Sali Michi
tolle Diskussion
Ich möchte gerne noch etwas weiter philosophieren:
Bist Du schon mal dasselbe Bike einmal mit etwas mehr und einmal mit etwas weniger Sag gefahren? Sagen wir, einmal mit 25 % Sag und einmal mit gut 35 % Sag.
Ich bin unseren Oberrider (145 mm Federweg) in beiden Positionen gefahren, wobei bei beiden Positionen der Hinterbau im Sag in derselben Position sitzt (das wird durch 2 unterschiedliche Wippen realisiert). In der 25 % Einstellung ist der Dämpfer etwas degressiver angelenkt, da der Hinterbau noch etwas mehr einfedert (vom Sag aus) als bei der 35 % Einstellung. Der Dämpfer ist ein Manitou SPV Luftdämpfer (2004). Der Dämpferhub wird in beiden Fällen ausgenutzt.
Das Interessante daran ist, dass sich die 35 % Einstellung spürbar komfortabler anfühlt und auch schluckfreudiger erscheint, obwohl deutlich weniger Restfederweg zur Verfügung steht.
Ich denke, dass der Grund die deutlich flachere Kennlinie bei der 35 % Sag Einstellung ist (weniger Druck im Dämpfer), so dass der Hinterbau sich auch komfortabler, weicher anfühlt.
Das gilt nicht nur für kleine Schläge, sondern auch für wirklich grobes Gelände.
Erstaunlicherweise spürt man nicht, dass der Hinterbau weniger Restfederweg besitzt, nur bei Drops und grossen Sprüngen spürt man die Dämpferendprogression deutlicher. Beim schnell Runterfahren hat man weniger Gewicht auf dem Hinterrad und dadurch fährt man auch in der 35 % Sag Einstellung dann mit effektiv weniger Sag, natürlich aber immer noch deutlich mehr als beim Runterfahren derselben Strecke in der 25 % Sag Einstellung.
Diese 35 % Einstellung ist natürlich nichts für Racer, die oft Wiegetritt fahren, da die Gesamtkennlinie im Sag relativ flach ist und der Hinterbau durch schon wenig Gewichtsverlagerung sich deutlich bewegt.
Ich denke, dass dieses Experiment mit einem nicht SPV Dämpfer vielleicht anders ausgefallen wäre, beim SPV wird der Dämpfer fast immer auf der Sagposition gehalten und sinkt nur für das Schlucken eines Schlags einmal ein, um dann wieder in die Sagposition auszufedern. Ein anderer Dämpfer wäre fast konstant mehr eingefedert.
Zudem ist beim SPV die Druckstufe progressiv, was ein Durchschlagen fast unmöglich macht.
Ich fahre fast kein Fully mit nur 20 % Sag am Dämpfer, unsere Touren/Marathonfullies sind auf etwa 25 % Sag am Dämpfer optimiert, bei den meisten Dämpfern ist dort die Kennlinie schon halbwegs linear und nicht mehr in der Anlauframpe.
Mit 25 % Sag darf das System (ohne Dämpfer) bei gewissen Dämpfern schon etwas progressiv sein, damit das Ende des Federwegs nicht "aprupt" auftritt.
Vor allem bei Freeride (und DH-) Bikes mit Stahlfederdämpfer sollte die Kinematik selbst progressiv sein, sonst spürt man das Auftreffen auf das Endanschlagselastomer des Dämpfers zu gut (bei Sprüngen und Drops). Wir sind gerade am Testen eines Freerideprototypen mit sehr progressiver Kinematik und das Ding fährt sich superkomfortabel, man hat nie das Gefühl, ans Limit zu stossen.
Im Moment ist der Dämpfer umgebaut, damit er nicht ganz ausfedern kann und das Bike hat "nur" noch einen Federweg von knapp 170 mm. Die Progression macht es aber deutlich komfortabler / schluckfreudiger als andere Freeridebikes mit diesem oder mehr Federweg und weniger Progression bzw einer leichten Degression.
Du schreibst, dass das System mit hohem Anfangsübersetzungsverhältnis bei gleichem Kraftzuwachs weniger einfedert als das mit kleinem Anfangsübersetzungsverhältnis. Da hast Du Dich wahrscheinlich aus Versehen verschrieben.
Das sollte genau umgekehrt sein. Bei einem 1:3 Übersetzungsverhältnis drücken 200N vom Hinterrad mit 600 N auf den Dämpfer, bei einem 1:2 Verhältnis drücken 200 N vom Hinterrad nur mit 400N auf den Dämpfer, das kleiner übersetzte wird wahrscheinlich weniger einfedern, wenn wir einmal annehmen, dass die Kennlinie beim 1:3 Dämpfer (mehr Luftdruck) 3/2 steiler ansteigt als beim 1:2 Dämpfer und da die Kraft auf den 1:3 Dämpfer auch 3/2 der Kraft auf den 1:2 Dämpfer beträgt, werden beide Dämpfer in etwa gleich viel einfedern. Beim 1:3 Dämpfer macht aber derselbe Dämpferhub am Hinterrad mehr Weg als beim 1:2 Dämpfer. Ich hoffe, ich habe kein Durcheinander gestiftet.
Somit ist also das System, das durch die 200 N Kraftzuwachs mehr einfedert das Komfortablere, das ist das, mit dem grösseren Anfangsübersetzungsverhältnis.
(Du hast übrigens mit dem Anfangsübersetzungsverhältnis angefangen

)
Ich habe übrigens nie angezweifelt, dass Du viel Zeit und Geld in Hinterbausysteme investiert hast. Sonst wäre auch nicht ein so gescheites System herausgekommen.
Ich möchte mit meinen Aussagen nur sagen, dass man (noch) nicht immer alles zusammen unter einen Hut bringen kann, man kann vieles sehr gut machen, aber winzige Kompromisse da und dort sind unvermeidlich mit der heutigen Physik und den heutigen Systemen.
Übrigens kann man auch Kinematikkennlinien erschaffen, die zu Beginn degressiv sind und dann wieder progressiv werden; Deine ist ja auch so: Die Degression zu Beginn kommt von dem "fast" 180 Grad Winkel zwischen den Wippenlagerpunkten und der Verbindung Horst Link - hinteres Wippenlager, die Progression in der zweiten Hälfte kommt von der Wippe, die (nur das System Wippe - Dämpfer betrachtet) den Dämpfer eher progressiv anlenkt.
So, genug geschrieben für heute.
Ich wünsche noch einen schönen Abend.
Gruss
Dani