Samstag morgen um 0630 klingelt der Wecker. Ich reibe mir müde die Augen und stelle fest:
Der Tag des 2. IBC RR-Treffen hat begonnen. Nach Duschen und Frühstück geht es kurz vor 0800 los Richtung Kappelrodek.
Da mein Routenplaner die Strecke durch Frankreich als schnellste Verbindung ausgeworfen hatte, fahre ich bei noch etwas diesigem Licht durch das zu dieser Zeit noch verschlafene Lothringen.
Der Wetterbericht im Radio verkündetete nur mittelmäßiges Wetter: kühl, bedeckter Himmel, gelegentliche Schauer. Gottlob hatte der SWR3 Wetterfrosch aber einen schlechten Tag.; zwar war es zu Beginn etwas kühl. Wir hatten aber den ganzen Tag strahlenden Sonnenschein und gegen Ende 25° C

.
Nachdem ich mich bei Hagenau kurz verfahren hatte (die Streckenausschilderung in Frankreich ist nach wie vor eine Katastrophe: Toutes directions - autres directions

), erreiche ich kurz vor der Zeit um 1000 den Treffpunkt am Haus von Rune. Der Anblick blitzender RR-Boliden, rasierter Waden und durchtrainierter Männer im Alter von 20-25 erweckt bei mir altem Sack (38 J.) spontan einen Gedanken: FLUCHT !! Sekundenbruchteile später setzte der Verstand wieder ein: Rune hat für Samstag nur eine gemütliche Roller-Runde mit gemütlichem Klönen angekündigt. Zwar 100 km, aber nur 200 hm. Kann so schlimm nicht werden. Also: kneifen gilt nicht und Fahrzeug anhalten.
Um es vorweg zu nehmen: es wurde nicht so schlimm, wie in meinem ersten Fluchtreflex befürchtet,
es wurde schlimmer !
Btw: SF_ aus dem Tour Forum, der mit seiner Partnerin angereist war, erging es wohl ähnlich. Allerdings hat er seinen Fluchtreflex im Gegensatz zu mir nicht unterdrückt und war schon wieder verschwunden, als ich eintraf.
Nach dem Aussteigen stellte ich fest, wie Rune, Manitou, Michael, Hillerulli, NKWD und Brent-Severyn, die ich bislang nur "schriftlich" kannte, aussehen. Nach kurzer Bewunderung der Leichtbauräder, insb. von Michael, Manitou und Rune, sowie des bildhübschen Colnago von Brent-Severyn, packte ich dann mein altes Stahlroß aus, welches nur knapp bei der Wertung "ältestes und schwerstes RR" gegen das Eddy Merckx von Hillerulli unterlag.
Nach Überstreifen meines zum Avatar passenden Bianchi Trikots ging es dann kurz nach 1000 los.
Von Beginn an wurde -für mich- ein Höllentempo vorgelegt. Bei meinen GA1-Trainingsrunden zu Hause fahre ich meist einen 25er-26er Schnitt; wenn ich Gas gebe, ist es 1 bis 1,5 km/h mehr.
Hier fuhren wir auf den ersten 10 km einen Schnitt von fast 32 km/h

Soviel zum Thema "gemütliche Rollerrunde"; Klönen ging schon deshalb nicht, weil ich jedes Wort einzeln herauspressen musste
Erfreut stellte ich dann nach ein paar Kilometern fest, dass mein Körper verstanden hatte: heute ist Höchstleistung angesagt.
ZUsätzlich beseelte mich wohl der Geist von Jan`s Trikot

Jedenfalls konnte ich -solange es flach war- im Windschatten an letzter oder vorletzter Stelle liegend das (aus meiner Sicht) Wahnsinnstempo von über 34 km/h mitfahren; es gelang mir sogar, mit verstärtem Krafteinsatz kleinere Lücken wieder zuzufahren.
Nach 10 km kam dann die erste kleine Steigung (etwa 50hm). Die Gruppe kurbelte gemütlich mit Tempo 30 nach oben

Meine Pulsuhr stellte mich nach 100 Metern vor die Alternative: entweder fährst du das jetzt mit und steigst nach 25 km aus oder du nimmst Tempo raus.
Ich entschied mich für Variante 2 und liess zum ersten Mal reissen.
Nach ein paar hundert Metern merkte Rune, dass ich nicht mehr hinterher kam und liess sich zurückfallen. Er kurbelte gemütlich in meinem Tempo mit hoch (er war -vermutlich- im Rekom, ich mitten im EB Bereich

) und zog mich dann mit Tempo 38-40 auf dem folgenden Flachstück wieder an die Gruppe heran.
Diese hatten zwischenzeitlich eine neue Variante des Themas Rundenrennen erfunden. Sie umkreisten mit hoher Geschwindigkeit zwischen vielen fahrenden Autos eine Kreuzung.
Die nächsten 50 km waren dann auch für mich ganz kommod. Das Tempo war etwas geringer, auch wenn der Schnitt weiter über 30 km/ h lag, die Strecke flach und ich kam mit noch halbwegs moderatem Puls in der Gruppe ganz ordentlich mit.
Ab Kilometer 60-65 begannen dann langsam meine Oberschenkel zu signalisieren: es reicht, du Narr !

Es gelang mir jetzt nicht mehr, kleinere Lücken allein im Wind wieder zuzufahren, wenn die Gruppe einen kurzen Zwischensprint (Autobahnbrücke/Ortsschild o.ä.) eigenlegt hatte und ich es dann reissen lassen musste; wie befürchtet, entwickelte ich mich immer mehr zum Bremsklotz der Truppe.
Rune, Manitou und Micheal liessen sich mehrfach zurückfallen, um mich wieder heranzuziehen. Nach etwa 80 km dann ein kleiner Zwischenstopp an einer Eisdiele in Brühl. Wir waren in unseren bunten Trikots schon ein echter Blickfang.
Danach stand nur noch die Schlussetappe über knapp 20 km nach Kappelrodeck auf dem Programm. Hier gab es dann die einzige echte Bergwertung des Tages (etwa 200 hm). Ich kann nur berichten, wer -mit Abstand- letzter wurde

Die weiteren Platzierungen muss ein anderer posten.
Meine Beine waren nun doch seeehr müde vom ständigen Tempobolzen; dennoch kam ich -nach kurzer Verschnaufpause- irgendwann oben an.
Auf der kleinen Schlußabfahrt nach Kappelrodeck wurde eine Gruppe von MTB Fahrern überholt, die gute 2 min vorher oben gestartet war.

Hier konnte ich meine "Gewichtsvorteile"

von Fahrer und RR angemessen einsetzen und habe tatsächlich ein paar der Gruppe mal überholt.
Im Anschluss musste Rune leider zu seiner Hochzeit. Der Rest schaute sich nach der Dusche das Bergzeitfahren der Vuelta an und begab sich dann zum Carbo-Loading in eine Pizzeria.
Dort verbrachten wir noch einen sehr gemütlichen Abend
An der heutigen Monsteretappe (150 km mit 1.500 hm

) konnte ich aus privaten Gründen nicht teilnehmen. Vermutlich hätte ich mich am ersten Anstieg in den Besenwagen geflüchtet
Bilanz
96 km
425 hm
Schnitt 30,07 km/h
Fazit
Ungeachtet des Umstandes, dass ich mich 80-90% der Tour an meiner persönlichen Leistungsgrenze bewegte, hat mir die Sache viel Spaß gemacht. Meine "Formschwäche" wurde mit Humor akzeptiert; böse Kommentare oder Blicke gab es keine (jedenfalls nicht solange ich in der Nähe war

).
Wenn sich meine Form im nächsten Jahr noch etwas verbessert, werde ich eine Teilnahme auch am 3. IBC RR- Treffen ins Auge fassen.
Gruss
Tvaellen