... endlich habe ich einen Ort gefunden, wo ich was davon erzählen kann:
Also mal angenommen, Polo und seine Mitstreiter haben Recht und die Qualität eines Noname-Rahmens kommt zumindest sehr nahe an die eines Rahmens einer der Kultmarken heran.
Dann habe wir auf dem Markt der Mountainbikerahmen ein Phänomen, welches man in vielen Märkten (PKWs, PCs, Nahrungsmittel, Shampoos, ...) beobachten kann: Eine rein objektive Angleichung der Produktqualität. Es fällt heute eben - anders als vor 50 Jahren - schwer, ein wirklich schlechtes Auto zu kaufen - selbst ein Lada hat heute immerhin einen Opelmotor. Und sollte man im Supermarkt mal danebengreifen und aus Versehen das billigste Handelsmarkenshampoo kaufen, werden einem sicher nicht gleich die Haare ausfallen.
Würden dies nun alle Verbraucher wissen und dementsprechend nur noch die billigsten Produkte kaufen, würde das in letzter Konsequenz bedeuten, daß der Hersteller, der die besagte Qualität zu den niedrigsten Produktionskosten liefert, irgendwann den gesamten Weltmarkt bedient und alle anderen Unternehmen eingehen.
"Um Himmels Willen!" stöhnt die Masse der Unternehmen "Was können wir dagegen tun?" Die Antwort heißt: DIE MARKE! Denn was kann einen Konsumenten dazu bringen, für ein und das selbe Produkt den dreifachen Preis zu zahlen? Na eben der Glaube daran, dass es etwas besonderes sei! Deshalb gibt es die gesamt Werbeindustrie: Sie reden uns ein, dass ein Markenprodukt etwas besonderes ist. Ja beinahe: Je weniger besonders die Produkte, desto notwendiger die Werbung zur Absatzförderung. Daher gibt es so viel Werbung für Waschmittel und so wenig z.B. für Literatur.
Und warum macht das (in irgendeinem Bereich) fast jeder mit? Da gibt es viele Gründe (hier auszugsweise):
- die Informationsüberlastung: Wer hat schon einen umfassenden Überblick über das Shampooangebot in Deutschland? Und wer hat überhaupt das Interesse, sich damit stundenlang auseinanderzusetzen? Deshalb kauft man Nivea und weiß, was man hat. Oder eben Specialized. Ist nicht das billigste, aber sicher kein Fehlkauf (womit ich nicht jedem Specialized-Fahrer fehlende Marktübersicht unterstellen möchte). Deshalb gibt es auch z.B. eine Retrodesignwelle (Beetle, Z8, Yetis in türkis-gelb, GT's Triple Triangle, ...), weil eine ein Marke, die seit langem existiert, vertrauen erweckt.
- die Macht der Medien: Wenn ich drei mal täglich Werbung für Shampoo gegen Haarausfall sehe, habe ich abends vor dem Spiegel das Gefühl, das mein Haupthaar lichter wird.
- die Selbstverwirklichung: Wir leben in einer Zeit, in einem Wohlstand, in einer Gesellschaft, in der der Individualismus hochgehalten wird. Es gilt heute nicht mehr satt zu werden oder ein Dach über dem Kopf zu haben, sondern sich selbst zu verwirklichen, etwas besonderes zu sein. Deshalb beobachten wir z.B. im Automobilbau die zunehmende Bedeutung des Designs, weil ein Auto inzwischen beinahe ein Spiegelbild des gewünschten Selbstbildnisses ist: der dicke alte Autofahrer hofft, dass das sportliche BMW-Markenimage auf ihn selbst abfärbt. Wenn alle einen PC haben, bin ich mit Apple noch was besonderes. Deshalb gibt es tatsächlich intelligente Menschen, die "Sport-Shampoo" mit Magnesium kaufen, oder "Sport-Zahnpasta"!
Abgesehen von wirklichen sportlichen Ambitionen schmückt sich mancher gerne mit dem Attribut, ein "Mountainbiker" zu sein - das klingt für den Normalbürger und die Freundin wild und sportlich. Anderen reicht das nicht, sie definieren sich innerhalb der Gruppe der "Mountainbiker" noch besonders, z.B. als "Kultmarkenfahrer" und kaufen z.B. ein Cannondale. Auch hier fühlen sich viele geschmeichelt, wenn das Markenimage auf sie abfärbt: Wer wäre nicht gern "steinhart und unzerstörbar" wie ein Cannondale, nicht gern "verwegen und mutig" wie Nicolai, einfach "wunderschön" wie ein Rocky Mountain oder "cool und stylish" wie ein Rotwild? Und wer ist schon gerne "beamtenmausgrau und vernünftig" wie ein Radon?
Aber warum erzähle ich das so lang und breit: Nun, meiner Meinung nach kann jeder für eine besondere Marke, ein besonderes Image "unvernünftig" viel Geld ausgeben. Man sollte sich dessen aber bewußt sein, die Spielregeln der mediengelenkten Marktwirtschaft kennen und gewisse Grenzen einhalten:
Kauft kein Magnesium-Shampoo - fahrt lieber einmal öfter pro Woche mit dem Radl, das wirkt auch sportlich!
Verbietet eurer Freundin die Hautcreme für 20 pro 20-Millilitertübchen - auch die wird ihr Aprikosenhaut nicht glätten!
Lächelt über Euren Nachbarn, wenn er sich zur Rente einen Benz kauft - der wird ihm auch nicht mehr Respekt verschaffen!
Beobachtet auch ein wenig besorgt die Jungs, die den Thread zum Markenimage (
http://www.mtb-news.de/forum/showthread.php?s=&threadid=20858) vollschreiben, denn sie wissen, glaube ich, nicht recht, was sie da tun.
These: Ein cleverer Vermarkter könnte mit ein paar Werbemillionen, einer stilvollen Kampagne, einem schönen Design, einer unverfrorenen Preispolitik, einem Rennteam (ganz wichtig), einem exklusiven Händlerkonzept und natürlich mit ein paar Jahren Zeit erreichen, dass das Classic-Forum im Jahr 2015 voller "Lakes" - Bikes von 2005 steht - ohne, daß an der tatsächlichen Qulität der Räder wirklich was geändert wird. Was meint Ihr?
Liebe Grüße,
gevatterstaat