Wegbreitenregelungen im Lichte des Grundgesetz
Teil 3: Ausnahmeregelungen als Kennzeichen von Willkür
In der Diskussion um das Hessische Waldgesetz, wurde uns bzw. dem Verfasser dieses Kommentars vorgehalten, wir hätten von Recht keine Ahnung und würden unsachlich argumentieren, wenn wir im Zusammenhang mit dem ersten Gesetzesentwurf von Willkür sprachen. Abgesehen davon, dass der Verfasser Volljurist ist, haben wir uns bei diesem Vorwurf seinerzeit schlicht an der Einschätzung der Rechtsprechung zu vergleichbaren Gesetzesvorhaben orientiert.
Wir bezogen uns auch nicht auf irgendwelche Gerichte, sondern z. B. den Bayerischen Verfassungsgerichtshof, der zu einem grundsätzlichen Verbot des Reitens verbunden mit der Möglichkeit der Erteilung von Ausnahmen/Befreiungen klar zu dem Ergebnis gelangt, dass sich das nicht in den für die Einschränkung von Grundrechten bestimmten Grenzen bewegt. Der Bayerische Verfassungsgerichtshof spricht in diesem Zusammenhang, nämlich der Möglichkeit von Ausnahmen/Befreiungen, von Willkür und das berechtigt auch uns, derartige Gesetze, wie z. B. das Landeswaldgesetz in Baden-Württemberg als willkürlich zu bezeichnen. Aber der Bayerische Verfassungsgerichtshof zeigt in seiner Begründung noch einen weiteren Aspekt auf:
"Eine derart einschneidende Regelung hinsichtlich des Reitverkehre auf Waldwegen stünde übrigens auch in Widerspruch zu den rahmenrechtlichen Vorschriften in § 14 Abs. 1 des Bundeswaldgesetzes, zu deren Beachtung die Länder künftig (§ 5 Bundeswaldgesetz) verpflichtet sind. Denn hiernach ist neben anderen Benutzungsmöglichkeiten auch das Reiten im Wald auf Straßen und Wegen grundsätzlich gestattet."
Der angeführte Beschluss des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 16.06.1975 (Vf. 13-VII-74, Vf. 21-VII-73, Vf. 23-VII-73, Vf. 26-VII-73) mag vielleicht vielen außerhalb Bayerns nicht bekannt sein oder als nicht einschlägig erscheinen und vielleicht denkt mancher, dass eine Entscheidung aus dem Jahr 1975 Schnee von Gestern ist. Dies ist jedoch eine Fehleinschätzung. Auch wenn dieser Beschluss des Bayerischen Verfassungsgerichshofs sich nur mit dem Reiten und in weiten Passagen auch nur mit der Bayerischen Verfassung beschäftigt, so ist er immer noch höchst akutell und zeigt eindrucksvoll warum landesweite Verbote gekoppelt mit der Chance/Möglichkeit auf Ausnahmen/Befreiungen verfassungsrechtlich nicht akzeptabel sind.
Der Beschluss des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs steht auch nicht alleine, sondern reiht sich nahtlos in die Rechtsprechung deutscher Landesverfassungsgerichte und des Bundesverfassungsgerichts ein. Im zweiten Teil unserer Kommentarreihe hatten wir schon die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu strukturellen Vollzugsdefiziten angesprochen; auch da geht es um staatliche Willkür.
In der Diskussion um das Hessische Waldgesetz haben wir unter dem Titel "Die Rückkehr der Feudalherren" einen weiteren Aspekt der Willkür angeprangert. Auch hier wurde uns Polemik und Unsachlichkeit vorgeworfen. Wir fanden dagegen, dass dieser Aspekt sehr wohl anzusprechen und durchaus aktuell war:
"Bei Verabschiedung des Bundeswaldgesetzes Anfang der siebziger Jahre hatten Politiker aller Parteien ihr Reformwerk noch als soziale Errungenschaft gefeiert. Erstmals wurde darin jedermann freies Betretungsrecht für das bewaldete Drittel der Republik eingeräumt. Endlich gehe die Ära feudaler Vorrechte zu Ende, verkündete damals der Präsident des Bayerischen Landtags, Rudolf Hanauer (CSU): "Vom Wald des Königs über den Wald des Staates zum Wald des Volkes." Doch Forstbürokraten, Jägern und privaten Waldbesitzern ging die volksnahe Öffnung der Wälder von Anfang an gegen den Strich. In zäher Lobbyarbeit haben sie es im Laufe der Jahre auf Länder- oder Kreisebene geschafft, das Betretungsrecht - besonders für Reiter - immer weiter einzuschränken. (Der
Spiegel
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-8760993.html)
Anders als zu den mittelalterlichen Zeiten der Feudalherrschaft haben alle (!) Bürger in einem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat verfassungsrechtlich garantierte und geschützte Rechte, in die nur in engen Grenzen und unter Beachtung rechtsstaatlicher Verfahrensgrundsätze eingegriffen werden darf. Wir haben dies vorstehend sowie in den ersten beiden Teilen unserer Kommentare dargelegt.
Wenn aber nun der Gesetzgeber, wie z. B. Baden-Württemberg, das Radfahren auf allen Wegen unter 2 m kategorisch verbietet und als Ordnungswidrigkeit mit Strafen sanktioniert, dann lohnt sich auch hier eine Befassung mit den vorgesehenen Ausnahmen unter dem Gesichtspunkt der Willkür. Da steht in § 37 LWaldG BW schlicht:
"die Forstbehörde kann Ausnahmen zulassen"
Sie kann es also, sie muss es aber nicht. Es gibt keinen Anspruch auf Ausnahmen. Es gibt auch keine gesetzlichen Vorgaben dazu, nach welchen Kriterien eine Ausnahme erteilt wird oder sogar zu erteilen ist.
"die Forstbehörde kann Ausnahmen erlassen."
Und was macht man dann als Bürger, wenn die zuständige Forstbehörde kategorisch der Auffassung ist, dass man keine Ausnahmen erteilen wolle, während andernorts die zuständige Forstbehörde Ausnahmen gewährt? Haben die einen dann halt Pech und die anderen Glück gehabt? Wir sind der Meinung, dass das nichts mit Rechtsstaat, sondern sehr viel mit Willkür zu tun hat. Ein Betretungsrecht, das das Verbot zum Regelfall erklärt und Ausnahmen nur willkürlich gewährt, hat nichts mit einem freien Betretungsrecht zu tun, wie es die Väter und Mütter des Bundeswaldgesetzes im Auge hatten. Dafür gibt es keine rechtsstaatliche Legitimation.
Die Praxis in Baden-Württemberg zeigt aber bedauerlicherweise, dass man sich in einem solchen Rechtsverständnis mittlerweile sogar bequem eingerichtet hat. Da werden Verbände, die die Interessen von Radfahrern und Mountainbikern vertreten und unbequeme Fragen stellen, bei Gesprächen erst gar nicht berücksichtigt. So geschehen gerade kürzlich bei der Erstellung eines "Konsenspapiers" zum Mountainbiken im Schwarzwald. Auf die Einbeziehung von ADFC, BDR und DIMB hat man schlicht verzichtet; so viel zum Thema "Konsens".
Da gibt es Arbeitspapiere zum Thema "Betretensrecht - Nutzungskonflikte und Steuerungsbedarf", die von kleinen Zirkeln erarbeitet wurden; wir zitieren:
"Es besteht ein gemeinsames Interesse von Land, Kommunen und Privaten als Waldbesitzer, der Wanderverbände, der Städte und Gemeinden, welche die Freizeitnutzung der freien Landschaft für Ihre Bürgerinnen und Bürger und zur Förderung des Tourismus gestalten möchten, Problemfelder zu identifizieren, Nutzungskonflikte zu minimieren und Fehlentwicklungen zu korrigieren."
Fehlt das was? Wo steht da etwas von den Interessen der Radfahrer, der Mountainbiker, der Reiter, der Geocacher, etc. Haben Radfahrer, Mountainbiker, Reiter, Geocacher, etc. kein Recht, die Freizeitnutzung der freien Landschaft mit zu gestalten? Statt miteinander zu reden, bilden sich elitäre Kreis, reden über Radfahrer, Mountainbiker, Reiter, Geocacher, etc. und pflegen ihre Vorurteile über Radfahrer, Mountainbiker, Reiter, Geocacher, etc. und, wen mag es noch verwundern, machen sie zu Problemfeldern, Verursachern von Nutzungskonflikten und Fehlentwicklungen. Auch das hat etwas mit Willkür zu tun.
"In einer gemeinsamen Arbeitsgruppe unter Beteiligung des Schwäbischen Albvereins, des Schwarzwaldvereins und des Odenwaldklubs für die Wanderverbände, des Gemeindetags für die Städte und Gemeinden, der Forstkammer für den Kommunal- und Privatwald, des MLR wurde deshalb eine Problemanalyse und Bewertung für die beteiligten Akteure erarbeitet."
Fehlt da jemand? Warum hat man nicht die Verbände aller Akteure wie z. B. den ADFC, den BDR und die DIMB einbezogen. Da wird analysiert, problematisiert und bewertet, aber die Betroffenen hält man schön aussen vor. Da möchte man sich mit einem gerüttelten Maß an Sarkasmus ja fast schon eine förmliche Anklage vor einem Strafgericht wünschen, denn dort hat man wenigstens das Recht auf Gehör. Das Ganze ergibt aber durchaus auch einen Sinn und verstärkt den unangenehmen Eindruck der Klüngelei, wenn man sich noch einmal folgende Aussage zur Beibehaltung der 2-Meter-Regel vor Augen hält:
"Aufgrund bestehender Interessenskonflikte, unter anderem mit den Wanderverbänden" (Drucksache 14/5786)
Muss man daraus schließen, dass Radfahrer und Mountainbiker mit der 2-Meter-Regel deshalb in ihren Rechte beschränkt und sanktioniert werden, weil es die Wanderverbände so wollen, weil die Wanderverbände kein Interesse an einem freien Betretungsrecht für alle haben, wie es in anderen Bundesländern bewährte und gelebte Praxis ist. Sehen die Wanderverbände die Freiheitsrechte ihrer Klientel nur dann als gewahrt an, wenn für andere die Freiheitsrechte eingeschränkt gelten? Wir haben für uns als Mountainbiker erkannt, dass unsere Freiheit nur besteht, wenn wir auf andere Rücksicht nehmen:
"Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt"
Das gilt aber auch umgekehrt und auch wir haben darauf Anspruch. Wir warten deshalb nicht nur auf Antworten auf unsere Fragen und Vorwürfe, sondern vor allem auf die Abschaffung der 2-Meter-Regel in Baden-Württemberg.
Schlussbemerkung: Teil 1 bis 3 gibt es demnächst in ergänzter und überarbeiteter Fassung auch als "Streitschrift" auf der DIMB-Homepage zum Lesen, Ausdrucken, Mitnehmen und bohrende Fragen stellen
