Passt zwar nicht ganz hier her, aber im Schwuckenforum gibt's keinen passenden Thread:
Am Sonntag klingelte der Wecker in unserem Hotel in Cervia früh - sehr früh - um 4:00 Uhr. Eigentlich war ich gerade erst eingeschlafen, dunkel war es auch noch. Und für dieses Erlebnis waren wir (Ralph und ich) ein paar Tage zuvor extra 1250 km von Berlin in die Emilia Romagna gefahren.

Radfahrer sind schon ganz schön verrückt. Wenigstens hatten wir schon ein paar schöne Tage mit Touren mit vielen Höhenmetern, Sonne und Betonung auf Kraftausdauer hinter uns.
Damit der Tag nicht allzu leicht beginnt, war auch das Frühstück für die Novecolli-Starter um 4:30 in einem anderen Raum als sonst eingedeckt - haben wir dann aber doch noch gefunden. Um 5:00 ging es dann los Richtung Start. Es war immer noch dunkel. Gut, dass ich die LED-Lämpchen extra noch vom Rad abgemacht hatte. Dennoch ein schönes Erlebnis, wie im Morgengrauen aus allen Seitenstraßen nach und nach und völlig lautlos immer wieder Radfahrer mit dem gleichen Ziel einbogen.
In Cesenatico, wo um 6:15 der Startschuss fallen sollte, standen dann schon an allen wichtigen Ecken Einweiser, die die Radler zu den jeweiligen Startblöcken wiesen. Da wir dieses Jahr blaue Startnummern bekommen hatten (= zweiter Startblock), nahmen wir nur 500m von der Startlinie entfernt Aufstellung. Also nur so 2000 von den 11.000 Startern vor uns. Es ist nämlich sehr wichtig, dass man sich auf den ersten 25km möglichst weit nach vorne arbeitet, sonst steht man am ersten Anstieg erst mal im Stau.
Die Sonne war zwar mittlerweile aufgegangen, aber der Himmel blieb grau. Da es am Vorabend kräftig gegossen hatte, waren die Straßen noch feucht - keine guten Voraussetzungen, die Abfahrten auf der Strecke haben es schon trocken in sich.
Pünktlich ging es dann los. Auf den ersten km geht es erstmal flach und entsprechend zügig voran - dank der in Italien so beliebten Kreisverkehre blieb das Feld unruhig, Löcher mussten zugefahren werden. Dann kamen die ersten Steigungen und der Nieselregen setzte ein. Als ich das erste mal in den Wiegetritt wechselte, drehte mein Hinterrad durch - keine gutes Omen für die bevorstehenden Abfahrten. Insgesamt geht es bei den Novecolli, wie der Name schon andeutet, neun Berge hoch und meistens steil und kurvig wieder runter - insgesamt 3.800 Höhenmeter.
Dennoch lief es gut, die Beine wollten genau so wie ich, die ersten drei Berge konnte ich schon so einige Plätze gut machen. Nur auf den Abfahrten fuhr ich lieber vorsichtig und mit Sicherheitsabstand - und wurde von den todesmutigeren Fahreren überholt.
Am so gefürchteten Barbotto mit seiner 18%-Rampe am Schluss kam dann sogar die Sonne raus. Es lief immer noch gut und es passierte etwas, was ich bislang nur andersrum kannte: Einige, die mich auf der Abfahrt überholt hatten, fing ich am Anstieg wieder ein. Laut Marschtabelle wollte ich vor 10:00 beim Barbotto oben sein - das Ziel war schließlich, unter 8 Stunden zu bleiben. 9:38 passierte ich dann schon die Zwischenzeitnahme. Also schnell die Flaschen aufgefüllt und weiter.
Die Hoffnung auf trockenere Straßen erfüllte sich leider nicht. Die Sonne kam immer nur kurz raus, zwischenzeitlich kam wieder Nieselregen. Nach der Streckenteilung war es auf der 210km-Strecke dann deutlich leerer. Da man sich erst hier entscheiden muss, ob man kurz oder lang fährt, haben sich offenbar die meisten für die Kurzstrecke entschieden. Beim Aufstieg zum fünften Berg (Montetiffi bei km 109) merkte ich dann, dass ich einen Fehler gemacht hatte: Die Verpflegungsstellen auslassen ist ja OK, aber von den Gels in meiner Trikottasche hätte ich doch etwas regelmäßiger naschen sollen. Die nächste Verpflegung war erst in Petricara (Berg Nr. 6, km 126). Bis dahin war es anstrengend, in Petricara stieg ich dann einmal kurz vom Rad um was zu essen und die Flaschen aufzufüllen - ich lag ja immer noch halbwegs im Zeitplan.
Weiter ging es auf feuchten und rutschigen Straßen. Jetzt kam der Anstieg zum höchsten Berg (Pugliano, Nr. 7, km 144). Der Regen wurde jetzt immer stärker. Oben angekommen schüttete es aus allen Kübeln. Die jetzt folgende Abfahrt war der reinste Horror. Ab San Leo ist die Straße schon trocken nicht ganz ungefährlich - schwer einsehbare Kurven, unberechenbare Straßenführung und ständig wechselnde Asphaltqualität. Das ganze im strömenden Regen und mit beschlagener Brille. Felgenbremsen, die Anmerkung sei hier gestattet, sind bei Nässe echt mies - die Schrecksekunde, bis überhaupt eine Verzögerung eintritt, kostete mich dann die allerletzten Nerven. Ich zitterte mich mehr oder weniger den Berg runter - halb schlotternd vor Kälte, halb vor Angst. Zeitplan war mir plötzlich so was von egal. Eine Titanplatte reicht mir pro Saison...
Irgendwann konnte ich kaum noch die Bremsgriffe ziehen, dann bin ich aber doch noch heil unten angekommen. Langsam ließ der Regen wieder nach, der achte Berg war nicht besonders schwer und schnell bewältigt, dann kam eine Flachpassage bis zum Gorolo, dem letzten (und nach dem Barbotto fast genauso gefürchteten) Berg. Hier wurde noch mal richtig Speed gegeben - glaube ich jedenfalls, wie immer bei stärkerem Regen hatte der HAC irgendwo vor dem Pugliano seinen Geist aufgegeben und zeigte nur noch den Puls an. Windschattenfahren bei nassen Straßen und hohem Tempo ist auch nicht das Wahre. Glücklicherweise musste ich die meiste Zeit selbst vorne fahren.
Dass ich mich mal nach dem Gorolo sehnen würde, hätte ich mir auch in den wildesten Träumen nicht ausgemalt. Aber ich wollte endlich nicht mehr frieren. Der Gorolo lief dann wieder besser und - ich hatte schon nicht mehr damit gerechnet - der Regen hörte auf und die Sonne lugte zwischen den Wolken durch. Dennoch hatte ich Zeit verloren, es war bereits kurz vor halb zwei - und bis ins Ziel waren es noch dreißig km.
Trotzdem war erstmal wieder Vorsicht angesagt. Auf den letzten Serpentinen, bevor man wieder ins Flachland kommt, gab es dann auch noch einige Unfälle. In der einen Serpentine lag bereits einer auf dem Boden und wurde ärztlich versorgt, eine Kurve weiter hörte ich dann hinter mir das Scheppern übereinander fliegender Carbonteile.
Die Novecolli sind nämlich nicht nur ein schönes und schweres Jedermann-Rennen im Mai, sondern auch immer eine gigantische Materialschlacht. Angesichts der Räder, mit denen so manche Amateure da unterwegs sind, würden wohl selbst Profis (die zu diesem Zeitpunkt übrigens bereits im Ziel angekommen waren) neidisch werden. Carbon war eigentlich vorherrschend, dann kam Titan, selten noch Alu-Rahmen und Stahl nur in Form echter Klassiker.
Aber zurück zum Rennen: Ich hatte es ja nun eilig, denn um 14:15 musste ich ja spätestens wieder zu Hause sein. Leider waren in der Gruppe, in der ich mich wiederfand (an dem belgisch kreiselndes Team in einheitlichem Dress konnte ich nicht dran bleiben), nur zwei wirklich willig, Führungsarbeit zu leisten. Fuhr jemand anders vorne, ging das Tempo auf bis zu 35 km/h runter (der Tacho war jetzt wieder getrocknet und ging wieder). Das war inakzeptabel und musste unterbunden werden, indem ich wieder in den Wind fuhr. Endlich, nach 7h und 55 Minuten, kam die Flamme Rouge in Sicht und nach 7:58 passierte ich die Ziellinie. 210 km gefahren - Ziel erreicht, Platz 1109.
Ralph hatte mich übrigens auf der Abfahrt (!) vor dem Barbotto schon stehen lassen und wartete bereits seit 27 Minuten im Ziel auf mich, aber das konnte meine Stimmung auch nicht mehr trüben.
Gewonnen hat Sergio Barbero, der bis vor kurzem noch für Lampre fuhr - der war dann zwei Stunden vor mir im Ziel.
Da das Wetter so mies war (und der Fotoservice so langsam ist), gibt's nur ein paar Bilder vom letzten Jahr, als durchgehend die Sonne schien (ich aber dafür etwas kränkelte):
Aufstieg, wie man es nicht macht: Wenn man nicht nach vorne schaut, wird man langsamer.
Runter bei trockenen Straßen macht einfach mehr Spaß:
Und den habe ich damals nicht vorbei gelassen.
