Saisonstart 2012
31.03-2012, 16:30. Wernigerode. Badewanne.
Da liege ich drin. Entspannt. Die Mundwinkel zeigen wohl noch die eingebrannten Spuren eines latenten Grinsens. Fühlt sich so an, kann es mangels Spiegel nicht verifizieren...
Das Wasserthermometer meiner kleinen Tochter lungert hier auch herum. Es hat die Form eines putzigen Nilpferdes und ein paar Markierungen. Kaltbad - nö, weit entfernt. Kinderbad, 36° - ha, Kinderkram. 39°, da baden Biker und findenâs angenehm.
Was issn das auf meinem Bein da? Auf dem rechten Schienbein wuchert ein wunderschönes Modell eines abgeflachten Vulkankegels. Noch hautfarben, spätestens morgen sicher blau und lila und in was weià ich noch für Modefarben, die gerade bei Hämatomen so angesagt sind. Ich merke nur nichts davon. Wahrscheinlich haben meine Schienbeinnerven schon vor Jahren die Schmerzmeldung eingestellt. Wegen Sinnlosigkeit.
Auch am anderen Bein und an den Knöcheln wird sich demnächst Farbigkeit einstellen. Das war der unfreiwillige Salto vorwärts auf dem Moorstieg. Und natürlich der Fakt, das ich heute seit Monaten das erste Mal ohne Schienbeinschützer unterwegs war. Hornochse.
Was gibt der Körper noch so an Informationen her? An der Innenseite des Daumens löst sich etwas Hornhaut. Wusste gar nicht, das ich da welche habe. Auf jeden Fall ist das die Folge der permanent nassen Handschuhe. War nämlich kein niederschlagsfreier Tag heute. Im rechten Auge und als dünne bodendeckende Schicht in der Wanne spüre ich Dreck von den letzten Abfahrten. Waren die genial!
Haare verklebt. SchweiÃ. War nämlich auch kein anstrengungsfreier Tag. Sollte ich mal zum Anfang kommen? Ja sollte ich. Aber was ist das zwischen meinen Zähnen...Reste von Hülsenfrüchten. Klar, Kukkis Erbsensuppe. War auch gut.
Gegen halb neun fängt es für mich an. Da kommt der erste, nie vorher gesehene Tourkumpel für heute. Der ist supernett und ich habe so gar kein Problem, ihm mein Zweitrad für die Tour zu leihen.
Wir fahren ruhig nach Hasserode und treffen auf dem Parkplatz der Hochschule Harz die nächsten Mitfahrer. Es ist trocken. Ha, Wetterfrösche, Wetter-Websites und was weià ich für Wetterorakel, wie war das mit Regen heute? Und Sturm? Weltuntergang?
Langsam trudelt alles ein, was sich von den Prognosen nicht erschüttern lieÃ. Aus Leipzig, Halle, Niedersachsen und so weiter. Muss mal irgendwann den Maximalabstand der Beteiligten Wohnorte ausrechnen...oder auch nicht.
Die Mischung ist schon witzig. Enduristen, Almountaineerer, Xcler mit Hardtails, mindestens ein BMXer und 4-Crosser...und ein Fitnessbike, aufgerüstet mit grobstolligen
Reifen. Grobstollig aus der Sicht eines Fitnessbikers. Dazu der Fahrer in Jeans und Hooded Sweater. Mal sehen, wohin das führt.
Und eine Frau! Das ist toll - das meine ich völlig unsexuell oder was auch immer man mir bösartig hinterherinterpretieren könnte. Mehr Frauen auf die Trails, die können das doch auch!
Los gehtâs!
Es regnet jetzt - und nicht zu knapp. Daran sind nur die rechthaberischen Wetterorakel schuld. Naja, ich habe mir mal die Definition von âSchauerâ angesehen. Die dauern max. 45 Minuten und sind stark lokal begrenzt. Regnen kann es bis zwei Liter in zehn Minuten. Das ist nun nicht unbedingt wenig. Adieu trockene Trails.
Je länger die Fahrt Richtung oberes Hasserode dauert, um so besser wird schon die Stimmung. Das sind halt alles irgendwie gleichgeschaltete Freaks hier. Wer am letzten Märztag bei schlechtem Wetter in den Harz zum Biken fährt, hat einen Knall. Und das ist gut. Besser als zu Hause zu sitzen und den Regen von drinnen zu sehen.
Wir kommen über den Weg am âBraunen Wasserâ und den Parkplatz âSteinerne Renneâ auf den Bahnparallelweg und der zieht unser Fahrerfeld schon ein wenig in die Länge. Nach dem kleinen technischen Stück an der Brücke gibt es die erste Rast. Immer wieder schön zu sehen: wirf ein paar Freaks zusammen und sie fangen bald an, sich über ihr Thema angeregt zu unterhalten. Egal, ob sie sich kennen oder nicht. Das funktioniert heute scheinbar alles gut...
Ahh, verflixt, eklig!
Jetzt hat mir dieser dämliche Wasserhahn kalt aufâs Knie getropft. Ich will endlich ein Thermostat!
Was sagt Nilpferd? 38°. Geht noch.
Dem Wetter sollte jemand klar machen, das der April erst morgen losgeht. Oder ist das hier nur ein Vorspiel? Dann wird der nächste Monat witzig. Jetzt lassen sich schon mal Flocken im Regen blicken.
Wir kommen zum Gasthaus âDrei Annenâ und kurz später verlassen wir den Standardweg und fahren über Trails eine Abkürzung auf den Glashüttenweg. Ich überlasse jedem selbst die Entscheidung, über den Trail oder den Glashüttenweg zur Jugendherberge am Skihang zu fahren. Mir fehlen heute ganz schön Körner - also Chickenway...
An der Hütte pfeift es richtig. Mit âesâ meine ich den Wind. Der Flockenanteil im Niederschlag war auch schon geringer. Ich breche die ungenehmigte Pause ab und zwinge den ganzen Pulk weiter bis zur Spinne. In kuscheliger und schweiÃgetränkter Atmosphäre werden wichtige Vorentscheidungen getroffen. DrauÃen ballert Niederschlag vorbei. Waagerecht. Schnell. Flockenanteil einhundert Prozent. Erinnert mich an den Blick aus einem Raumschiff bei Ãberlichtgeschwindigkeit. Nein, kenne ich nicht aus eigener Erfahrung. Ich sehe recht gern Filme mit Raumschiffen bei Ãberlichtgeschwindigkeit.
Der SchweiÃdampfpegel ist merklich gesunken. Wir müssen weiter. Danke für Kinderriegel und Kekse an die Mitbringer und Verschenker.
Es sind jetzt weniger Sterne, die vorbeifliegen, also lassen wir uns nach drauÃen locken. Mieser Trick der Wettermafia, wie sich schnell herausstellt. Bei späteren wetterphilosophischen Gesprächen stelle ich fest, das alles, was nicht als Regen runterkam, uns auch nicht nass gemacht hat. Ich bin so ein Fuchs.
Kurze Fahrt hoch, dann teilen wir die Gruppe auf. In eine groÃe und eine kleine Hälfte. Klar geht das, habe es doch gesehen.
Ein Teil fährt und schiebt und quält sich hinauf auf den Hohnekamm.
Der andere Teil nimmt sich Ahrensklint und Pfarrstieg vor. Da ich bei diesem Teil nicht dabei war, tu ich auch nicht so und schreibe da nur soviel drüber, das der Teil wohl auch Spaà hatte. Oder es war die Hölle und sie haben alle eine Gehirnwäsche bekommen. Ist natürlich auch voll möglich. Und kann von mir mangels physischer Anwesenheit weder bestätigt noch verneint werden.
Ich fahre jedenfalls auch die Hohnekamm-Runde. Der Schnee am Pfad vorbei an der Höllenklippe, der letzte Woche noch recht aufdringlich da herumlag, ist ziemlich weg. Dafür liegt jetzt neues WeiÃ, ganz frisch und aus Schnee und Graupel bestehend. Und bestimmt einen halben Zentimeter fett. Viel hoch wird nicht gefahren, dazu verlangen die Steine und die schlammigen Bereiche zwischen den Steinen zu viel Kraft. Oben, auf dem Kammweg, geht es weniger hoch. Kraft kostet der wilde Trail trotzdem nicht gerade wenig, weshalb wir auch hier nicht alles fahren.
Vor der Leistenklippe machen wir bei wunderschönem Sonnenschein und herrlichen Sommertemperaturen noch eine Rast und ein Foto.
Ach Quatsch, das war ja letzte Woche. Also noch ein Versuch.
Vor der Leistenklippe machen wir bei Null Fernsicht, Graupelschauern und frostigen Temperaturen noch eine Rast und ein Foto.
Kurz danach dann endlich die primäre Destination des heutigen Tages. Wollte mal kurz mit Fremdwörtern prahlen. Ãber den sehr technischen, steinigen Singletrail geht es auf die breiten Holzwege mit schönen Stufen dazwischen. Die sind heute mal alles andere als griffig. Nein, sie sind höllenglatt. Das sagt mir jetzt mein rechtes Bein und dort auf dem Moorstieg wird es mir nach meinem spektakulären Frontabroller neben den Holzsteg klar. Der Sprung vorher hätte wohl nicht sein müssen. Den Spruch mit dem Ãbermut des Mitfahres hinter mir hätte ich für diese Erkenntnis auch nicht mehr gebraucht. Ein wenig Moos von der Landung hat sich zwischen Visier und
Helm verkeilt. Habe ich nach der Tour gesehen.
Ich kontrolliere kurz meine lebenswichtigen Funktionen und dann die eher unwichtigen wie Hirnaktivität und sowas. Dann mache ich eine Pause und beruhige mental meine leicht schlotternden Knie. Alles wird gut und nein, ich wollte euch nichts Böses.
Wieder auf den Bock und dann erwartet mich der untere Teil des Moorstieges, der wieder ganz anders ist. Ein ausgewaschenes Flussbett mit ordentlich Granitblöcken drin. Alles naà heute, macht es nicht leichter. Dank mangelnder Kraft geht nicht mehr alles ganz flüssig, aber Spaà macht das Hoppeln über die Motzen trotzdem.
Auf dem Glashüttenweg wird das erste mal heute der Wunderbeutel rumgereicht. Virtuell. Der Moorstieg war ein Erlebnis, gerade wegen des rauen Wetters. Es haben auch alle bis hier überlebt. Und es gibt auch keine Erfrierungen. Was Adrenalin so alles bewirkt.
Wir sind zu früh an der Spinne, die andere Gruppe ist noch nicht wieder hier. Und es ist einfach u ungemütlich, hier zu warten. Also ballern wir noch den Trail an der Feuersteinklippe vorbei zum Bahnhof Schierke. Auf dem Stück Weg verlieren wir zwei Dinge. Einen Mitfahrer - nein, nicht im absolut schlimmsten Sinn, er war nur langsamer und hat uns aus den Augen verloren - und Luft aus einem Hinterrad. Während sich einige von uns also das zweite mal mit dem Wunderbeutel beschäftigen, ist Einer mit Luftpumpen beschäftigt und ein weiterer Biker schaut nach, wo der Nachzügler bleibt. Der bleibt weg und wir quälen uns den steilen, bockigen Trail vom Bahnhof zur Spinne hoch. Dort finden wir nicht nur den Vermissten, sondern auch die andere Hälfte - war das jetzt die gröÃere oder die kleinere? Und ist das wichtig?
Jetzt wird es aber frisch hier. Nilpferd: 36°. Kinderbad. Nicht mein Ding. Raus hier. Ich schreibe den Bericht gleich im Wohnzimmer weiter.
An der Spinne wird kurz kollektiv überlegt, ob wir die Gruppe noch mal entzweien. Wir wollen den âVon-Eichendorff-Stiegâ fahren und sind nicht sicher, ob den jeder schafft. Aber noch mal teilen, Vermisste suchen und warten? Blödsinn. Wir jagen alle Leute den Pfad runter.
Für Manche ist es ein fluffiger Downhill. Für Manche nicht ganz leicht. Für Einige grenzwertig. Ich habe im unteren Teil das Fitnessbike vor mir. Und ich komme nicht vorbei. Dranbleiben ist eins, überholen was anderes. Respekt vor der Leistung. Ha, ein Fahrfehler, rechts vorbei. Ich sehe vor mir noch ein rotes Bike durch die Luft wirbeln. Der Fahrer hat genau das wohl schon hinter sich. Er rappelt sich auf und bestätigt auf Nachfrage: alles okay.
Ja, der Eichendorff ist schon ein Schlingel. Aber auch hier überleben alle. Und fast alle grinsen unten. Langsam nimmt der Wunderbeutel beängstigende AusmaÃe an...
Kukki übernimmt die mentale Kontrolle. Wir sind zu nah und geraten in seinen Einfluss. Keine groÃen Umwege mehr, keine Trails, kein Wald. Auf den Glashüttenweg und Stoff. Aber wir können noch den Löwenzahnweg fahren. Ja, könnten wir, wenn wir ihn fänden. Das tun wir nicht und landen knapp auÃerhalb von âDrei Annenâ auf der LandstraÃe. Kein Problem, schnell auf der StraÃe zum legendären Erbsensuppenmacher. Ran an die Gulaschkanone. Kurz vor Zwei ist es Zeit dafür.
Schmatzgeräusche, Fahrradfahrergelaber, adrenalingetränkte Scherze. Erbsensuppe. Mit oder ohne Wurscht.
Glückseligkeit.
Dann zwickt bald wieder das Wetter. Es ist weiterhin kalt und im Sitzen wird es nicht wärmer. Ich quatsche noch mit dem netten Erbsensuppenverkäufer und der macht noch ein schönes Andenkenbild von der ganzen Bande.
Dann der Tiefpunkt der ganzen Tour. Mit der erschütternden Aura biederer Borniertheit nähert sich eine grüne Gestalt und redet mit mir. Zu mir. Auf mich ein. Ich habe einen Fehler gemacht und laut und öffentlich die Worte âHohnekammâ und âBikenâ so verwendet, das sie in der Gestalt einen Schalter auslösten und damit eine Zwangsreaktion ausgelöst wurde. Ein Redeschwall.
Kurzform. âNationalpark...Mountainbiker unerwünscht...wollen wir dort nicht...Ordnungswidrigkeitâ.
Mir geht vieles durch den Kopf. Die Bilder durch Abholzung verwüsteter Wälder, auch im Nationalpark. Sinnlos zerstörte Wanderwege, die jetzt Forstautobahnen sind. Kukkis Erbsensuppe - nur mental. Diskriminierung. Und:
Halt den Sabbel du Sack die Stimmung war doch gerade gut und dann kommst du dämliches Stimmungsgrab und jetzt stehe ich hier und könnte dir und überhaupt gehst du mir hau doch ab in deine Bärenhöhle wieso bist du überhaupt schon wach ist doch noch gar nicht warm genug und auÃerdem will ich nur aufs Bike und wenn du mich da siehst bin ich sowieso schneller also fang mich doch.
So ganz normale Gedanken eben. Ich denke oft ohne Satzzeichen.
Beim Losfahren fordere ich die Runde auf:âSo, weiter, wir fahren jetzt zum Hohnekamm...ähh Hüttestieg...â
Die Runde ist toll. Sie versteht den Scherz, es gibt ein kurzes, befreiendes Gelächter und die ganze skurrile Situation ist vorbei.
Mit teilweise letzter Kraft geht es rüber zum Steinbergskopf. Mit âteil...â meine ich auch mich. Kein Bock mehr auf Höhenmeter, die hoch gehen.
Jetzt kommt nochmal richtiger SpaÃ. Der Steinbergskopf. Wir fahren nicht hoch zum Aussichtspunkt, sondern nehmen den Trail über die Treppe am Elversstein. Ich fahre die Treppe als erster, einige folgen auf dem Bike, die meisten sicher zu FuÃ. Die Treppe ist schon krass. Aber sie ist der Einstieg zu den perfekten Singletrails. Ich donnere diese bis auf den Drängetal-Hangweg hinunter und drehe mich um. Dann sehe ich den Anderen ins Gesicht und weià genau, was ich da zu sehen bekommen werde. Grinsen. Breit und echt und eingebrannt. Diese Trails sind so ziemlich das Beste, was man mit einem Mountainbike bearbeiten kann. Leider viel zu kurz.
Jetzt platzt der Wunderbeutel. Kapazität maÃlos überschritten. Kaum zu glauben, was passieren würde, wenn wir auch noch schönes Wetter hätten.
Da jetzt keine Kraftreserven mehr vorhanden sind, kann ich nicht erklären, mit was ich noch den kurzen Gegenhang hinaufkomme. Wahrscheinlich der pure Wille, den letzten Trail noch zu fahren. Wieder ein kurzer Moment Glück auf dem Fahrrad. Ich bin schnell und die Abzweigung nah. Ich schaffe es gerade so und warte wieder im Wissen, was jetzt passiert.
Die Hälfte der Fahrer verpasst den richtigen Moment und ballert ein Stück zu weit. Sie haben meine lieb gemeinte Schadenfreude. Aber eine Schaden gab es ja nicht. Na dann eben lieb gemeinte Gehässigkeit.
Auf dem letzten Stück zurück zum Parkplatz zeigt uns noch unser BMXer, wie man eine schmale Brücke mit einem 90° Hinterradumsetzer ansteuert und sicher nimmt. Das sieht gut aus. Dann gibt es noch den Kicker am Braunen Wasser und die Mutprobe der steilen Treppe an der Hochschule. Dann ist Schluss mit lustig.
Mein Fazit: also ich bin nach knapp 50 km inklusive Rückfahrt nach Hause quasi End-kaputt. End-glücklich. End-zufrieden.
Die Resonanz auf die Ankündigung dieser Tour, die Leute, das gemeinsame Erfahren der Trails, die gute Stimmung haben mich schwer beeindruckt und euphorisiert. So etwas bleibt hängen. Da erzähle ich später meiner Tochter von. Ob sie es hören will oder nicht.
Ach, ich muss noch die Wanne saubermachen gehen. Da mache ich jetzt mal Schluss hier...
Hasifisch