Aostatal: Val Ferret, Val di Rhêmes, Col Nivolet, Col Lauson, Col Invergneux

Fubbes

Carbon statt Kondition
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neben Bingen am Rhein
Los geht es.
Wie schon an anderer Stelle angekündigt, will ich meine diesjährigen Tourerlebnisse als Preview im Forum veröffentlichen, bevor sie auf meine Webseite kommen.
Ich hätte den Titel auch "Tour mit Hindernissen" nennen können, so viele Steine wurden uns dieses Jahr in den Weg gelegt. Natürlich war Corona einer davon, aber es passierte noch viel mehr.

Prolog
Es fing wirklich super an. Schon früh im Jahr hatte ich mich mit zwei Bekannten auf eine Gegend geeinigt und auch ein Zeitfenster festgelegt. Ich wollte irgendwie von Süden nach Norden, der Schwerpunkt sollte in der Gegend von Aosta und dem Mont-Blanc liegen, also ziemlich hochalpin.

Was dann kam, war ... ein blödes Virus, das bereits im März sämtliche Planungen beendet hat. Dies änderte sich erst Anfang August, als sich abzeichnete, dass trotz Beschränkungen eine Radtour außerhalb von Deutschland möglich sein würde. Insgeheim hatte ich zu diesem Zeitpunkt bereits eine Alternative im Bayrischen Wald ins Herz geschlossen. Aber dann waren die Westalpen doch wieder im Spiel!

Ein paar Corona-Kriterien kamen neu hinzu: möglichst wenige Länder, in unserem Fall Italien, keine öffentlichen Verkehrsmittel, Verzicht auf Hütten und die Strecke wurde kurzerhand zu einer Rundtour geformt. Einige Eckpunkte: Val Ferret/Mont Blanc, Col Nivolet, Gran Paradiso, Col Lauson, Col Invergneux und eigentlich auch der Mont Fallere. Der Start war anfangs am Großen St. Bernhard geplant, wurde dann aber nach La Fouly gelegt, um am Ende wenigstens noch eine Abfahrt zu haben.

Doch leider gingen die schlechten Nachrichten weiter: Ein paar Tage vor der Abreise demolierte sich ein Mitfahrer seine Hand und wir waren nur noch zwei. Zu guter letzt zerstörte einen Tag bevor es los gehen sollte der Corona-Verdacht in der Familie des verbliebenen Mitfahrers die letzten Tourhoffnungen.

Während ich noch bei der Absage der reservierten Übernachtungen war, keimte doch wieder leise Hoffnung auf. Mit einer organisatorischen Meisterleistung konnten wir mit einer Woche Verspätung doch noch zu zweit starten. Allerdings legte ein regenreiches Tief zumindest den ersten Tourtag unter eine dicke Schneedecke. Wettermäßig folgte danach aber wirklich eine großartige Woche. Das ist zumindest die gute Nachricht.

Dann kam Tag 2 und eine kaputte Hinterradbremse. Dies hätte erneut zum Touraus führen können, allerdings hatten wir an dem Tag das Glück des Tüchtigen und Murphy auf unserer Seite.

Es kam trotzdem noch dicker. An Tag 4 endete ein harmloser Sturz mit dem Besuch des Hubschraubers und dem Abtransport meines Bekannten ins Krankenhaus. Ich fing mir in all dem Chaos einen Humpelfuß ein (auch bekannt als Bänderriss), was mich dennoch nicht davon abhielt noch zwei Tage alleine weiter zu fahren und die Tour halbwegs zu Ende zu bringen. Der Mont Fallere fiel allerdings den Umständen zum Opfer.
 
Zuletzt bearbeitet:
Cool, eigne Webseite, voll Retro.
Ich bin ja auch Retro.
Wobei ich bezweifele, dass die ganzen Instatwituber überhaupt in der Lage wären, eine Webseite zu machen.

Aber ich gebe gerne etwas Hintergrund. Ich habe mit der Seite (im letzten Jahrtausend) angefangen, weil es nur spärlich Informationen zum Gebirgsradeln gab. Ich habe mich immer gefreut, wenn sich auch andere Webseiten mit dem Thema befasst haben. Da dachte ich, ich sollte meine Erfahrungen auch veröffentlichen, könnte ja jemandem nutzen. Es war eine überschaubare Gemeinde (vor IBC-Zeiten) und daraus sind sogar einige Kontakte entstanden, die bis heute halten.
Mittlerweile vielleicht wirklich etwas oldschool (nicht mal richtig Smartphone-tauglich), aber nach den vielen Jahren fände ich es zu schade, alles einfach einzustampfen und mache halt weiter.
 
Gute alte Handarbeit eben.
Ich gebe aber zu, dass ich selbst fast nur übers Forum nach Touren recherchiere und auf manchen Track-Portalen. Private Homepages sind zu verstreut und deshalb zu viel Gefummel.
Als privates Tagebuch taugt's aber allemal.
 
Super, es geht los !!
Freue mich schon auf den Bericht !
Von deiner HP habe ich mi über die Jahre schon viele Anregungen geholt !
Hast du nicht am Anfang parallel zu Elmar Nessler berichtet ?
Hab ich das noch richtig in Erinnerung ??
Auf alle Fälle immer wieder schön zu lesende Berichte .
 
Sonntag, 30. August 2020, La Fouly (1600 m)

Der erste Morgen hält, was die Wettervorhersage versprochen hat. Das seit Tagen wütende umfangreiche Regentief hat sich noch nicht verzogen und es schüttet durchaus ergiebig. Der Blick nach oben ist ebenso vielversprechend. Nur wenige Meter höher sieht alles schön weihnachtlich weiß aus. Gute Voraussetzungen für die nun fast 1000 hm bis zum Col Ferret (2537 m). Die erste Etappe folgt der TMB (Tour-Mont-Blanc), eine Rundtour um Europas höchsten Berg.
La Fouly, Hotel Edelweiss
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Da die Aussichten für die nächsten Tage gut sind, nehmen wir das Schicksal mutig an und starten mit Elan in den Regen. Vielleicht war es etwas viel Schwung, denn ich verpenne im dichten Schneefall den Abzweig zur Alm La Peule (2017 m) und wir fahren das Tal zu weit hinauf. 200 hm zusätzlich, bei dem Wetter, prima.
La Peule
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Nachdem der Fehler korrigiert ist, passieren wir das winterliche La Peule und beginnen die Räder dem Col Ferret entgegen zu schieben. Was wegen der unerwarteten Neuschneemengen anfangs noch ganz lustig erschien, wird nach einer Weile zum äußerst mühseligen Unterfangen. Wie eine Walze drücken die Reifen den nassen Schnee platt. Meter für Meter. Vielleicht wäre Tragen einfacher gewesen, ich habe es nicht probiert. Es sieht übrigens kälter aus, als es ist. Waren es beim Start nur 0° Grad, so nähern wir uns weiter oben fast wieder 10° Grad, im Dauerschneefall. Erstaunlich. Gedanken an die nächsten Tage, wo es bis auf 3300 m hoch gehen soll, ignoriere ich dennoch.
Col Ferret
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Zuletzt bearbeitet:
Freut mich, dass es losgeht :daumen: Der Einstieg ist eine Ansage. Wie "voll" war es auf dem Weg? In der Regel ist es ja der reinste Kolonnenverkehr...
 
Von deiner HP habe ich mi über die Jahre schon viele Anregungen geholt !
Gilt für mich genauso. Der Vorteil dieser Infoquellen ist doch, dass da auch persönliche "Einschätzungen" drin stecken, die gerade bei alpinen Unternehmungen wichtig sein können. Ein nüchterner Track von einem Tourenportal sagt einem erstmal nicht sehr viel.
 
Sonntag, 30. August 2020, Col Ferret (2537 m)

Am Pass wird die Situation nicht viel besser. Es ist klar, dass wir auf dem angeblichen Traumtrail hinunter ins Val Ferret zunächst keinen Meter fahren werden. Der Wind hat den Schnee teils auf 20 cm angehäuft. Der Blick zu den Grandes Jorasses und dem Mont Blanc endet nach wenigen Metern im Schneetreiben und den Wolken.

Beim Col Ferret
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Ca. 300 hm müssen wir auf der italienischen Seite hinunter schieben, bevor der Weg so weit schneefrei ist, dass wieder Fahren möglich erscheint. Die Schneefallgrenze liegt weiter oben als auf der Schweizer Seite. Trotzdem ist das Ganze eine schmierige rutschige Geschichte und wahrlich keine tolle Abfahrt. Ein paar Wanderer sind auch noch unterwegs. Die TMB ist wohl bei jedem Wetter eine stark begangene Route.

Abfahrt ins Val Ferret
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Die Rifugio Elena (2061 m) ist geschlossen. Der Schneefall hat aber endlich aufgehört und die Sonne kommt ein bisschen heraus. Die Wolken verhindern aber immer noch den Blick auf den höchsten Gebirgszug der Alpen. Das wird sich heute auch nicht mehr ändern.

Rifugio Elena (oben Col Ferret)
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Wir klettern zwar noch hoch zum Balcon Ferret, aber bis ganz nach oben zum Tête de la Tronche ergibt bei der schlechten Sicht keinen Sinn. Außerdem hat der schneereiche Morgen zu viel Kraft gekostet.

Einstieg Balcon Ferret
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Wir bleiben also eine Etage tiefer auf dem Balkon, der mangels richtiger Aussicht auch nicht super sinnvoll erscheint. Es geht rauf und runter und abschnittsweise durch so tiefen Matsch, dass nur noch Tragen weiter hilft. Besser als das Tal runter rollen ist es vermutlich trotzdem, ist ja schließlich eine Mountainbike-Tour.

Balcon Ferret, rechts Mont Blanc, geradeaus Col de la Seigne
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Wir erreichen zeitig das Rifugio Bertone (1950 m). Wie ein Vogelnest thront die Hütte aussichtsreich oberhalb des Wintersportortes Cormayeur und bietet tolle Talblicke.
Trotz Corona nun doch eine Hüttenübernachtung? Es hat einfach gut in die Planung gepasst. Und Hygienemaßnahmen sind allgegenwärtig. Auch im Zimmer sind wir nur zu zweit. Also kein Problem.
 
Montag, 31. Augut 2020, Rifugio Bertone (1950 m)

Mont Blanc
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Der morgendliche Blick zum Himmel überstrahlt alles. Keine Wolke ist mehr zu sehen. Wir haben freien Blick zum Mont Blanc (4808 m), der sich scharf vor dem tiefblauen Himmel abhebt. Mit der aufgehenden Sonne entsteht eine wahre Bilderorgie.
Die Stimmung könnte bestens sein. Ist sie allerdings nicht.

Rifugio Bertone mit Mont Blanc
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Mein Radl verliert am Bremshebel für die hintere Bremse Öl. Eine Art Defekt, den ich noch nie hatte, und der mit Boardmitteln auch nicht zu lösen ist. Die Bremse ist eine Magura MT6 von 2012. Ist diese Bremse in Deutschland schon nicht allzu verbreitet, gibt es sie in einer abgelegenen Ecke von Italien vermutlich gar nicht. Ich befürchte, der Tourabbruch steht nahe.

Trailhead
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Zunächst müssen wir mal runter vom Berg. Erste Anlaufstation ist natürlich Courmayeur (1230 m), wo es zumindest ein Radgeschäft geben sollte. Dort hinunter hat die Wandererfraktion allerdings einen fordernden S3-Trail gelegt. Mit nur einer Bremse praktisch unmöglich.

S3-Trail nach Cormayeur


Am Radlladen in Cormayeur steht ein Sammelsurium an Leihfahrädern und lässt nichts Gutes ahnen. Als der Inhaber endlich Zeit für mich hat, ist die Sache auch schnell erledigt. Eine Scheibenbremse kann ich hier nicht reparieren oder tauschen. Weiter unten im Tal Richtung Aosta würden wir in Arvier einen größeren Laden finden. Da das sowieso unsere Richtung ist, stört das nicht weiter. Die Suche nach Wegen abseits der Straße spare ich mir allerdings. Es gibt jetzt Wichtigeres.

Mont Blanc + Dent del Gigante
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In Arvier (750 m) finden wir kein Radgeschäft. Wir besuchen deshalb erst mal den kleinen Supermarkt für ein zweites Frühstück. Wegen des Rades schickt uns die Verkäuferin zur Garage nebenan. Dort klopfe ich ans Tor und tatsächlich, es öffnet sich eine Tür und eine größere Menge an Fahrrädern wird sichtbar.

Die Verständigung mit dem älteren Inhaber ist durchaus schwierig. Ersatz für meinen Hebel hat er nicht. Und eine Bremse von einem seiner Räder abschrauben und bei mir zu montieren, scheint nicht in seinem Interesse. Aber er beginnt zu telefonieren und drückt mir dieses dann ans Ohr. Angeblich gibt es etwas abgelegen noch eine Radwerkstatt. Vielleicht könnte mir dort geholfen werden. Das Gespräch ist etwas verwirrend: Irgendwas mit Garantie (nach 8 Jahren?), aber Magura hätten sie eigentlich nicht, dafür gäbe es Shimano. Klingt alles nicht sehr vielversprechend.
 
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Warum skaliert das Forum die Bilder denn so klein? Bei stuntzi gehen sie zumindest über die ganze Breite. Hochkant wird es viel zu groß dargestellt.

Edit: Mit dem Trick übers Fotoalbum sieht das Hochkantbild nun akzeptabel aus.
 
Zuletzt bearbeitet:
An dem Morgen war ich wirklich sehr geknickt. Das schöne Wetter hat das gut überspielt.
Den Trail habe ich zu 90% runter geschoben. Mit zwei Bremsen wäre 90% fahren möglich gewesen.
Das letzte Stück auf Piste waren auch nicht locker fröhlich. Bis Cormayeur habe ich bestimmt 5x die verbliebene Bremse mit Wasser herunter gekühlt.

Bei den Bildern fällt mir die Auswahl echt schwer. Auf meiner Seite werden es noch ein paar mehr sein. Natürlich kann ich mich daran begeistern. Im Nachhinein sind die Schwierigkeiten ja vergessen.
Das S10 macht auch wirklich poppige Fotos. Das ist natürlich schön anzuschauen.
Ich muss sie vielleicht noch einen Tick kleiner skalieren (im Moment 1024), damit sie hier ohne weitere Skalierung und mit noch besserer Qualität erscheinen.
 
Du hast da echt die bikerischen 7 Plagen überstanden, trotz Corana, Verletzung/Ausfall/Verschiebung vorher, Wetter, Defekt, Sturz...

Toll das ihr euch immer wieder weitergerappelt habt. Einfach kann jeder👍.
 
Ich bin im Nachhinein total happy, dass wir's trotz Corona und der anderen Hindernisse gemacht haben. Aktuell sieht man ja, dass Abwarten nach hinten los gehen kann. Wer weiß, wie es nächsten Sommer wird.
Es wäre aber schon schön, wenn's dann etwas weniger stressig würde :mexican:
 
Montag, 31. Augut 2020, Arvier (750 m)

Um diese dubiose Werkstatt zu finden, bekommen wir einen Standort aufs Telefon geschickt. Das Ziel ist nicht nur abseits unserer Route, es ist auch 400 hm den Berg hinauf. Was soll's. Jeder Strohhalm wird genutzt und so treten wir geschwind eine kleine Straße hinauf. Ohne Kartenpöppel wäre das Ziel wirklich nicht zu finden gewesen. Und auch so, können wir kaum glauben, dass wir richtig sind. Völlig ab vom Schuss stehen wir am Rande einer Siedlung vor einem großen Haus. Von Rädern keine Spur. Aber die Aussicht auf das Aostatal ist toll.🙄

Nach einem erneuten Anruf kommt ein jüngerer Kerl aus dem Haus, begrüßt uns und macht den Rollladen an einer Garage auf. Was dort zum Vorschein kommt, verschlägt uns fast die Sprache. Eine vollausgestattete Werkstatt und eine Sammlung hochwertigster Moutainbikes der eigenen Marke RDR. Die vollgefederten Exemplare wiegen gerade mal 7,5 kg und sind ab 14.000 € erhältlich. Ich muss mehrmals hinschauen, ob an den Rädern nicht irgendwas fehlt. Und es wird noch besser. Der Schrauber schaut sich mein Problem an, verschwindet kurz in seinem Lager und kommt gut gelaunt mit einem aktuellen Bremshebel für eine MT 6 zurück. Ich kann mein Glück kaum fassen. Die beiden Hebel unterscheiden sich optisch zwar, aber ich hätte auch eine Rücktrittbremse akzeptiert. Es kann weiter gehen! 🥳

Schraubergott
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Zurück in Villeneuve (660 m) checken wir den Busfahrplan. Wir haben doch viel Zeit gelassen und das Etappenziel ist noch gut 1600 hm entfernt. Das ist etwas viel für den Nachmittag. So bleibt sogar noch Zeit für einen kleinen Mittagsimbiss. Dann schaufelt uns der Bus ins knapp 20 km entfernte Rhêmes-Notre-Dame (1730 m). Wir sind ganz froh, nicht mit den Rädern auf der kleinen engen Straße unterwegs zu sein.

Auffahrt Benevolo (in Bildmitte)
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Die letzten 600 hm müssen die Beine noch mal ran. Viel zu tun hatten sie heute sowieso noch nicht. Über eine langweile aber gut fahrbare Piste erreichen wir so tatsächlich sehr zeitig das vorreservierte Tagesziel Rifugio Benevolo (2280 m). Schon die zweite Hüttenübernachtung hintereinander, und das in Coronazeiten. Aber auch hier haben wir ein wahrhaft winziges Lager für uns zwei.
Die Hütte ist toll gelegen. Nach Norden kann man das Val di Rhêmes entlang schauen über das Aostatal hinweg bis zum Grand Combin (4314 m) im Wallis. Nach Süden bildet eine Gruppe zahlreicher 3000er den Talschluss. Morgen wird sich zeigen, ob wir in dieser Höhe weiterkommen.

Abendstimmung mit Gran Combin
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