande des Rhinluchs. Von Ohnewitz ging es wieder hinein in den Wald, bergauf und bergab. Es ging vorbei am Gollenberg, wo, wie uns der Oberst letzte Woche erzählt hat, Lilienthal ermordet wurde. Dort steht auch die IL 62 in klassischer Interflug-Lackierung. Das Passgaierflugzeug mitten auf dem Acker gibt ein herrlich kurioses Bild ab. Und weiter ging es zu den Rhinower Bergen, ein paar ganz fiesen, knapp 100m hohen Huckeln. Hier musste ich mich wenigstens zwei Mal geschlagen geben und die steilen Rampen hochschieben. Kontrastierend zu den giftigen Rhinower Bergen durchquerten wir im Folgenden das Rhinluch und die Dosseniederung. Hinter Rübehorst knüppelten wir zwei Kilometer auf einem von Maulwurfshügeln übersäten Deich entlang. Mein Kopf wurde durchgeschüttelt, den Schwielen an den Händen konnte man beim Wachsen zusehen.
Die Kilometer durch die offenen, baumlosen Niederungen waren sehr anstrengend, stand uns doch der kalte Nordwestwind direkt im Gesicht. Die Finger waren Klamm, der Wind wehte unaufhörlich. Doch es half alles nichts, bis Breddin wird sich das nicht ändern und die Weite dieser Landschaft und die Schönheit der kleinen Ortschaften wir Neu Roddahn und Roddahn entschädigte für so manche Qual. Wir käpften weiter gegen den Wind, ich in gebührendem Abstand hinter Oberst Wasjutin hinterher, und passierten die Ortschaften Vogtsbrügge und Kümmernitz. Wir hatten noch eine halbe Stunde Zeit bis der Zug kam, also konnte mir der Oberst noch das verwunschene Tälchen des Königsfließes zeigen, welcher bei Kümmernitz einen ca. sechs Meter hohen Wasserfall hinunterstürzt und sich weiter flussäufwärts in herrlichen Mäandern durch den Wald, eingeschnitten als kleines Tal, entlangschlängelt. Von Obermühle pedalierten wir die letzten zwei Kilometer hinein nach Breddin und fuhren in fürstlichem Stile die Hauptstraße des Ortes hinunter zum Bahnhof.
Nach einer Viertelstunde des Wartens kam der Zug herangerollt, und pünktlich fing es wieder an zu Nieseln. Wir suchten uns ein lauschiges Plätzen, zogen aber zunächst marodierend durch den Zug auf der Suche nach dem Snack Point. Eben dieser wurde geplündert und so machten wir es uns mit Kaffee und Süßigkeiten bewappnet im warmen Zug bequem.
Eine sehr schöne Tour war es. Ein schöner zweiter Advent. Wieder einmal konnte ich dank der Wegführung des Obersts mir bisher unbekannt Ländereien zu Gemüte führe; habe ich neue Landstriche kennengelernt.
rob
Fahrtroute: Rathnow - Ferchesaer See - Ferchesar - Trintsee - Rütscheberg - NGS Görner See - Wald - Kleßener See - Ohnewitz - hochundrunter - Gollenberg - Rhinower Berge - Rhinow - Buchhorst - Rübehorst - Neu Roddahn - Roddahn - Vogtbrügge - Kümmernitz - Königsfließ - Obermühle - Breddin
Karte: Topographische Karte "naturpark Westhavelland-Nord (Ausgabe mit Wanderwegen); 1:50.000; Landesvermessungsamt Brandenburg
Es ist der Zweite Advent, 14:30 Uhr; ich sitze in der warmen, vom Kaminofen beheizten Stube meiner Eltern bei Kaffee und Kuchen. Mutter hat einen leckeren Quarkkuchen gebacken, es gibt weihnachtliche Knabberein, zwei Kerzlein brennen, die kleine Weihnachtspyramide dreht sich und ich schlürfe zu seichter Musik heißen Roiboschtee. So oder so ähnlich hätte der gestrige Sonntag aussehen können, gäbe es da nicht zwei schlagkräftige Argumente: Oberst Wasjutin und mein neues Fahrrad. Der Oberst hatte zu einer Tour am Sonntag aufgerufen und weil die familiären Adventspflichten nicht wirklich verpflichtend sind, dachte ich mir, könnte ich diesen Sonntag doch nutzen, um den neuen Rahmen so richtig gebührend einzuweihen.
Der morgendliche Blick auf das Thermometer verrät nichts Gutes: 1°C steht da. Nun gut, doch die langen Handschuhe anziehen. Nach einem ausgiebigen Frühstück ging es auf zum Ostbahnhof. PDa war wie zu erwarten doch nicht aufgekreuzt, morgens hustet man ja, wenn man es sich nur zur Genüge einredet, gerne etwas mehr ab. Ich also alleine rein in den Zug. Am Alex stieg der Oberst hinzu. Er hatte wortwörtlich alle Hände voll zu tun; in der einen das Rad, in der anderen Kaffee und Muffins. Die eine Stunde Fahrtzeit wußten wir gut zu überbrücken. Die Bahn brachte uns nach Rathnow, das liegt im Havelland nahe der sachsen-anhaltinischen Grenze. Von Rathenow, so hatte es der Oberst ausgeklügelt, sollte es über Umwege nach Breddin gehen.
Bei leichtem Nieselregen kurz über dem Gefrierpunkt verließen wir das kleine Städtchen Rathenow in nordöstlicher Richtung. Der Himmel war grau in grau verhangen. Recht bald gelangten wir an die Gestade des Ferchesarer Sees. Wir verfolgten die Steiluferlinie auf einem tollen schmalen Pfad bis nach Ferchesar und stachen wieder in den dichten Wald. Nach zwei Kilometern erreichten wir den deutlich kleineren Trintsee, welcher halb umrundet links liegen gelassen wurde. Neuerlicher Holzeinschlag erschwerte uns hier die Orientierung, doch wie immer behielt der Oberst die Übersicht. Wir überquerten den Havelländischen Großen Hauptkanal (hört sich groß an, ist aber ganz klein) und schon lag die erste Bergwertung zu unseren Füßen; von gut 25m ging es steil hinauf auf den 75m hohen Rütscheberg. Hinab fanden wir keinen Weg und so schlugen wir uns quer durch die Bresche. Wir surften förmlich Wellenreitern gleich die Bodenwellen des Kiefernforstes den steilen Hang hinab. Hierbei verlor Oberst Wasjutin seine Brille, was allerdings erst 10km später festgestellt wurde.
Vom Rütscheberg kämpften wir uns weiter in nordöstlicher Richtung durch das Ländchen Friesack vorran. Es war eine schwere Schlacht. Der märkische Bär hatte hier in Rudeln sein Unwesen getrieben und weite Teile des Erbodens umgegraben. Über Kilometer hinweg mussten wir kräftezeerend über unwegsamstes Geläuf buckeln; der Oberst immer gerade noch so in Sichtweite vorneweg. Nach einigen Kilometern gelangten wir zum NSG Görner See. Die Wegwahl war hier etwas difizil, wir bogen hier links ab, dort rechts, passierten eine riesige Schlammsuhle des märkischen Bären (ca. 12x6m groß) und stellten nach einer Viertelstunde fest im Kreis gefahren zu sein. Nun, der Oberst drängte zur Eile, wie könnte es anders sein. Wir fanden den richtigen Weg und bogen langsam um auf nordwestliche Richtung. Immer wieder waren Wegabschnitte bis fast zur Unfahrbarkeit umgewühlt, es war eine Qual. Nach der kleinen Siedlung Dickte erreichten wir ungewollt den Kleßener See. Bei dem Versuch einen kleinen Schlenker einzubauen, verzettelten wir uns in einer Sackgasse. Wir schlugen uns abseits des Weges durch ein etwas versumpften mangrovenähnlichen Wald, überquerten Wassergräben und holprige Äcker - der Oberst immer vorneweg. Nun erreichten wir das Rhinower Ländchen am Rande des Rhinluchs. Von Ohnewitz ging es wieder hinein in den Wald, bergauf und bergab. Es ging vorbei am Gollenberg, wo, wie uns der Oberst letzte Woche erzählt hat, Lilienthal ermordet wurde. Dort steht auch die IL 62 in klassischer Interflug-Lackierung. Das Passgaierflugzeug mitten auf dem Acker gibt ein herrlich kurioses Bild ab. Und weiter ging es zu den Rhinower Bergen, ein paar ganz fiesen, knapp 100m hohen Huckeln. Hier musste ich mich wenigstens zwei Mal geschlagen geben und die steilen Rampen hochschieben. Kontrastierend zu den giftigen Rhinower Bergen durchquerten wir im Folgenden das Rhinluch und die Dosseniederung. Hinter Rübehorst knüppelten wir zwei Kilometer auf einem von Maulwurfshügeln übersäten Deich entlang. Mein Kopf wurde durchgeschüttelt, den Schwielen an den Händen konnte man beim Wachsen zusehen.
Die Kilometer durch die offenen, baumlosen Niederungen waren sehr anstrengend, stand uns doch der kalte Nordwestwind direkt im Gesicht. Die Finger waren Klamm, der Wind wehte unaufhörlich. Doch es half alles nichts, bis Breddin wird sich das nicht ändern und die Weite dieser Landschaft und die Schönheit der kleinen Ortschaften wir Neu Roddahn und Roddahn entschädigte für so manche Qual. Wir käpften weiter gegen den Wind, ich in gebührendem Abstand hinter Oberst Wasjutin hinterher, und passierten die Ortschaften Vogtsbrügge und Kümmernitz. Wir hatten noch eine halbe Stunde Zeit bis der Zug kam, also konnte mir der Oberst noch das verwunschene Tälchen des Königsfließes zeigen, welcher bei Kümmernitz einen ca. sechs Meter hohen Wasserfall hinunterstürzt und sich weiter flussäufwärts in herrlichen Mäandern durch den Wald, eingeschnitten als kleines Tal, entlangschlängelt. Von Obermühle pedalierten wir die letzten zwei Kilometer hinein nach Breddin und fuhren in fürstlichem Stile die Hauptstraße des Ortes hinunter zum Bahnhof.
Nach einer Viertelstunde des Wartens kam der Zug herangerollt, und pünktlich fing es wieder an zu Nieseln. Wir suchten uns ein lauschiges Plätzen, zogen aber zunächst marodierend durch den Zug auf der Suche nach dem Snack Point. Eben dieser wurde geplündert und so machten wir es uns mit Kaffee und Süßigkeiten bewappnet im warmen Zug bequem.
Eine sehr schöne Tour war es. Ein schöner zweiter Advent. Wieder einmal konnte ich dank der Wegführung des Obersts mir bisher unbekannt Ländereien zu Gemüte führe; habe ich neue Landstriche kennengelernt.
rob
Fahrtroute: Rathnow - Ferchesaer See - Ferchesar - Trintsee - Rütscheberg - NGS Görner See - Wald - Kleßener See - Ohnewitz - hochundrunter - Gollenberg - Rhinower Berge - Rhinow - Buchhorst - Rübehorst - Neu Roddahn - Roddahn - Vogtbrügge - Kümmernitz - Königsfließ - Obermühle - Breddin
Karte: Topographische Karte "naturpark Westhavelland-Nord (Ausgabe mit Wanderwegen); 1:50.000; Landesvermessungsamt Brandenburg