Kinematik - neu gedacht

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Kinematik – neu gedacht​

Muss man beim Mountainbike die Kinematik neu denken? Eigentlich funktionieren die meisten Bikes doch sehr gut und Fehlkonstruktionen wie High-Pivots ohne Umlenkrolle wie zu Anfang der Fully-Entwicklung gibt es heute nicht mehr. Mit Linkage gibt es ja auch eine Software, die Kennwerte wie „Anti-Rise“ und „Anti-Squat“ berechnet, damit die Kinematik so funktioniert wie sie soll.
Aber ich kann mich an eine Diskussion erinnern als es beim Kavenz um die Kinematik ging: Link. Da ging es ganz schön hoch her und selbst die Experten waren sich manchmal nicht so ganz einig.

Also denke ich doch mal „neu“ und wir sehen, wohin das führt.

Die Grundidee ist hier, dass ich mit einer definierten Pedalkraft von 100 N starte und mich über die aus der technischen Mechanik bekannten Prinzipien vorarbeite. Es wird ein System freigeschnitten und über Kräfte- und Momentengleichgewicht werden die unbekannten Kräfte ermittelt.

Für ein beliebiges freigeschnittenes System muss dabei immer gelten:
  • Summe aller Momente = 0
  • Summe aller Kräfte = 0
Als Versuchskaninchen nehmen wir einen einfachen Eingelenker. Die Experten sehen hier gleich: der Drehpunkt liegt doch viel zu hoch, der Anti-Squat wird hier so gar nicht passen. Stimmt. Für diese Betrachtung ist das aber Absicht, damit die ganze Vorgehensweise anschaulicher wird.


Level 0: Crankset​

Hier wird zunächst nur die Einheit „Kurbeln, Pedale, Kettenblatt“ betrachtet. Um das Tretlager wird ein Momentengleichgewicht aufgestellt. Die Pedalkraft ist hier mit 100 N festgelegt und aus dem Momentengleichgewicht wird die Kettenkraft berechnet.
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Als Resultierende ergibt sich gleich noch die Kraft im Tretlager. Links oben im Bild ist ein Kräfteplan zu sehen. Damit die Bedingung „Summe aller Kräfte = 0“ erfüllt ist, müssen alle Kräfte zusammen ein geschlossenes Vieleck ergeben.

Level 2: Back Wheel​

Moment – wir sind mit Level 0 gestartet. Wo ist denn Level 1 hingekommen?

Level 1 ist reserviert für die Umlenkrolle im Zugtrum der Kette. Unser Versuchskaninchen hat keine Umlenkrolle, daher überspringen wir diesen Teil erst einmal.

Weiter also mit Level 2, dem Hinterrad.
1646462524608.png


Hier ist zunächst nur die Kettenkraft aus der Betrachtung von Level 0 bekannt. Über ein Momentengleichgewicht um die Hinterradachse wird nun die Vortriebskraft am Boden berechnet. Und wie zuvor wird ein Kräfteplan gezeichnet und man erhält noch die Kraft in der Hinterradachse.

Level 3: Bike+Rider​

Nun ein großer Schritt: wir betrachten das Gesamtsystem aus Bike und Fahrer. Hier fließen jetzt der Radstand und – ganz wichtig – die Schwerpunkthöhe mit ein.

Die mit Level 2 berechnete Vortriebskraft braucht eine Gegenkraft (in der technischen Mechanik „d’Alembertsche Hilfskraft“ genannt). Typischerweise greift diese Gegenkraft im Schwerpunkt an. Wobei man je nach Fahrwiderstand diskutieren könnte, ob das korrekt ist. Für den Luftwiderstand und den Rollwiderstand wären evtl. andere Annahmen passender. Aber zumindest für Beschleunigungs- und Steigungswiderstand ist die Betrachtung in Ordnung.
1646462557368.png


Die Vortriebskraft am Boden und die Gegenkraft im Schwerpunkt erzeugen ein Moment, das durch die dynamischen Radlasten ausgeglichen wird.

Dadurch erhalten wir am Hinterrad zwei Kräfte. Die Resultierende daraus verläuft in Richtung der 100%-Anti-Squat-Linie.

Level 4: Suspension​

Nun gehen wir wieder einen Schritt zurück und betrachten nur noch das System „Hinterrad + Hinterbau“. Die oben beschriebene Resultierende am hinteren Radaufstandspunkt ist nun bekannt. Die Kettenkraft am Ritzel ist ebenfalls bekannt.

Unbekannt ist noch die Kraft am Schwingendrehpunkt – und da ist noch eine Kraft in der Hinterachse. Wo kommt die denn her?
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Jetzt kommt der eigentliche Trick bei meiner Betrachtungsweise.

Eigentlich müssen wir hier bei Level 4 die Dämpferkraft mit einbeziehen. Unser Versuchskaninchen ist ein simpler Eingelenker, da wäre das recht einfach. Aber das Ziel ist ja, dass auf den Dämpfer beim Pedalieren gar keine zusätzlichen Kräfte wirken. Also setze ich die Dämpferkraft hier einfach gleich Null.

Bei einem perfekten Hinterbau wäre jetzt die Welt in Ordnung: die Kräfte im Radaufstandspunkt, in der Kette und im Schwingendrehpunkt wären im Gleichgewicht. Da das in den seltensten Fällen wirklich so ist, benötigen wir noch eine Kraft, um das System ins Gleichgewicht zu bringen.

Und das ist eine Hilfskraft in der Hinterachse. Diese Hilfskraft ist eine rein virtuelle Kraft. Sie ist nicht wirklich da, sie zeigt mir aber, welche Kraft hier wirken müsste, um das System ins Gleichgewicht zu bringen.

Der große Vorteil dabei: am Hinterrad weiß ich über Radlast und Sag sehr genau über die Federkonstante Bescheid. Mit der virtuellen Kraft kann man also sehr einfach die daraus resultierende Ein-/Ausfederung des Hinterbaus berechnen.
 

Was passiert im Hinterbau? Ein Beispiel​

Konkret in Zahlen ausgedrückt für unser Versuchskaninchen: die virtuelle Kraft beträgt hier etwa 45N. Eine oszillierende Pedalkraft von 100 N bewirkt also eine oszillierende Vertikalkraft am Hinterrad von 45 N – das ist schon richtig viel (Genau genommen oszilliert ja nicht die Pedalkraft, sondern der Hebelarm durch die rotierende Kurbel. Der Effekt auf das daraus erzeugte Drehmoment ist aber gleich).

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Knappe 4mm hört sich jetzt nicht so schlimm an. Das Problem ist, dass wir uns beim Pedalieren meist sehr nahe an der Eigenfrequenz des Systems befinden:

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Für einen einfachen Ein-Massen-Schwinger sieht die Amplituden-Vergrößerungsfunktion so aus:
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Die verschiedenen schwarzen Kurven stellen unterschiedliche Dämpfungskonstanten dar. Ohne Dämpfung geht die Amplitude durch die Decke - eine offene Dämpfung macht das Bike hier zum Schaukelpferd.

Höhere Dämpfungswerte beruhigen bekanntlich das System. Besser ist es aber natürlich, von vornherein die oszillierende Kraft am Hinterrad zu minimieren.
 

Alle Gänge, kompletter Federweg​

Das Beispiel war bisher eine Momentaufnahme: betrachtet wurde nur der erste Gang mit einem 50er Ritzel und auch nur die „Konstruktionslage“, also komplett ausgefedert.

Für andere Gänge sieht die Berechnung natürlich anders aus und auch über den Federweg verändern sich die Verhältnisse.
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In dem Bild sieht man unser Versuchskaninchen im Sag und die Kräfte für Level 4 für alle Gänge. Links im Diagramm ist die oszillierende Kraft am Hinterbau für alle Gänge über den gesamten Federweg aufgetragen.

Ok, damit ist jetzt auch die Katze aus dem Sack: die Bilder oben sind nicht nur so „gemalt“ – da steckt ein Stück Software dahinter: Onkel_Bobs_Kinematic_Tool. Das war mein Winterprojekt und es neigt sich jetzt allmählich dem Ende zu (oder vielleicht auch nicht …).
 

Die verschiedenen Hinterbau-Systeme​

Das perfekte Hinterbau-System ist anscheinend noch nicht gefunden - jedenfalls gibt es immer noch eine Vielzahl unterschiedlicher Systeme am Markt.

Um die Systeme meiner Software beizubringen habe ich mir eine eigene Klassifizierung ausgedacht.

In einer Matrix sind horizontal und vertikal alle Bauteile auflistet. Die farbigen Kästchen kennzeichnen dabei, welche Bauteile miteinander verbunden sind.
  • Frame: Hauptrahmen
  • Shock: Dämpfer
  • BWTria: „BackWheelTriangle“, nimmt Hinterrad und -Bremse auf
  • Für komplexere Hinterbausysteme gibt es noch „Links“ und „Rocker“ (s. unten)
1646469951606.png

Type 0: einfacher Eingelenker mit direkt angesteuertem Dämpfer​

Das ist wohl die einfachste Variante. Es gibt drei Drehpunkte, die den Hauptrahmen, den Hinterbau und den Dämpfer miteinander verbinden.
  • Rot: Frame-Shock
  • Grün: Frame-BWTria
  • Blau: Shock-BWTria
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Type 1: Abgestützter Eingelenker​

Das Hinterbaudreieck stützt sich hier über einen Link und einen Rocker am Dämpfer ab. Es gibt insgesamt 6 Drehpunkte und entsprechend mehr „bunte Kästchen“.
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Type 2: VPP / Horstlink​

Was denn jetzt? VPP oder Horstlink?

Meine Software unterscheidet nicht zwischen „kurz“ und „lang“. Es geht nur um das Grundprinzip. Und das bedeutet hier: das BWTria ist über einen Link (2 Pivots) und einen Rocker (3 Pivots) am Hauptrahmen befestigt.
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1646470013294.png

Type 3: Eingelenker, Rocker ohne Verbindung zum Rahmen​

Der Rocker als Verbindung zwischen BWTria und Shock ist nicht direkt am Rahmen befestigt, sondern hält sich an einem Link fest.
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Type 4: BWTria mit direkter Verbindung zum Dämpfer, Zwei Links​

Das BWTria ist über zwei Links geführt und steuert direkt den Dämpfer an.
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Type 5: Zwei Rocker​

Die Besonderheit hier: zwei Rocker. Weder Hauptrahmen noch BWTria haben Verbindung zum Dämpfer. Der Dämpfer befindet sich zwischen den beiden Rockern.
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Umlenkrolle im Zugtrum​

Alle Typen lassen sich auch mit einer Umlenkrolle im Zugtrum berechnen. Dabei kann die Umlenkrolle wahlweise am Hauptrahmen oder am BWTria befestigt sein. Zwei Beispiele:

1646470124451.png


1646470132175.png

Weitere Typen​

Mit dieser Klassifizierung lässt sich ein großer Teil der aktuell am Markt erhältlichen Bikes abdecken. Natürlich nicht alle. So fehlt z.B. im Moment noch eine Ansteuerung des Dämpfers über einen Kniehebel, wie das bei den Downhillern von Canyon und Specialized angewendet wird. Und es wird immer Bikes mit irgendwelchen „Sonderlocken“ geben, die nicht in so ein Schema passen.
 

Wie geht es weiter?​

Ganz ehrlich: ich weiß es nicht. Das hängt auch von eurem Feedback hier ab. Zwischen „Braucht kein Mensch“ und „Haben wollen“ bin ich auf alles gefasst.

Mir geht es jedenfalls so, dass mir die virtuelle Kraft am Hinterrad eine bessere Vorstellung davon gibt „was da so passiert“. Die Anti-Squat-Werte sind für mich immer irgendwie abstrakt geblieben.

Die Software hat nach 3 Monaten Entwicklungszeit schon einen gewissen Reifegrad erreicht – sie steckt aber immer noch in den Kinderschuhen. Eine „Test-Lizenz für alle“ gibt es deshalb noch nicht. Aber vielleicht gibt es hier im Forum ein paar Kinematik-Experten, die die Software ausprobieren möchten und mir konstruktive (!) Kritik geben wollen? Ich bin gespannt.


Gruß

Onkel_Bob
 
Ja megagoil. Ich erinnere mich noch an die diskussion damals mit giaco und lutz scheffer.
Aber eine riesen hürde haben ja alle berechnungsprogramme: wie stelle ich die richtige eingabe der x und z werte für die drehpunkte sicher (und cog) ohne cad modell oder scan? Jeder kennt ja den mist mit den bildern bei linkage, paar mm daneben und das ergebnis ist nur noch qualitativ zu gebrauchen.
 
Ja megagoil. Ich erinnere mich noch an die diskussion damals mit giaco und lutz scheffer.
Aber eine riesen hürde haben ja alle berechnungsprogramme: wie stelle ich die richtige eingabe der x und z werte für die drehpunkte sicher (und cog) ohne cad modell oder scan? Jeder kennt ja den mist mit den bildern bei linkage, paar mm daneben und das ergebnis ist nur noch qualitativ zu gebrauchen.

Das stimmt allerdings. Ich habe auch schon daran gedacht, in der Software die Möglichkeit für einen Bild-Import zu schaffen. Damit das etwas taugt benötigt man aber schon ein gutes Foto - am besten wohl aus großem Abstand mit dem Tele gemacht, damit es wenig Verzerrung gibt.

Für meine ersten Gehversuche habe ich für verschiedene Bikes erst einmal Daten aus der Linkage-Datenbank genommen. Wie genau die sind? Keine Ahnung. Für meine eigenen Bikes habe ich natürlich die genauen Koordinaten.

Ein ganz wichtiger Punkt ist noch die Schwerpunkthöhe. Es kursieren "Erfahrungswerte" im Netz (oder in der Linkage-Datenbank), aber hat das schon einmal jemand genau gemessen? Irgendwo gab es mal eine recht simple Methode, bei der mit einer Personenwaage die Radlasten gemessen wurden. Dann wurde Vorderrad oder Hinterrad auf eine Kiste gestellt und nochmal gemessen. Mit einem Sack voll Formeln konnte man daraus die Schwerpunkthöhe berechnen. So ein Tool in die Software zu integrieren wäre im Moment ganz oben auf meiner Todo-Liste.

Gruß
Onkel_Bob
 
Genau, beim Schwerpunkt hakts glaub bisher am meisten und kein mensch weiß, welcher hersteller für welche Größe welche cog höhe annimmt. Außer bei last😃. Aber das hängt ja von dermaßen vielen parametern ab, da wirds am ende nur näherungswerte geben können. Auf basis körpergröße + schrittlänge + bb höhe + lenkerhöhe vielleicht (reach nimmt man dann mal „passend“ an nach größentabelken der Hersteller z.b.)? Messung wäre spannend zur korrelation, hab ich mir noch nie angeschaut, wie das funktioniert…

https://www.last-bikes.com/Glen
 
Auch spannend wirds im wiegetritt. N haufen kettenzug und mehr als 1G gewichtskraft u.U. und noch CoG veränderung. Ich hab ja die Erfahrung, dass man hierbei auf den kleinen ritzeln fast nicht genug AS haben kann. Wäre ein spannender sonderfall der berechnung.
 
Genau, beim Schwerpunkt hakts glaub bisher am meisten und kein mensch weiß, welcher hersteller für welche Größe welche cog höhe annimmt. Außer bei last😃. Aber das hängt ja von dermaßen vielen parametern ab, da wirds am ende nur näherungswerte geben können. Auf basis körpergröße + schrittlänge + bb höhe + lenkerhöhe vielleicht (reach nimmt man dann mal „passend“ an nach größentabelken der Hersteller z.b.)? Messung wäre spannend zur korrelation, hab ich mir noch nie angeschaut, wie das funktioniert…

https://www.last-bikes.com/Glen

Sehr interessant! Die meisten Hersteller machen sich da vermutlich nicht so viele Gedanken. Ehrlicherweise muss man sagen, dass bei größeren Bikes ja nicht nur die Schwerpunkthöhe zunimmt, sondern auch der Radstand. Deshalb ändert sich der Winkel der 100%-Anti-Squat-Linie auch nicht so dramatisch.

Ein anderer Punkt, der aus meiner Sicht wichtig ist: eine eingefederte Gabel ändert den Radstand - und damit auch die dynamischen Radlasten. Gerade bei den heute sehr flachen Lenkwinkeln ist der Effekt sehr deutlich und meine Software rechnet deshalb mit gleichmäßiger Einfederung vorn/hinten (ist sicher auch nicht für alle Fahrsituationen richtig, aber schon näher an der Realität).

Wiegetritt: schwieriges Thema. Ich überlege noch, ob ich in meiner Software die Möglichkeit für einen zweiten Schwerpunkt schaffen soll. Aber im Wiegetritt ist ohnehin so viel Dynamik im Spiel, dass das nur über die Kinematik nicht zu bändigen ist. Außerdem: wenn ich für den Wiegetritt optimiere, schaukelt es dafür im Sitzen umso mehr ...

Gruß
Onkel_Bob
 
Der folgende Beitrag wurde ursprünglich im Thema "Welche Rolle spielt der Pedalrückschlag am MTB?"
geschrieben.

Passt ganz gut in diesen Thread, deshalb hier nochmal als Zitat:


Pedalrückschlag – ein Gedankenexperiment

In dem von @Arturo_Bandini verlinkten Video kann man es ab 0:45 schön sehen: Link. Der Radaufstandspunkt am Hinterrad wird senkrecht nach oben bewegt und die Kurbel dreht sich rückwärts.
Pedalrueckschlag1.png


Nun ein Gedankenexperiment: ich halte die Kurbel fest und bewege dann das Hinterrad nach oben:
Pedalrueckschlag2.png

In diesem Fall bewegt sich der Radaufstandspunkt des Hinterrads schräg nach hinten. Wenn wir ein Bike haben, das exakt auf 100%-Anti-Squat optimiert ist (also keine Reaktion der Federung beim Pedalieren hat) wird die Bahnkurve des Radaufstandspunkt senkrecht zur Anti-Squat-Linie verlaufen.

Warum ist das so? Ganz einfach: Die Kraft am Radaufstandspunkt setzt sich zusammen aus dynamischer Radlast und Vortriebskraft und die Resultierende daraus verläuft exakt entlang der Anti-Squat-Linie. Wenn nun Kraftvektor und Wegvektor senkrecht aufeinander stehen, wird keine Arbeit verrichtet (d.h. es wird durch das Pedalieren kein Wippen der Federung erzeugt).


Weiter mit dem Gedankenexperiment: ich stelle mir eine Einfedergeschwindigkeit (hellblau) vor – und jetzt überlagere ich eine Fahrgeschwindigkeit (dunkelblau, in Bezug auf das Bike bewegt sich der Untergrund nach hinten).

Die resultierende Geschwindigkeit (schwarz) verläuft schräg nach hinten.
Pedalrueckschlag3.png


Und jetzt kommt es auf die Relation von Einfedergeschwindigkeit / Fahrgeschwindigkeit an:
Pedalrueckschlag4.png

Es gibt einen grünen Bereich unterhalb der Senkrechten zur 100%-Anti-Squat-Linie. Hier dreht der Freilauf immer noch frei. Im roten Bereich dagegen ist man zu langsam und beim Einfedern werden tatsächlich Kurbel und Pedale rückwärts bewegt => Pedalrückschlag.


Ein Zahlenbeispiel:

Nehmen wir einen Drop aus 1m Höhe. Die Fallgeschwindigkeit ergibt sich wie folgt:
Pedalrueckschlag5.png

Um die Anti-Squat-Linie zu berechnen nehmen wir folgende Werte an:
  • Radstand 1250mm
  • Schwerpunkthöhe: 1100mm
Die kritische Fahrgeschwindigkeit ab der Pedalrückschlag auftritt kann man wie folgt berechnen:
Pedalrueckschlag6.png


Beim 1m-Drop werden wir also über 14 km/h keinen Pedalrückschlag spüren, der Freilauf dreht immer noch frei. Unterhalb 14 km/h geht es langsam los und wenn wir trialmäßig mit 0 km/h landen wird der Pedalrückschlag maximal.

Der Drehwinkel an der Kurbel hängt natürlich vom eingelegten Gang ab. Worst-Case ist hier die 0 km/h-Landung im 1. Gang.

Gruß
Onkel_Bob
 
Sag mal, @Onkel_Bob , hast Du noch weiter entwickelt? Ich finde das sehr interessant und würde mich über weitere Diskussionen und Infos sehr freuen.
Da wuerd ich mich mal anschliessen!

Hab den Thread auch gerade erst entdeckt, bzw. wurde drauf hingewiesen.

Nachdem ich letztes Jahr noch mit Linkage rumgespielt habe um einen Hinterbau zu bauen, waere es mit Sicherheit mal interessant das ganze durch das Tool zu jagen.
 
Hallo @DrFlow , hallo @nollak ,

erst mal vielen Dank für die vielen Likes :)

Das Tool nutze ich nur für mich und für mein nächstes Bike - dauert aber noch eine ganze Weile ...

Das auf eine kommerzielle Schiene zu bringen lohnt sich für mich nicht. Da müsste ich zuviel Aufwand reinstecken, um die Eingabe komfortabler zu machen und Bugs zu fixen. Und dann müssten auch noch viel mehr Ergebnisse ausgespuckt werden, um mit Linkage mithalten zu können. Das wird also nicht werden.

Aber für einzelne Fälle könnte ich das Tool mal anwerfen und Screenshots hier posten. Nur um zu sehen, wie die Ergebnisse im Vergleich zu Linkage sind.

Viele Grüße
Onkel_Bob
 
Zuletzt bearbeitet:
Aber für einzelne Fälle könnte ich das Tool mal anwerfen und Screenshots hier posten. Nur um zu sehen, wie die Ergebniss im Vergleich zu Linkage sind.
Das klingt mal ganz gut.

Ich wuerd mich mal morgen bei dir per PN melden, falls du da Bock drauf haettest mal nen paar Daten rein zu packen. Die Punkte oder wahlweise das Linkage File koennt ich dir geben.
 
Jap hier ist schon was dazu gelaufen. Ich werd in knapp 2 Wochen mal was dazu schreiben und dann auch nochmal wenn ich das dann auch mal erfahren durfte mit dem Rad.
 
So mittlerweile wurde das Rad auf der Messe in Düsseldorf vorgestellt, daher werd ich auch mal was dazu schreiben. Ich selbst bin es leider bisher nur mal gerollt aber der Erbauer selbst hat die erste Runde damit gedreht und auch ein paar Worte zum Hinterbau verloren.

Erstmal vorweg ein paar Details um was es überhaupt geht.
Einigen hier ist ja das Rudel hier im Forum evtl. ein Begriff. Nunja hier entstand die Idee eines Stahl Down Country / Trail Bikes. Was wenn möglich auch im Rahmenbaukurs und vor allem von der Geometrie individualisierbar ist. Der liebe @Phi-Me hatte die Idee direkt aufgenommen bzw. auch mit vorran getrieben, da er meinte er könnte sich sowas gut vorstellen und hatte Bock auf das Projekt. Also wurde sich in kleinerer Runde zusammen gesetzt und das ganze einer größeren Gruppe präsentiert. Zu @Phi-Me kamen noch @BigJohn, @danimaniac und @null-2wo

Dabei heraus gekommen ist ein Flexstay Rad mit 110 oder 120mm am Heck aus einem 185x55/50 Trunnion Dämpfer. Wir haben natürlich fleissig mit Linkage rum gemacht und uns Gedanken gemacht wie das ganze funktionieren könnte und auch ob es sich wohl gut fährt.

Anti-Rise und Anti-Squat sind hier ja Werte auf die man einfach schaut, neben dem Hebelverhältnis.

Die haben wir uns dann als erstes mit den bekannten Diagramm angeschaut und da kam folgendes raus:
Rheintritt V22 Progressiv_Anti-rise.jpgRheintritt V22 Progressiv_Anti-squat.jpgRheintritt V22 Progressiv_Hebelverh.jpg

Mit den Werten waren wir dann erstmal zufrieden und darauf basierend hat @Phi-Me begonnen die Konstruktion zu finalisieren.
Ich weiss gar nicht mehr ob @danimaniac oder @null-2wo dann hier auf den Thread aufmerksam wurden und ich bei @Onkel_Bob mal angefragt habe ob wir da mal mit unserem Vorschlag durchrechnen können wie seine Werte zum Rad aussehen.

Dabei kam dann folgendes raus
Onkel_Bob schrieb:
Zum Ergebnis:
Bei 100N Pedalkraft bekommst Du am Hinterrad im Sag (30%) oszillierende Kräfte von 4N im 1. Gang und ca. 9N im 12. Gang. Die Kraft wirkt jeweils nach oben - da das aber die virtuelle (fehlende!) Kraft ist, wird der Hinterbau durch den Kettenzug minimal ausfedern. Das ist auch nachvollziehbar, weil die Kette etwas unterhalb des Drehpunktes verläuft.
Andererseits liegt der Drehpunkt im Sag perfekt auf der 100%-Antisquat-Linie. In Linkage würde ich Antisquat-Werte knapp über 100% erwarten.

Viel verbessern kann man da eigentlich nicht. Evtl. könntest Du den Schwingendrehpunkt (Grün) minimal nach unten verschieben. Mit z=75mm statt z=80mm wäre der Hinterbau bei 30% Sag im 1. Gang neutral.

Dazu noch die mitgelieferte Grafik.

Rudelfully.jpg

Generell klang das absolut nach dem was wir uns für das Rad vorgestellt hatten und wir hatten da schon gute Werte gewählt.

Daher hat @Phi-Me dann auch noch einen ganz schönen Endspurt eingelegt um das Rad zur Messe fertig zu bekommen und einen Tag später auch direkt die Jungfernfahrt zu bewältigen.

Phi-Me schrieb:
Hinterbau macht in Verbindung mit dem DT Dämpfer genau was wir uns überlegt haben. Selbst im offenen Modus kommt man sehr effizient bergauf. Auf Trail ist es nochmals effizienter und im geschlossenen Modus natürlich eher für die Waldautobahn. Ich habe meist den offenen Modus gewählt, weil so die Schluckfreude erhalten blieb. Wir haben hier teilweise sehr viele Wurzeln und da ist es einfach wichtig, dass der Hinterbau an den Stellen schluckfreudig bleibt und die Energie über die Wurzeln mitnimmt. Das läuft sehr gut. 😍 Mit solch einer Leichtigkeit bin ich bisher mit noch keinem Rad die Berge hoch.

Bergab war ich sehr begeistert von der Gelassenheit des Fahrwerks. Einfach toll, wie sich 120/130mm anfühlen können.

Ich fühlte mich auf meinen Trails hier mit dem Rad einfach pudelwohl. Die Kombination eines effizienten, aber fähigen Fahrwerks hat mich voll abgeholt.

Ich würde, sobald ich mal damit gefahren bin auch mal noch ein Fazit zum Fahrwerk abgeben. So wie sich das anhört, scheint aber in diesem Fall die Theorie und Praxis recht nah bei einander zu liegen.

Vielen Dank auch nochmal an @Onkel_Bob für die Berechnung, das hat uns nochmal sehr bestärkt das wir da mit dem Rad auf dem richtigen Weg sind.

Der Prototyp wird jetzt erstmal über das Jahr noch auf Herz und Nieren getestet und dann werden wohl ein paar davon gebaut ;)
Sobald ich mal noch eigene Eindrücke habe werde ich die mal noch hier teilen, falls gewünscht. Andernfalls gibts es evtl. auch mal einen Thread zum Rad, falls da im Forum genug Interesse vorhanden ist.
Abschliessend mal noch 2 Bilder von der Messe.
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A4A7DCC9-9113-44F0-967E-F2F646BC3813.jpeg
 
Gerade erst entdeckt durch einen Hinweis!
Jetzt weiß ich, worüber @nollak gesprochen hat. ;)

Leverage Ratio finde ich spannend. Vom Fahren eher sollte das schön "poppig" sein. Wie sieht eigentlich der Kraft/Weg-Verlauf durch die Leverage Ratio am HR aus? Da bin ich jetzt neugierig.

Halte ich mal fest, was bei der Auslegung besonders wichtig ist:
- die Schwerpunktslage im Raum... (x und y Achsen)

Die x-Achse kann ich mittlerweile aus vorhandenen dynamischen Messungen auf zukünftige Geometrien relativ zuverlässig übertragen bzw. berechnen. Damit wäre die Lage in der Abfahrt bestimmt. Gleiches wäre für Auffahrten möglich, aber bislang noch nie den Fokus drauf gehabt.

Die y-Achse ist da in der Tat wirklich etwas schwieriger. Damit habe ich mich noch nicht beschäftigt. Es gibt dort aber entsprechende Formeln aus dem Automobilbereich, um passende Näherungen zu erhalten, da das ESP mit diesen Werten auch arbeitet.
 
Die y-Achse ist da in der Tat wirklich etwas schwieriger.

Schwerpunkthöhe ist immer wieder ein spannendes Thema. Mit "Haushaltsmitteln" wird das relativ ungenau. Mit einer Personenwaage kann man zumindest die Radlasten bestimmen. Für die Schwerpunkthöhe benötigt man jedoch eine zweite Messung im gedrehten Zustand (Steigung oder Gefälle).

Am besten einen Kumpel bitten, das Bike im Kipp-Punkt zu halten und dann die Höhe des Vorderrads messen. Ungefähr so:
1678871874692.png
 
Die Personenwaage ist ja eigentlich ja auch nur eine grobe Hilfe. Mir geht es ja meist um die dynamische Radlastverteilung. Das, was mit der Personenwaage nicht zu ermitteln ist. Das ist für bergab und bergauf unterschiedlich. Logischerweise.
 
Hallo @DrFlow , hallo @nollak ,

erst mal vielen Dank für die vielen Likes :)

Das Tool nutze ich nur für mich und für mein nächstes Bike - dauert aber noch eine ganze Weile ...

Das auf eine kommerzielle Schiene zu bringen lohnt sich für mich nicht. Da müsste ich zuviel Aufwand reinstecken, um die Eingabe komfortabler zu machen und Bugs zu fixen. Und dann müssten auch noch viel mehr Ergebnisse ausgespuckt werden, um mit Linkage mithalten zu können. Das wird also nicht werden.

Aber für einzelne Fälle könnte ich das Tool mal anwerfen und Screenshots hier posten. Nur um zu sehen, wie die Ergebnisse im Vergleich zu Linkage sind.

Viele Grüße
Onkel_Bob
Ich hab ein relativ paralleles Foto mittels 500er Tele von meinem Bike und alles ins CAD übertragen. Könntest Du damit was anfangen und wärst so nett, mir das durch dein Programm zu jagen?
 
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