Heute Morgen habe ich keine Eile loszukommen, denn erstens regnet es, und zweitens öffnet das Velogeschäft erst um neun. Nach dem ausgiebigen Frühstück montiere ich meine Regenausrüstung für die 200 Meter im strömenden Regen rüber zum eBock, dem
E-Bike Kompetenz-Center in Mürzzuschlag. Der kann zum Glück nicht nur E-Bke, sondern auch Cutthie – und sehr nett ist er auch. Der Mech entdeckt an meinen alten Pads angeblich Belagsresten, und gemäss ihm hätte ich sogar noch 2-3 Abfahrten absolvieren können. Er wechselt mir auch gleich die verbogene Scheibe vorne und zeigt mir ein paar Beispiele von Alu-Scheiben, die noch stärker als meine unter Hitze gelitten haben. Bei einer ist das Alu tatsächlich geschmolzen und hervorgeronnen!
Im strömenden Regen ziehe ich weiter. Dank der neuen Beläge könnte ich wieder seelenruhig in die Berge, aber der ursprünglich geplante Hochwechsel liegt natürlich in der Regennebelsuppe. Und so mache ich mich auf den Weg zum Semmering.
Auf dem Pass oben regnet’s kaum noch, aber die Suppe bleibt.
Ich fahre über den Weltkulturerberadweg ab. Da geht’s an grossen historischen Hotels des heilklimatischen Höhenkurorts vorbei…
…und natürlich an der Semmeringstrecke, eine der ersten Gebirgsbahnen der Welt. Die Trassierung und die damit einhergehenden Kunstbauten sind absolut beeindruckend, und ich bewundere den Mut der damaligen Baumeister. Leider sehe ich auf dem Radweg nur einen der zahlreichen Viadukte.
Vielleicht würde man mehr Kunstbauten sehen, und sie verstecken sich bloss im Nebel. Was ich aber klar mitkriege: die Gegend ist von Schluchten und Steilwänden geprägt. Schon mutig und eindrücklich, hier um ums Jahr 1850 eine Strecke zu trassieren!
Gloggnitz vergällt mich mit viel automobilem Verkehr, und so esse ich nur rasch ein Sandwich und fahre dann so schnell wie möglich weiter. Richtung Ramssattel gibt’s ein bisschen Nebelstimmung.
In Kirchberg am Wechsel schlage ich mir vor der Kirche nochmal den Bauch voll, und so habe ich nach Edlitz genug Energie, um auf meine Intuition die hören. Die sagt mir nämlich, dass ich nicht auf der Hauptstrasse nach Kirchschlag soll, sondern über die Hügel der Buckligen Welt.
Die Panoramastrasse dort oben ist wie ein Tor zum Himmel…
…mit schönen Aussichten auf die Bucklige Welt…
…Kühen…
…und vor allem einer kleinen feinen Teerstrasse ohne viel Verkehr.
Das folgende unscheinbare Bild steht für mich für den krassesten Moment, seit ich in Savièse losgefahren bin. Ich bin in den Alpen aufgewachsen, wohne ich den Alpen und habe die Alpen auf unzähligen Touren durchkreuzt. Für mich sind die Alpen etwas Unendliches, denn egal wie lange man dort wohnt und wie viele Touren man darin unternimmt – sie scheinen nie aufzuhören.
Aber sie sind nicht unendlich. Nach der Buckligen Welt hören sie auf. Und so blicke ich total ungläubig und mit Tränen in den Augen auf die scheinbar unendliche Ebene, die auf die endlichen Alpen folgt.
Wenn ich mich umdrehe, buckelt und faltet es, dass es eine Freude ist, und dank dieser Tour und der zwei Touren vom Wallis ans Mittelmeer weiss ich, dass das 1000 km so weitergeht
Es kommt noch ein weiteres Gefühl auf: wenn auf meine unendlichen Alpen unendliche Ebenen folgen – wie unendlich gross muss dann die Welt sein!
Irgendwann komme ich von der Aussicht los und fahre weiter. Eigentlich wäre Lockenhaus ein netter Ort zum Übernachten, aber für morgen früh melden sie Niederschläge, da fahre ich den Geschriebenstein lieber noch heute bei schönem Wetter an.
Beinahe muss ich das Unternehmen abbrechen, denn ich kann mein Handy nicht mehr laden. Aber dank einem Zahnstocher und einem trockenen Nastuch kriege ich es wieder hin, und so kann es ein letztes Mal auf dieser Tour bergauf gehen, zuerst flott auf Teer, dann noch ein bisschen über (legalen

) Forstweg.
Und dann bin ich angekommen: der Geschriebenstein, der letzte Gipfel der Alpen.
Wieder dieser Blick auf diese unglaublichen Ebenen.
Und eine unglaubliche Geschichte: Werner ist auch da, und er ist sogar für einen Downhill-Biker extrem verdreckt. Der Grund? In der letzten Abfahrt ist ihm eine Wildsau ins Vorderrad gerannt!
Wir quatschen ein bisschen über die Gegend und Österreich, und auch darüber, dass hier früher der Eiserne Vorhang durchging – der Geschriebenstein bildet die Grenze zu Ungarn.
Werner weiss nicht wie es sich nach Ungarn abfährt, und so purzle ich lieber bei brauchbarem Licht nach Osten los, statt darauf zu warten und zu hoffen, dass sich im Westen vielleicht noch die Nebelschwaden lichten und den Blick auf den Beginn der Alpen freigeben.
Hach, tut das gut, nach dem doch ein bisschen mühsamen Österreich in ein neues Land zu kommen!
Ungarn empfängt mich mit sanften Hügeln in feinem Abendlicht.
Aber hat Ungarn auch eine Unterkunft für mich? In Velem frage ich in der Openair-Bar nach. Zwei besoffene Männer bringen mich zu einem Haus, wo wahrscheinlich Zimmer vermietet werden, aber da ist niemand da.
Ich ziehe weiter und geniesse einen letzten Blick auf die Alpen
An Kőszegszerdahely und Kőszegdoroszló vorbei komme ich nach Lukácsháza. Die Dorfnamen lassen es erahnen: die Kommunikation in Ungarn ist nicht ganz einfach. Aber am Ende finde ich dank Booking ein Bett bei einem netten Paar – ufff!
Karte.
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