Helligkeit und Vogelgezwitscher? Für mich mitteleuropäischen Bergler ein glasklarer Fall: Zeit loszufahren! Und so entsteht das erste Bild des Tages um Viertel vor fünf:
Egal wo man ist, der Morgen ist einfach eine tolle Tageszeit!
Ich treffe Hasen, einen Fasan und die Eider.
In Friedrichstadt ist die Bäckersfrau am Aufschliessen, und ich frage sie in meinem besten Hochdeutsch, um wie viel Uhr sie öffnen wird. Ihre Antwort nimmt mir jegliche Illusion bezüglich der Qualität meines Hochdeutschs: "7 o'clock"

Beim Bahnhof gibt's lecker Frühstück. Die Verkäuferin verkauft einem alten Mann liebevoll eine kleine Anzahl an Eiern, die seinem kleinem Budget angepasst ist.
Hinter Friedrichstadt fliegen der Distelfink und die Ente neben mir her, und aus dem Feld gucken zwei Rehohren.
In Husum merke ich, dass der Morgen wirklich eine tolle Zeit ist, aber im Norden halt einfach ein verdammt früher Kerl. Entsprechend mache ich auf dem Marktplatz ein erstes Nickerchen.
Bei der Ortsausfahrt kommen mir zwei Typen aus dem Ausgang entgegem, die ihren pennenden Kollegen in einem Einkaufwagen mitschieben. Da merke ich, wie fit ich eigentlich bin, und purzle frohen Mutes weiter
Oh Schleswig-Holstein, wie schön Du bist! Diese Weite!
Unter mir rattert der Schotter...
...und vor mir hoppeln die Hasen:
Kurz vor dem Wattenmeer komme ich mit einem lokalen Velofahrer ins Gespräch. Er ist von hier bis nach Spanien und ans Nordkap geradelt und wünscht mir alles Gute für meine Tour.
Der Velofahrer empfiehlt mir nicht unbedingt, auf der Meerseite des Damms zu fahren: nicht weniger Gegenwind, dafür mehr Schafskacke und Gatter. Aber ich find's eindrücklicker dort.
Vor mir stieben Gänse davon und machen dabei dieses Sehnsuchtsgeräusch.
Am Horizont erblicke ich Warften.
Schafskacke in überschaubaren Mengen und ungefähr jeden Kilometer ein Gatter? Passt schon.
Kurz vor Dagebüll blockieren demonstrierende Schafe die Halligbahn nach Oland und Langeneß. Kein grosses Risiko angesichts der Geschwindigkeit
In Dagebüll pausiere ich ausgiebig im Strandhotel. Als ich die Fähren sehe, spiele ich kurz mit dem Gedanken, via Föhr-Amrum nach Sylt überzusetzen und von dort nach Rømø, aber die Fahrplansucherei verleidet mir rasch.
Stattdessen kämpfe ich mich gegen den Wind nordwärts. Kurz vor der dänischen Grenze verordnet der Sylt-Shuttle eine willkommene Pause.
Nach hundert Kilometern erreiche ich das elfte Land
by fair means: Dänemark! Es gibt keinerlei Anzeichen, dass man die Grenze überquert. Nur die Zäune sind anders: links deutsch, rechts dänisch. Und: es hat mehr Wolken bei den Dänen.
Ich fertige noch ein Bild von dänischen Kühen an, danach verleidet mir das Fotografieren: der Gegenwind ist stark, auf den frisch geschotterten Feldvelowegen versinke ich mit dem Pathfinders zentimetertief, und wenn's Teer ist, verläuft nebenan eine Hauptstrasse.
Für eine Weile kämpfe ich mit einem leicht bepackten Graveller gegen den Wind, aber dann kommt ein Restaurant, und ich ziehe Essen und Trinken dem Windschutztandem vor. Nach einer Schorle und Schokokuchen geht's wieder raus in den Wind. Später merke ich, dass die Kellnerin das mitbestellte und ungetrunken eingepackte Cola geöffnet hatte - und so umweht mich fortan ein leichter Colageruch, wenn ich meine Jacke anhabe
Dänemark und ich: das ist am ersten Tag kein
Amour fou. Vor lauter Frust verpasse ich eine magische Grenze: hier sind es bereits 1003 km Luftlinie nach Hause. Das auf der Strasse kein Auto zu sehen ist, ist übrigens ein ziemlich grosser Zufall...
Ich muss aber die unglückliche Route auf meine Kappe nehmen: im Rad-Forum wurde mir empfohlen, mit Ribe die älteste dänische Stadt mitzunehmen. So habe ich denn auf bikerouter.de mit
Gravel schnell Bremen mit Ribe und Hauvrig verbunden. Heraus kamen vor und nach Ribe die ungeliebten strassenbegleitenden Radwege - und dann ist Ribe nicht mal besonders schön
Erst nach Bramming wird's ein bisschen besser - wobei, landschaftlich haut mich das dänische Hinterland kaum aus den Socken...
Zum Abschluss gibt's in der Nähe von Varde ein sehr weiches Bett zu einem anständigen Preis. Ich schlafe aber leicht besorgt ein: wenn Dänemark so weitergeht, werden das eher trostlose Tage...
Später bestätigen mir andere Radler auf dem Westküstenweg, dass ihnen Dänemark am Anfang auch nicht sonderlich gefallen hat. Aber ich kann euch beruhigen: wir sind alle total Fan geworden

Karte.
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