Rad am Ring kommt mir mittlerweile vor, wie eine zweite Heimat. Von den Leuten am Verpflegungsstand werde ich jedes Jahr wie verrückt angefeuert. Mit dem Ordner, der für den Bereich unseres Lagerplatzes zuständig ist, quatsche ich jedes Jahr darüber was alles so in der Saison passiert ist und in den Hotels im Umkreis werde ich beim Einchecken wiedererkannt. Für mich ist das ganze immer mein persönliches Saisonhighlight. Ich muss zugeben es gibt keinen Tag im Jahr an dem ich nicht an dieses eine Rennen denke. Dieses Jahr wollte ich meinen persönlichen Rekord von 40 Runden überbieten. Mein Plan war eigentlich relativ simpel. Im Winter Muskelmasse aufbauen, zur Saison die Kraftausdauer darein bekommen, die längeren Radeinheiten länger und die harten Radeinheiten kürzer und härter.
Nehmen wir mal den bei Radfahrern ungeliebten Monat Januar. Da ist es mit dem Training draußen nicht gerade ultra einfach. Dass ich auf einer ehemaligen Skipiste im Bergischen Land wohne, macht das Ganze auch nicht gerade unkompliziert. So bleibt oft nichts anderes als die Rolle übrig. Dieses Jahr hasste ich insgeheim die Montage. Nicht wegen dem Wochenanfang, sondern, weil da immer drei Stunden Grundlage auf der Rolle anstanden. Irgendwie habe ich dann aber doch die Indoorsaison - ohne an Hospitalismus zu erkranken - überstanden. Zugegeben es sind auf der Rolle in der kalten Hälfte dieses Jahres alle Staffeln Dr. House draufgegangen…
Insgesamt lief die Vorbereitung ziemlich gut. Eine leichte Erkältung löste Anfang Juli bei mir dann doch eine kleine Panik aus. Der ganze Spuk hielt aber nur vier Tage an. Was das sollte und woher das kam kann ich bis heute nicht sagen. Die Taperphase an sich ging dann gut rum und ehe ich mich versah, war alles an Material, Klamotten und so weiter und sofort in den Autos verstaut. Am Freitag zeigte sich das Eifelwetter von seiner besten Seite. Beim Aufbau waren also alle guter Dinge…
Wieder einmal sollte ich vom Rennradteam meines Vaters („Die Acht“) betreut werden. So ganz traute aber keiner der Jungs dem Braten. Für Samstag war eine Unwetterwarnung herausgegeben worden. Es sollte mit einem heftigen Sturm gerechnet werden. Als ich ins Hotel fuhr, war aber immer noch bestes Wetter. Da habe ich der Unwetterwarnung noch nicht viel Beachtung geschenkt. „Mir doch egal, die Eifel hat eh immer in 24 Stunden vier Jahreszeiten…“, dachte ich mir.
Nach dem abendlichen Carboloading trottete ich also in mein Hotelzimmer.
Da galt es dann die typischen Vorbereitungen für die Nacht vor dem Rennen zu treffen. Also fix mal eben das Bärenfell übergeworfen und ein Opfer dem Sonnengott Ra dargebracht. Nein Ernst mal beiseite. Habe natürlich das gemacht, was viele Radsportler machen, und mein eigenes Kissen mitgebracht. Vorsichtshalber habe ich mir noch eine Ration Flüssignahrung auf dem Nachttisch bereitgestellt.
In der Nacht schüttete es mal wieder eifeltypisch. Auch das war für mich immer noch kein Grund zur Sorge.
Nach einer erholsamen Nacht und einem ordentlichen Frühstück war ich…nennen wir es mal durchgeladen und entsichert. Am Ring angekommen wurde nur noch schnell alles bereitgestellt, die Bikes ein letztes Mal gecheckt und dann konnte es von mir aus losgehen. Und dann DAS. Über die Lautsprecher des Rings ertönte eine Durchsage: „Auf Grund der Sturmwarnung wird der Start aller Raddisziplinen um drei Stunden verschoben…“ Bams Ende aus. Innerhalb von einer Sekunde auf die andere wurden meine Rekordhoffnungen zerstört. Mein Zeitplan musste überarbeitet werden und das Radl bekam noch ein anderes Vorderrad…weil wegen Regen. Danach nochmal hingelegt… Tommy aus dem Achter meinte noch: „ Das wird sich noch weiter verschieben.“ In dem Moment wollte ich es noch nicht so richtig glauben. Tommy sollte Recht behalten. Nach einigen Stunden eine erneute Durchsage: „Die Starts der Raddisziplinen werden auf Grund der Sturmwarnung auf 20Uhr verschoben.“ Zugegeben es gibt schlimmeres als in einem nagelneuen Mercedescamper auf den Start zu warten, aber ich wollte einfach nur Radfahren.
Zwischendurch waren meine Nerven dann schon ziemlich am Ende. Die ganze Vorbereitung, für einen Studenten mördermäßig viel Kohle und alles stand auf der Kippe. Der Sturm lief in der Zwischenzeit zur Höchstform auf.
Einer unserer Pavilions knickte im wahrsten Sinne des Wortes ein. Gut Wind sieht man auf Fotos bekanntlich eher schlecht, es musste aber mit umstürzenden Bäumen gerechnet werden.
Gegen Abend verdünnisierte sich dann aber der Sturm. Der Regen blieb. Vorerst. Für alles gibt es ja ein erstes Mal. So kam es dann, dass ich mich für ein 24 Stundensolorennen warm fuhr. Einfach um nicht schon im Startblock zu unterkühlen.
Die Taktik hatte sich nun nochmal geändert. Es sollte ein 17 Stundenrennen werden. So wurde mein Zeitplan (der allererste) einfach um die ersten acht Stunden gekürzt und es galt die Devise viel schneller zu fahren. Die ersten Runden liefen dann mit einem Schnitt jenseits der 20 km/h auch ziemlich ordentlich.
Nur etwas warm wurde mir und so flog meinen Betreuern eine mit Überschuhen bestückte Baggyshorts entgegen.
Nach drei Stunden durfte ich mir während der Fahrt die erste Packung Flüssignahrung von Ensure in die Figur schütten. Schmeckt wie schlechter Kakao. Aber mit Kakao ist es ja wie mit Pizza, selbst wenn es schlecht ist, ist es immer noch ziemlich gut.
Nach etwa vier Stunden fuhr ich in die erste kleine Krise. Die Oberschenkel meldeten sich für meinen Geschmack etwas früh.
Also würden die Gräten auf der Zielgeraden etwas ausgelockert und zwei Runden später war das Problem vorbei.
Kurz nach zwei Uhr morgens wurde dann der erste Boxenstopp anberaumt. Soweit lief alles nach Plan. Als es dann nach 10 Minuten Stopp wieder aufs Rad ging, fiel mir nach einer halben Runde sofort der Temperatursturz auf. Es war extrem kalt geworden. Das
Garmin zeigte mir 4,7 Grad an. Richtig gemütlich also. Es half also alles nichts. Zu meinem Leidwesen musste ich dann eine Stunde nach dem planmäßigen Stopp nochmal kurz anhalten und mich wieder mit Überschuhen und Jacke bewaffnen. Der Rest der Nacht war dann dank vielen Klamotten temperaturmäßig halbwegs aushaltbar.
Beim Aufstieg zur Nürburg kann man immer sehr schön den Horizont beobachten. Irgendwann zwischen vier und fünf Uhr morgens war dann ein leichter Hauch von Licht zu sehen.
Zwei Runden später war es dann Hell.
Und ich fuhr in die erste richtige Krise. Ganzkörperschmerzen beschreiben es wohl am besten. Bei jedem Soloritt kommt irgendwann der Punkt, an dem der Mann mit dem Hammer kommt. Dir Kurbel rumzubringen wurde immer schwerer.
Das Problem ist, dass man immer sehr erfolgreich die Schmerzen von letztem mal vergisst. So ist überigens auch Verrücktheit definiert: „Immer das Gleiche tun und andere Ergebnisse erwarten.“ Ans Rennende zu denken hilft dann auch nicht weiter, wenn man noch acht Stunden vor sich hat. Mit dem nächsten planmäßigen Stopp im Kopf ging die Quälerei dann weiter und weiter. Um kurz nach acht war es dann soweit und ich durfte an die Box.
An meinem geliebten Rad wurde die Beleuchtung abgebaut. Ich durfte einen Kaffee trinken, einen Sponser Recovery Shake hinterher schütten und ein paar Haferflocken löffeln. Meine Haferflocken mit Milch weckten bei meinen Betreuern unerklärlicher Weise spontane Assoziationen mit irgendwelchen Dichtpasten. Mein Vater hatte inzwischen einen Blick auf die aktuellen Positionen geworfen und war zu dem Schluss gekommen, dass der Altersklassensieg nun in trockenen Tüchern sei. Overall lag ich zu dem Zeitpunkt auf Platz sechs. Die frisch in meinen Kadaver geschütteten Kalorien und die aktuelle Platzierung ließen meinen Diesel dann doch wieder anspringen.
Es ging somit in die letzten paar Stunden und endlich war wieder Druck auf dem Pedal. Mein persönlicher Fanclub an der Verpflegungstelle war mittlerweile wieder auf den Beinen. Mächtig Unterstützung gab es dann auch aus dem Fahrerfeld selber. Viele Rennkolleginnen und -kollegen feuerten mich an, während ich die letzten Runden in Angriff nahm.
In den letzten Runden denke ich dann immer an nur eine Sache. Essen! Endlich nach dem Rennen Essen, in das man vernünftig reinbeißen kann. Nichts mit Haferflocken oder Flüssignahrung. Das motiviert dann schon ziemlich. Da wird ein Steak dann plötzlich mit Goldbarren aufgewogen. Geschweige denn ein Stück Kuchen…oder Mayonnaise mit Pommes…
Dann war es endlich soweit. Zieleinlauf. Wie immer am Ring, ist es der Hammer gewesen. Hunderte Zuschauer und Fahrer säumten die Zielgerade und ich mittendrin.
Es hatte sich doch wieder alles gelohnt! In dem Moment vergaß ich alles und hätte sofort die Anmeldung für nächstes Jahr unterschrieben. Zu meinem Steak kam es aber vorerst nicht. Im Fahrerlager schaffte ich es gerade noch so eine kleine Packung Erdnüsse aus meiner Starterpackung zu kramen und mir jene einzuverleiben, bevor ich im Campingstuhl vor meinem Rad einschlief. Übrigens wurde es dann doch am Ende noch Platz fünf Overall. Für mich ein absolutes Traumergebnis. So durfte sich nun das zweite Ringgold in meinen Bilderrahmen verirren. Wer in letzter Zeit gut aufgepasst hat, wird dann auch herausbekommen, von wem die Unterschrift auf dem Trikot stammt:
Am Montag nach dem Rennen sind wir für euch dann extra nochmal für einige Fotos die Strecke abgelaufen:
Insgesamt waren es dann 289km und 5500 Höhenmeter in offiziellen 16:48:11
Rundenzeiten könnt ihr hier sehen. Pause gemacht wurde zweimal. Einmal 10 Minuten und einmal ca. 7 Minuten:
Die Stravauser können ja gerne mal bei mir vorbeischauen (25/26 Juli). Gegen Ende hat der Herzfrequenzsensor etwas geschwächelt, deshalb kann es mal sein, dass es eine Runde mit 100er Schnitt gibt:
https://www.strava.com/athletes/6828480
Zum Schluss möchte ich mich noch bei allen Unterstützern bedanken! Vielen Dank für das Anfeuern auf und abseits der Strecke! Ein ganz großes Dankeschön gilt natürlich noch dem Rennradteam „Die Acht“. Zusätzlich zum eigenen Rennen haben sie mich Pflegefall die ganze Zeit mit Flaschen, Klamotten und vor allem mit seelisch moralischer Unterstützung versorgt. Ihr seid der Hammer Jungs!
Um die Runde komplett zu machen gilt ein großer Dank natürlich noch den Sponsoren. Bekanntlich bin ich ja noch Student und bei der Ganzen Rennfahrerei bin ich echt froh wenn überhaupt am Ende des Monats noch ein paar Kröten über sind. Da ist man froh über jede Unterstützung. Vielen dank also an Mytinysun, die für ordentlich Licht und extrem viel Akkulaufzeit gesorgt haben, an Bioracer und CEP für die besten Klamotten die man sich vorstellen kann, an Kettenwixe Duraglide (Dank dem neuen Öl musste nur einmal nachgeschmiert werden!), an Dr OK Wack und schließlich an Sponser Sport Food, deren Nahrungsergänzungsmittel mir besonders in den schweren Stunden geholfen haben auf dem Rad zu bleiben!