Dieser Rennbericht beginnt etwas anders. Ich dachte, ich nehme euch mal mit in die Vorbereitung auf so ein Rennen. Meistens sieht man ja nur Fahrer, die glücklich über die Ziellinie fahren und am Boden zerstört wegen irgendetwas das Rennen aufgeben mussten. Nie bekommt man etwas von den hunderten Stunden Vorbereitung mit.
Der Nürburgring ist für mich das Rennen des Jahres. Rennen in meinem Kalender mit der höchsten Priorität sind immer rot gekennzeichnet. Der Nürburgring hätte eigentlich die Farbe von Antimaterie verdient. Da es die in Excel aber leider nicht gibt, muss sich der Termin halt mit Rot begnügen. Nach der Marathon DM habe ich mir die kompletten drei Wochen vor dem Ring, was Rennen angeht, freigeschaufelt. Wie immer waren noch einige Dinge zu testen. Ultradistanzen lassen sich nie hundertprozentig planen. Deswegen bin ich auch jemand der dann alles Planbare auch ziemlich minutiös durchrechnet. Es gibt einfach – jeder Mathenachhilfeinanspruchnehmer hasst sie – zu viele Unbekannte.
Schon im Winter ist es deshalb wichtig sich genau zu überlegen, ob man etwas an der Strategie für das nächste Jahr ändern möchte. Der ganze Krempel möchte schließlich ausprobiert werden. Und trainiert werden muss dann auch noch. Da ist der Winter immer am schlimmsten. In den ganz kalten Monaten hat die längste Einheit auf der Rolle, die auf meinem Trainingsplan steht, immer drei Stunden. Jeden verdammten Montag hieß es also Philipp drei Stunden lang gegen sich und den Rollentrainier mit dem unerbittlichen Leistungsmesser, der wie ein Galerenantreiber hinter einem steht.
Dieser Schweinehund merkt sofort, wenn man dann doch mal etwas zu wenig drückt. Irgendwie habe ich es dann doch immer geschafft den Winter zu überstehen und manchmal sind auch im Winter echt schöne Tage dabei.
Wie auch immer. Trainingsgefasel ist auch immer ziemlich langweilig. Also dachte ich, ich zeige euch einfach die Vorbereitung mit ein paar Bildern.
Hauptsache bunt … Einzelzeitfahrtraining auf der Panzerstraße beim Heimverein von Andre Greipel und ein paar Flugstunden in Willingen:
Rumrechnen, wie denn welches Kettenblatt für den Ring wohl die richtige Wahl ist:
Und den ganzen Kram dann auch einbauen:
Krafttraining:
Bitte nicht füttern … aber ich wollte doch mein zweites Frühstück. Naja das gilt wohl für die Pferde, die da rumlaufen. Lange Grundlageneinheit irgendwann sonntags morgens:
Anderer Sonntag wieder verdammt früh … ob das Wetter hält?
Wo wir grade beim Essen sind. Wer viel fährt, muss auch viel Essen. Oft mehr als doppelt so viel, wie ein durchschnittlicher Erwachsener. Sponser Sportfood macht hier einen super Job!
Mein Vater tut mir auch immer einen riesen Gefallen, indem er hin und wieder Eiklar aus dem Großmarkt mitbringt:
Eiklar, Banane, Haferflocken, Honig:
Reiskuchen kochen für eine Runde Grundlagenausdauer 1:
Vorkochen um 10 Uhr morgens für die Uni:
Knäckebrot erster Versuch. Da war ich Stolz wie Oskar:
Und immer daran denken: Regeneration ist die Mutter der Porzellankiste:
Ich hoffe, das ist jetzt nicht allzu langweilig geworden. Nun aber zum eigentlichen Renngeschehen. Es hieß same procedure as every year James äh Philipp. Das 8er Rennradteam meines Vaters erklärte sich wieder dazu bereit mich zu versorgen. Einen Tag vor dem Rennen ging es zum Ring. Unter einem exorbitanten Wutanfall, der an meinen legendären Bremsenschleifwutausbruch beim Finale der Nutrixxion Marathon Trophy von 2013 erinnerte, musste ich beim Leverkusener Kreuz noch einmal umdrehen. Das Ganze geschah wohlgemerkt im Feierabendverkehr. Ich hatte eine ganze Kühltasche Reiskuchen vergessen.
Nachdem wir das Fahrerlager aufgebaut hatten und das Abendessen verputzt worden war, ging es für mich dann ins Hotel.
Einmal in Ruhe schlafen bitte. Von der ganzen Aufregung mit dem Reiskuchenmalheur und der Aufbauerei hatte sich bei mir eine Art Gleichgültigkeit eingestellt. Irgendwie war mir das Rennen plötzlich ziemlich egal und das war ein riesen Glück. So lag ich dann um viertel vor 8 im Hotelbett und schaute mir irgendeinen Film mit Dwayne Johnson in der Glotze an. Dazu gab es noch ein paar letzte Kohlenhydrate.
Kurz nach 10 hieß es dann Licht aus und schlafen. Und das bitte so lange, wie möglich. Vor kurzer Zeit hatte ich meinen Brustgurt, der bei mir irgendwie nicht funktionieren wollte, gegen ein
Garmin Viviosmart getauscht.
Das erwies sich dann im Rennen als viel angenehmer und dieses Wunderwerk der Technik ist auch in der Lage Schlafphasen aufzuzeichnen. Jedes Mal vor einem 24h Rennen hatte ich nämlich das gleiche Problem. Ich war mir nie sicher, ob ich gut geschlafen hatte. Hier beruhigte mich ein Blick auf mein Handydisplay. Als ich aufstand, hatte ich insgesamt 12 Stunden im Bett gelegen und 10 mehr oder weniger durchgehend gepennt.
Am Ring angekommen begrüßte ich unzählige Bekannte und fand sogar noch kurz Zeit auf der Expo etwas shoppen zu gehen. Dann wurde es ernst. So langsam war es Zeit sich die Radklamotten anzuziehen und in den Startblock zu gehen. Jetzt war die Aufregung dann doch gekommen.
Ich versuchte mich etwas abzulenken, indem ich einen Post bei Facebook in die Weiten des Netzes schickte. Dann ging es los. Die Erste Runde verlief wie immer über den Grand Prixkurs, um das Feld zu entzerren. Danach ging es auf die eigentliche Strecke. Die ersten zwei Runden liefen eigentlich ziemlich gut, aber in den Abfahrten konnte ich nicht wirklich meinen Rhythmus finden, weil viele vor mir doch ziemlich langsam unterwegs waren. Das Feld hatte sich dann aber doch schnell entzerrt und so konnte ich dann mein Tempo fahren.
Die Herausforderung war immer wie immer die Gleiche: Man steht so gut erholt und so leicht wie zu kaum einem anderen Zeitpunkt in der Saison am Start und dann darf man nicht schnell fahren. Eigentlich wird das Rennen für die Solostarter erst nach zwölf Stunden eröffnet und entscheidet sich meist bei der Friedhofsschicht von Mitternacht bis sechs Uhr morgens.
Also hieß es Runden drehen und nicht verrückt machen lassen. Alle mit einem Internetanschluss wussten zu diesem Zeitpunkt mehr als ich. Ich lag auf Platz 18-20 der Solostarter. Nach gut sechseinhalb Rennstunden ging es für mich zum ersten Mal an die Box. Abendessen war angesagt.
Die Stellen an den Waden, die sich etwas bemerkbar machten, wurden schnell getaped und ich wechselte auf ein anderes Paar Schuhe. Mir waren aus irgendeinem Grund die Zehen im linken Fuß etwas eingeschlafen und ich hoffte das mit meinen Ersatztretern in den Griff zu bekommen. Gegessen werden musste dann auch noch. Das ist unter Zeitdruck nicht grade die wahre Freude. Schließlich dauerte der Stopp insgesamt 10 Minuten. 11 Minuten wären aber besser gewesen, denn ich hatte vergessen, die Sitzcreme aufzufrischen. Ich fühlte mich wieder in die dritte Klasse zurückversetzt: „Herr Lehrer Philipp hat seine Hausaufgaben vergessen!“
Drei Stunden später stand Reiskuchen während der Fahrt auf dem Plan und so beschloss ich da die Sitzcreme aufzufrischen, während mir mein Vater den Reiskuchen in die Rückentasche stopfte. Das Ganze sollte sich dann aber als Glück im Unglück herausstellen. Mein linkes Knie hatte sich nämlich mittlerweise bei mir gemeldet. Gleichgültig schmierte ich den Rest der Sitzcreme auf das bei Sportlern so verhasste Gelenk und wir beschlossen dem Störenfried beim Boxenstopp nach 12 Stunden mit Tape das Maul zu stopfen. Vorerst sorgte aber die Sitzcreme auf dem Knie für gute Kühlung. Manche geniale Tricks ergeben sich halt einfach durch Zufall.
Die Runden bis zum zweiten Stopp fuhren sich wie von selbst. Die Unterstützung an der Strecke war der Wahnsinn. Jede Runde wurde ich von Zuschauern und Fahrern angefeuert. Zuschauer, die mich sogar wiedererkannten, hatten an einem Uphill eine Anlage aufgebaut und kommentierten über Mikro das Rennen. Sven und Sandra, die ich kurz darauf in Duisburg betreuen werde, wenn die beiden 24 Stunden im Kreis fahren, waren an die Strecke gekommen und schossen erste Fotos.
Foto by Sandra Klunte
Unser Teamchef Christian und Betreuerin Niko waren auch im eBike Team von Bosch am Start und wieder wurden Fotos geschossen und kräftig angefeuert.
Foto by Niko und Christian
Muschi, den jeder im IBC-Forum kennt, war nach seinen Herzproblemen auch wieder voll im Rennmodus und fand auch noch Zeit mich abzulichten.
Foto by Muschi
Kurzum: Der Support war der absolute Wahnsinn. Am liebsten hätte ich bei jedem Fahrer, Zuschauer und Helfer angehalten und mich bedankt. Es hilft so unglaublich, wenn jemand einem Mut macht, grade wenn es dann auch mal schwer wird. Zwischendurch verlor ich meine Brille und ein Team, dass am Streckenrand sein Lager hatte, rief mir zu, dass sie sie verwahren würden. Dann der Hammer. Kurze Zeit später brachte mir ein Fahrer von ihnen, die Brille während seiner Runde vorbei und drehte sogar noch mal um, um das Mistding aufzuheben, als es bei der Übergabe runtergefallen war. Ich kann den Jungs echt nicht genug danken!
Apropos schwer. Die Friedhofsschicht stand an und Boxenstopp Nummer zwei wurde anberaumt. Nun hieß es Klamotten wechseln und wieder Essen in die Figur schütten. Das Knie wurde getaped, der Lampenakku gewechselt und Reifendruck und Kette wurden gecheckt, denn das Rad hatte schließlich schon 225 Kilometer runter. Ich musste mich richtig zwingen, mich während dem Essen, im Stuhl anzulehnen, um dem Oberkörper so wenigstens für eine kurze Zeit etwas Entspannung zu gönnen. Für die angekündigte Friedhofschicht stellte ich mir dann für jede Runde eine Aufgabe.
Wenn es die einzige Aufgabe ist, seinen eigenen Kadaver so lange wie möglich auf einem Kohlefaserhaufen in einem fahrbereitem Zustand zu halten, dann hat man auch während der Fahrt viel zu erledigen: Salztabletten schlucken, eine Kleinigkeit essen, Armlinge anziehnen, Armlinge wieder ausziehen, an den Rand fahren und naja ihr wisst schon … etwas loswerden und wie ich es nenne sein Wohnzimmer aufräumen.
Die Unordnung, die sich in den Rückentaschen bildet, ist der absolute Wahnsinn. Die Start - und Zielgerade ist ja glücklicherweise ziemlich lang und so hatte ich die Gelegenheit, Alu- und Frischhaltefoliereste,
Werkzeug und Armlinge von allem Essbarem wieder zu trennen.
So gegen halb 5 war mit der Dämmerung zu rechnen.
Von den Jahren davor wusste ich genau, wo sich die Sonne zeigen würde. Um halb 6 war es dann schon ziemlich hell und ich hatte eine Premiere zu feiern. Das erste Mal stürzte ich am Ring. In der Abfahrt, die von der Nürburg wieder ins Tal führt, nahm ich eine Kurve zu eng, kam auf ein paar lose Steine und so verlor ich das Vorderrad. Meine rechte Seite bekam einige Kratzer ab. Doch alles in allem hatte ich ziemliches Glück. Kurze Zeit später gab mir Tommy, der mich, während mein Vater noch schlief, mit einer Flasche versorgte, dass in der nächsten Runde, der letzte Boxenstopp anstand.
Das Rad wurde vom Licht befreit, die Wunde, die ich mir an der Rechten Wade geholt hatte, desinfiziert und ich bekam etwas zum Frühstück. Dann ging es auf die letzten Runden. Es waren ja nur noch knappe 6 Stunden zu fahren.
„Verdammtes Kinderspiel…ist nur ne längere GA-Einheit, vor der du nicht geschlafen hast“, redete ich mir ein. Doch zugegeben es war verdammt hart.
Cycling isn´t a game, it´s a sport. Tough, hard and unpitying, and it requires great sacrifices. One plays football, or tennis, or hockey. One doesn´t play at cycling. Das hat Jean de Gribaldy wohl mal gesagt … zumindest wenn man den Jungs von Eurosport glaubt. Aber da wird schon was Wahres dran sein. Während ich auf meinem Reiskuchen knapp drei Stunden vor Schluss herumkaute, wurde mir klar, wie recht der alte Höllenhund doch hatte…
So langsam konnte ich mir ausrechnen, wie viele Runden es noch sein würden. Ich fing an runter zu zählen…7…6…5… Um 11:45 Uhr sollte der Zieleinlauf beginnen. Mir wurde klar, dass ich, wenn ich noch einmal etwas beißen würde, ca. 12-15 Minuten vor Schluss noch eine Zieldurchfahrt schaffen würde. So wäre es noch möglich die magische Schallmauer von 400km und 8000hm zu knacken. Nur noch beißen, es irgendwie über diese verdammte Ziellinie schaffen und dann die letzte Runde ganz in Ruhe zu Ende fahren, war die Devise.
Der erstplatzierte meiner Altersklasse war in der kurzen Zeit mit 15 Minuten Vorsprung uneinholbar und ich hatte absolut sicheren Vorsprung vor Platz 3. Gut 15 Minuten vor Schluss eierte ich über die Zielgerade. Holger, der den ganzen Wahnsinn jedes Jahr organisiert, war fleißig am Kommentieren und fragte mich über die Boxen, wie es mir geht.
„Alles Gut“, gab ich im Vorbeifahren zurück. Zu mehr war keine Zeit und das ist auch exakt der Satz, den ich bei Stürzen im Rennen reflexartig rausbekomme, noch bevor mir überhaupt klar ist, ob ich verletzt bin oder nicht. Übersetzt hieß das: „
Ich glaube, ich sterbe heute doch noch nicht.“
Jedenfalls hörte ich noch über die Boxen:
„Der Philipp fährt das jetzt ganz locker zu Ende…“ Ich quälte mich irgendwie über die letzte Runde, bedankte mich bei allen Zuschauern an der Strecke und fand im letzten Anstieg hoch zur Hohenrainschikane noch Zeit mir das Tape von den Beinen zu reißen, die gefühlt nur noch davon und nicht mehr von Muskeln, Sehnen und Bändern zusammengehalten wurden. Die Hoffnung war so halbwegs ordentlich auf der Zielgeraden auszusehen. Ich war einfach froh wie Bolle es geschafft zu haben. Am Ende waren es dann 400,5km und 8183hm.
Nun hieß es warten auf die Siegerehrung. Keine zwei Meter neben meiner Box war Paul Voss unterdessen dabei das Rudi Altig Race zu gewinnen und ich bekam nichts mit. Normalerweise hätte ich es mir auf keinen Fall nehmen lassen, mir das erste Profirennen auf dem Nürburgring seit Jahrzehnten anzuschauen, aber ich war einfach fertig.
Foto by Muschi
An dieser Stelle möchte ich mich ganz herzlich für die riesen Unterstützung, sowohl an der Strecke und über das Netz bedanken. Ein großer Dank geht auch wieder an das Rennradteam,
Die Acht, an meine Eltern, an
das Team2Beat, an Holger Kremers und seine ganzen Jungs und Mädels, die jedes Jahr eine phänomenale Veranstaltung aus dem Boden stampfen, an meinen Trainer Patrick, der alles koordiniert, was mit Eisen zu tun hat, und natürlich an unsere Sponsoren, ohne die das Ganze nicht möglich wäre:
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