Gestern bin ich nach einer erholsamen Nacht wie ein junges Reh aufs Velo gehüpft. Das Herrenhaus ist meinem Schlaf nicht so bekömmlich, und so tapse ich heute Morgen eher wie ein brummiger Bär los.
Nach einem ersten Hügelzug komme ich dank einem kleinen Verfahrer an dieser Bäckerei vorbei.
Ich verdrücke meine drei
Chaussons aux pommes vor dem Tresen, denn draussen ist es mal wieder neblig und kalt. Auf den darauffolgenden Höhen kommt man aber aus dem Nebel raus - yeah!
Aber der Weg stürzt sich wieder in den Nebel runter, und der Brummbär folgt mürrisch einem sehr grobschottrigen Bahntrassee. Im Sommer sicher eine traumhafte Strecke entlang dem idyllischen Fluss.
Und wieder raus aus dem Nebel und rein in den Sonnenaufgang!
Ich stelle mich schon auf weitere Hügelquerungen ein, als in Thiviers ein Wunder passiert: aber hier hats eine
Voie verte auf einem ehemaligen Bahntrassee, und zwar nicht im Tal unten, sondern oben an der Nebelgrenze. Und so findet dieses Tal-Hügel-Tal-Hügel-Tal-Ding, welches seit gestern Mittag andauert, endlich ein Ende
Schon cool, wenn man so über die Täler schweben kann...
...und die Hügel durch Einschnitte entschäft werden.
Auf dem Viadukt von
Saint-Pardoux-la-Rivière erklärt mir ein junger Velofahrer den weiteren Verlauf: die Flow Vélo (so heisst die Voie verte) sei ab hier geteert. Es gehe zwischendurch schon ein bisschen auf und ab, es sei aber sehr schön zu fahren.
Er habe das Velofahren letztes Jahr für sich entdeckt, und mit leichten Stolz lässt er durchblicken, dass er schon dreissig Kilometer in den Beinen hat. Leider schaffe ich es wegen meiner Brummbär-Laune nicht, ihm dafür ein Kompliment zu machen (aber immerhin reibe ich ihm nicht unter die Nase, dass ich dchon bei fünfzig bin und heute hundertfünfzig vorhabe

).
Es kommt wie vom jungen Mann vorausgesagt: Teer, 1-2 Hügel obendrüber weil der dazugehörige Tunnel nicht passierbar ist, dank der Viadukte aber nicht in die Täler runter. Gute Sache, diese Flow Vélo!
Unmittelbar nach dem grossen Viadukt von Nontron sind sie am Boules spielen - eine ernste Sache
Über viele Kilometer schwebe ich über den Blätterteppich der Bahntrassee.
Ab Javerlhac treibt mich mal wieder der Hunger um. Die
Guinguette sieht zwar ein wenig herunterkommen aus, aber die Schokolade ist sehr lecker. Bloss mit dem Zahlen will es nicht klappen: auf 50 Euro können sie nicht herausgeben, und Kreditkarten sind des Teufels. Ich überlege kurz, hier zu Mittag zu essen, aber 3 Gänge sind mir zu viel. Das Wirtepaar ist nett und gibt sich frotzelnd mit 50 Cent zufrieden.
In der Steigung vor Angoulême streckt es mich auf einer Bank nieder: zu wenig Schlaf, zu wenig zu essen... Ich bleibe aber nur kurz liegen, denn es ist zwar nicht eisig, aber halt auch nicht kuschelig warm. Wobei, im darauffolgenden Quartier spielen die Jungs im T-shirt Fussball, so kalt kann es also nicht sein
Ich weiss, für euch wohl nichts spezielles, aber mich Bergler hauen die Einfallsstrassen fast aus den Socken.
Angoulême ist bekannt für das
Festival International de la Bande Dessinée
Meiner Meinung nach sollte es auch bekannt sein für das sensationelle Kebab-Resto in der Innenstadt: zwei Radiatoren, um die durchgeschwitzten Klamotten zu trocken, und nahrhafte Menus sind genau das, was ich brauche

Ich mutiere vom Brummbär zur Wespe auf Speed und schwirre zwischen den Radiatoren hin und her, zupfe hier einen Ärmel zurecht und schaue dort, dass auch die Rückenpartie hutzelt. Am Ende ist der Bauch voll und die Kleider trocken - hurra!
Angoulême ist sehr schön mit seinen aus hellem Stein gebauten Häusern. Leider spielen Lautsprecher in der Fussgängerzone Weihnachtsschnulzen und Werbebotschaften für Weihnachtsmärkte - ziemlich schauderhaft und dystopisch.
Aber zum Glück hat es ruhige Kirchen...
...und die wunderschöne romanische Kathedrale.
Nach Angoulême folge ich ein Stück der Charente, bevor
Gravel schnell eine Flussschlaufe über die Hügel abkürzt. Normalerweise mag ich es, dass dieses Profil Steigungen nicht aus dem Weg geht, aber hier scheint es wirklich jeden Höhepunkt mitnehmen zu wollen.
Als dann auch noch Komoot rumzickt, fluche ich zum ersten Mal auf dieser Tour laut vor mich hin.
Die Routenwahl hat aber auch einen grossen Vorteil: ich erblicke die totale Hügellosigkeit ringsherum. So krass habe ich das noch nie erlebt!
Ein netter Mensch rettet mich bei
Saint-Simon vor dem Verdursten. Er ist mal mit den Kindern der Charente nach ans Meer geradelt, das seien drei sehr schöne Tage gewesen.
Die Charente ist aber auch wirklich zauberhaft
In Jarnac gibts endlich ein Schlossfoto und vor allem zwei Snickers.
Die Flow Vélo überquert den Fluss und führt dann an Cognac vorbei.
Zwei junge Herren sind sich am Flussufer am Betrinken und erklären mir sehr nett den einfachsten Weg ins Städtchen hoch.
Und so verbringe ich Abstinenzler die Nacht in der Hauptstadt des Weinbrands
Karte. Ich bin übrigens nicht so langsam, wie da jeweils angegeben ist: Komoot kaspert glaub jeweils während den Pausen was rum (ich halte die Navigation nie an), was dann den Schnitt senkt. Ich hoffe, die App erfindet da jeweils keine Kilometer.
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