Wie schon mehrfach gepostet, hat sich das OLG Düsseldorf in einer Entscheidung vom 12.02.2007 (I-1 U 182/06) mit dem Tragen eines Helms beim Radfahren beschäftigt. Den Begriff "Helmpflicht" verwende ich hier absichtlich nicht, wie sich hoffentlich aus den nachfolgenden Urteilsanmerkungen erklärt.
Worum ging es eigentlich in diesem Rechtsstreit? Ich fasse nachfolgend den Sachverhalt, wie er sich für das Gericht aufgrund des Prozesses darstellte zusammen:
An einem Sonntag im Juli 2005 befuhr der damals 67-jährige Kläger mit seinem Rennrad in Begleitung von zwei weiteren Rennradfahrern eine durch ländliches Gebiet führende Straße, die im Urteil als "K35" bezeichnet wird. Da in der ersten Instanz der Rechtsstreit vor dem LG Kleve geführt wurde, läßt sich vermuten, daß sich der Unfall in dessen Bezirk ereignete. Der Kläger trug an diesem Tag eine Rennfahrerbekleidung, hingegen keinen Schutzhelm.
Der Kläger folgte den beiden ihm vorausfahrenden Rennradlern mit einer Geschwindigkeit von ca. 30 - 40 km/h in eine scharfe Rechtskurve, in der die Sicht nach vorn durch eine rechts neben der Fahrbahn befindliche Hecke beeinträchtigt ist. Hinter dem Kurvenbereich näherte sich der Beklagte mit dem von ihm befahrenen Traktor in entgegengesetzter Fahrtrichtung. An den Traktor angehängt war ein sogenannter Heuwender, durch den der Traktor die gesamte Breite der Fahrbahn einnahm.
Bei Ansicht der aus dem Kurvenbereich ausfahrenden ersten beiden Rennradler lenkte der Beklagte den Traktor auf den unbefestigten rechten Randstreifen und hielt an, um ihnen ein Passieren des Traktors zu ermöglichen. Der nachfolgende Kläger dagegen kam mit seinem Rad im Ausgangsbereich der Kurve zu Fall, nachdem er eine Vollbremsung eingeleitet hatte und hierdurch bedingt das Hinterrad weggerutscht war. Eine Kollission/Berührung mit dem Traktor erfolgte dabei nicht. Infolge des Sturzes erlitt der Kläger schwere Kopfverletzungen, vornehmlich ein Schädelhirntrauma 2. Grades sowie eine Schädel- und Mittelgesichtsfraktur.
Der Kläger wollte nunmehr von dem Beklagten ein Schmerzensgeld, wobei er immerhin schon im Prozess einräumte, daß ihn wohl zumindest zu 50% ein Mitverschulden traf.
Warum hat das OLG Düsseldorf die Klage auf Schmerzensgeld abgewiesen? Die folgenden Ausführungen des Gerichts dürften da wohl für sich sprechen:
"Der Verstoß des Klägers gegen das Gebot des § 3 Abs. 1 StVO, mit den Verkehrsverhältnissen angepasster Geschwindigkeit zu fahren, ist evident. Die von ihm selbst eingeräumte Geschwindigkeit von 30 - 40 km/h ist deutlich überhöht vor dem Hintergrund, dass die von ihm befahrene Straße sehr schmal war, er in eine unübersehbare Kurve einfuhr und in dem betreffenden ländlichen Bereich jederzeit mit breiten landwirtschaftlichen Fahrzeugen im Begegnungsverkehr gerechnet werden muss. Der Umstand, dass die ihm vorausfahrenden Zeugen in der Lage waren, ihre Räder vor dem Traktor zum Stehen zu bringen, belegt zudem die Unfallursächlichkeit dieses Verkehrsverstoßes."
Dies hätte wahrscheinlich schon ausgereicht, um die Klage wegen eines überwiegenden Mitverschuldens abzuweisen. Nichtsdestotrotz hat sich das OLG Düsseldorf auch mit der Frage beschäftigt, ob den Kläger ein weiteres erhebliches Mitverschulden traf, weil er keinen Helm trug.
Zunächst hat das Gericht festgehalten, daß es keine gesetzliche Verpflichtung gibt, einen Helm beim Radfahren zu tragen. Es hat weiterhin festgehalten, daß es - so unsinnig es vielleicht erscheinen mag - kein Verbot der Selbstgefährdung gibt. Die Kehrseite dieses Rechts auf Selbstgefährdung besteht nach Ansicht des OLG Düsseldorf allerdings darin, daß "§ 254 BGB als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben eine Anspruchsminderung des Geschädigten vor(sieht), wenn er vorwerfbar die eigenen Interessen außer Acht lässt und ihn insofern ein "Verschulden gegen sich selbst trifft."
In der Folge hat sich das Gericht mit der Frage beschäftigt, ob man einem Radfahrer generell oder wenigstens dem Kläger das Nichttragen eines Helms vorwerfen kann, so daß ihn ein Mitverschulden trifft. Dabei hat das OLG Düsseldorf neben vielen richtigen Argumenten auch einige Ausführungen getätigt, die in der Öffentlichkeit und diesem Forum - IMHO zu Recht - zu Verwunderung oder Verwirrung geführt haben. Ich zitiere hier einfach mal zwei Passagen:
"Nach Auffassung des Senats kann die grundsätzliche Frage, ob das Nichttragen eines Schutzhelms einen vorwerfbaren Obliegenheitsverstoß darstellt, nicht pauschal für alle am Straßenverkehr teilnehmenden Radfahrer gleich beantwortet werden. Gerade im Hinblick auf die vollkommen unterschiedlichen Fahrweisen und die damit einhergehenden Gefahren und Risiken erscheint es vielmehr geboten, eine Differenzierung zwischen den verschiedenen Radfahrergruppen vorzunehmen; auch danach, ob der Radfahrer einen Radweg benutzt hat oder aber auf der Straße gefahren ist, wobei hier wieder zwischen innerorts und außerorts zu unterscheiden ist."
"Während man dem herkömmlichen Freizeitradfahrer, der sein Gefährt als normales Fortbewegungsmittel im Straßenverkehr ohne sportliche Ambitionen einsetzt, mangels entsprechender allgemeiner Übung nicht ohne weiteres abverlangen kann, zu seinem eigenen Schutz vor Unfallverletzungen einen Sturzhelm zu tragen, ist die Lage bei besonders gefährdeten Radfahrergruppen wie etwa Radsport betreibenden Rennradfahrern anders zu beurteilen."
Beide Erwägungen sind IMHO enthalten in ihrem Kern zwar auch einige richtige Ansätze, gehen aber auch teilweise stark am Ziel vorbei und stoßen daher zu Recht auf Verwunderung. Allerdings sollte man sich auch die anderen Erwägungen anschauen, die das Urteil verständlicher machen.
Während in früheren Entscheidungen, die auch vom OLG Düsseldorf angeführt werden, ein Mitverschulden wegen Nichttragens eines Helms abgelehnt wurde, weil "eine allgemeine Verkehrsanerkennung der Notwendigkeit einer solchen Schutzmaßnahme sei (noch) nicht festzustellen" war, sieht dies das OLG Düsseldorf das im vorliegenden Fall anders und führt aus, diese Aussage vermöge in dieser Pauschalität nicht mehr zu überzeugen.
Das OLG Düsseldorf verweist darauf, daß die UCI für den Profibereich bereits seit 2004 eine Helmpflicht bei Radrennen vorschreibt. Weiterhin soll nach Auffassung des Gerichts die Akzeptanz von Helmen bei Radsport betreibenden Rennradfahrern deutlich ausgeprägter sein als bei "normalen" Radfahrern. An dieser Stelle könnte man dem OLG Düsseldorf einen methodischen Fehler vorwerfen, wenn es diese Ausage wie folgt begründet:
"Insofern kommt der ..... zitierten Statistik der Bundesanstalt für Straßenwesen, wonach der Anteil der helmtragenden Fahrradfahrer in den letzten Jahren lediglich um die 6% betrug, keine erhebliche Aussagekraft zu, denn eine Unterscheidung zwischen den verschiedenen Radfahrergruppen findet hier nicht statt. Es bedarf aber keiner exakten wissenschaftlichen Erhebungen, sondern lediglich einer aufmerksamen Beobachtung des täglichen Straßenverkehrs, um zu der Erkenntnis zu gelangen, dass das Tragen von Schutzhelmen bei Rennradfahrern weitaus häufiger und regelmäßiger anzutreffen ist, als bei herkömmlichen Fahrradfahrern. Dies entspricht im Übrigen auch den Erfahrungen des Senats aus zahlreichen Verkehrsunfallprozessen unter Beteiligung von Radfahrern der letzten Jahre."
Hier hätte also sehr wohl auch über die Notwendigkeit einer exakten wissenschaftlichen Erhebung nachgedacht werden können. Nachdem das Gericht aber aus eigener Erfahrung zu dem Ergebnis gekommen war, daß bei Rennradfahrern "weitaus häufiger und regelmäßiger" Helme getragen werden und damit ein Mitverschulden vorliegen kann, wenn diese keinen Helm tragen, ging es nur noch um die Frage, ob der Kläger fahrlässig auf den Helm verzichtet hatte und ob seine Verletzungen weniger schwer gewesen wären, wenn er einen Helm getragen hätte. Die folgenden Passagen stehen dabei im Kern der Begründung des OLG Düsseldorf:
"Es stellt nach Auffassung des Senats ein untrügliches Zeichen dar, dass gerade mit Unfallverletzungen befasste Mediziner seit Jahren eine allgemeine Helmpflicht für Radfahrer fordern (vgl. Ärztezeitung vom 17.04.2001: "Notärzte fordern Helmpflicht für Fahrradfahrer"; 14.05.2003: "Die Helmpflicht für alle Radfahrer könnte vielen das Leben retten").
Dementsprechend spricht sich auch die World Health Organization (WHO) in einer ihrer jüngsten Veröffentlichungen für eine Helmpflicht für sämtliche Zweiradfahrer aus. Internationale Studien der letzten 15 Jahre haben nach Recherchen der WHO gezeigt, dass beim Tragen eines Schutzhelms das Risiko von Kopfverletzungen um 69 Prozent zurückgehe, das Risiko von schweren Kopfverletzungen nehme sogar um 79 Prozent ab. Dies gelte für alle Altersgruppen und nicht nur für Stürze vom Fahrrad, sondern auch für Kollisionen mit Kraftfahrzeugen. Der Helm schütze dabei nicht nur das Gehirn, vielmehr würden auch Verletzungen des oberen und mittleren Gesichtsschädels laut WHO um zwei Drittel reduziert ("Helmets: A road safety manual for decision-makers and practitioners", Geneva, World Health Organization 2006; zur weiteren Studien siehe Furian/Hnatek-Petrak ZVR 2006, 427) ....
..... Die folglich dem Kläger anzulastende Obliegenheitsverletzung war vorliegend auch ursächlich für die ausweislich der ärztlichen Berichte von dem Kläger erlittenen Kopfverletzungen. Für die Kausalität zwischen der Nichtbenutzung eines Schutzhelms und den meisten Kopfverletzungen spricht bereits der Beweis des ersten Anscheins. Gerade das im Vordergrund des Verletzungsbildes stehende Schädelhirntrauma und die diagnostizierte Schädel- und Mittelgesichtsfraktur stellen typische Verletzungen dar, deren Vermeidung ein Sturzhelm dient und -ausweislich der zitierten WHO-Studie- auch zu dienen im Stande ist.
Nach dem Beweis des ersten Anscheins spricht bereits die Vermutung dafür, dass es bei Beachtung der Helmpflicht (-obliegenheit) nicht zu den schweren Verletzungen gekommen wäre, wenn sich in dem Unfall gerade die Gefahr verwirklicht hat, deren Eintritt die Pflicht (Obliegenheit) verhindern wollte (BGH NJW 1983, 1380 zu Kopfverletzungen eines Kraftradfahrers ohne Schutzhelm). Dies trifft auch und insbesondere auf den vorliegenden Fall zu."
An dieser Stelle muß vielleicht betont werden, daß es für das Gericht - wie oben schon ausgeführt - keine Rolle spielen durfte, ob eine allgemeine Helmpflicht wünschenswert oder sinnvoll ist, wie dies häufig und auch kontrovers diskutiert wird. Hierzu kann und darf jeder eine eigene Meinung haben. Es ging an dieser Stelle für das Gericht nur noch um die Frage, ob ein Helm die Verletzungen hätte verhindern können. Aufgrund des vom Gericht angesprochenen Beweises des ersten Anscheins, der zu einer Beweislastumkehr führt, hätte der Kläger hier beweisen müssen, daß seine Verletzungen auch entstanden wären, wenn er einen Helm getragen hätte. Dies hat nach dem Urteilssachverhalt der Kläger weder vorgetragen noch bewiesen, vielmehr hat er sich mit einigen "ungeschickten" Einlassungen eher unglaubwürdig gemacht bzw. sogar den Vorwurf eines widersprüchlichen Verhaltens eingehandelt.
So hat der Kläger wohl dem Gericht gegenüber seine Ausfahrt als "reine Spazierfahrt" bezeichnet, worauf ihm entgegengehalten wurde, daß seine Kleidung ("Rennfahrerbekleidung") und seine Geschwindigkeit eher einen sportlichen Zweck belegen. Dazu paßt dann IMHO auch folgende Urteilspassage:
"..... nach seinen eigenen Angaben im Rahmen der informatorischen Anhörung war sich der Kläger vielmehr sogar bewusst, dass das Tragen eines Schutzhelms beim Rennradfahren Teil des verkehrsgerechten Verhaltens ist. Seinem Argument, den Helm nur bei Gruppentouren wegen des Fahrens im Pulk beziehungsweise in der Kolonne zu tragen, vermag der Senat nicht zu folgen. Gerade der vorliegende Fall zeigt anschaulich, dass eine Unterscheidung zwischen Fahrten in einer Kolonne und solchen in einer Kleingruppe hinsichtlich des Erfordernisses, einen Schutzhelm zu tragen, keine Berechtigung hat."
Aufgrund dieser Einlassung des Klägers hatte das Gericht aus rechtlicher Sicht auch keine Probleme mehr, dem Kläger vorzuwerfen, daß er fahrlässig keinen Helm trug.
Was ist also das Fazit aus dem Urteil des OLG Düsseldorf? IMHO lassen sich drei Feststellungen treffen:
1. Es besteht für Rennradfahrer keine Helmpflicht!
2. Wird kein Helm von Rennradfahrern getragen, so müssen diese im Falle eines Unfalls mit Kopfverletzungen beweisen, daß diese Verletzungen auch entstanden wären, wenn sie einen Helm getragen haben. Andernfalls trifft sie ein Mitverschulden, daß zu einer Reduzierung oder einem Ausschluß von Schadensersatz-/Schmerzensgeldansprüchen.
3. Das Urteil des OLG Düsseldorf könnte auch auf Mountainbiker übertragbar sein.
Allerdings ist auch anzumerken, daß das Urteil des OLG Düsseldorf von früheren Urteilen anderer OLGs abweicht. Da aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls eine Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) nicht zugelassen wurde, muß abgewartet werden, ob dieses Urteil überregional Bedeutung erlangen wird, d. h. ob ihm andere Gerichte folgen werden. Eine höchstrichterliche Klärung durch den BGH bleibt also weiterhin abzuwarten. Zumindest im Bezirk des OLG Düsseldorf sollte sich aber jeder Biker darüber im Klaren sein, sofern er einen Helm nicht tragen will, daß ihm im Falle von Kopfverletzungen ein Mitverschulden angekreidet werden könnte.
Wenn jemand das Urteil selbst nachlesen möchte - nach meiner Kenntnis ist das Urteil vollständig bisher nur in Juris (für Nichtjuristen: das ist eine Rechsdatenbank) veröffentlicht. Vermutlich wird es aber auch - falls noch nicht geschehen - in Kürze in der juristischen Fachpresse (z. B. Neue Juristische Wochenschrift - NJW, einsehbar z. B. in Uni- und Gerichtsbibliotheken) veröffentlicht werden. Wer nicht so lange warten will, kann es sich gegen Kostenerstattung vom OLG Düsseldorf (nicht von mir) zusenden lassen.
Schlußbemerkung: Die vorstehenden Ausführungen basieren auf meiner ganz persönlichen Bewertung des Urteils und erheben keinen Anspruch auf Richtigkeit oder Vollständigkeit, geschweige denn Verständlichkeit.
Worum ging es eigentlich in diesem Rechtsstreit? Ich fasse nachfolgend den Sachverhalt, wie er sich für das Gericht aufgrund des Prozesses darstellte zusammen:
An einem Sonntag im Juli 2005 befuhr der damals 67-jährige Kläger mit seinem Rennrad in Begleitung von zwei weiteren Rennradfahrern eine durch ländliches Gebiet führende Straße, die im Urteil als "K35" bezeichnet wird. Da in der ersten Instanz der Rechtsstreit vor dem LG Kleve geführt wurde, läßt sich vermuten, daß sich der Unfall in dessen Bezirk ereignete. Der Kläger trug an diesem Tag eine Rennfahrerbekleidung, hingegen keinen Schutzhelm.
Der Kläger folgte den beiden ihm vorausfahrenden Rennradlern mit einer Geschwindigkeit von ca. 30 - 40 km/h in eine scharfe Rechtskurve, in der die Sicht nach vorn durch eine rechts neben der Fahrbahn befindliche Hecke beeinträchtigt ist. Hinter dem Kurvenbereich näherte sich der Beklagte mit dem von ihm befahrenen Traktor in entgegengesetzter Fahrtrichtung. An den Traktor angehängt war ein sogenannter Heuwender, durch den der Traktor die gesamte Breite der Fahrbahn einnahm.
Bei Ansicht der aus dem Kurvenbereich ausfahrenden ersten beiden Rennradler lenkte der Beklagte den Traktor auf den unbefestigten rechten Randstreifen und hielt an, um ihnen ein Passieren des Traktors zu ermöglichen. Der nachfolgende Kläger dagegen kam mit seinem Rad im Ausgangsbereich der Kurve zu Fall, nachdem er eine Vollbremsung eingeleitet hatte und hierdurch bedingt das Hinterrad weggerutscht war. Eine Kollission/Berührung mit dem Traktor erfolgte dabei nicht. Infolge des Sturzes erlitt der Kläger schwere Kopfverletzungen, vornehmlich ein Schädelhirntrauma 2. Grades sowie eine Schädel- und Mittelgesichtsfraktur.
Der Kläger wollte nunmehr von dem Beklagten ein Schmerzensgeld, wobei er immerhin schon im Prozess einräumte, daß ihn wohl zumindest zu 50% ein Mitverschulden traf.
Warum hat das OLG Düsseldorf die Klage auf Schmerzensgeld abgewiesen? Die folgenden Ausführungen des Gerichts dürften da wohl für sich sprechen:
"Der Verstoß des Klägers gegen das Gebot des § 3 Abs. 1 StVO, mit den Verkehrsverhältnissen angepasster Geschwindigkeit zu fahren, ist evident. Die von ihm selbst eingeräumte Geschwindigkeit von 30 - 40 km/h ist deutlich überhöht vor dem Hintergrund, dass die von ihm befahrene Straße sehr schmal war, er in eine unübersehbare Kurve einfuhr und in dem betreffenden ländlichen Bereich jederzeit mit breiten landwirtschaftlichen Fahrzeugen im Begegnungsverkehr gerechnet werden muss. Der Umstand, dass die ihm vorausfahrenden Zeugen in der Lage waren, ihre Räder vor dem Traktor zum Stehen zu bringen, belegt zudem die Unfallursächlichkeit dieses Verkehrsverstoßes."
Dies hätte wahrscheinlich schon ausgereicht, um die Klage wegen eines überwiegenden Mitverschuldens abzuweisen. Nichtsdestotrotz hat sich das OLG Düsseldorf auch mit der Frage beschäftigt, ob den Kläger ein weiteres erhebliches Mitverschulden traf, weil er keinen Helm trug.
Zunächst hat das Gericht festgehalten, daß es keine gesetzliche Verpflichtung gibt, einen Helm beim Radfahren zu tragen. Es hat weiterhin festgehalten, daß es - so unsinnig es vielleicht erscheinen mag - kein Verbot der Selbstgefährdung gibt. Die Kehrseite dieses Rechts auf Selbstgefährdung besteht nach Ansicht des OLG Düsseldorf allerdings darin, daß "§ 254 BGB als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben eine Anspruchsminderung des Geschädigten vor(sieht), wenn er vorwerfbar die eigenen Interessen außer Acht lässt und ihn insofern ein "Verschulden gegen sich selbst trifft."
In der Folge hat sich das Gericht mit der Frage beschäftigt, ob man einem Radfahrer generell oder wenigstens dem Kläger das Nichttragen eines Helms vorwerfen kann, so daß ihn ein Mitverschulden trifft. Dabei hat das OLG Düsseldorf neben vielen richtigen Argumenten auch einige Ausführungen getätigt, die in der Öffentlichkeit und diesem Forum - IMHO zu Recht - zu Verwunderung oder Verwirrung geführt haben. Ich zitiere hier einfach mal zwei Passagen:
"Nach Auffassung des Senats kann die grundsätzliche Frage, ob das Nichttragen eines Schutzhelms einen vorwerfbaren Obliegenheitsverstoß darstellt, nicht pauschal für alle am Straßenverkehr teilnehmenden Radfahrer gleich beantwortet werden. Gerade im Hinblick auf die vollkommen unterschiedlichen Fahrweisen und die damit einhergehenden Gefahren und Risiken erscheint es vielmehr geboten, eine Differenzierung zwischen den verschiedenen Radfahrergruppen vorzunehmen; auch danach, ob der Radfahrer einen Radweg benutzt hat oder aber auf der Straße gefahren ist, wobei hier wieder zwischen innerorts und außerorts zu unterscheiden ist."
"Während man dem herkömmlichen Freizeitradfahrer, der sein Gefährt als normales Fortbewegungsmittel im Straßenverkehr ohne sportliche Ambitionen einsetzt, mangels entsprechender allgemeiner Übung nicht ohne weiteres abverlangen kann, zu seinem eigenen Schutz vor Unfallverletzungen einen Sturzhelm zu tragen, ist die Lage bei besonders gefährdeten Radfahrergruppen wie etwa Radsport betreibenden Rennradfahrern anders zu beurteilen."
Beide Erwägungen sind IMHO enthalten in ihrem Kern zwar auch einige richtige Ansätze, gehen aber auch teilweise stark am Ziel vorbei und stoßen daher zu Recht auf Verwunderung. Allerdings sollte man sich auch die anderen Erwägungen anschauen, die das Urteil verständlicher machen.
Während in früheren Entscheidungen, die auch vom OLG Düsseldorf angeführt werden, ein Mitverschulden wegen Nichttragens eines Helms abgelehnt wurde, weil "eine allgemeine Verkehrsanerkennung der Notwendigkeit einer solchen Schutzmaßnahme sei (noch) nicht festzustellen" war, sieht dies das OLG Düsseldorf das im vorliegenden Fall anders und führt aus, diese Aussage vermöge in dieser Pauschalität nicht mehr zu überzeugen.
Das OLG Düsseldorf verweist darauf, daß die UCI für den Profibereich bereits seit 2004 eine Helmpflicht bei Radrennen vorschreibt. Weiterhin soll nach Auffassung des Gerichts die Akzeptanz von Helmen bei Radsport betreibenden Rennradfahrern deutlich ausgeprägter sein als bei "normalen" Radfahrern. An dieser Stelle könnte man dem OLG Düsseldorf einen methodischen Fehler vorwerfen, wenn es diese Ausage wie folgt begründet:
"Insofern kommt der ..... zitierten Statistik der Bundesanstalt für Straßenwesen, wonach der Anteil der helmtragenden Fahrradfahrer in den letzten Jahren lediglich um die 6% betrug, keine erhebliche Aussagekraft zu, denn eine Unterscheidung zwischen den verschiedenen Radfahrergruppen findet hier nicht statt. Es bedarf aber keiner exakten wissenschaftlichen Erhebungen, sondern lediglich einer aufmerksamen Beobachtung des täglichen Straßenverkehrs, um zu der Erkenntnis zu gelangen, dass das Tragen von Schutzhelmen bei Rennradfahrern weitaus häufiger und regelmäßiger anzutreffen ist, als bei herkömmlichen Fahrradfahrern. Dies entspricht im Übrigen auch den Erfahrungen des Senats aus zahlreichen Verkehrsunfallprozessen unter Beteiligung von Radfahrern der letzten Jahre."
Hier hätte also sehr wohl auch über die Notwendigkeit einer exakten wissenschaftlichen Erhebung nachgedacht werden können. Nachdem das Gericht aber aus eigener Erfahrung zu dem Ergebnis gekommen war, daß bei Rennradfahrern "weitaus häufiger und regelmäßiger" Helme getragen werden und damit ein Mitverschulden vorliegen kann, wenn diese keinen Helm tragen, ging es nur noch um die Frage, ob der Kläger fahrlässig auf den Helm verzichtet hatte und ob seine Verletzungen weniger schwer gewesen wären, wenn er einen Helm getragen hätte. Die folgenden Passagen stehen dabei im Kern der Begründung des OLG Düsseldorf:
"Es stellt nach Auffassung des Senats ein untrügliches Zeichen dar, dass gerade mit Unfallverletzungen befasste Mediziner seit Jahren eine allgemeine Helmpflicht für Radfahrer fordern (vgl. Ärztezeitung vom 17.04.2001: "Notärzte fordern Helmpflicht für Fahrradfahrer"; 14.05.2003: "Die Helmpflicht für alle Radfahrer könnte vielen das Leben retten").
Dementsprechend spricht sich auch die World Health Organization (WHO) in einer ihrer jüngsten Veröffentlichungen für eine Helmpflicht für sämtliche Zweiradfahrer aus. Internationale Studien der letzten 15 Jahre haben nach Recherchen der WHO gezeigt, dass beim Tragen eines Schutzhelms das Risiko von Kopfverletzungen um 69 Prozent zurückgehe, das Risiko von schweren Kopfverletzungen nehme sogar um 79 Prozent ab. Dies gelte für alle Altersgruppen und nicht nur für Stürze vom Fahrrad, sondern auch für Kollisionen mit Kraftfahrzeugen. Der Helm schütze dabei nicht nur das Gehirn, vielmehr würden auch Verletzungen des oberen und mittleren Gesichtsschädels laut WHO um zwei Drittel reduziert ("Helmets: A road safety manual for decision-makers and practitioners", Geneva, World Health Organization 2006; zur weiteren Studien siehe Furian/Hnatek-Petrak ZVR 2006, 427) ....
..... Die folglich dem Kläger anzulastende Obliegenheitsverletzung war vorliegend auch ursächlich für die ausweislich der ärztlichen Berichte von dem Kläger erlittenen Kopfverletzungen. Für die Kausalität zwischen der Nichtbenutzung eines Schutzhelms und den meisten Kopfverletzungen spricht bereits der Beweis des ersten Anscheins. Gerade das im Vordergrund des Verletzungsbildes stehende Schädelhirntrauma und die diagnostizierte Schädel- und Mittelgesichtsfraktur stellen typische Verletzungen dar, deren Vermeidung ein Sturzhelm dient und -ausweislich der zitierten WHO-Studie- auch zu dienen im Stande ist.
Nach dem Beweis des ersten Anscheins spricht bereits die Vermutung dafür, dass es bei Beachtung der Helmpflicht (-obliegenheit) nicht zu den schweren Verletzungen gekommen wäre, wenn sich in dem Unfall gerade die Gefahr verwirklicht hat, deren Eintritt die Pflicht (Obliegenheit) verhindern wollte (BGH NJW 1983, 1380 zu Kopfverletzungen eines Kraftradfahrers ohne Schutzhelm). Dies trifft auch und insbesondere auf den vorliegenden Fall zu."
An dieser Stelle muß vielleicht betont werden, daß es für das Gericht - wie oben schon ausgeführt - keine Rolle spielen durfte, ob eine allgemeine Helmpflicht wünschenswert oder sinnvoll ist, wie dies häufig und auch kontrovers diskutiert wird. Hierzu kann und darf jeder eine eigene Meinung haben. Es ging an dieser Stelle für das Gericht nur noch um die Frage, ob ein Helm die Verletzungen hätte verhindern können. Aufgrund des vom Gericht angesprochenen Beweises des ersten Anscheins, der zu einer Beweislastumkehr führt, hätte der Kläger hier beweisen müssen, daß seine Verletzungen auch entstanden wären, wenn er einen Helm getragen hätte. Dies hat nach dem Urteilssachverhalt der Kläger weder vorgetragen noch bewiesen, vielmehr hat er sich mit einigen "ungeschickten" Einlassungen eher unglaubwürdig gemacht bzw. sogar den Vorwurf eines widersprüchlichen Verhaltens eingehandelt.
So hat der Kläger wohl dem Gericht gegenüber seine Ausfahrt als "reine Spazierfahrt" bezeichnet, worauf ihm entgegengehalten wurde, daß seine Kleidung ("Rennfahrerbekleidung") und seine Geschwindigkeit eher einen sportlichen Zweck belegen. Dazu paßt dann IMHO auch folgende Urteilspassage:
"..... nach seinen eigenen Angaben im Rahmen der informatorischen Anhörung war sich der Kläger vielmehr sogar bewusst, dass das Tragen eines Schutzhelms beim Rennradfahren Teil des verkehrsgerechten Verhaltens ist. Seinem Argument, den Helm nur bei Gruppentouren wegen des Fahrens im Pulk beziehungsweise in der Kolonne zu tragen, vermag der Senat nicht zu folgen. Gerade der vorliegende Fall zeigt anschaulich, dass eine Unterscheidung zwischen Fahrten in einer Kolonne und solchen in einer Kleingruppe hinsichtlich des Erfordernisses, einen Schutzhelm zu tragen, keine Berechtigung hat."
Aufgrund dieser Einlassung des Klägers hatte das Gericht aus rechtlicher Sicht auch keine Probleme mehr, dem Kläger vorzuwerfen, daß er fahrlässig keinen Helm trug.
Was ist also das Fazit aus dem Urteil des OLG Düsseldorf? IMHO lassen sich drei Feststellungen treffen:
1. Es besteht für Rennradfahrer keine Helmpflicht!
2. Wird kein Helm von Rennradfahrern getragen, so müssen diese im Falle eines Unfalls mit Kopfverletzungen beweisen, daß diese Verletzungen auch entstanden wären, wenn sie einen Helm getragen haben. Andernfalls trifft sie ein Mitverschulden, daß zu einer Reduzierung oder einem Ausschluß von Schadensersatz-/Schmerzensgeldansprüchen.
3. Das Urteil des OLG Düsseldorf könnte auch auf Mountainbiker übertragbar sein.
Allerdings ist auch anzumerken, daß das Urteil des OLG Düsseldorf von früheren Urteilen anderer OLGs abweicht. Da aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls eine Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) nicht zugelassen wurde, muß abgewartet werden, ob dieses Urteil überregional Bedeutung erlangen wird, d. h. ob ihm andere Gerichte folgen werden. Eine höchstrichterliche Klärung durch den BGH bleibt also weiterhin abzuwarten. Zumindest im Bezirk des OLG Düsseldorf sollte sich aber jeder Biker darüber im Klaren sein, sofern er einen Helm nicht tragen will, daß ihm im Falle von Kopfverletzungen ein Mitverschulden angekreidet werden könnte.
Wenn jemand das Urteil selbst nachlesen möchte - nach meiner Kenntnis ist das Urteil vollständig bisher nur in Juris (für Nichtjuristen: das ist eine Rechsdatenbank) veröffentlicht. Vermutlich wird es aber auch - falls noch nicht geschehen - in Kürze in der juristischen Fachpresse (z. B. Neue Juristische Wochenschrift - NJW, einsehbar z. B. in Uni- und Gerichtsbibliotheken) veröffentlicht werden. Wer nicht so lange warten will, kann es sich gegen Kostenerstattung vom OLG Düsseldorf (nicht von mir) zusenden lassen.
Schlußbemerkung: Die vorstehenden Ausführungen basieren auf meiner ganz persönlichen Bewertung des Urteils und erheben keinen Anspruch auf Richtigkeit oder Vollständigkeit, geschweige denn Verständlichkeit.