Alkoholismus? Der Thread für Betroffene und Interessierte

Das Thema finde ich interessant.

Mich hatte mein eigener Alkoholkonsum zunehmend gestört, obwohl er selbst nicht zugenommen hatte. Dennoch haben bis zu jeweils 1,5l Bier an den Abenden am WE oder auch mal eine Flasche Wein (an einem Abend) so gar nicht zu meinen sonst sportlichen Ambitionen gepasst. Unter der Woche habe ich selten etwas getrunken. Es an den Wochenenden zu reduzieren oder sein zu lassen, erschien mir schwer, so dass ich durchaus den Verdacht hatte, in einer gewissen Abhängigkeit zu sein.

Die Nebeneffekte waren, dass ich an den Wochenenden die Nächte zum Tag gemacht hatte, denn nach dem ersten Bier hatte es erst angefangen zu schmecken. In der Folge kam ich morgens kaum aus dem Bett, und das nicht ganz ohne Nebenwirkungen des Alkohols. Meine sportlichen Leistungen an den Wochenenden waren entsprechend schlechter, so dass ich über die Woche mich wieder aus dem Wochenendsumpf heraus trainieren musste.

Am 15.10.2021 (ein Freitag) bekam ich eine Tumordiagnose. Ohne weitere Erkenntnisse zum Fortschritt der Erkrankung wurde ich ins Wochenende entlassen. Mit entsprechenden Ängsten und Sorgen. An diesem Freitag wäre der ideale Abend gewesen, sich so richtig gehen zu lassen. Ich hatte an dieser Stelle aber genau das richtige gemacht, und eben keinen Tropfen Alkohol angefasst. Einerseits wollte ich in dem Bewusstsein möglicherweise auf mich zukommender, körperlicher Torturen meinen Körper nicht schon vorab schwächen, andererseits war mir klar, dass ich am nächsten Morgen vor dem selben Problem stehen würde. Aber eben mit Kopfschmerzen. Im richtigen Moment hatte ich also das richtige gemacht und mir damit -etwas überraschend- gezeigt, dass ich überhaupt keinen Alkohol brauche.

Der nächste Tag war auch sehr prägend. Meine Frau wollte mit meinen beiden Jungs (seinerzeit beide 5 Jahre) ins Hallenbad fahren. In meiner Unsicherheit und Angst, wieviel Zeit mir noch bleibt, hatte ich mich angeschlossen und im Schwimmbad den Seehund für die beiden gespielt. Den geworfenen Ring musste ich apportieren, und jedes Mal, als ich nach dem Tauchen wieder über die Wasseroberfläche kam, hatte ich in die freudestrahlenden Augen meiner kleinen, nassen Wichtel geschaut. Unter Wasser hätte ich heulen können, weil ich keine Ahnung hatte, wie lange die beiden ihren Seehund noch haben könnten.

Kurzum: Mir war der Alkohol schon länger ein Dorn im Auge, aber die oben geschilderte Erfahrung hat mich einen enormen Schritt in meinem Gesundheitsbewusstsein weiter befördert. Auch wenn die Erkrankung nicht zwangsweise auf Alkohol zurück zu führen ist, ist Raubbau am eigenen Körper sicher nicht lebensverlängernd. Die allgemeine Akzeptanz und Normalisierung von Alkohol ändern nichts an seiner giftigen Eigenschaft.

Mein letztes Bier dürfte ich demnach am 09.10.2021 getrunken haben. Ich habe nie gesagt, dass ich nie wieder Alkohol trinken würde. Andererseits müsste ich mich fragen, warum ich es denn überhaupt tun sollte, wenn ich es seitdem nicht vermisst habe. Selbst Veranstaltungen, die eigentlich nur im Suff zu ertragen sind, haben mich bisher nicht mehr dazu verleitet. Ich will es nicht mehr, und es geht mir insgesamt besser damit.
 
Zuletzt bearbeitet:
Bei jedem Essen mit Arbeitskollegen etc wird man doof angeschaut, wenn man sich ein Wasser und kein Bier etc bestellt.
Noch krasser war mal ein Urlaub in Frankreich Anfang der 90er Jahre. In den Restaurants abends hat es nur Wein gegeben, und Wasser zum verdünnen vom Wein. Sonst nichts, kein Saft, kein Sprudelwasser, kein Bier, keine Cola. Ich habe halt dann das Wasser getrunken. Da bist du eigentlich von der Gesellschaft fast zum kleinen Alki erzogen worden.
 
Das Thema finde ich interessant.

Mich hatte mein eigener Alkoholkonsum zunehmend gestört, obwohl er selbst nicht zugenommen hatte. Dennoch haben bis zu jeweils 1,5l Bier an den Abenden am WE oder auch mal eine Flasche Wein (an einem Abend) so gar nicht zu meinen sonst sportlichen Ambitionen gepasst. Unter der Woche habe ich selten etwas getrunken. Es an den Wochenenden zu reduzieren oder sein zu lassen, erschien mir schwer, so dass ich durchaus den Verdacht hatte, in einer gewissen Abhängigkeit zu sein.

Die Nebeneffekte waren, dass ich an den Wochenenden die Nächte zum Tag gemacht hatte, denn nach dem ersten Bier hatte er erst angefangen zu schmecken. In der Folge kam ich morgens kaum aus dem Bett, und das nicht ganz ohne Nebenwirkungen des Alkohols. Meine sportlichen Leistungen an den Wochenenden waren entsprechend schlechter, so dass ich über die Woche mich wieder aus dem Wochenendsumpf heraus trainieren musste.

Am 15.10.2021 (ein Freitag) bekam ich eine Tumordiagnose. Ohne weitere Erkenntnisse zum Fortschritt der Erkrankung wurde ich ins Wochenende entlassen. Mit entsprechenden Ängsten und Sorgen. An diesem Freitag wäre der ideale Abend gewesen, sich so richtig gehen zu lassen. Ich hatte an dieser Stelle aber genau das richtige gemacht, und eben keinen Tropfen Alkohol angefasst. Einerseits wollte ich in dem Bewusstsein möglicherweise auf mich zukommender, körperlicher Torturen meinen Körper nicht schon vorab schwächen, andererseits war mir klar, dass ich am nächsten Morgen vor dem selben Problem stehen würde. Aber eben mit Kopfschmerzen. Im richtigen Moment hatte ich also das richtige gemacht und mir damit -etwas überraschend- gezeigt, dass ich überhaupt keinen Alkohol brauche.

Der nächste Tag war auch sehr prägend. Meine Frau wollte mit meinen beiden Jungs (seinerzeit beide 5 Jahre) ins Hallenbad fahren. In meiner Unsicherheit und Angst, wieviel Zeit mir noch bleibt, hatte ich mich angeschlossen und hatte im Schwimmbad den Seehund für die beiden gespielt. Den geworfenen Ring musste ich apportieren, und jedes Mal, als ich nach dem Tauchen wieder über die Wasseroberfläche kam, hatte ich in die freudestrahlenden Augen meiner kleinen, nassen Wichtel geschaut. Unter Wasser hätte ich heulen können, weil ich keine Ahnung hatte, wie lange die beiden ihren Seehund noch haben könnten.

Kurzum: Mir war der Alkohol schon länger ein Dorn im Auge, aber die oben geschilderte Erfahrung hat mich einen enormen Schritt in meinem Gesundheitsbewusstsein weiter befördert. Auch wenn die Erkrankung nicht zwangsweise auf Alkohol zurück zu führen ist, ist Raubbau am eigenen Körper sicher nicht lebensverlängernd. Die allgemeine Akzeptanz und Normalisierung von Alkohol ändert nichts an seiner giftigen Eigenschaft.

Mein letztes Bier dürfte ich demnach am 09.10.2021 getrunken haben. Ich habe nie gesagt, dass ich nie wieder Alkohol trinken würde. Andererseits müsste ich mich fragen, warum ich es denn überhaupt tun sollte, wenn ich es seitdem nicht vermisst habe. Selbst Veranstaltungen, die eigentlich nur im Suff zu ertragen sind, haben mich bisher nicht mehr dazu verleitet. Ich will es nicht mehr, und es geht mir insgesamt besser damit.
Respekt und Glückwunsch dazu.
Aber was ist denn nun aus dem Tumor geworden?
btw: Habe fast gleichaltrige Zwilling-Jungs - gerade 7 geworden
 
:daumen:

Ich hoffe, es geht sonst gut oder wieder besser.
Respekt und Glückwunsch dazu.
Aber was ist denn nun aus dem Tumor geworden?
btw: Habe fast gleichaltrige Zwilling-Jungs - gerade 7 geworden

Danke der Nachfrage. Will das Thema hier nicht kapern, daher in aller Kürze:
Die folgenden Untersuchungen am darauf folgenden Montag (Tumormarker) und Dienstag (CT) ergaben keinerlei Auffälligkeiten und konnten das Ausmaß nach und nach eingrenzen. Klarheit brachte die OP am Mittwoch, bei der der gut gekapselte, aber dennoch bösartige Tumor entfernt wurde. Anschließend folgte noch eine Bestrahlung. Ich kam mit dem Minimalprogramm davon, ganz im Gegensatz zur gleichen Erkrankung 1995. Damals war volles Programm mit zweiter (großer) OP und Chemo.
Bis dato sind alle Nachuntersuchungen 1 Jahr danach unauffällig. Die Zeit wird größere Sicherheit bringen.

Alle gute weiterhin!

Glückwunsch zur Entscheidung für die Liebe und das Leben.
Vielen Dank!

Und an alle, die sich bereits mit dem Thema Alkohol beschäftigen -aus mehr oder weniger gravierenden Anlässen: Ich drücke euch allen die Daumen! Die Identifizierung des Alkohols als falscher Freund ist schon mal ein guter Anfang.
 
Wenn man Cleverness, Selbsteinschätzung, Empathie, Disziplin usw als Charaktereigenschaften annimmt, sind Alkoholprobleme durchaus auch Charakterschwäche.
Auf dem Weg zur krankhaften Sucht haben wir viele Male die Chance bewusste Entscheidungen zu treffen, die manchmal (wie soft im Leben) auch Charakter fordern.
Wir sollten es uns da nicht zu einfach machen: bis wir zum Opfer werden, sind wir hunderte Male Täter.
Was du ansprichst ist ein heikles Thema. Ich bin auch dafür, dass man sich nicht einfach zum Opfer machen soll, was bis hin zur Ausrede für alles Mögliche gehen kann. Das mit den "bewussten Entscheidungen" sehe ich differenzierter. Ja, es gibt durchaus eine Vielzahl an bewussten Entscheidungen. Aber ich meine, dass es noch mehr unbewusste Entscheidungen gibt. Dazu kommt, dass wir keine "Absolutregelung" im Denken haben in der Art "das waren jetzt x cm³ Alkohol in der Zeit t, also muss ich sofort damit aufhören". Da spielen Gewöhnung, äußere Umstände, Gesellschaft und vieles andere mehr rein. Und das perfide an einer Abhängigkeit ist ja gerade, dass man sie erst wahrnimmt, wenn sie schon da ist, also zu spät. Auch eine beginnende Abhängigkeit programmiert das Denken so weit um, dass ich mir nicht sicher bin, wie weit man da noch vollständig bewusste Entscheidungen treffen kann. Teileweise ganz sicher, aber eben nicht mehr vollständig.
 
Man kann noch bewusste Entscheidungen treffen.

Handelt aber entgegengesetzt, in vollem Bewusstsein, dass man das nicht sollte. (Zumindest wenn man noch nüchtern ist)
 
Sobald es eine körperliche Abhängigkeit ist, ist nix mehr mit freier Entscheidung.
Ich muss Dir widersprechen! Ich bin nicht körperlich abhängig. Und hab nach fast 4 Wochen auch keinerlei körperlichen Entzug!

Dennoch waren meine "Entscheidungen" nicht frei. Man ist mehr wie ferngesteuert in gewissen Situationen.

Weißt Du eigentlich, wovon Du da schreibst? Hast Du Sucht schon mal am eigenen Körper gespürt?
 
Aber Quartalssäufer und 1-2Bier-täglich sollten schon noch die Möglichkeit haben, sich bewusst zu machen, was sie tun. Dazu müssen sie aber tatsächlich wissen und AKZEPTIEREN, dass sie offiziell schon als Alkoholiker eingestuft sind.
Das ist ja genau die Stelle, wo ich meine, dass manche Leute eben nicht mehr die Möglichkeit haben, sich der Situation bewusst und vor allem sachlich und unabhängig zu diesem Thema Entscheidungen zu treffen.

Ich komme darauf unter anderem wegen Aussagen von einem Bekannten vor vielen Jahren. Er war damals seit vielen Jahren trocken, aber davor richtig übel alkoholabhängig. Er konnte zum Glück sehr offen über seine Wahrnehmungswelt als Alkoholiker reden. Er hat eben auch erzählt, dass er selbst im Stadium, als er in der Früh als erstes in den Supermarkt ist, eine Flasche Schnaps gekauft hat und direkt nach Verlassen vom Geschäft erst mal die Flasche angesetzt hat, selbst nie auf die Idee gekommen wäre, dass er ein Alkoholproblem haben könnte. Im Nachhinein war es für ihn selbst nicht nachvollziehbar, aber eben seine damalige Wahrnehmung.

Wenn es selbst in diesem Stadium, wie von dem Bekannten beschrieben, keine sachliche, objektive Wahrnehmung und entsprechendes Handeln gibt, dann noch weniger bei den kleinen Abhängigkeiten, die weitaus weniger auffallen.
 
@JensDey Bitte nochmal mit Suchtverhalten und den psychologischen Modellen dazu beschäftigen, bevor hier mit Begriffen wie Charakterschwäche rumgeworfen wird. Das ist nicht nur kontraproduktiv sondern auch auch verletzend bzw. abwertend.
Aufklärung über gesundheitliche Risiken und Suchtverhalten find ich auch wichtig, genauso wichtig ist aber auch ein nicht-stigmatisierender Umgang mit Suchterkrankung.

Allen hier an Bord weiterhin viel Kraft und Stärke, ob's inzwischen ein paar Wochen oder Jahre sind. 💪
 
Man müsste eigentlich erstmal klären was Charakter eigentlich ist und ob und wie weit wir einen freien Willen haben. Das klingt vielleicht nach einer abgehobenen philosophischen Diskussion, hat aber natürlich deutliche Auswirkungen darauf, wie wir als Gesellschaft mit Themen wie Sucht, psychischer Gesundheit und auch Kriminalität umgehen.
Aber das würde den Thread hier vielleicht doch etwas sprengen.
Sicherlich ist es durchaus auch eine Charaktereigenschaft, ob jemand zu mehr oder weniger zu Suchverhalten neigt. Wenn von "Charakterschwäche" gesprochen wird kommt das immer sehr moralisch abwertend rüber und impliziert, der Betroffene sei selbst Schuld und schlimmer noch verdiene keine Hilfe.
 
Googelt vielleicht mal Suchtdreieck. Bei jedem unterschiedlich gelagert, haben immer Suchtmittel, Umfeld und persōnliche Merkmale einen Einfluss auf eine Suchtgeschichte, können Risiko, aber eben auch Schutzfaktor sein.

Bei Letzterem könnte man auch "Charakter" einschließen, wobei gar nicht klar ist, was das eigentlich ist.
 
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