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Da ist es wieder, das ominöse Viertel (im Allgäu anscheinend etwas mehr: 28,06 %). Was es damit auf sich hat erfahrt ihr später im Text:
Gemeinverträglichkeit (verfassungsimmanente Schranke zu Art. 141 Abs. 3 Satz 1 BV) des Mountainbikens
Nach dem Grundsatz der Gemeinverträglichkeit gilt, dass das Betretungsrecht nur in der Weise ausgeübt werden darf, dass die Rechtsausübung anderer nicht verhindert oder mehr als nach den Umständen unvermeidbar beeinträchtigt wird (Art. 26 Abs. 2 Satz 3 BayNatSchG). Der Grundsatz stellt in erster Linie eine Verhaltensregel für die Erholungsuchenden selbst dar.
Die Vorrangregelung des Art. 28 Abs. 1 Satz 2 BayNatSchG für Wanderer gegenüber Radfahrern gilt daher auch nur für solche Wege, die zugleich von Wanderern und Radfahrern benützt werden können (vgl. Entscheidung des BayVerfGH vom 16.06.1975, Rd.Nr. 122).
Hinsichtlich der Gemeinverträglichkeit kommt die NJW Neue Juristische Wochenschrift bei der Auswertung des Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 03.07.2015, Az. 11 B 14.2809 zu dem Schluss:
„Es besteht durch das von der Bayerischen Verfassung geschützte Radfahren in freier Natur kein erhöhtes Risiko für Erholung suchende Fußgänger."
Das Gericht selbst verweist in RdNr. 27 des Urteils diesbezüglich auf die Einhaltung der Gebote des § 1 und des § 3 StVO (vgl. Art. 26 Abs. 2 BayNatSchG). Es könne nicht von vornherein unterstellt werden, dass sich Radfahrer generell nicht verkehrsgerecht verhielten.
Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht (§ 1 Abs. 1 StVO). Wer am Verkehr teilnimmt, hat sich so zu verhalten, dass kein anderer geschädigt, gefährdet oder mehr als nach den Umständen unvermeidbar behindert oder belästigt wird (§ 1 Abs. 2 StVO). Fahrzeugführer und somit auch Radfahrer dürfen nur so schnell fahren, dass sie das Fahrzeug ständig beherrschen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 StVO) und innerhalb der übersehbaren Strecke halten können (§ 3 Abs. 1 Satz 4 StVO). Sie müssen sich gegenüber Kindern, hilfsbedürftigen und älteren Menschen, insbesondere durch Verminderung der Fahrgeschwindigkeit und durch Bremsbereitschaft, so verhalten, dass eine Gefährdung dieser Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist (§ 3 Abs. 2a StVO). Die Geschwindigkeit ist insbesondere den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen sowie den persönlichen Fähigkeiten und den Eigenschaften von Fahrzeug und Ladung anzupassen (§ 3 Abs. 1 Satz 2 StVO).
„Trotz sicherlich berechtigter Beschwerden im Einzelfall" erachtet das Gericht die Beachtung der vorgenannten Gebote als möglich, womit es deutlich macht, dass vom Radfahren typischer Weise keine Gefahren ausgehen (sog. abstrakte Gefährdung). Dies gilt auch auf stark frequentierten Wegen bei einer Vielzahl von Begegnungen für jede Einzelne, da sich Radfahrer bei der Erholung in freier Natur jederzeit gemeinverträglich verhalten können (vgl. BayVGH, Urt. v. 21.11.2013, Az. 14 BV 13.487, RdNrn. 43 u. 47).
Zunächst handelt es sich bei der Frequentierung tatsächlich um einen der in Art. 26 Abs. 2 Satz 3 BayNatSchG gemeinten Umstände. Auch wenn eine große Anzahl Erholungsuchender das Erholungserlebnis des Einzelnen möglicherweise schmälert, ist das Vorhandensein anderer Erholungsuchender hinzunehmen.
Es kann dem Radfahrer gegebenenfalls geboten sein abzusteigen, um dem Fußgänger dem ihm gebührenden Vorrang einzuräumen. Auf der anderen Seite sind auch die Fußgänger an die Gemeinverträglichkeitsklausel gebunden und dürfen Radfahrer nicht unnötig behindern. Der Grundsatz verpflichtet also zu gegenseitiger Rücksichtnahme.
Im unübersichtlichen Terrain ist es dem Radfahrer nach den allgemeinen Regeln geboten nur so schnell zu fahren, dass er sein Fahrrad ständig beherrscht und innerhalb der übersehbaren Strecke notfalls sofort anhalten kann (vgl. auch § 3 Abs.1 StVO).
Für Radfahrer ergibt sich – wie für andere Verkehrsteilnehmer auch – zudem weder aus der StVO noch aus anderen Bestimmungen ein Anspruch auf ein ungehindertes Fortkommen mit der maximal zulässigen Geschwindigkeit. Vielmehr folgt aus dem in § 1 StVO verankertem Rücksichtnahmegebot, dass sich jeder Verkehrsteilnehmer an die Verkehrsverhältnisse anpassen muss.
Hieraus ergibt sich für die Radfahrer auch, dass ein gegenseitiges Aufeinander-warten und Ausweichen, das der gesetzlichen Verpflichtung der Verkehrsteilnehmer zur ständigen Vorsicht und gegenseitigen Rücksichtnahme aus § 1 Abs. 1 StVO entspricht, gegenüber sämtlichen Verkehrsteilnehmern möglich ist.
Auch der aktuelle Stand von Wissenschaft und Forschung zum Verhältnis von Wanderern zu Radfahrern lässt irgendwelche sicherheitsrechtlichen Bedenken wegen potentieller Konfliktsituationen zwischen Radfahrern und Wanderern nicht erwarten:
Eine Auswertung der "Soziale Konflikte Studie" (Dreyer/Menzel/Endres, Wandertourismus, 2009, S. 119) befasst sich intensiv und fundiert mit der Frage, ob und wie es zu Konflikten zwischen Wanderern und Radfahrern gekommen ist und kommen kann. Drei Erkenntnisse sind hervorzuheben:
1. Erkenntnis 1: 0% der Wanderer sehen einen Lösungsansatz in Hinweisschildern:
a) Die Frage, ob Hinweisschilder zur Konfliktlösung beitragen können, beantwortet die Studie eindeutig:
Wanderer fordern mit Nachdruck das langsame Vorbeifahren oder z. B. eine Klingelpflicht der Mountainbiker. Hinweisschilder, auf denen die Mehrfachnutzung der Wege durch Mountainbiker signalisiert werden, geben sie gar nicht erst als Lösungsansätze an (0%).
Dies entspricht auch der Rechtslage und der Intention des Verfassungsgebers: Solange jedoch dem Fußgänger ein Vorrang in der Art suggeriert wird, dass dieser entgegen der Feststellung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 16.06.1975 (Rd.Nr. 122) nicht nur auf gemeinsam genutzten Wegen, sondern auch durch Ausschluss anderer Erholungsuchender erfolgen kann, wird der soziale Konflikt nicht befriedet. So lautet auch das Fazit in Forschung Radverkehr – Infrastruktur I- 9/2011, Radfahrer und Fußgänger auf gemeinsamen Flächen. Die Ausgrenzung anderer Erholungssuchender führt gerade nicht zur Lösung des Konflikts, im Gegenteil: Das Miteinander funktioniert dann gut, wenn genügend Platz vorhanden ist, bei gemischten Flächen kein Verkehrsmittel einen Vorrang suggeriert bekommt, der Gesamteindruck eindeutig ist in dem Sinne, dass der Radverkehr bei den Fußgängern „zu Gast" ist und sich entsprechend in der Fahrgeschwindigkeit anpasst. Wo wäre das eher der Fall als in der freien Natur?
b) Dass dies funktioniert, kann man auch den Ausführungen der Rupprecht Consult Forschung und Beratung GmbH im Merkblatt "RADFAHRER und FUSSGÄNGER" entnehmen:
Empirische Studien zeigen, dass Radfahrer dazu neigen, ihr Verhalten anzupassen. Auch wurde beobachtet, dass Fußgänger durch Radfahrer weniger behindert werden als umgekehrt:
Es sind die Radfahrer, die flexibel sein müssen. Radfahrer verringern ihre Geschwindigkeit und versuchen bei hoher Fußgängerdichte ein Zusammentreffen auf andere Weise zu verhindern. Erhebungen zeigen, dass sie sich unvorhersehbarer Bewegungen, insbesondere bei unbeaufsichtigten kleinen Kindern, sehr bewusst sind. Ängste vor einem allgemein rücksichtslosen Verhalten der Radfahrer sind unbegründet. Und in der Praxis reguliert sich der Fahrradverkehr in hohem Maße selbst. Macht die Fußgängerdichte das Radfahren zu schwierig, benutzen Radfahrer alternative Routen. Die Angst, dass Fußgänger von der Masse an Radfahrern bedrängt werden könnten, ist ebenfalls unbegründet.
c) In der öffentlichen Diskussion wird die Gefährdung von Wanderern durch die Biker zwar immer wieder herausgestellt. Tatsächlich sind Unfälle zwischen Fußgängern und Bikern jedoch äußerst selten. Gemessen an der großen Zahl der Selbstunfälle von Fußgängern sowie anderer Naturnutzer in den Bergen tendiert die Zahl der Unfälle im Begegnungsverkehr mit Mountainbikern gegen Null. So sind der Sicherheitsforschung des Deutschen Alpenvereins (DAV) keine Unfälle aus dem Begegnungsverkehr zwischen Mountainbikern und Wanderern bekannt (Hr. Schubert, 1998, brfl.). Auch auf dem für Biken zugelassenen Wegenetz von Österreich sind bislang nur äußerst selten Unfälle passiert. WIEGAND (1993), zitiert in WÖHRSTEIN (1998: 79/80), teilt mit, dass auf den 2.700 Kilometer in Tirol freigegebenen Forststraßen während eines Jahres keine einzige Kollision zwischen Biker und Fußgänger gemeldet wurde. Die extrem niedrige Unfallrate wird auch durch Daten von BLUMENTHAL (o.J.) aus den USA bestätigt.
All diese wissenschaftlich belegten Thesen spiegeln sich auch in der Gesetzgebung wieder:
Die Bekanntmachung des Ministeriums aus dem Jahr 1976 benutzt unter II. Nr. 2 bezüglich der Grenzen der Gemeinverträglichkeit den Begriff "unzumutbar". Eine Notwendigkeit für Beschränkungen des Begegnungsverkehrs von Fußgängern und Radfahrern sieht sie dort nicht. Das Ministerium geht vielmehr davon aus, dass eine gemeinsame Nutzung von Wegen unter gegenseitiger Rücksichtnahme sowohl Radfahrern als auch Fußgängern normal ist. Art. 26 Abs. 2 Satz 3 BayNatSchG beschreibt das Gebot der Gemeinverträglichkeit mit:
"Die Rechtsausübung anderer darf nicht verhindert oder mehr als nach den Umständen unvermeidbar beeinträchtigt werden (Gemeinverträglichkeit)", so dass der Erholungsuchende mit zumutbaren Störungen durch andere auskommen muss.
Nach Art. 141 Abs. 3 Satz 1 der Bayerischen Verfassung stehen die verschiedenen Arten der Erholung in der Natur grundsätzlich gleichwertig nebeneinander, ohne dass eine bestimmte Rangordnung aufgestellt werden könnte (vgl. BayVerfGH, E.v. 24.7.1979 – Vf. 10-VII-77 – VerfGHE 32, 92/98 f.). Damit hatte der Verfassungsgeber bereits selbst die Lösung des sozialen Konflikts bewirkt, indem er die Akzeptanz der gemeinsamen Wegenutzung durch die Erholungsuchenden voraussetzt. Hierfür bedarf es, wie die Wanderer im Einklang mit der Bayerischen Verfassung feststellen, keiner Hinweisschilder.
2. Erkenntnis 2: Wanderer halten Toleranz und Rücksichtnahme für eine Grundvoraussetzung, weshalb sie dies fast gar nicht explizit fordern: Toleranz und Rücksichtnahme werden wahrscheinlich deshalb fast gar nicht explizit gefordert (9,1 %), weil sie aus Sicht der Wanderer schlichtweg Grundvoraussetzungen darstellen. Den Dialog zu fordern bedeutet für die Wanderer eher (18,2%), mögliche Konflikte zwischen Wanderer und Mountainbikern stärker zum Thema zu machen oder eben ein rücksichtsvolleres Verhalten der Mountainbiker zu schulen. Soweit die Wanderer in der "Soziale Konflikte-Studie" Toleranz und Rücksichtnahme für eine Grundvoraussetzung halten, weshalb sie dies fast gar nicht explizit fordern, entspricht dies auch der dem Grundrecht auf Naturgenuss und Erholung in der freien Natur aus Art. 141 Abs. 3 BV immanenten Schranke der Gemeinverträglichkeit.
3. Erkenntnis 3:
27,3 % der Wanderer fordern Verbote um präventiv die Konfliktwahrscheinlichkeit zu reduzieren:
a) Wanderer sehen im Gegensatz zu Mountainbikern strikte Regelungen und Verbote als sinnvolle Lösungsansätze an, um sich selbst bzw. ihre Interessen zu schützen. Getrennte Wege (18,2%) und Einschränkungen; Verbote (27,3 %) sollen im präventiven Sinne dazu führen, dass sich die Konfliktwahrscheinlichkeit reduziert.
b) Auch die Studie „Mountainbiking und Wandern", die Helga Wessely für die Bayerische Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege 1998 durchgeführt hat, verhält sich zu Konflikten. Die Anzahl der Wanderer, die am Staubtalweg die Begegnung mit Mountainbikern als konfliktträchtig einstuften, lag bei
27 %. Angesichts der potentiell stark konfliktträchtigen Situation liegt der Wert erstaunlich niedrig.
c) Die neueste Studie aus Deutschland zum Themenbereich dürfte Walderholung mit und ohne Bike? aus dem Schwarzwald 2014 sein. Ergebnis der Befragung (Seite 15):
27 Prozent der befragten Wanderer fühlten sich am Tag der Erhebung in unterschiedlichem Ausmaß durch Mountainbiker gestört (gar nicht 73%, etwas 20%, ziemlich 5%, sehr 2%).
d) Auf ein ganz ähnliches Ergebnisse kommt die "Soziale Konflikte-Studie" Harz, 2008: Aus Sicht der Wanderer sind Mountainbiker und Radfahrer „Problempartner", das aber lediglich für
etwa ein Viertel der Befragten (26,4 %). Quelle: Wandertourismus, 2009
e) Auch die neueren Studien aus 2008 (Harz) oder 2014 (Schwarzwald) bestätigen, was WÖHRSTEIN 1998 in Mountainbike und Umwelt schon bei der Auswertung früherer Studien erkannte: Einen Hinweis zur Interpretation dieses Befragungsergebnisses liefert die Arbeit, die von ZIEGLER 1993 am Donautalradweg erstellt wurde. Dieser Weg wird von Fußgängern wie Radfahrern gleichermaßen benutzt. ZIEGLER kommt zu dem Ergebnis, dass sich bei einem Radfahreranteil von sechs Prozent, von 50 Prozent wie auch von 80 Prozent, ein beinahe gleichbleibender Anteil von
25 Prozent der Fußgänger durch die Radfahrer gestört fühlt.
Daraus ist zu schließen, dass es unter den Fußgängern einen Anteil von ungefähr 25 Prozent gibt, der sich grundsätzlich von Radfahrern gestört fühlt, unabhängig davon, wie viele Radfahrer unterwegs sind und wie hoch das Störpotential dadurch tatsächlich ist. Dieses Ergebnis widerspricht der Vermutung von WEIGAND, der annimmt, dass bei steigendem Radfahreranteil auf den Forstwegen um den Großen Feldberg auch die Anzahl der sich gestört fühlenden Fußgänger zunimmt.
f) Auch in Österreich findet sich nach der aktuellen Umfrage von meinungsraum.at trotz gänzlich anderer gesetzlicher Rahmenbedingungen das Viertel der Wanderer wieder, die sich durch Radfahrer gestört fühlen. Hier allerdings nur bei der Generation 50+ mit
24 %, bei den unter 50-Jährigen sind es sogar nur auf 9 % und insgesamt lediglich 20 %.
g) Neben den bereits aufgeführten Veröffentlichungen findet sich auch eine sehr aufschlussreiche Aussage in der Konfliktanalyse aus 2006 (S. 127): Eine von den Mountainbikern ausgehende gesundheitliche Gefährdung der Wanderer durch Begegnungen wird relativiert: "Also das halte ich persönlich jetzt subjektiv für einen Witz, muss ich ihnen ehrlich sagen" (SWV). Eine solche Aussage vom Schwarzwaldverein, der mit knapp 70.000 Mitgliedern zweitgrößten deutschen Wanderverband, relativiert auch die Notwendigkeit der Wanderer sich durch die Forderung von Verboten zu schützen (sh. oben).
Diese Erkenntnisse werden auch getragen von Rainer Brämer, dem (vgl. hierzu Wikipedia) deutschen Wanderexperten und "Wanderpapst", Leiter der Forschungsgruppe Wandern am Institut für Sport und Erziehungswissenschaft, Gründungsmitglied und Vorsitzender des deutschen Wanderinstituts e. V. und im Gremium "Projektpartner Wandern", welcher als Fachberater, Gutachter und Moderator agiert. Dieser bestätigt in seiner Veröffentlichung "Feindliche Brüder - Hiker und Biker konkurrieren um Wege" (2008), dass sich zwar
1/4 der Wanderer durch die Rad fahrende Konkurrenz gestört fühlt, dies aber seine Ursache letztlich darin findet, dass bei Erhebung der Frage zur Frustrationstoleranz lediglich potentielle, keine tatsächlichen Probleme an die Wanderer herangetragen wurden. Ob es tatsächlich zu Konflikten gekommen ist, bleibt offen. Dies deshalb, weil es in der Regel keine Konflikte gibt.