6.2 Entwicklungen in der aktuellen Rechtsprechung
6.2.1 Urteil des BayVGH vom 03.07.2015, Az. 11 B 14.2809
Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 03.07.2015 wird von verschiedenen Stellen sehr unterschiedlich interpretiert. Während die NJW Neue Juristische Wochenschrift in Auswertung des Urteils befindet:
„Es besteht durch das von der Bayerischen Verfassung geschützte Radfahren in freier Natur kein erhöhtes Risiko für Erholung suchende Fußgänger.“,
sehen andere, wie z. B. das Landratsamt Eichstätt in seinem Rechtsgutachten vom 27.07.2015 in den RdNrn. 23 ff. de
s Urteils "erstmals konkrete Hinweise" zur Geeignetheit des jeweiligen Weges (
www.naturpark-altmuehltal.de/pdf/downloads/moutenbiker_rechtsgutachten.pdf).
An der unterschiedlichen Interpretation des Urteils haben sich dann kurzfristig nicht nur lokal Konflikte entzündet.
Nun hätte wohl jeder am „Radfahren im Walde“ Interessierte erwartet, dass der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die Möglichkeit nutzt, die von vielen ersehnten neuen Erkenntnisse um die „Eignung von Wegen“ mit seiner
Pressemitteilung vom 19.08.2015 mitzuteilen. Das Gericht ist in seiner Pressemitteilung jedenfalls nicht mehr auf ein solches gesetzliches Verbot eingegangen, sondern verwies auf die rechtlichen Möglichkeiten der Behörde, was offensichtlich für sich spricht.
Nachdem die Pressemitteilung des BayVGH von den Medien aufgegriffen und verbreitet wurde, erschienen in der Folge ab dem 25.08.2015 zahlreiche Presseberichte, die mit folgender immer gleichlautender Passage das Urteil des BayVGH relativierten:
„Radfahren auf freien Wegen ist in Bayern grundsätzlich erlaubt - so hat zumindest der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) vor kurzem geurteilt (Az. 11 B 14.2809). „Hierzu gehört grundsätzlich auch das Radfahren auf geeigneten Wegen im Wald, wenn es der Erholung oder anderen nicht kommerziellen Zwecken dient“, präzisierte das Bayerische Umweltministerium.“
Das Herausstellen der vermeintlichen gesetzlichen Beschränkung des Radfahrens auf „geeignete Wege“ führt zu der Vorstellung das Recht auf Erholung und Naturgenuss aus Art. 141 Abs. 3 Satz 1 BV würde, insbesondere für Radfahrer, auf manchen Wegen kraft Gesetzes nicht bestehen. Entsprechend entfiele damit auch die privatrechtliche Wirkung der in der Bayerischen Verfassung statuierte Duldungspflicht gemäß §§ 1004 Abs. 2, 858 Abs. 1 BGB (vgl. Art. 111 EGBGB). Somit wären dem Eigentümer oder sonstigen Berechtigten nun entsprechende Abwehransprüche gegenüber den erholungsuchenden Radfahrern nicht mehr verwehrt. Da sich die Radfahrer weiterhin auf das Grundrecht berufen, wächst die Verärgerung mancher Waldbesitzer über die scheinbar rechtswidrige Nutzung ihrer Grundstücke und sehen ihre Rechte durch dann als „rücksichtslose“ bzw. „schwarze Schafe“ bezeichnete Radfahrer beeinträchtigt. Der durch die Bayerische Verfassung und der im Bayerischen Naturschutzgesetz einfachrechtlichen Ausgestaltung des Rechts auf Erholung in freier Natur gewährleistete Frieden geht damit verloren.
Nachdem nach Meinung des Präsidenten der deutschen Waldbesitzerverbände, Philipp Freiherr zu Guttenberg, sich der Waldbesitzer
nicht nur mit Ungeziefer und gefräßigem Wild herumzuschlagen hat, sondern auch mit Öko-Aktivisten, Wanderer- und Mountainbiker-Befall (Bild,
„Bruder Wald“ vom 18.04.2010), geht der Präsident des Bayerischen Waldbesitzerverbands, Josef Ziegler, auf dem
zweiten Allgäuer Holztag des Holzforum Allgäu am 17.08.2016 in Immenstadt noch einen Schritt weiter und macht offensichtlich deutlich, dass sich die bayerischen Waldbesitzer nun vom Grundrecht auf Erholung in freier Natur aus Art. 141 Abs. 3 BV distanzieren und sich gegen die Bayerische Verfassung stellen:
„Von den Eigentümern werde eine immer stärkere Sozialpflichtigkeit gefordert. Wildschäden, Wanderwege, Mountainbiketrails, Langlaufloipen und ein freies Betretungsrecht sind nur ein paar Beispiele die von den Waldbesitzern eingefordert werden. Doch damit müsse Schluss sein“, so Ziegler.
Es scheint daher kein Zufall zu sein, dass sich seither vermehrt auch in Bayern Anschläge auf Radfahrer durch gespannte Seile und Nagelfallen im Wald ereignen. Die Presse berichtete u. a.:
14.04.2016 Bamberg: „Fiese Falle für Fahrradfahrer im Kemmerner Wald“, inFranken.de
15.04.2016 „Gröbenzell: Radlhasser versteckt Nagelbrett in Pfütze“, Abendzeitung
17.04.2016 Alling/Biburg: „Gefährliche Falle: Nagelbretter im Wald gefunden“, Merkur „Sabotageanschlag
gegen Radler - Jetzt wird’s kriminell!“, DAV-Panorama 3/2016, S. 10
22.04.2016 Erding: „Anschlag auf Mountainbiker: Nagelbrett unter Laub versteckt“, Wochenblatt.de
26.04.2016 Mittenwald: „Am Kranzberg: Diese Falle kann Mountainbiker töten“, Merkur
03.06.2016 Holzkirchen: „Nagelfallen für Biker aufgestellt“, Holzkirchner Stimme
09.06.2016 Bayreuth: „Buchstein: Jagd auf Mountainbiker“, Nordbayerischer Kurier
24.08.2016 „Bei Schnaittach: Nagelbrett-Anschlag auf Mountainbiker“, nordbayern.de „Gefährliche Fallen
am Rothenberg“, Hersbrucker Zeitung
22.09.2016 Pfronten: „Hinterhältiger Anschlag: Angelschnur über Bergweg gespannt“, Merkur
23.11.2016 Thalmässing: „Unbekannter greift Jogger und Mountainbiker an“, Hilpoltsteiner Kurier
20.12.2016 Aichach: „Anschlag auf Mountainbiker im Allenberger Forst: Nägel im Boden“, Augsburger Allgemeine
So verwundern bisher unbekannte Schlagzeilen wie „Krieg in den Bergen: Nagelfallen und Steine gegen Mountainbiker“, Merkur vom 02.08.2016 oder der Fernsehbericht „Nagelfallen - Krieg gegen Mountainbiker?“ vom 12.08.2016, 17:30 Uhr, BR nicht.
Während nun Radfahrer Ziel anonymer Anschläge werden, funktioniert in Bayern, entsprechend der Rechtslage das Miteinander von Radfahrern und Fußgängern. So nun auch im gegenständlichen Bannwald Ottobeuren. Nachdem der Bayerische Verwaltungsgerichtshof im Sommer 2015 das Fahrradverbot aufgehoben hatte, das im Bannwald seit 1959 zum Schutz der Fußgänger galt, berichtet die Memminger Zeitung am 29.11.2016 "Bannwald: Radler verhalten sich „sehr rücksichtsvoll“. Anders als zunächst von Touristikamtsleiter Peter Kraus befürchtet gibt es im Bannwald keine Konflikte zwischen Radfahrern und Fußgängern. Angesichts teils enger und kurvenreicher Wege hatte nicht nur Kraus die Befürchtung geäußert, dass es bei Begegnungen von Radlern und Wanderern zu Problemen kommen könnte. Der Touristikamtsleiter hatte damals angekündigt, gegebenenfalls Beschwerden zu sammeln und nach einem Jahr dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vorzulegen. Dazu besteht nun jedoch keine Notwendigkeit: Seit mehr als einem Jahr dürfen Radler sowie Wanderer im Bannwald unterwegs sein und weder beim Touristikamt noch beim Bürgerbüro sind laut Kraus Beschwerden eingegangen. Vielmehr habe er von
„sehr rücksichtsvollem Verhalten“ der Radfahrer gegenüber den Wanderern gehört.“
So bestätigt sich im Nachgang des Urteils die befriedende Wirkung der bayerischen Rechtslage auf den befürchteten sozialen Konflikt zwischen Radfahrern und Fußgängern und schließlich auch die eingangs erwähnte Auswertung des Urteils der NJW Neue Juristische Wochenschrift, insbesondere auch auf
„sehr schmalen Wegen“ mit
„erhebliche Steigungen“ (RdNr. 11 des Urteils).
Anders stellt sich das Verhältnis von Radfahrern und Fußgängern in Baden-Württemberg dar, wo die dort zum Schutz der Fußgänger eingeführte 2-Meter-Regel (§ 37 Abs. 3 Satz 3 LWaldG), die das Radfahren im Wald nur auf Wegen mit mindestens zwei Metern Breite erlaubt, diesen sozialen Konflikt neu entfachte und aufrecht hält. So hatte sich nach einer intensiven Konfliktphase kurz nach dem Auftreten des Mountainbiken in den 1990er Jahren das Verhältnis zwischen den Nutzern verbessert. Verschlechtert hat es sich wieder durch neue Gesetzesregelungen, die im Rahmen der Novellierung des Landeswaldgesetzes vorgenommen wurden und deren Resultat ein 2-Meter Fahrgebot für Radfahrer ist, so die mit Mitteln des Landes Baden-Württemberg geförderten
„Konfliktanalysen als Grundlage für die Entwicklung von umweltgerechten Managementstrategien in Erholungsgebieten“, Prof. Dr. Karl-Reinhard Volz und Carsten Mann, 2006. Hinsichtlich einer möglichen Gefährdung heißt es in der o.g. Veröffentlichung bezugnehmend auf ein Interview mit dem Geschäftsführer des Schwarzwaldvereins (SWV), dem zweitgrößten deutschen Wanderverband, weiter: Eine von den Mountainbikern ausgehende gesundheitliche Gefährdung der Wanderer durch Begegnungen wird relativiert:
"Also das halte ich persönlich jetzt subjektiv für einen Witz, muss ich ihnen ehrlich sagen."
Fortsetzung folgt ...