Konflikte im Kopf
Gerade der baden-württembergische Ministerpräsident Kretschmann redet ja gern von Konflikten, die es einfach gäbe, Konflikte zwischen Fußgängern und Radfahrern und da müsse man eingreifen und dazu wäre die 2-Meter-Regel da, die würde solche Konflikte vermeiden. Sagt zumindest der Ministerpräsident. Und auch so einige andere Politiker führen dieses Argument gerne an.
Wir erleben diese Konflikte in unserer Erfahrung als Mountain-Biker, die vorwiegend auf schmalen Wegen unterwegs sind, eigentlich nie und haben uns gefragt, woran das liegt, dass mache Leute immer nur Konflikte sehen und ständig von Konflikten reden.
Ein Perspektiv-Wechsel hilft dabei.
Man stelle sich folgende Situation vor:
- ein Radfahrer fährt auf einer breiten, geschotterten Forststraße, es geht leicht bergab und zügig voran
- der Radfahrer sieht eine Gruppe von Fußgängern schon von Weitem vor sich auf dem Weg und bremst leicht ab
- die Fußgänger sehen den Radfahrer erst etwas später und denken - rein subjektiv - "Uiiih, ist der aber schnell unterwegs, ob der wohl bremst? Da machen wir lieber Platz, nicht dass der uns über den Haufen fährt."
- der Radfahrer nähert sich und will gerade weiter abbremsen, als er sieht, dass die Fußgänger Platz machen, er denkt sich "Das wäre doch nicht nötig gewesen! Ich wollte doch gerade auf Schrittgeschwindigkeit abbremsen und Platz genug ist eh da. Aber wenn die netten Leute schon Platz machen, will ich sie auch nicht unnötig lange am Rand stehen lassen."
- der Radfahrer geht also wieder von der Bremse, fährt zügig an der Fußgängergruppe vorbei, lächelt und bedankt sich
- die Fußgänger stehen am Rand während der Radfahrer - rein subjektiv aus Fußgänger-Sicht - vorbeirast und auch noch unverschämt grinst! Die Fußgänger denken sich: "Typisch, diese Raser! Wenn wir keinen Platz gemacht hätten, hätte der uns glatt über den Haufen gefahren. Da kann man sich doch wirklich nur noch mit einem Sprung in die Büsche retten. Da sieht man es mal wieder: Biker sind rücksichtslos und gefährlich!"
Soweit zu der imaginären, aber nicht ganz unrealistischen Situation auf breiten Forstwegen.
Denn genau solche Situationen erlebt man, wenn man sich mal in die Rolle des Spaziergängers begibt. Und das muss dann noch nicht mal ein Mountain-Biker im eigentlichen Sinne gewesen sein. Auch Trekking-Rad-Rentnern, die eben auch nicht den schönen Schwung bergab verlieren wollen, fahren - wenn man vorsichtshalber Platz macht - dankbar und ganz ohne Arg subjektiv ziemlich zügig an einem vorbei, während man selbst gerade mit Mühe und Not die Kinder am Ärmel festhält. Als Fußgänger fühlt man sich gefährdet, während die Radfahrer denken, alles sei problemlos.
Kein Wunder also, dass manche Leute von Konflikten reden.
Kein Wunder zudem, dass sich Otto-Normal-Bürger auf Basis dieser (subjektiven) Erfahrung denkt: "Wie? 2-Meter-Regel? Die wollen jetzt auch noch auf den schmalen Wegen so rumheizen dürfen? Gut, dass das verboten ist! Gar nicht auszudenken, was alles passieren würde, wenn die Chaoten einem auf einem schmalen Weg begegnen. Da kann man dann ja noch nicht mal ausweichen."
Dass das alles gar nichts mit den Wegen unter 2-Meter Breite zu tun hat und dass Otto-Normal-Spaziergänger überhaupt nur selten auf den schmalen Wegen anzutreffen ist, um die es in der Regel geht, dass Otto-Normal-Bürger also keine Ahnung davon hat, dass dort langsamer gefahren wird, insgesamt weniger los ist und man bei weniger Platz selbst als unsensibler Radfahrer nicht einfach durchheizt, wird dann schon gar nicht mehr in Betracht gezogen. Der Konflikt im Kopf ist da.
Das Ganze wäre eigentlich ein Fall für Loriot, ist aber gleichzeitig sicherlich einer der Gründe, warum wir Biker ein schlechtes Image haben und in der breiten Öffentlichkeit in der Vergangenheit wenig Rückhalt für eine Abschaffung der 2-Meter-Regel bekommen haben.
Die Lösung liegt aber eben ganz und gar nicht in der Beibehaltung der 2-Meter-Regel, sondern in gegenseitigem Verständnis und Rücksichtnahme.
Zu dieser Rücksichtnahme gehört übrigens ganz klar auch, dass sich Radfahrer in den Fußgänger hineinversetzen und extra langsam passieren, selbst wenn man selbst als Radfahrer subjektiv gar nicht schnell ist und ausreichend Platz hat.
Und um zu diesem gegenseitigem Verständnis und zur Rücksichtnahme zu kommen, braucht es vor allem Aufklärungsarbeit.
Und zwar auf beiden Seiten!
Und genau deshalb setzt sich die Deutsche Initiative Mountain Bike (DIMB) mit 'Open Trails' auch nicht einfach nur für eine ersatzlose Abschaffung der 2-Meter-Regel ein, sondern für ein modernes Betretungsrecht, dass auf ein rücksichtsvolles Miteinander statt pauschale Verbote setzt.
Die 2-Meter-Regel bewirkt weder Verständnis noch Rücksichtnahme. Sie bewirkt eine "Ich bin aber im Recht"-Haltung auf der einen Seite und eine "Ich bin hier eh nicht erwünscht"-Haltung auf der anderen und schürt damit die Konflikte im Kopf.